Leigh Bowery in der Kunsthalle Wien: Performance als Gesamtkunstwerk
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EXTRAVAGANZA – Staging Leigh Bowery Kostüme und Lebensstil als Kunst

Tänzer, Ausstellungsansicht: Kunsthalle Wien, Foto: Alexandra Matzner, Kostüme: Leigh Bowery, Kostümpräsentation: Klaus Mayr, Courtesy Estate of Leigh Bowery.

Tänzer, Ausstellungsansicht: Kunsthalle Wien, Foto: Alexandra Matzner, Kostüme: Leigh Bowery, Kostümpräsentation: Klaus Mayr, Courtesy Estate of Leigh Bowery.

Was passiert, wenn ein 19-jähriger australischer Junge nach London geht, um der kulturellen Wüste seiner Heimat Sunshine, dem Macho-Umfeld zu entkommen und Modedesigner zu werden? Im Fall von Leigh Bowery eine Explosion an Kreativität, die sich nicht nur auf die Verarbeitung von Stoffen beschränkte, sondern auch Performance, Musik, Tanz, Skulptur, Kostüme – die Transformation seines Körpers in ein lebendes Kunstwerk - miteinschloss.

Die Kunsthalle Wien stellt sich der schwierigen Aufgabe ein performatives Gesamtkunstwerk auszustellen: Leigh Bowery, Modedesigner, queerer Selbstinszenierer, enfant terrible der Londoner Clubszene, „lokale Kabarettnummer“, Performance-Künstler, Lieblingsmodell von Lucian Freud und „fresh canvas and creeature“1. Kuratorin Angela Stief gelingt mit der Ausstellung „EXTRAVAGANZA – Staging Leigh Bowery“ den vielschichtigen Künstler der 80er Jahre ein wenig näher zu rücken.

Wir drehen uns in der Nacht und werden vom Feuer verzehrt – die Welt ist eine Bühne

„In Girum Imus Nocte Et Consumimur Igni“ („Wir drehen und in der Nacht und werden vom Feuer verzehrt“, 2008) ist eine Lichtinstallation von Cerith Wyn Evans, die wie ein Leitspruch über den Kostümen Bowerys schwebt. Glitzernde Pailletten-Umhänge, Tutu-Heads, Ganzkörperverhüllungen, deren Formen an schwangere Frauen, Cowboys oder reitende Prinzessinnen erinnern mögen, scheinen wie magisch zum Leben erweckt zu sein. Sie vollführen tänzerische Bewegungen und sind dennoch nicht körperlich erfüllt. Bowery nutzte seinen fülligen Körper als Ausdrucksträger und als formbare Masse. Tutu-Heads, Schminke, Korsette wie auch Kostüme dienten ihm anfangs noch als schamhafte Verstecke seiner „Unzulänglichkeiten“ und des Kopfes als Träger der Identität. Leigh Bowery suchte ganz Kleidung, ganz Oberfläche, eine andere Lebensform zu sein. Zumindest solange er sich der Sehnsucht nach Enthemmung hingab – immer mit dem Ziel: verstören, unterhalten, stimulieren. Das Leben im Hier und Jetzt schloss ein ausschweifendes sexuelles Verhalten mit ein, Mitte der 80er Jahre dürfte Leigh Bowery erfahren haben, dass er HIV positiv war. In der Folge änderte sich seine Ausrichtung, Schmerz und Verletzungen wurden Teil seiner künstlerischen Werke. Er begann, mit exhibitionistischer Nacktheit und Genderirritationen zu arbeiten.

Vom Provokateur zur Legende

Vom 11. bis zum 15. Oktober 1988 nutzte Leigh Bowery die Räume der Anthony d`Offay Gallery, um seine für die Londoner Club-Szene oder die Michael Clarck Dancecompany entwickelten Kostüme in den Kunstkontext zu transferieren. Im Jänner 1985 begann Bowery für 2 Jahre den heute so berühmten Donnerstag Nachtclub „Taboo“ zu organisieren. Leigh Bowery befand sich damit im Zentrum der Londoner Subkultur, Auge des Exzesses. „Taboo“ gilt heute als Londons „Studio 54“ war aber wilder, modischer und ohne Celebrities. Die Party wurde zur Plattform des sozialen Lebens, der Aufmerksamkeit, der gesteigerten Präsenz und des Außergewöhnlichen.

In der Anthony d`Offay Gallery posierte Bowery täglich er zwei bis drei Stunden auf einer weißen Chaiselongue, studierte sich selbst und sein Auftreten in einem Spiegel, während das Publikum auf der anderen Seite des Spiegels stand und ihn beobachtete. Das Spiel mit Spiegel und Inszenierung – bis hin zum extremen Narzissmus und Exhibitionismus – sollten bis zum Lebensende wesentliche Faktoren von Leigh Bowerys genialem Individualismus bleiben.

EXTRAVAGANZA – Staging Leigh Bowery

Angela Stief hat die schwierige Aufgabe, das künstlerische Vermächtnis eines Performers darzustellen, von jemandem, der als Modedesigner nicht einmal wollte, dass seine Kreationen trugen. Sie löste dies v.a. damit, dass sie den Designer Klaus Mayr gewinnen konnte, für die Präsentation der Kostüme Figurinen zu schaffen. Diese abstrahieren Bowerys Körperformen und machen dennoch seine Posen nachempfindbar. Zwei Kostüme für die Michael Clark Dance Company stammen aus der Produktion „Because We Must“ (1987), in der Leigh Bowery sogar selbst mit aufgetreten ist. So „tanzen“ die Figurinen als Stellvertreterinnen Leigh Bowerys im Zentrum der Ausstellung auf einem schwarz-weißen Fußboden, werden von Cerith Wyn Evans` Lichtinstallation „In Girum Imus Nocte Et Consumimur Igni“ (2008) kritisch angestrahlt.

Charles Atlas` Film „Teach!“ stellt den Performer Leigh Bowery am Beginn der Ausstellung (Stiegenhaus) vor. Über Fotografien von Leigh Bowery und Fergus Greer wird zwischen fotografischen Reproduktionen als künstlerische Kooperation und Dokumentation gleichermaßen zu den Kostümen vermittelt. Fergus Greer hatte die Performance in der Anthony d`Offay Gallery gesehen, worauf er sich mit Bowery zwischen 1988 und 1994 immer wieder für Fotoshootings traf. Die Zusammenarbeit der beiden ist in der Ausstellung mit je sieben Aufnahmen von zehn verschiedenen Motiven als Slide-Show präsent. Erinnerungen an und Bilddokumente von Leigh Bowery und seinen Freunden sind in einer „Memory Cloud“ zusammengefasst. An Wänden und Monitoren werden Videos abgespielt, da die Mischung von Mode, Performance, Selbstdarstellung, Fernsehen, Film und Fotografie für die 80er Jahre unerlässlich ist. Wie extrem Leigh Bowery war, macht vielleicht am besten das „Hitler-Freud-Cape“ sichtbar: Aus Pinselfetzen und Leinwandstücken von Lucien Freud, dem Enkel von Sigmund Freud, setzte Leigh Bowery einen Umhang zusammen, der das schematisiert Porträt von Hitler zeigt. Unnachahmlich und sehenswert!

Biografie Leigh Bowery

26.3.1961 Sunshine, Melbourne, Australien geb religiöses Umfeld zu klein und Konservativ 31.12.1994 AIDS (33 Jahre)
1980 Umzug nach London

Wenn er auch als Einzelfigur auftrat, darf nicht auf die Hilfe von Nicola Bowery vergessen werden, die viel an den Pailletten-Kleidern arbeitete. Sie heirateten am 13. Mai 1994 – 7 Monate vor Leigh Bowerys Tod.

  1. So Leigh Bowery über sich selbst in einem Interview mit Gary Glitter 1987.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.