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Claus Mayrhofer Barabbas Gegenwelten eines Grenzgängers

Barabbas, The Big Bang, 1975 (MUSA), Foto: Alexandra Matzner.

Barabbas, The Big Bang, 1975 (MUSA), Foto: Alexandra Matzner.

Der Wiener Jazz-Musiker und Maler Claus Mayrhofer, alias Barabbas (1943-2009), ist heute wohl nur wenigen Zeitgenossen bekannt. Das MUSA widmet dem „Grenzgänger“ zwischen Musik und Malerei eine erste Einzelausstellung, in deren Zentrum das 50 Meter lange und knapp vier Meter hohe Wandgemälde „The Big Bang“ oder „Genesis“ steht, das Barabbas innerhalb von drei Monaten für eine Künstlerhaus-Ausstellung (August 1975) geschaffen hat. Das 2012 im Keller wiedergefundene Bild wird nun erstmals wieder ausgestellt und ist eine Schenkung an die Kulturabteilung der Stadt Wien. Deutlich zeigt sich darin die Faszination an kosmologischen Ideen, an ornamentaler Gestaltung zwischen Figuration und Abstraktion, gespeist aus dem Wissen der Welt.

Muster, Tattoos und der Kosmos

Der 1943 in Wien geborene Künstler, entstammte einer großbürgerlichen Familie. Mit 15 verließ er das Schottengymnasium (1958), um mit Padhi Frieberger in die Künstlerszene abzutauchen. Als er 1959 den französischen Tachisten George Matthieu im Theater bei einer Malperformance mit verbundenen Augen zuschaute, der Künstler ihm daraufhin die übrig gebliebenen Farben schenkte und Arnulf Rainer mit verhauenen Leinwänden aushalf, war der Schritt in die Malerei schon fast getan.
Die Ausstellung beginnt jedoch nicht mit den daraufhin entstandenen, abstrakten und leider schlecht erhaltenen Gemälden, sondern mit einem kleinen „Selbstporträt“ aus dem Jahr 1962. Kaum ist die Figur des Künstlers auszumachen, so sehr dominiert das Muster den ersten Eindruck. Erst ein Schritt an das Bild heran, zeigt, dass er die Figur von hinten und mit verlorenem Profil, den Pinsel in der Hand hinter dem Rücken und wohl vor einer bemalten Leinwand stehend, schildert. Das rot-blaue Muster überspielt die Formen, alles ist miteinander verbunden.

Den Schritt von der gestischen Abstraktion hin zu Kompositionen, in denen das Musterhafte dominiert, konnte Barabbas mit Hilfe von Friedensreich Hundertwasser 1960 machen. Er besuchte den gerade berühmt werdenden Künstler, der 1961 eine Reise nach Japan antreten und 1962 Österreich auf der Biennale von Venedig vertreten würde, in Bellême, Frankreich. Hundertwasser wies Barabbas in die Kunst des Malens ein, zeigte ihm, wie man Leinwände vorbereitet und Malmittel – darunter Eitempera – einsetzt. Die folgenden Bilder lassen den Einfluss des Vorbildes mehr als nur erahnen. Weitere Inspiration zog Barabbas aus der islamischen Kunst in Spanien, in der das Bilderverbot mittels Ornament und Kalligrafie erfüllt wird. C. G. Jungs „Rotes Buch“ wurde genauso wichtig wie Mandalas oder den Tatoos der Maori.

„Von Anfang an hatte meine Malerei nichts mit Popart, Psychedelic-Art usw. zu tun. Meine Malerei entwickelte sich durch meine Auseinandersetzung mit den Schnitzereien der Papua am Sepik (River), mit Tätowierungen der Maoris und mit Hundertwasser. Darüber hinaus vertiefte ich mich in die Kunst von Gauguin – welcher meinen Blick in den pazifischen Raum lenkte – Kandinsky, Kupka, Paul Klee und Klimt.“ (Barabbas in seinem Werktagebuch, 22. November 1990)1

Anfangs dominieren persönliche Motive wie „Ich und meine Frau“ (1966), die damals mit ihrem ersten gemeinsamen Kind schwanger war und deshalb im Bild „das ganze Glück der Erde im Bauch“2 trägt. Des Künstlers Kopf ist mit einem blasenartigen Gebilde mit dem Kopf seiner Frau verbunden, in ihrem Bauch porträtiert sich der am 2. Mai Geborene als Stier. Ein sauberes Haus, umgeben von einem Gartenzaun, Sonnenuntergang, offenbar sehr bürgerliche Träume. Von 1964 bis 1969 lebte er mit seiner Familie in Reichenau an der Rax in der Villa seiner Eltern, wo der Künstler auch den in der Ausstellung gezeigten Baumstamm bemalte. Eine geplante Künstlerkolonie hatte nur wenige Jahre Bestand, häufige Gäste waren aber die Freunde Ernst Fuchs, Walter Malli, Richard Pechoc, Heinz Stangl, Othmar Zechyr und der Fotograf Gerhard Trumler. Die Freunde Barabbas` sind in einem „Grafik-Kubus“ in der Ausstellung präsent. 1969 produziert Barabbas die Schallplatte „Overground“ mit den „Masters of Unorthodox Jazz“, für die Arnulf Rainer ein Cover-Motiv beisteuerte, und die für die MUSA-Ausstellung wieder aufgelegt wurde.

Formal entwickelt sich das Werk von Barabbas bis Mitte der 70er Jahre von der anfangs flächig orientierten, die Bildfläche als solche durch Rahmungen akzentuierenden Kompositionen mit figurativem Aufbau zu ornamentalen Werken, teils mit ironischem Titel wie „Gebetsteppich mit zwei Spiegeleiern“ (Mitte 1960er Jahre). Bilder der 70er Jahre – wie „First Moves“ oder „Milchstraße mit weißem Loch“ (1975) – lassen eine stärkere Beschäftigung mit Vorder- und Hintergrund, Figur und Fläche, der Verkleinerung von Bildelementen, die daraufhin als entfernter interpretiert werden. Die Ornamente spiegeln die mannigfaltigsten persönlichen Interesse Barabbas` wider: Mystizismus vor allem in der Religion Bahá`í, die die Einheit der göttlichen Idee, der Religionen und der Menschheit ins Zentrum stellt. Barabbas, der sich selbst nach dem vom jüdischen Volk entlassenen Rebell der Passion Christi nannte, suchte diese mystische Einheit auch in seinen Bildern als ein All-over, ein blühendes Muster, farbenprächtig und leuchtend umzusetzen.

„The Big Bang“

Das Monumentalgemälde „The Big Bang“ darf als Höhe- und Endpunkt dieser ersten Phase im Werk Barabbas` angesprochen werden. Im Zentrum steht die alles überstrahlende Sonne, rechts davon der Urknall, die Entstehung der Menschheit und ihr Aufstieg, links der Niedergang. Barabbas wollte das panoramaartige Gemälde wie ein Riesenrundbild im Künstlerhaus aufstellen. Die Besucher_innen sollten sich im Kreis drehen und mit wandernden Blicken der Schöpfung folgen. Wie die Ausstellung im Künstlerhaus Anfang dieses Jahres jedoch zeigte, konnte der Künstler aus finanziellen Gründen diese Installation nicht ausführen, sondern das Bild wurde in einer offenen U-Form gehängt. Die zentrale Idee, dass das Ende ein neuer Anfang ist, kann auch aufgrund der engen Platzverhältnisse im MUSA nicht nachgegangen werden. Einzig der Druck des Bildes im Katalog lässt sich zu einem Kreis schließen.

„Schwarze Phase“ – Bali – Australien

Nach dem Erfolg im Wiener Künstlerhaus entschied sich der Künstler, nicht den Kunstmarkt mit den nunmehr nachgefragten, bunten Kompositionen zu bedienen, sondern sich zu zähmen und dunkle Töne einzusetzen. 1976 trat er in die „schwarze Phase“ ein, die bis 1984 anhielt. Entgegen der Begriffsfindung sind diese Kompositionen jedoch mitnichten schwarz, sondern bestehen aus dunklen Tönen. Barabbas tötet die Leuchtkraft der von ihm eingesetzten Farbwerte, indem er Schwarz, Dunkelbraun etc. hineinmischte.

Weitere künstlerisches Phasen lassen sich mit biografischen Ereignissen parallelführen: 1986-1989 hielt er sich in Bali auf, wo pastellige Töne wieder aufgenommen wurden, und 1989-2009 lebte er in Australien. Das Aquarell „Die Mitte“ schickte er an seine erste, lange von ihm geschiedene Ehefrau mit den Worten:

„Frauen haben etwas, was wir Männer nicht haben und nur durch die Frau erleben können: Mitte. Und um diese Mitte können wir nicht mit den Frauen wetteifern. Denn von dieser Mitte kommen wir alle… Männer kommen nicht vom Mars und Frauen nicht von der Venus, beide kommen aus dem Mutterbauch und allein das macht sie grundsätzlich eben-bürtig, aber gleichzeitig unterschiedlich… Welch ein Wunder!“ (Barabbas: Brief an Rosemarie Sebek vom 11. Oktober 2008)

„Claus Mayrhofer Barabbas. Gegenwelten eines Grenzgängers“ im MUSA

Die Barabbas-Ausstellung, kuratiert von Elisabeth Voggeneder, bringt weniger Originale zusammen, als der Katalog erahnen lässt. Die Schau ist locker und chronologisch gehängt, wobei die farbintensivsten Bilder aus den 60er Jahren im hellen Lichthof hängen. Die kleinteiligen, teils pastelligen Werke der Bali- und Australien-Periode finden sich gegenüber vom Eingang, in Richtung Startgalerie und Artothek. Um den großen Lichthof zu strukturieren, wurde ein Kubus für die Grafiken eingestellt. Hier, wie auch rechts vom Eingang, finden sich auch Werke seiner Freunde und Weggefährten, darunter Robert Zeppel-Sperl, dessen Stil vielleicht jenem Barabbas` am nächsten kommt. Auch die Galerie „Zum roten Apfel“ im 3. Bezirk, die zur „Keimzelle“ der Jazz-Gruppe „Overground“ und der Wiener Moderne der 60er Jahre wurde (u.a. stellte dort Martha Jungwirth aus), wird thematisiert.

Barabbas: Bilder

  • Barabbas, Selbstporträt, 1962, Öl auf Leinwand (auf Holz aufgezogen), 18 x 14 cm, Foto: Alexandra Matzner.
  • Barabbas, Gebetsteppich mit zwei Spiegeleiern, undatiert (Mitte 1960er Jahre), Öl, Kasein, Eitempera auf Leinwand, 200 x 130 cm, Foto: Alexandra Matzner.
  • Barabbas, Ich und meine Frau, 1966, Öl auf Pressspan, 79 x 140 cm, Foto: Alexandra Matzner.
  • Barabbas, The Big Bang, 1975 (MUSA), Foto: Alexandra Matzner.
  • Barabbas, O.T., 1979, Mischtechnik auf Leinwand (schwarz-weiß), 100 x 80 cm, Foto: Alexandra Matzner.
  • Barabbas, Odysseus, 2002, Öl auf Leinwand, 102 x 75 cm, Foto: Alexandra Matzner.
  • Barabbas, Die Mitte, 2007, Aquarell auf Papier, 50 x 65 cm, Foto: Alexandra Matzner.
  • Barabbas, Installationsansicht mit Big Bang, Foto: Alexandra Matzner.
  • Barabbas, Installationsansicht mit Mallis Insel, undatiert (Mitte 1960er Jahre), Baumstamm, undatiert (1960er Jahre), First Moves, 1975 und Milchstraße mit weißem Loch, 1975, Foto: Alexandra Matzner.
  1. Die Zitate verdanke ich einer freundlichen Mitteilung von Frau Sebek.
  2. So Rosemarie Sebeck in einem Gespräch mit der Autorin am 24.5.2013.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.