Diskursive Malerei von Albers bis Zobernig: Daimer Kunstsammlung
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Diskursive Malerei von Albers bis Zobernig "Bilder über Bilder" aus der Daimler Kunst Sammlung

Poul Gernes, Zielscheibenbild (Target) B, 1966-68, Öl auf Masonit, 122 x 122 cm, Daimler Kunst Sammlung, Foto: MUMOK © Poul Gernes.

Poul Gernes, Zielscheibenbild (Target) B, 1966-68, Öl auf Masonit, 122 x 122 cm, Daimler Kunst Sammlung, Foto: MUMOK © Poul Gernes.

Das MUMOK verschreibt sich 2010 der Malerei der Nachkriegszeit und lenkt dabei die Aufmerksamkeit auf zwei in Österreich unterrepräsentierte Richtungen - die abstrakt-konkrete Malerei und den Hyperrealismus (→ Hyper Real). Da die eigenen Sammlungsbestände weitestgehend von postexpressiven Tendenzen geprägt sind, war es nach Engelbert Köb wichtig, mit der Daimler Kunst Sammlung einen international renommierten Kooperationspartner zu finden. Bereits seit Gründung dieser Unternehmenssammlung 1977 konzentrierte man sich in Stuttgart auf die Förderung der süddeutschen Avantgarde und setzte somit auf minimalistische Tendenzen. Mit dieser Schau, so die Kuratorin Renate Wiehager, erschließe sich dem Besucher nun die etwa 100-jährige Geschichte der konstruktiven Avantgarden und eröffne sich gleichzeitig der Blick auf zeitgenössisches Schaffen.

Hölzel als Anfang, Bauhaus als Erfolgsgarant

Den Reigen der Künstler beginnt im 1. Stock der in Österreich gebürtige Adolf Hölzel (1853–1934). 1905 an die Stuttgarter Akademie berufen, wurde Hölzel zu einem der wichtigsten Lehrer seiner Generation. Aus dem sog. „Hölzel-Kreis“ gingen Künstler wie Adolf Fleischmann, Oskar Schlemmer und Johannes Itten hervor. Sie bereiteten mit der Forderung nach einer „Kunst für alle“, der Verbindung von Kunst und Kunsthandwerk sowie einer neu strukturierten Lehre den Boden für die 1919 erfolgte Gründung des Bauhauses in Weimar.

Während der 20er Jahre wurden in Deutschland jene künstlerischen Strategien der geometrischen Abstraktion entwickelt, die, ergänzt durch die Bemühungen des russischen Konstruktivismus und der De Stijl-Bewegung, zu den Ausgangspunkten der Nachkriegsavantgarden wurden. Im Gegensatz zu Informel und Action Painting versuchten die Künstler der Konkreten Malerei das Unbewusste auszuschalten und Logik einzuführen, indem sie ihre Bilder nach Konzepten und festen Ordnungen gestalteten. So entstand durch eine quasi anti-improvisatorische Haltung eine streng kontrollierte Malerei, die mit Farbflächen, Streifen, Kreisen und Schriftzügen operiert und diese in Harmonie und Maß zueinander in Beziehung setzt.

Seit 1950 stellen Künstler zudem das traditionell rechteckige Tafelbild auf den Prüfstand. Positionen der Kunstrichtungen Hard Edge und New Color School USA, Konstruktive und Konkrete Tendenzen, Europäische Zero Avantgarde, Minimalismus und Neo Geo werden in der Ausstellung durch aktuelle Arbeiten ergänzt. Ziel der Präsentation ist einerseits der Blick auf eine Entwicklungslinie und andererseits der Dialog von aktuellen Positionen mit historischen Werken. Dies scheint mir gut gelungen, denn im Rundgang durch die Nachkriegsavantgarden lassen sich immer wieder ältere Positionen entdecken, die zum Vergleich mit dem Neuen einladen. Formale Ähnlichkeit muss dabei aber nicht unbedingt auch inhaltliche Übereinstimmung bedeuten.

Die Moderne als Vokabular

Auffallend ist, dass viele jüngere Künstler Ironie als Möglichkeit der Stellungnahme nutzen: Pietro Sanguineti (* 1965) stellt in „VOID“ die Leere mit dem Schrift/Bild dar, füllt es aber mit Spiegelfolie, wodurch sich der Betrachter in der „Leere“ plötzlich wiederfindet. Nic Hess ironisiert den revolutionären „Rot-Blau-Stuhl“ von Gerrit Rietveld (1918) zu „König Gerrit“ und gestaltet die charakteristische Färbung aus allzu bunten Isolierbändern, mit denen er den Stuhl im Ausstellungsraum verbindet. Dahinter findet sich „o.T., REAL“ von Heimo Zobernig, in dem der Österreicher wohl auf das berühmte „LOVE“ von Robert Indinana aus dem Jahr 1964 reagiert.

„Bilder über Bilder“ zeigt, wie Kreativität als ein Spiel von Inspiration und eigenständiger Weiterentwicklung entstehen kann. Diese Praxis der Bezugnahme ist gleichermaßen spezifisch wie individuell; spezifisch, weil sich Konkrete Kunst innerhalb eines definierten, normativen Kanons bewegt, und dennoch individuell, weil sich die Thematisierung selbst (die Auswahl des Referenten) als eine von der Persönlichkeit des Künstlers abhängige Anschlussaktion darstellt. Dekonstruktivistische Haltung und Ironie verbinden sich in den jungen Positionen zu einer Reflexion über die Kunst der Moderne. Einer der Shootingstars der Berliner Kunstszene, Anselm Reyle (*1970), beschrieb seine Haltung vor einigen Monaten:

„Ich glaube ja nicht, dass ich der Schöpfer der Kunst bin, sondern ich nehme Dinge und formuliere sie um oder füge sie neu zusammen.“ Und weiter: „Ich nehme die Moderne als Vokabular.“ (Anselm Reyle → )

Der Ausstellungskatalog „Minimalism and After. Tradition und Tendenzen minimalistischer Kunst von 1950 bis heute“ (Dt./engl., 632 Seiten, 838 Abb., ISBN 978-3-7757-2386-2, Preis: € 58,- (A)) stellt nicht nur eine mustergültige Aufarbeitung einer Sammlung dar, sondern bietet auch eine interessante Einführung in das Thema. Renate Wiehager ist damit eine ebenso gründliche wie instruktive Studie gelungen und schafft damit, Interesse für „Minimales“ aus dem 20. und 21. Jahrhundert zu wecken.

Beteiligte Künstler_innen

Absalon (IL) — Josef Albers (D) — John M Armleder (CH) — Hans Arp (F) — Jo Baer (USA/NL) — Eva Berendes (D) — Ilya Bolotowsky (RUS) — Daniel Buren (F) — Andre Cadere (PL) — Enrico Castellani (I) — Krysten Cunningham (USA) — Dadamaino (I) — Stephane Dafflon (CH) — Ian Davenport (GB) — Gene Davis (USA) — Robyn Denny (GB) — Markus Ebner (D) — Maria Eichhorn (D) — Helmut Federle (CH) — Ulrike Flaig (D) — Adolf Fleischmann (D) — Günter Fruhtrunk (D) — Rupprecht Geiger (D) — Poul Gernes (DK) — Liam Gillick (GB) — Hermann Glöckner (D) — Mathias Goeritz (PL) — Terry Haggerty (GB) — Peter Halley (USA) — Al Held (USA) — Jan Henderikse (NL) — Nic Hess (CH) — Adolf Hölzel (A/CZ) — Donald Judd (USA) — Michael Kidner (GB) — Jim Lambie (SCO) — Alexander Liberman (UKR) — Sylvan Lionni (GB) — Richard Paul Lohse (CH) — Heinz Mack (D) — Almir da Silva Mavignier (BRA) — John McLaughlin (USA) — Christian Megert (CH) — Mathieu Mercier (F) — Gerold Miller (D) — Jonathan Monk (GB) — Jeremy Moon (GB) — Francois Morellet (F) — Sarah Morris (USA) — Olivier Mosset (CH) — John Nixon (AUS) — Kenneth Noland (USA) — Julian Opie (GB) — Phillipe Parreno (DZ) — Henk Peeters (NL) — Danica Phelps (USA) — Lothar Quinte (D) — Martial Raysse (F) — Andreas Reiter Raabe (A) — Anselm Reyle (D) — Gerwald Rockenschaub (A) — Ugo Rondinone (CH) — Tom Sachs (USA) — Pietro Sanguineti (D) — Eckhard Schene (D) — Oskar Schlemmer (D) — Andreas Schmid (D) — Oli Sihvonen (USA) — Ferdinand Spindel (D) — Katja Strunz (D) — Jean Tinguely (CH) — John Tremblay (USA) — Georges Vantongerloo (B) — Gerhard von Graevenitz (D) — Simone Westerwinter (D) — Jens Wolf (D) — Michael Zahn (USA) — Heimo Zobernig (A)

Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.