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Kerry James Marshall Who`s Afraid of Red, Black and Green?

Kerry James Marshall, School of Beauty, School of Culture, gesamt, 2012, Acryl auf Leinwand, 274 x 401 cm (Collection of the Birmingham Museum of Art, Alabama), Foto: Alexandra Matzner.

Kerry James Marshall, School of Beauty, School of Culture, gesamt, 2012, Acryl auf Leinwand, 274 x 401 cm (Collection of the Birmingham Museum of Art, Alabama), Foto: Alexandra Matzner.

Kerry James Marshall reagiert auf die Einladung der Wiener Secession, den Hauptraum zu bespielen, mit einer symmetrisch installierten Ausstellung in der Farbtrias Rot, Schwarz und Grün. Mit dem Titel bezieht sich der 1955 in Brimingham, Alabama (USA) geborene und in Chicago lebende Künstler auf die berühmten Bilder von Barnett Newman  und stellt gleichzeitig die Frage nach der Stellung der Afroamerikaner_innen in der Gesellschaft bzw. dem Kunstkontext der USA.

Die 16 im Hauptausstellungsraum gehängten Gemälde von Kerry James Marshall changieren zwischen monochromer Abstraktion und Figuration. Die drei Grundfarben der Schau – Rot, Schwarz und Grün – übernimmt der Maler von der 1920 etablierten Flagge der Universal Negro  Improvement Association (UNIA, 1914 gegründet), die auch als panafrikanische Flagge gilt. Rot steht für das Blut, das bereits vergossen wurde und noch zu vergießen sein würde, Schwarz für die Hautfarbe und Grün für die üppige Vegetation im Afrika südlich der Sahara. Den Kampf gegen Rassendiskriminierung und für die Rechte der Farbigen müsse, so Kerry James Marshall, auch im 21. Jahrhundert noch weitergetragen werden, da Afroamerikaner_innen noch immer nicht die gleichen Chancen hätten. Unabhängigkeit und Freiheit der Farbigen wären nur durch Solidarität erreichbar, so der Künstler. Und das seien die verbindenden Ideen zwischen der Secessions- und der Bürgerrechtsbewegung. So zeigt er in der Ausstellung vier Portraits von Freiheitskämpfern wie „Jemmy aka Cato“, der 1739 die Stono-Rebellion in South Carolina anführte und Freiheit forderte.

„Red (If They Come In The Night)“ – Kerry James Marshall, Angela Davis und James Baldwins offener Brief

Für den ca. 600 m² großen Saal entwickelte Kerry James Marshall eine symmetrische Installation von 16 Gemälden, in deren Zentrum drei aktuelle Arbeiten in den Hauptachsen stehen: Auf die links mit „Red (If They Come In The Morning)“ betitelte, folgen in der Hauptachse „Black“ und rechts „Green“. Der Zusatz „If They Come In The Morning“ weist für die drei auf dem ersten Blick monochrom bemalten, riesigen Leinwände einen politischen Kontext aus. Marshall zitiert einen offenen Brief des Predigers und Aktivisten James Baldwin an Angela Y. Davis aus dem Jahr 1971. Die Gleichberechtigung der Farbigen war seit 1964 im amerikanischen Grundgesetz verankert und das Wahlrecht im folgenden Jahr errungen worden. Die feministische und farbige Philosophieprofessorin Angela Y. Davis war 1969 von der University of California suspendiert worden, weil sie die Kommunistische Partei anführte und Kontakte zur Bürgerrechtsbewegung und zu den Black Panthern hatte. Einige Studenten und Professoren waren jedoch der Meinung, dass sie wegen ihrer Hautfarbe gefeuert worden wäre. Die Entlassung musste daraufhin zurückgenommen werden. Als am 7. August 1970 der 17-jährige, farbige High School Student Jonathan Jackson in einem Gerichtssaal einen Richter, einen Staatsanwalt und drei Geschworene als Geisel nahm und nahezu alle bei der anschließenden Schießerei mit der Polizei starben, hatte Angela Davis die Waffen des Kidnappers besorgt. Die Aktivistin floh, wurde aber ein Monat später vom FBI aufgespürt und verhaftet. Sofort schlossen sich Komitees „Black People in Defense of Angela Davis” zusammen, 1972 kam es – auch auf internationalen Druck – zum Freispruch der Bürgerrechtlerin.

Kerry James Marshall zitiert in „Red“ den Schluss des offenen Briefes von James Baldwin an Angela Y. Davis: „If they come for you in the morning, they`ll be coming form e later that night.“ Baldwin drückte damit seinen Schulterschluss mit der Gefangenen aus, dem viele Gleichgesinnte folgen würden.

„Black“ zeigt die drei Fahnen, die heute an jeder Chicagoer Schule zu finden sind, nämlich die Staatsflagge, die Fahne der Stadt und die rot-schwarz-grüne Flagge der UNIA. Letztere wurde von Kerry James Marshall in Form eines in die Tiefe fluchtenden X gestaltet und bezieht sich somit auf die Ablehnung der Nachnamen, die einst von Sklavenhaltern gegeben worden waren (vgl. Malcolm X und die „Nation of Islam“). Gleichzeitig erinnert das rot-schwarz-grüne X durch eine kaum sichtbare, weil schwarz gemalte Halterung an Neon-Werbung der riesigen Billboards aber auch an die „shaped canvases“ der Minimalisten der 60er Jahre. „Green“ hingegen wirkt auf den ersten Blick wie eine naive Darstellung eines riesigen, grünen Baumes, auf dem einige rote und schwarze Vögel leben. Bei genauer Betrachtung erst fallen links und rechts die Darstellungen von Häusern auf, die in Analogie zu Barnett Newmans Zips den äußeren Rand des Bildes markieren. Die nächtliche Szene bildet den narrativen Abschluss der Dreierserie und verweist auf den Beginn des Zyklus mit dem Textzitat „If they come for you in the morning, they`ll be coming for me later that night“. Das brennende Haus rechts ist das Resultat der Rassenverfolgung, Mord, Tod und Unruhen sind die Folgen.

Marshalls „Who`s Afraid Of Red, Black and Green?“ als Reaktion auf Newmans „Who`s Afraid of Red, Yellow and Blue?“

In „Who`s Afraid Of Red, Black and Green?“ bewegt sich Kerry James Marshall auf verschiedenen Ebenen der Bezugnahme. Einerseits wird die jüngere Geschichte Amerikas thematisiert und dem Vergessen entrissen, andererseits beschäftigt sich der Maler mit der gleichzeitig in den USA etablierten Avantgarde-Strömungen in der Malerei - vor allem Barnett Newmans Serie „Who`s Afraid of Red, Yellow and Blue?“. Die vier Bilder wurden zwischen 1966 und 1970 als negative Reaktion Newmans auf Mondrians puristische und formalistische Theorie geschaffen (→ Piet Mondrian – Barnett Newman – Dan Flavin). Newman wollte die Qualität der Farben als solche wiederauferstehen lassen und besonders im ersten Bild über dessen riesiges Format (243,8 x 543,6 cm) die Expressivität der Farbe Rot wieder zu ihrem Recht verhelfen.

Als Kerry James Marshall in den späten 60ern und 70ern die amerikanische Kunstszene beobachtete, war sie genauso wie die heimischen Museen von weißen Künstlern und weißen Modellen bevölkert. Vor allem die zu den „Gründervätern“ der amerikanischen Kunst hochstilisierten Abstrakten Expressionisten oder die Avantgarde der Minimalisten prägten das allgemeine Kunstverständnis. Dieser hegemonialen Macht stellt Marshall seit Ende der 70er, als er sein Studium an der University of Illinois in Chicago beendete, seine „black aesthetics“ entgegen. Er malt nur Farbige und eignet sich die formalen Strukturen berühmter Vorgänger an, um diese in seinem Sinn zu überformen. Das abstrakte Farbfeld Barnett Newmans wird mit poetischem und politischem Inhalt gefüllt, seine Zips an den Rändern ebenso figurativ umgedeutet. Die reine Sinnlichkeit der Farbe, das Absolute und Unendliche der Abstraktion erhält wieder einen Realitätsbezug. Aus dem Aufspüren eines inneren, persönlichen Vorgangs wird nun politisch engagierte Malerei.

„Black Aesthetic“ in Europa?

Trotz aller Unterstützung der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung ist sich Kerry James Marshall auch im Klaren, warum die Gleichberechtigung der Afroamerikaner seit Einführung des Civil Rights Act 1964 nicht weiter gediehen sei: „School of Beauty, School of Culture“ zeigt einen Frisiersalon von innen. Man blickt auf eine Reihe von Spiegeln mit Goldflitter-Dekoration, davor posieren Frauen mit wunderbar aufwendigen Frisuren. Im Vordergrund schwebt das flache Bild einer hellhäutigen, blonden Prinzessin, Sleeping Beauty von Walt Disney. Während ein kleines Mädchen auf die Figur zeigt, versucht ein kleiner Junge dahinter zu schauen. Ist es nur eine Vision, ein Geist oder lebensbestimmendes Vorbild für die Heranwachsenden? An der Wand finden sich Fotografien von anderen Rollenvorbildern: Die Sängerin Lauryn Hill ist vertreten, genauso wie der britische Künstler Chris Ofili oder Cheryl Lynn Bruce, Schauspielerin und Ehefrau von Kerry James Marshall. Das Foto einer Universitätsabgängerin ist hinter einem Spiegel gesteckt. Den Spagat zu schaffen zwischen ethnischer und kultureller Zugehörigkeit, gemeinsam eine „Black Aesthetic“ zu entwickeln, und dennoch mit der Welt der „Weißen“ konfrontiert zu werden, sich mit ihr kreativ auseinanderzusetzen und in ihr akzeptiert zu werden, scheint der Inhalt dieser figurenreichen Komposition zu sein. „Buy black“ und „Black owned“ sichern dabei Unabhängigkeit und Selbstsicherheit. Dass Kerry James Marshalls Kunst erst jüngst in Europa auf vermehrtes Interesse stößt, hat einerseits mit seiner Verwurzelung in der amerikanischen Geschichte zu tun, andererseits reflektiert er seit Jahrzehnten das Thema „Identität“, was nun wohl auch am alten Kontinent angekommen ist.

Vom 28. Juni bis zum 7. Dezember 2013 zeigt Kerry James Marshall seine erste Retrospektive in der Washington National Gallery unter dem Titel „In the Tower: Kerry James Marshall“. 2011 hat die National Gallery das Gemälde „Great America“ (1994) erworben, das im Zentrum der Ausstellung stehen wird.

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Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.