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Kunst und Würde

Maja Bajević, „How do you want to be governed?“, 2009, ach: Raša Todosijević, Was ist Kunst?, 1976, 1 Kanal Videoinstallation, 10.40 Min. © 2013 Maja Bajević.

Bajević, „How do you want to be governed?“, 2009, nach: Raša Todosijević, Was ist Kunst?, 1976, 1 Kanal Videoinstallation, 10.40 Min. © 2013 Maja Bajević.

Die Städte Wien, Sarajevo und Brünn gedenken des Ausbruchs des 1. Weltkriegs und der ersten Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner (1843–1914), indem sie gemeinsam eine Ausstellung mit dem Titel „Der Menschheit Würde…“ zusammenstellten. Der interkulturelle Dialog offenbart die Begriffs- wie Darstellungsproblematik, denn Würde hat man, sie ist jedoch schwer abbildbar. Die markantesten Formulierungen gelingen dann, wenn es um Würdelosigkeit und Herabwürdigung des Menschen geht, wenn die Würde des Menschen mit Füßen getreten wird. So gelingt es den Kuratorinnen und Kuratoren eine Schau über einen abstrakten Begriff zusammenzutragen, der die unterschiedlichsten Bereiche menschlichen Zusammenlebens ins Visier nimmt: Der Umgang mit Kindern (Stichwort Kinderrechte) wird dabei genauso berücksichtigt wie der Marktwert von Künstler_innen oder der Umgang mit Asylwerbern und Obdachlosen.

Würde – ein schwieriger Begriff

Was „Würde“ ist, scheint nur auf dem ersten Blick klar. Während in der Antike die Würde eines Menschen von dessen mannigfaltigen Ämtern und seinem Verhalten abhing (Würdenträger), suchte das christliche Mittelalter die Würde als gottgegeben zu definieren. Erst mit dem Humanisten Giovanni Pico della Mirandola (1463–1494) wurde in dessen „Rede über die Würde des Menschen“ (1496 posthum veröffentlicht) die Willensfreiheit zum wichtigen Kriterium eines würdevollen oder würdelosen Handelns. Der vor allem im deutschen Idealismus von Goethe, Schiller, Kant gefochtene Kampf für die Würde wurde noch im selben Jahrhundert von Marx, Schopenhauer und Nietzsche schwer in Zweifel gezogen. Erst die Erfahrung mit dem Nationalsozialismus und die Entwürdigung von ganzen Völkern im Genozid ließen die Weltgemeinschaft 1949 die Menschenrechte als international verbriefte Werte entstehen. Doch wer sich mit den Menschen- und Kinderrechten beschäftigt, bemerkt schnell, dass es schwierig ist, die Würde zu behalten, sobald die Gesellschaft sich in wirtschaftlich und politisch schwierigen Zeiten befindet. Ein Blick in die Tagespresse zeigt, dass es derzeit von Unwürde-Vorwürfen und Würde-Aufrufen nur so strotzt. So bleibt nur festzuhalten, dass die Würde zwar immer vorhanden ist, sie jedoch leicht unter die Räder kommen kann und ständig vor Übergriffen geschützt, wenn nicht sogar verteidigt werden muss.

Zeitgenössische Kunst und der Begriff der Würde

Wie bereits oben angedeutet, ist der Begriff der Würde nur schwer zu erklären und daher als solcher nicht darstellbar. Die Arbeiten kreisen daher um verschiedene Aspekte des Würdebegriffs und werden in Gruppen präsentiert. Vor dem Eingang zum MUSA steht seit 1934 „Der Wehrmann in Eisen“ an der Ecke Rathaustraße/Felderstraße. Seinen ursprünglichen Zweck erfüllte er während des Ersten Weltkriegs als hölzernes Monument des Militär-Witwen- und Waisenfonds. Gegen eine Geldspende konnten Unterstützerinnen und Unterstützern ab 1915 einen Nagel erwerben, sich in ein Spendenbuch einschreiben und als sichtbares Zeichen ihrer Aufwendung in die Holzskulptur von Josef Müllner (1879–1968) einschlagen.1 Diese Skulptur steht stellvertretend für die Kriegsbegeisterung und das Leid Tausender Wiener_innen während des Ersten Weltkriegs. Während der eiserne Ritter ein Symbol des vielbeschworenen Heldentums war und sichtbares Symbol von Kriegsbegeisterung und Opferbereitschaft, stellen die zeitgenössischen Kunstwerke Unterprivilegierte und Benachteiligte ins Zentrum. Sini Coreth2 gibt in „LAST! SUPPER“ namenlosen Asylanten eine Stimme und holt die zu trauriger Berühmtheit gelangten „Votivkirchen-Flüchtlinge“ vor die Kamera. Vereinzelt und von den Verhältnissen in ihrer Heimat berichtend, werden sie durch den Akt des Sprechens wieder vermenschlicht. Die Asylwerber erhalten ihre Stimme und gleichzeitig ihre Würde zurück. Ähnliches versucht auch Tanja Boukal, die Fotografien von gestrandeten Boat-People in Lampedusa in aufwändiger Sticktechnik umsetzt.

Jochen Höller steht stellvertretend für eine junge Generation von Künstler_innen, die sich mit der Ideengeschichte der Moderne beschäftigt. Er zerschnipselte 2012 für „KARL MARX - DAS KAPITAL (noch, sehr, viel, mehr, Wert)“ die Basisschrift des Marxismus und häuft die gefundenen Werte auf. So wie Marx` Arbeitswerttheorie (Neuwert = Wert der Arbeitskraft + Mehrwert) ständig über Werte von Produkten in ökonomischem Sinn reflektiert, ist die Frage nach dem „Mehrwert“ nämlich des Lebens zumindest seit den 60er Jahren nicht mehr nur eine wirtschaftliche. Künstler_innen betrifft diese Überlegungen in besonderem Maße, produzieren sie nicht nur Werke, die engstens mit ihren Persönlichkeiten verbunden sind, sondern auch Waren, deren kommerzieller Wert manchmal weit über den Materialwert und den Wert der Arbeitskraft hinausgeht.

Die Würde von Künstlerinnen und Künstlern

Welche Formen der Erniedrigung der Künstler-Beruf mit sich bringt, davon weiß nicht nur Matthias Herrmann ein Foto zu machen: „Solange ein Künstler nicht von seiner Kunst leben kann, muß er sich anderweitig finanzieren“ (1997), ist gut sichtbar auf einem Zettel neben dem strippenden Fotokünstler zu lesen. Das Statement eines Politikers zeigt den Zynismus, mit dem ein Künstlerleben ausschließlich über den ökonomischen Wert argumentiert wird. Arnold Reinthaler hingegen meißelte in „breaking myself, 01/2010“ den ökonomischen Wert seiner Werke in weißen Carrara-Marmor. Die von der Internet-Plattform artFacts.net berechnete Grafik basiert auf einer Überlegung, die der Architekt und Software-Entwickler Georg Franck in seinem vielbeachteten Buch „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ (1998) entwickelt hat: Aufmerksamkeit ist ein umkämpftes Gut, das Kuratorinnen und Kuratoren als Gegenleistung für ihr Engagement (Zeit, Raum, Geld) erwarten, wenn sie sich mit einem/einer Künstlerin und Künstler beschäftigen. ArtFacts.net analysiert nicht die Kunstwerke, sondern die Menge der Ausstellungen und die Räume, die Künstler_innen zur Verfügung gestellt werden, sowie ihre „Entourage“, d.h. die an Gruppenausstellungen beteiligten anderen Künstlerinnen und Künstlern.3 Dennoch sind sie vielerorts – und besonders sichtbar in Schwellen- und Dritteweltländern - Leidtragende von Gewalt und Unterdrückung. Aber auch in der Ersten Welt schränkt die aktuelle Konsumkultur das Recht des Kindes auf eine freie Entwicklung ein: Dejan Kaludjerovic zeigt in der Videoinstallation „Je suis malade“ aus dem Jahr 2009 ein zehnjähriges, blondes Mädchen, das wie eine Erwachsene über eine krankmachende Liebe sing. Gleich daneben hängt eine Fotoarbeit von Borjana Ventzislavova, Miroslav Nicic und Mladen Penev, die ein über und über mit Markennamen tätowiertes Baby zeigt („Tabula rasa“). Wo Erziehung in Fremdbestimmung übergeht, versucht Eva Koťátková zu hinterfragen. Wo endet der Schutz und wo beginnt die Überwachung? Der Fotograf und Fotojournalist Antonín Kratochvil zeigt in seinen Schwarz-Weiß-Aufnahmen Straßenkinder in Guatemala, und die Künstlergruppe Pode Bal lässt Kinder als „Flagellanten“ auftreten, die gut sichtbar auf Kartontafeln für die Fehler ihrer Eltern und Großeltern „leiden“ (z.B.: „Ihr müsst nicht mehr leiden, dass wir die Roma ins KZ gesperrt haben. Ich werde für euch leiden.“). Den Bogen zur Kriegsbegeisterung am Beginn des Ersten Weltkriegs spannt eine vielteilige Fotoarbeit von Milomir Kovačević Strašni, der während des Bosnienkriegs (1992–1995) Kinder in selbst gewählten Heldenposen mit Waffen als „Kleine Soldaten“ (1992–1995) verewigte.

In Würde leben

Was benötigt man, um in Würde zu leben, ist eine gleichermaßen einfache wie komplexe Frage. Lisl Ponger fordert einfach „Equal rights for all“, Maja Bajević in ihrer Videoarbeit „How do you want to be governed?“ (2009) körperliche Intaktheit und Verlässlichkeit, während Anna Jermolaewa einfach nur einen Schlafplatz im Bahnhof möchte – und nicht findet, da die Armlehnen der Sitze jede Form von Liegeposition unterbinden. Michail Michailov wird als Künstler selbst zur Zufluchtsstätte, indem er seinen Arbeitsoverall in Paris, der Stadt der Mode, zu einem Schlafzelt umnähte und Obdachlosen ein Dach bot.

Dass die Würde des Menschen viel mit dem Umgang derselben miteinander zu tun hat, lässt bereits Gue Schmidts Fotoinstallation am Eingang erahnen. Neun großformatige Porträts kleben am Boden, darunter auch der Leiter des MUSA, Berthold Ecker, und der Künstler selbst. Tritt man ihnen ins Gesicht oder wählt man den schmalen Spalt zwischen den Abbildungen? Entwürdigung findet überall statt und beginnt mit kleinen Entscheidungen im zwischenmenschlichen Agieren. Ihr Ziel erreicht die Ausstellung nicht nur über die Präsentation von Kunstwerken, sondern auch in den Gratisführungen, die die Institution anbietet. Erst wenn die Werke einen Dialog in Gang setzen, ist die gesellschaftspolitisch engagierte Kunst ihrer Funktion nachgekommen. Denn es braucht noch viel, um den Grundsatz und ersten Artikel der Menschenrechte zu realisieren: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“4

Gratisführung: jeden Samstag um 14:00

Kuratorinnen und Kuratoren

Maja Abdomerović, Berthold Ecker, Roland Fink, Terezie Petišková, Jana Vránová

Beteiligte Künstlerinnen und Künstler

Gordana Anđelić-Galić, Jiři Anderle, Maja Bajevič, Tanja Boukal, Margarete Cech-Munteanu, Vendula Chalánková, Sini Coreth & Johannes Raimann & Patryk Senwicki & Dominic Spitaler, Ramesch Daha, Christian Eisenberger, Manfred Erjautz, Matthias Herrmann, Lore Heuermann, Dagmar Hochová, Jochen Höller, Barbara Holub, Anna Jermolaewa, Dejan Kaludjerović, Johanna Kandl, Erfan Khalifa, Armin Klein, Marius Kotrba, Eva Koťátková, Antonín Kratochvil, Olga Alia Krulišova & Jana Mořkovská, Marc Mer, Michail Michailov, Mladen Miljanović, Barbara Musil, Gregor Neuerer, Damir Nikšić, Edin Numankadić, Drago Persić, Roman Petrović, Pode Bal, Lisl Ponger, Arnold Reinthaler, Gue Schmidt, Deborah Sengl, Milomir Kovačević (Strašni), Tsolak Topchyan, Borjana Ventzislavova & Miroslav Nicic & Mladen Penev, Corina Vetsch, Christian Wachter, Peter Weibel

  1. Verena Pawlowsky, Harald Wendelin: Der Wehrmann in Eisen. Nägel für den guten Zweck, in: Gunda Achleitner (Hg. für die Kulturabteilung der Stadt Wien): Der Wehrmann in Eisen. Nägel für den guten Zweck, Wien 2014, S. 9-39.
  2. Gemeinsam mit Johannes Raimann, Patryk Senwicki & Dominic Spitaler.
  3. http://www.artfacts.net/marketing_new/?Services,Artist_Ranking (letzter Aufruf 1.4.2014). Reinthalter macht seine Karrieregrafik zum Thema einer skulpturalen Arbeit, meißelt das Ergebnis in Stein und gibt in Form einer dünneren Linie auch noch einen Ausblick auf die nähere Zukunft.

    Welche Strategien hinter einer Künstlerkarriere stecken (können?), zeigt Mladen Miljanović in seiner großformatigen Arbeit „ArtAttack“. Er stellt – einem militärischen Angriffsplan gleich – die Wege eines bosnischen Künstlers in Europa zusammen: Dass er 2013 inzwischen selbst auf der Biennale von Venedig als ausstellender Künstler zugegen war, zeigt den internationalen Stellenwert, der dem Bosnier mit Offiziersausbildung international zugeschrieben wird.

    Die Würde der Kinder

    Kinder, als die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft, sind seit durch die von der UN ratifizierte Kinderrechtscharta von 1959 besonders geschützt.[note]Siehe: Declaration of the Rights of the Child, G.A. res. 1386 (XIV), 14 U.N. GAOR, Supp. (No. 16) at 19, U.N. Doc. A/4354 (1959).

  4. Siehe: UN Resolution 217 A (III) der Generalversammlung vom 10. Dezember 1948: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (letzter Aufruf 3.4.2014).
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.