Alexandra Exter

Wer war Alexandra Exter?

Alexandra Exter (Białystok 6.1.1882–17.3.1949 Fontenay-aux-Roses) war eine ukrainisch-französische Malerin der Klassischen Moderne (→ Klassische Moderne). Die in Kiew und Paris ausgebildete Künstlerin zählt zu den bedeutendsten Vertreterinnen der Russischen Avantgarde | Ukrainischen Avantgarde neben Natalja Gontscharowa und Olga Rosanowa. In ihren leuchtenden, farbintensiven Bildern der 1910er Jahre setzte sich Exter mit Ideen des Futurismus, Kubismus, Suprematismus, Konstruktivismus und mit russischer Volkskunst auseinander. Exter zählt heute zu den Schlüsselfiguren des russischen Kubofuturismus und der ukrainischen Avantgarde. Die Künstlerin floh 1924 nach Frankreich, wo sie Marionetten, Kostüme und Bühnenbilder für Theater, Ballett und Film entwarf und viele Bücher in einer eigenständigen Spielart des Konstruktivismus illustrierte.

Kindheit

Alexandra Alexandrowna Exter (auch: Aleksandra Ekster, russ.: Алекса́ндра Алекса́ндровна Эксте́р, urk.: Олекса́ндра Олекса́ндрівна Е́кстер) wurde am 6. Januar (jul.) beziehungsweise am 18. Januar 1882 (greg.) in Belostok (heute: Białystok), Gouvernement Grodno, Russisches Kaiserreich (heute: Polen) geboren. Als Alexandra Grigorowitsch kam sie als Tochter einer wohlhabenden weißrussischen Familie zur Welt. Ihr Vater, Aleksandr Grigorowitsch, war ein Geschäftsmann; ihre Mutter war Griechin. Alexandra erhielt eine exzellente Ausbildung durch Privatlehrer, die ihr Sprachen, Musik, Kunst und Zeichnen beibrachten.

Ausbildung

In Kiew besuchte Alexandra, die von ihren Freund:innen Asya genannt wurde, das Gymnasium St. Olga und von 1901 bis 1903 sowie 1906 bis 1908 die Kunstakademie. Dort studierte sie bei Alexander Bogomazov und Alexander Archipenko. Zum Lehrkörper gehörte auch Mykola Pymonenko. 1906 schloss sie das Studium an der Kiewer Kunstakademie ab.

Mit der symbolistischen Künstlergruppe „Blaue Rose“ stellte sie 1907 in Moskau aus und beteiligte sich an weiteren Ausstellungen in Russland. Im Jahr 1903 heiratete Alexandra Grigorowitsch den erfolgreichen Rechtsanwalt Nikolai Evgenyewitsch Exter aus Kiew. Das Paar gehörte zur kulturellen und intellektuellen Elite der Stadt. Ihr Ehemann stand den künstlerischen Ambitionen Exters, ihren Reisen ins Ausland (u.a. Deutschland und Schweiz) und Kontakten zur künstlerischen Bohéme, darunter zu David Burljuk und Nikolai Kulbin, nicht im Weg.1

Zwischen Frankreich und dem Kaiserreich Russland

Von 1908 bis 1924 lebte Alexandra Exter in Kiew, St. Petersburg, Odessa, Paris, Rom und Moskau. Alexandra Exter verbrachte 1908 mehrere Monate mit ihrem Ehemann in Paris, wo sie die Académie de la Grande Chaumière in Montparnasse besuchte. Dabei hatte sie über ihren Kiewer Studienkollegen Serge Férat (eigentl. Sergej Jastrebcov) in Paris Kontakte mit Pablo Picasso, Georges Braque, Guillaume Apollinaire, Max Jacob sowie in der Künstlerkolonie La Ruche mit Marc Chagall. In Italien lernte sie die Futuristen Ardengo Soffici und Tommaso Marinetti kennen. Ab 1909 führte Alexandra Exter ein Atelier in Paris. Mit Sonia Delaunay-Terk und Robert Delaunay verband Exter eine Freundschaft wie auch mit Soffici, Fernand Léger und Alexej von Jawlensky. Zudem tauschte sich Exter mit Umberto Boccioni aus. Über Léger kam Exter mit Herwarth Walden in Kontakt; Walden besuchte die Künstlerin zwischen 1912 und 1914 mehrfach in ihrem Atelier in der Rue de Boissonade.

Ihre erste Ausstellungsbeteiligung fand 1908 in Kiew statt, als Exter „Die Kette“ auch mitorganisierte. Die Schau stand im Zeichen des Postimpressionismus. In den folgenden Jahren war sie in den Ausstellungen des „Bundes der Jugend“ in Sankt Petersburg, zu dem auch Olga Rosanowa gehörte, und des „Karo-Buben“ in Moskau vertreten. Seit ihrem ersten Aufenthalt in Paris 1907 wirkte Alexandra Exter als Mittlerin zwischen der westlichen und der osteuropäischen Avantgarde. Vieles spricht dafür, dass Exter den Begriff „Kubofuturismus“ in der Ukraine und in das Kaiserreich Russland eingeführt hat.

1912 zog Exter nach St. Petersburg (ehem. Petrograd), und nahm an bedeutenden Ausstellungen der russischen Avantgarde wie „Karo-Bube“ (1910–1917) teil. Anfang 1914 stellte Exter an einer Futuristen-Ausstellung in Rom aus, an der Ausstellung „Tramway V“ (1915–16) und „5 x 5 = 25“ (1921) in Moskau. Anfang 1914 kam es zu Verhandlungen über eine Ausstellung Exters im „STURM“, die im Herbst in Berlin gezeigt werden hätten sollen. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verhinderte dieses Vorhaben (wie auch im Fall von Natalja Gontscharowa).

1916 begann Alexandra Exter mit der Arbeit für das Theater mit dem Ensemble von Alexander Jakowlewitsch Tairow, die sie bis 1921 fortführte: „Thamira Chytaredes“ von Innokenti Annenski (1916), „Salomé“ von Oscar Wilde (1917) und „Romeo und Julia“ von William Shakespeare“ (1921). Exter verwandelte den Kubismus in eine expressive, energiegeladene Bühnenversion, wobei sie die Bühne, Bühnenausstattung und Kostüme zu räumlichen und emotionalen Mitakteuren des Bühnengeschehens aktivierte. Mit der Tänzerin und Choreografin Bronislawa Nijinska arbeitete Exter zusammen. Im Jahr 1918 gründete Exter zudem ein eigenes, aber nur kurzlebiges Atelier in Kiew, aus dem viele Künstler:innen – darunter Isaak Rabinowitsch, Pawel Tschelischtschew und Wadim Meller – hervorgingen. Gleichzeitig beschäftigte sie sich mit Textilentwürfen.

Herwarth Walden plante 1921 eine Ausstellungstrilogie mit Alexander Archipenko, Ivan Puni und Alexander Exter. Obwohl die Künstlerin die Exponate bereits zusammengestellt hatte, und in Moskauer und Kiewer Zeitungen über das Ausstellungsprojekt in Berlin hingewiesen wurde, fand diese nicht statt. Werke, die im Mai 1922 im Buchladen des Verlages Sarja stammten aus dem Besitz von Ljubow Kosinzewa-Ehrenburg; der Verlag gab auch das Buch „Alexandra Exter“ von Jakov Tugendchol’d in Deutsch, Russisch und Französisch heraus. Die „Erste Russische Kunstausstellung Berlin 1922“ in der Galerie van Diemen zeigte ihre Gemälde „Stadt“, „Venedig“, „Gegenstandslos“ sowie elf Kostümskizzen für das Moskauer Kammertheater, sechs Dekorationsskizzen und ein Theaterdekorationsmodell für Prokofjews „Romeo und Julia“. Von 1921 bis 1922 gab Alexandra Exter Unterricht an der Kunsthochschule WChUTEMAS [VKhUTEMAS] in Moskau.

Werke

Anfang der 1910er Jahre erarbeitete sich Alexandra Exter eine eigene, undogmatische Form des Kubofuturismus. Neben Stillleben begeisterte sich Exter vor allem für Stadtdarstellungen; letztere spielen im Kubismus kaum eine Rolle, sind aber im Futurismus wichtig. Sowohl die immer höher strebenden Gebäude, die ständige Bewegung und ihre visuellen Effekte, vor allem bei Nacht, sah die Künstlerin als positiv besetzte Zeichen von Modernität. Exters Gemälde werden besonders für das hohe Bewusstsein der Malerin für Form auszeichnen:

„Das kompositionelle Gefüge, das diese Formen zusammenhält, ist so spürbar, dass man glaubt, beim Herausnehmen eines einzelnen Teiles falls das Ganze auseinander.“2

Rasch begann Alexandra Exter sich einer intensiven Farbigkeit zu nutzen und die Leuchtkraft der Töne durch den Kontrast mit Schwarzen Flächen steigert. Mit Bezugnahme auf Sonia Delaunay arbeitete auch Exter mit geometrischen Segmenten. Wenn auch die Künstlerin keine neoprimitivistische Phase durchlaufen hat, so gibt es eine Nähe zur ukrainischen Volkskunst.

In den 1920er Jahren arbeitete Exter im Stil des Konstruktivismus. Formal unterscheidet sich ihr Werk von dem anderer Künstlerinnen der russischen Avantgarde. Exters Umgang mit der Farbe erinnert eher an Sonia Delaunay. Einflüsse des Suprematismus sind bei ihr offenkundig, doch sie orientierte sich westwärts und war weniger vom russischen Primitivismus als von der europäischen Art Déco und dem Symbolismus geprägt. Exters Talent als Schriftmalerin zeigt sich in von ihr illustrierten Büchern.

„Im Grund genommen wird in Aëlita die Ides totalen Kostüms maximal verwirklicht und bis an die Grenze geführt. Das Kostüm ‚wächst hinein‘ in die Figur. Wird zu seinem Kernpunkt. Steuert alle Äußerungen der Figur. Im Übrigen musste Exter Kostüm und Figur hier nicht voneinander trennen, denn sie hat sich hier natürlich nicht Kostüme ausgedacht, sondern Figuren.“3

Paris

1924 gelang es Alexandra Exter, unter dem Vorwand der Teilnahme an der Biennale von Venedig, gemeinsam mit ihrem zweiten Mann, dem Schauspieler Georgi Nekrasow, aus dem neu gegründeten Sowjetstaat zu fliehen und nach Frankreich zu emigrieren. Die Künstlerin wohnte erst in Paris, wo sie einige Bühnenentwürfe für das Ballett und einem nicht realisierten Filmprojekt von Peter Urban Gad erarbeitete. Von 1926 bis 1930 lehrte Exter an der Académie Moderne von Fernand Léger und in ihrem eigenen Atelier.

Herwarth Walden organisierte im Oktober 1927 eine Einzelausstellung Alexandra Exters im „Sturm“. Der Katalog listet 66 Einträge auf, welche den Facettenreichtum von Exters Werk dokumentieren: Bühnenbilder und -modelle für Theater und Film aber auch Kostümentwürfe für Marionetten (heute sind noch 20 erhalten). Die Berliner Ausstellung war äußerst erfolgreich, weshalb sie auch im Rahm der „Deutschen Theater-Ausstellung“, gefolgt von London und Paris (1929/30) gezeigt wurde.

Fontenay-aux-Roses

Ab 1928 bis zu ihrem Tod wohnte sie in Fontenay-aux-Roses. Neben ihrer Tätigkeit bei Theater, Ballett und Film hatte Alexandra Exter Einzelausstellungen u. a. 1937 in Prag.

Tod

Alexandra Exter starb am 17. März 1949 in Fontenay-aux-Roses.

Literatur zu Alexandra Exter

  • Ada Raev, Alexandra Exter, in: Sturm-Frauen. Künstlerinnen der Avantgarde in Berlin 1910–1932, hg. v. Ingrid Pfeiffer und Max Hollein (Ausst.-Kat. Schirn Kunsthalle Frankfurt, 30.10.2015–7.2.2016), Köln 2015, S. 94–97.
  • Gerda Breuer, Julia Meer (Hg.), Women in Graphic Design, Berlin 2012, S. 440–441.
  • Georgij Kovalenko, Aleksandra Ĕkster, 2. Bde., Moskau 2010.
  • Amazonen der Avantgarde – Alexandra Exter, Natalja Gontscharowa, Ljubow Popowa, Olga Rosanowa, Warwara Stepanowa und Nadeschda Udalzowa (Ausst.-Kat. Deutsche Guggenheim), Berlin 1999.
  • Die große Utopie: Die russische Avantgarde 1915–1932, hg. von Bettina-Martine Wolter und Bernhart Schwenk (Ausst.-Kat. Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, 1.3.–10.5.1992) Frankfurt a.M. 1992.
  • Mjuda N. Jablonskaja, Russische Künstlerinnen. 1900–1935, hg. v. Anthony Parton, Bergisch-Gladbach 1990.
  • Russische Avantgarde 1910–1930. Sammlung Ludwig, Köln (Ausst.-Kat. Kunsthalle Köln, 16.4.–11.5.1986).
  • Jakov Tugendchol’d, Alexandra Exter, Berlin 1922 (aus dem Russischen von Maria Einstein).
  1. Die Biografie Alexandra Exters verdankt sich vor allem Ada Raev, Alexandra Exter, in: Sturm-Frauen. Künstlerinnen der Avantgarde in Berlin 1910–1932, hg. v. Ingrid Pfeiffer und Max Hollein (Ausst.-Kat. Schirn Kunsthalle Frankfurt, 30.10.2015–7.2.2016), Köln 2015, S. 94–97.
  2. Jakov Tugendchol’d, Alexandra Exter, Berlin 1922 (aus dem Russischen von Maria Einstein), S. 9.
  3. Zit. n. Amazonen der Avantgarde im Film, hg. v. Freunde der Deutschen Kinemathek e.V., Berlin 1999 (Kinemathek 36 (Oktober 1999), S. 55.