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Imaginierte und organisierte Welten 55. Biennale von Venedig: Il Palazzo Enciclopedico – Teil 6

Cathy Wilkes (* 1966), Untiteled, 2013, Installationsfoto: Alexandra Matzner.

Cathy Wilkes (* 1966), Untiteled, 2013, Installationsfoto: Alexandra Matzner.

Zu den Erbauern von imaginierten Welten und organisierten Bibliotheken gehören Gianfranco Baruchello (* 1924) mit „La Grande Biblioteca“ (1976/86) im selben Raum mit Christiana Soulou (* 1961), die nach den Bestiarien von Jorge Louis Borges arbeitet, weiter der kolumbianische Zeichner José Antonio Suárez Londono (* 1955), der Imaginationen in Bilder umsetz. Zwei für die Biennale geschaffene Installationen sind besonders beeindruckend: Cathy Wilkes` (* 1966) „Untitled“ (2013) und „Asylum“ (2013) von Eva Kotátková (* 1982).

Cathy Wilkes (* 1966) inszeniert mit lebensgroßen Puppen hinter zwei aufgehängten Tüchern eine klandestine Situation. Kinder umringen eine Erwachsenenfigur, Scherben und Steine liegen am Boden, Flaschen stehen herum, ein Comic liegt am Boden. Die ganze Situation, mit wenigen Mitteln bewirkt, ruft Assoziationen von Zeitungsmeldungen von Alkoholmissbrauch, vernachlässigten und geschlagenen Kindern hervor, von sexuellem Missbrauch gar nicht zu reden.

Eva Kotátková (* 1982) arbeitet in „Asylum“ hingegen mit einer großen Menge an hauptsächlich schwarz-weißem Material auf einem langen dunkelgrauen Sockel, in dem Hierarchie, Kommunikationsmethoden und Körperpolitik in psychiatrischen Anstalten das Thema ist. Einige Strukturen erinnern an Gefängnisse, andere zeigen Körperteile wie Augen oder Masken ohne Augen und Illustrationen aus medizinischen Fachbüchern. Auf Zetteln sind die Körperwahrnehmungen von Patient_innen – z.B. der Kopf als Haus – aus dem Bohnice Krankenhaus außerhalb von Prag notiert, mit denen die tschechische Künstlerin für dieses Projekt zusammenarbeitete. Auf einem Blatt kann man eine Liste von Ängsten entdecken, auf einem anderen, welche Situationen unerträglich für einen Patienten sind. Ihrer Installation werden die Arbeiten von Anna Zemánková (1908-1986) beigestellt.

In den Bereich der „privaten Obsessionen“ gehört „Das Leningrad Album“ (1967-73) von Evgenij Kozlov (E-E) (* 1955). In mehr als 250 Federzeichnungen entwickelte der damals zwölf- bis achtzehnjährige Jugendliche seine erotischen Fantasien, teils in expliziten Handlungen und teils in verheißungsvollen Gesten.

Sexualität jenseits von erträumten Begehren ist das Thema von Henrik Olesen (* 1967), der in einer Collage mit dem Titel „Fathers and Sons“ (2013) ein berühmtes Coverfoto von Dominique Strauss-Kahn, Bilder von Pferden, Hühnern, Kindern und eine Schachtel mit Müll verarbeitet. Müßig zu sagen, dass es sich dabei alles um Macht und Sex dreht.

Weitere Themen auf der Biennale von Venedig 2013

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55. Biennale, Teil 1: Il Palazzo Enciclopedico: Die historischen Wurzeln
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Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.