Naum Gabo: Bildhauer des Konstruktivismus & Kinetismus | ARTinWORDS

Naum Gabo

Wer war Naum Gabo?

Naum Gabo (Brjansk 5.8.1890–23.8.1977 Waterbury, Connecticut, USA) war ein Bildhauer des Konstruktivismus, ein einflussreicher Theoretiker, Maler, Architekt und Designer. Gabo war ein Hauptvertreter der russischen Avantgarde. Indem er die geometrische Abstraktion mit einer dynamischen Formensprache verband, prägte Gabo die Entwicklung der Skulptur des 20. Jahrhunderts. Sein Werk besteht aus kleinen Reliefs und Konstruktionen, monumentalen öffentlichen Skulpturen und bahnbrechenden kinetischen Arbeiten, die neue Materialien wie Nylon, Draht, lucide und halbtransparente Materialien, Glas und Metall miteinander kombinieren.

Als Reaktion auf die politische Geschichte Europas – Erster Weltkrieg, Russische Revolution, stalinistische Kulturpolitik – führte Naum Gabo ein unstetes Leben. Er studierte in Berlin und München, zog während des Ersten Weltkriegs nach Oslo, kehrte nach Moskau zurück und siedelte über Paris nach New York und Boston über. Gabos Kunst ist beeinflusst vom Kubismus und Futurismus, er selbst prägte den Konstruktivismus, das Bauhaus, de Stijl und die Gruppe „Abstraction-Création“. Der Bildhauer stellte sich vornehmlich zwei Fragestellungen nach der Darstellbarkeit von Zeit und negativem Raum, die er in „Kinetic Sculpture (Standing Waves)“ (Winter 1919/20, Tate Modern, London) und den „Linear Construction“-Werken (1942–1971) verwirklichte. Der Werkkatalog Naum Gabos umfasst 347 Objekte, de in 87 Werkgruppen zusammengefasst sind.1

Kindheit

Naum Gabo – russisch Наум Абрамович Певснер [Naum Abramowitsch Pevsner / Hebräisch: נחום נחמיה פבזנר] – wurde am 5. August 1890 Brjansk (ehem. Russisches Kaiserreich) geboren. Er war das sechste von sieben Kindern des jüdischen Ehepaares Boris Pevsner, Ingenieur und Besitzer einer Metallfabrik, und Agrippina-Fanny Pevsner (geb. Oserski). Im religiösen Sinn hatte aber seine russisch-orthodoxe Amme mehr Einfluss auf Gabo.

Der sechs Jahre ältere Bruder Antoine Pevsner (1884–1962) war ebenfalls Künstler. Mit ihm verband Naum Gabo zuerst ein intensiver, künstlerischer Austausch, später traten beide mehr und mehr in Konkurrenz zueinander. Sein jüngerer Bruder Alexei Pevsner veröffentlichte mehrere kunstgeschichtliche Publikationen, auch über seine Brüder. Von 1936 bis 1959 hatte Gabo keinen Kontakt zu seiner Familie in der Sowjetunion. Erst 1962 besuchte er seine dort lebenden Geschwister wieder.

Naum Gabo wuchs in Brjansk auf. Dort soll er nach eigenen Angaben schon die ersten bildhauerischen Versuche unternommen haben. Als ihn der Rektor seiner Schule in Brjansk 1904 wegen eines Spottgedichts verwies, wechselte Gabo nach Tomsk. Dort erlebte er 1905 die Niederschlagung der Russischen Revolution, weshalb ihn seine Eltern wieder nach Brjansk zurückholten. Dort wurde er aber im Alter von 17 Jahren wegen der Verbreitung von sozialistischen Schriften an Arbeiter verhaftet. Sein einflussreicher Vater bekam ihn wieder frei, aber Naum Gabo musste in Kursk seine Schulausbildung weiterführen und schloss diese mit einer Belobigung seiner Leistungen in Literatur und kreativem Schreiben ab. Der Künstler sprach fließend Deutsch, Französisch und Englisch, zusätzlich zu seiner Muttersprache Russisch.

Studium in Deutschland (1910–1914)

Naum Gabo begann 1910 ein Medizinstudium in Deutschland. Nach zwei Monaten in Berlin schrieb er sich in der Universität München ein. Schon im folgenden Jahr wechselte Gabo von dem ungeliebten Studium zu naturwissenschaftlichen Fächern und schrieb sich letztendlich 1912 in der Polytechnischen Ingenieursschule München (Technischen Universität München für Hochbau) ein. In München entdeckte er die Abstrakte Kunst (→ Abstrakte Kunst) und traf Wassily Kandinsky (1866–1944). Naum Gabo besuchte Philosophie- und Kunstgeschichte-Vorlesungen, unter anderem bei Heinrich Wölfflin (1864–1945). Seine erste fotografisch dokumentierte Plastik ist der „Kopf eines Afrikaners“.

1913 ging Naum Gabo nach Norditalien, empfand die Kunst dort „tot und nicht mehr zeitgemäß“, und der Wunsch nach einem neuen Verständnis von Skulptur reifte in ihm heran (vgl. Futurismus). Sein Bruder Antoine Pevsner hatte sich in der Zwischenzeit als Maler in Paris etabliert. Naum Gabo schloss sich ihm 1913/14 an. Seine Ingenieurausbildung wurde in den folgenden Jahren zum Schlüssel für die Entwicklung seiner skulpturalen Arbeit, in denen Gabo oft bearbeitete Elemente verwendet. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges floh er mit seinem jüngeren Bruder Alexei nach Kopenhagen (Dänemark) und dann nach Oslo (Schweden).

Oslo: Erste Konstruktionen (1914–1917)

In Oslo lebte Naum Gabo vom Geld seiner Eltern und fand Zeit und Ruhe, seine künstlerischen Vorstellungen zu präzisieren. 1915 schloss sich auch der ältere Bruder Antoine Pevsner seinen Geschwistern an. Naum Gabo schuf in Oslo seine ersten Konstruktionen, darunter „Konstruktiver Kopf Nr. 1“, „Konstruktiver Kopf Nr. 2“ (1917, Tate, London), „Torso“ und „Kopf in einer Nische“. Die frühesten Werke bestanden aus Karton oder Holz und waren figurativ. Gabo bildete die Volumina durch aneinander gefügte Flächen. Um nicht mit seinem älteren Bruder, der bereits ein anerkannter Maler war, verwechselt zu werden, nahm Naum Gabo bereits 1915 seinen Künstlernamen an.

Naum Gabo revolutionierte mit seinen folgenden Werken die Skulptur, da sie nicht mehr „Plastik als Masse“ waren, sondern Konstruktionen. Das System der Plastik Gabos beruht auf den diagonal gekreuzten Flächen einer Grundform als räumlicher Konstruktion. Der Raum wird dabei als Tiefe betrachtet. Bezeichnend ist, dass die Konstruktionen Gabos nicht nur die Statik, sondern auch die Dynamik realisieren, um so auch „Zeit“ als neues Element in der Kunst zu verwenden.

Moskau: Konstruktivismus (1917–1922)

Naum Gabo war Mitglied der konstruktivistischen Bewegung der Kunst in Russland. Er änderte seinen Namen, um Verwechslungen mit seinem Bruder Antoine Pevsner zu vermeiden. Nachdem er in München und Norwegen gelebt hatte, kehrte er nach Ende der Oktoberrevolution nach Russland zurück. Er wollte sich in Politik und Kunst engagieren und verbrachte fünf Jahre mit seinem Bruder Antoine in Moskau.

Realistisches Manifest

In seiner Erforschung von Form und Raum zielte Gabo darauf ab, die verborgenen Rhythmen und Kräfte in seinen Skulpturen zu entschlüsseln, indem er ihr Volumen öffnete. Er entwickelte die „stereometrische“ Technik der Konstruktion von Werken aus ineinandergreifenden Karton-, Holz- und Stahlplatten, um den Raum zwischen den zusammengebauten Teilen einzufangen. Diese Methode ermöglichte es Gabo, den „inneren Raum“ in der Skulptur zu definieren, indem er die Form und Tiefe seiner Figuren durch den Raum, den sie einnehmen, beschreibt, anstatt sie als konventionelle Oberfläche und Masse zu präsentieren. Im Anschluss daran schuf er sein erstes vollständig abstraktes Werk „Kinetische Konstruktion [auch: Stehende Welle]“ (1919/20): ein Metallstab wird mittels eines Elektromotors in Rotation versetzt. Durch das Anbringen von Gewichten lässt sich die Form einer Ellipse beschreiben. Die statischen Formen der traditionellen Skulptur überwindend, erzeugt ein einzelner Stab die Illusion einer im Raum schwingenden Form. Es ist eine der ersten motorisierten Skulpturen der westlichen Kunst. Raum und Zeit sind integrale Bestandteile der Plastik, die, nach Aussage des Bildhauers, zu einem „Ereignis“ wird.

Im August 1920 veröffentlichte er gemeinsam mit seinem Bruder Antoine das „Realisticheskii manifest [Realistische Manifest]“, das die Entwicklung der Bildhauerei im 20. Jahrhundert entscheidend beeinflussen sollte. Verfasst wurde es von Naum Gabo, Antoine Pevsner unterschrieb es. Darin verkündeten sie die Grundsätze des reinen Konstruktivismus– die erste Verwendung des Begriffes. Im Manifest kritisierte Gabo Kubismus und Futurismus als nicht vollständig abstrakte Stile und erklärte, dass die spirituelle Erfahrung die Wurzel der künstlerischen Produktion wäre. Zu den Grundprinzipien ihres Kunstwollens gehörte zudem die Ablehnung von Farbe zugunsten der Materialgerechtigkeit. Ihrer Ansicht nach sollen Linien keine Formen beschreiben (Kontur), sondern nur Richtung und Rhythmus angeben. Damit schrieb er der Linie einen konstruktiven Raumbegriff zu.2 In der Hinwendung zur „rhythmischen Linie“ sah er eine Voraussetzung für die Abstraktion:

„Wir verzichten bei einer Linie auf ihre Darstellungsvermögen. Es gibt im wirklichen Leben der Körper keine beschreibenden Linien. [...] Wir behaupten, dass die Linie nur die Richtung statischer Kräfte und deren Rhythmus in den Dingen angibt.“3 (Naum Gabo, Realistisches Manifest)

An die Stelle von Volumen setzte Naum Gabo die Tiefe (Hohlräume) als Ausdrucksmittel für den Raum, was die Lösung von der Masse einer Skulptur und einen ökonomischen Materialeinsatz bedeutete. Weiters empfanden sie als die adäquate Umsetzung von Zeitwahrnehmung einzig kinetische Elemente, Konstruktionen der Ingenieurskunst, als angemessen.

Gabo und Pevsner verteilten das Manifest im Rahmen ihrer Freiluftausstellung als Handzettel und klebten es auf Plakatwände in der ganzen Stadt. Zudem organisierten sie eine Ausstellung mit Musikpavillon auf dem Twerskoj-Boulevard in Moskau.

„Raum und Zeit sind die einzigen Formen, in denen sich das Leben aufbaut und in denen sich deshalb die Kunst aufbauen muss.“4 (Naum Gabo im „Realistischen Manifest“)

Gabo arbeitete viele seiner Ideen im „Realistischen Manifest“ aus. Darin überwand er den Kubismus und Futurismus als „dekorativ“ und verzichtete auf die seiner Ansicht nach statische, dekorative Verwendung von Farbe, Linie, Volumen und massiver Masse zugunsten eines neuen Elements, das er „die kinetischen Rhythmen […] unsere Wahrnehmung von Echtzeit“ nannte. Gabo glaubte utopisch an die Kraft der Skulptur – insbesondere der abstrakten, konstruktivistischen Skulptur –, menschliche Erfahrung und Spiritualität im Einklang mit Modernität, sozialem Fortschritt und Fortschritten in Wissenschaft und Technologie auszudrücken.

Vermutlich bekam László Moholy-Nagy bereits Ende 1921 Kenntnis vom „Realistischen Manifest“, vermittelt durch Alfréd Kemény, der einen Vortrag am „INChUK“ in Moskau gehört hatte. Da für Gabo Raum erst durch Bewegung erfahrbar wird, postulierte er ein „neues Element“ in der bildenden Kunst, „die kinetischen Rhythmen als Grundformen [der] Wahrnehmung von Zeit“.

Konstuktivistische Plastik

1919/20 begann die „Kommission zur Lösung der Fragen einer Synthese von Architektur und Plastik [Sinskulptarch]“ in der Abteilung „Bildende Kunst (ISO)“, deren Mitglieder vor allem Architekten waren, die Skulptur in den Dienst der Architektur zu stellen. Tatlin schuf mit dem „Denkmal für die III. Internationale“ (1919) eine Synthese von Architektur und Plastik. Nach Auflösung der Kommission führte die „WChUTEMAS“ diese Debatte weiter. El Lissitzky unterstützte dieses Ansinnen mit seinem Konzept des „Proun“, eine visionäre, dynamische Architektur als Äquivalent für eine dynamische Gesellschaft der UDSSR. Dem stand die Forderung nach der Integration des Künstlers in den industriellen Produktionsprozess entgegen.

Naum Gabo trug in dieser Debatte zu den Agit-prop Open-Air-Ausstellungen bei und unterrichtete an der Höheren Kunst- und Technikwerkstatt „WChUTEMAS“ (gegr. 1920) mit Wladimir Tatlin, Wassily Kandinsky und Alexander Rodtschenko. Während dieser Zeit wurden seine Reliefs und Konstruktion geometrischer, ja, Naum Gabo begann mit kinetischen Skulpturen zu experimentieren („Kinetische Konstruktion“, 1920). Sein Ziel war die Darlegung elementarer Elemente wie Raum, Zeit und Bewegung. Gabos Entwürfe wurden immer monumentaler, aber es gab kaum Möglichkeiten, sie aufgrund der politisch-wirtschaftlichen Realität umzusetzen. Der Großteil dieser Arbeit ging verloren oder wurde zerstört, verließ der Bildhauer doch aufgrund der sich immer stärker einengenden Kunstdebatte – Stichwort „produktivistische Kunst“ – Moskau 1922 in Richtung Deutschland.

Berlin – Paris

Naum Gabo nutzte die von ihm mitorganisierte „Erste Russische Kunstausstellung“ in der Berliner Galerie van Diemen & Co. (15.10.–Weihnachten 1922) zur Emigration. Die „Erste Russische Kunstausstellung“ zeigte eine ganze Reihe seiner Skulpturen „Konstruktiver Kopf Nr. 2“ (1915), „Konstruktiver Kopf Nr. 3“ (1916), „Konstruktiver Torso“, „Raumkonstruktion A.“, „Raumkonstruktion B.“, „Raumkonstruktion C. (Model einer Glas-Plastik)“, „Relief encreux“, „Kinetische Konstruktion (Zeit als neues Element der Plastischen Künste)“.

In Deutschland kam Naum Gabo mit den Künstlern der „De Stijl“ in Kontakt und lehrte 1928 am Bauhaus. In dieser Zeit realisierte er einen Entwurf für einen Brunnen in Dresden (zerstört). Gabo und Antoine Pevsner hatten 1924 eine gemeinsame Ausstellung in der Galerie Percier, Paris, und das Brüderpaar entwarf Bühnenbild und die Kostüme Diaghilews Ballett „La Chatte“ (1926), das in Paris und London tourte. 1930 richtete die Kestner-Gesellschaft in Hannover eine bedeutende Einzelausstellung zu Naum Gabo ab.

Im Jahr 1931 war er zusammen mit Theo van Doesburg, Antoine Pevsner, Auguste Herbin und Georges Vantongerloo Gründungsmitglied der Künstlerbewegung „Abstraction-Création“ in Paris. Um dem Aufstieg der Nazis in Deutschland zu entgehen, hielt er sich zwischen 1931 und 1935 als Mitglieder der Gruppe „Abstraktion-Creation“ mit Piet Mondrian in Paris auf.

London (1936–1946)

Gabo besuchte London 1935 und ließ sich 1936 nieder, wo er einen „Geist des Optimismus und der Sympathie für seine Position als abstrakter Künstler“ fand. In London lernte Naum Gabo Herbert Read (1893–1968), die Bildhauerin Barbara Hepworth (1903–1975) und deren Mann, den Maler Ben Nicholson (1894–1982), kennen, mit denen er 1937 „Circle“ herausgab. Der Industriechemiker John Sisson machte ihn mit Perspex bekannt, einen neuen Kunststoff von Imperial Chemical Industries, den Naum Gabo in mehreren ikonischen Werken einsetzte, wie in „Translucent Variation on Spheric Theme“ (1937).
In den Jahren 1936/37 war das Werk von Naum Gabo einem strukturellen Wandel unterworfen, ersetzte er doch die Orthogonale und den rechten Winkel durch kurvige Formen. Er wollte den Raum „in eine kurvige, fortlaufende Fläche ein(schließen)“5. In seinen Werkreihen arbeitete er Variationen eines Themas durch, darunter „Raumkonstruktion: Kristall“ (1937).

Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs folgte er seinen Freunden Barbara Hepworth und Ben Nicholson nach St. Ives in Cornwall, wo er zunächst bei dem Kunstkritiker Adrian Stokes und dessen Frau Margaret Mellis wohnte. In Cornwall arbeitete er weiter, wenn auch in kleinerem Maßstab, und experimentierte mit verschiedenen Medien, auch wenn einige davon knapp waren: In „Linear Construction in Space [Lineare Raumkonstruktion]“ (1942) verarbeitete er Nylon-Mikrofilamente. Sein Einfluss war wichtig für die Entwicklung des Modernismus in St. Ives und ist am deutlichsten in den Gemälden und Konstruktionen von John Wells und Peter Lanyon zu sehen, die beide eine weichere, pastoralere Form des Konstruktivismus entwickelten. Zudem beeinflusste Naum Gabo auch die Plastik des Informel in Deutschland, allen voran die Werke von Norbert Kricke.

Seit 1937 war Naum Gabo mit der amerikanischen Malerin Miriam Pevsner (geb. Israels), Großnichte des niederländischen Malers Jozef Israëls (1824–1911) verheiratet. Am 20. Mai 1941 kam die gemeinsame Tochter Nina-Serafima zur Welt.

Nachkriegszeit: New York – Boston

1946 zog Naum Gabo mit seiner Frau und seiner Tochter in die Vereinigten Staaten, wo sie zunächst in Woodbury und später in Middlebury, Connecticut, lebten. Hatte Gabo während der Kriegsjahre (1936–1946) in kleinerem Maßstab gearbeitet, erhielt er nun mehrere öffentliche Skulpturenaufträge, von denen er allerdings nur einige abschloss. Dazu gehören „Constructie“, ein 28 Meter hohes Denkmal vor dem Kaufhaus Bijenkorf (1954, eingeweiht 1957) in Rotterdam, und „Revolving Torsion“, ein großer Brunnen vor dem St. Thomas Hospital in London. Den Auftrag für „Constructie“ erhielt er von Marcel Breuer, den Architekten des Kaufhauses. Das Hauptwerk im Schaffen Gabos gilt heute als beispielhaft für die Verbindung von Architektur und Plastik in der Moderne.

„Die organische Struktur in der Pflanzenwelt liefert mir die Lösung für die neue Konzeption, deren ich bedurfte, in der Welt der Pflanzen in der Struktur eines Baums – liegt ein Struktur-Prinzip, das […] mit großem Nutzen auf so manche Bau-Aufgabe anwendbar ist.“6

1952 erhielt Naum Gabo die amerikanische Staatsbürgerschaft und 1954 den mit 1000 US-Dollar dotierten Mr und Mrs Frank G. Logan Art Institute Prize bei der jährlichen Ausstellung von Chicago und Vicinity. In den Jahren 1953/54 unterrichtete der Bildhauer an der Graduate School of Architecture an der Harvard University.

Die Bedeutung Naum Gabos für die Entwicklung der Skulptur des 20. Jahrhunderts wurde nach dem Zweiten Weltkrieg international anerkannt: Er war Teilnehmer der „documenta I“ (1955) und der „documenta II“ (1959) in Kassel. 1965 wurde Gabo in die American Academy of Arts and Letters und 1969 in die American Academy of Arts and Sciences gewählt.

Die Tate Gallery in London veranstaltete 1966 eine große Retrospektive von Gabos Werk und beherbergt viele Schlüsselwerke in ihrer Sammlung, ebenso wie das Museum of Modern Art und das Guggenheim Museum in New York. Werke von Gabo sind auch im Rockefeller Center in New York City und in der The Governor Nelson A. Rockefeller Empire State Plaza Art Collection in Albany, NY, vertreten.

„Um die Zeit als Realität in unser Bewusstsein dringen zu lassen, um sie aktiv und wahrnehmbar zu machen, brauchen wir [sowohl] die reale Bewegung der substantiellen, um Raum verschiebbaren Massen, [...] als auch die vorgetäuschte Bewegung, die man in der Ausdeutung von fließenden Linien und Umrissen in der Plastik oder der Malerei wahrnehmen kann.“7 (Naum Gabo, 1956)

Tod

Naum Gabo starb am 23. August 1977 in Waterbury, Connecticut, USA.

Nachlass

Nina Williams, die Tochter des Künstlers, hat 1987 Teile des Nachlasses von Gabo an die Berlinische Galerie übergeben. Neben Skulpturen, Zeichnungen und Aquarellen befinden sich im Gabo-Archiv Skizzen, Modelle zu Skulpturen, Architekturentwürfe, literarische Versuche sowie eines der letzten drei noch existierenden Exemplare des „Realistischen Manifests“.8 Hinzu kommen Zeichnungen und Dokumente zu Gabos Beitrag für den Wettbewerb zum „Palast der Sowjets“ 1931, seine in Russisch verfassten Tagebücher und eine dokumentarische Fotosammlung.

Der zweite große Teil des Gabo-Nachlasses – mehr als 60 Schachteln – befindet sich in der Tate Archive Collection, London; ein weiterer Teil in der Beinecke Library der Yale University, USA.

Literatur zu Naum Gabo

  • Jörn Merkert (Hg.), Naum Gabo. Ein russischer Konstruktivist in Berlin, Berlin 1989.
  • Naum Gabo. Sechzig Jahre Konstruktivismus, mit dem Œuvre-Katalog der Konstruktionen und Skulpturen, hg. v. Steven A. Nash, Jörn Merkert (Ausst.-Kat. Ausstellungskatalog, Dallas Museum of Art, Dallas, Texas, 29.9.–17.11.1985, Akademie der Künste Berlin, 7.9.–19.10.1986; Kunstsammlung NRW, Düsseldorf, 28.11.1986–4.1.1987), München 1986.
  • Gabo: Constructions, Sculpture, Paintings, Drawings, Engravings, London / Cambridge 1957; mit einführenden Essays von Herbert Read und Leslie Martin.
    • Dt. Fassung: Gabo: Bauten, Skulptur, Malerei, Zeichnungen, Grafik, Neuchâtel 1957.

Beiträge zu Naum Gabo

13. Oktober 2023
Pablo Picasso, Violon, Detail, 1915, geschnittenes, gefaltetes und bemaltes Blech, Eisendraht, 100 x 63,7 x 18 cm (Musée national Picasso, Paris)

Hamburg | Hamburger Kunsthalle: Das Relief von Rodin bis Picasso Herausragend! | 2023/24

Mit rund 130 Exponaten – Reliefs, Skulpturen, Plastiken und Gemälden – von über 100 Künstler:innen aus Europa und den USA nimmt die Ausstellung die Ausprägungen des Reliefs von 1800 bis in die 1960er Jahre in den Blick.
2. März 2023
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Duisburg | Lehmbruck Museum: Barbara Hepworth Die Befreiung der Form | 2023

Barbara Hepworth zählt mit ihren eleganten, organischen Abstraktionen zu den wichtigsten und wegweisenden Bildhauer:innen ihrer Zeit. Deshalb zeigt Duisburg sie im Dialog mit Henry Moore, Nicholson, Arp, Brâncuşi, Gabo, Laurens, Lehmbruck und Maria Vieira da Silva. Sowie im Dialog mit den zeitgenössischen Künstler:innen Nevin Aladağ, Julian Charrière, Claudia Comte, Tacita Dean, Nezaket Ekici, Kurt Laurenz-Theinert.
25. Januar 2020
Naum Gabo, Kopf Nr. 2, 1916 (vergroesserte Fassung 1964) (Tate)

St. Ives | Tate St. Ives: Naum Gabo Konstruktivist und Erneuerer der Skulptur im Überblick

Tate St. Ives stellt den aus Russland stammenden Bildhauer und Pionier des Konstruktivismus Naum Gabo in einer großen Überblicksausstellung vor.
24. Februar 2014
Franz Lerch, Mädchen mit Hut, 1929, Öl auf Leinwand, 80 x 60 cm © Belvedere, Wien.

Kunst in Wien und Berlin (1900-1935) Kunst zweier Metropolen

Gemeinsam mit der Berlinischen Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur erarbeitete das Belvedere die reiche Schau „Wien – Berlin. Kunst zweier Metropolen“. Der zeitliche Horizont spannt sich hierbei von den Secessionsbildungen 1897 in Wien und 1898 in Berlin bis in die frühen 30er-Jahre, d.h. stilistisch vom Jugendstil über den Expressionismus, hin zu Dada, Konstruktivismus und Neue Sachlichkeit.
  1. Naum Gabo. Sechzig Jahre Konstruktivismus, mit dem Œuvre-Katalog der Konstruktionen und Skulpturen, hg. v. Steven A. Nash, Jörn Merkert (Ausst.-Kat. Ausstellungskatalog, Dallas Museum of Art, Dallas, Texas, 29.9.–17.11.1985, Akademie der Künste Berlin, 7.9.–19.10.1986; Kunstsammlung NRW, Düsseldorf, 28.11.1986–4.1.1987), München 1986.
  2. Näheres dazu: Marian Sawall, Orchestration der Linie. Viking Eggeling - Naum Gabo - Constanin Brancusi, in: Karin Fest, Sabrina Rahman, Marie-Noelle Yazdanpanah (Hg.), Mies van der Rohe, Richter, Graeff & Co. Alltag und Design in der Avantgardezeitschrift G, Wien-Berlin 2013, S.177-187.
  3. Naum Gabbo, Das Realistische Manifest, in: Naum Gabo. Bauten, Skulptur, Malerei, Zeichnungen, Grafik, Neuchâtel 1961, S. 1953-1955, hier S. 154-155.
  4. Ebenda, S. 153.
  5. Naum Gabo, Bauten, Skulptur, Malerei, Zeichnungen, Grafik, Neuchâtel 1961, o.S.
  6. Zit. n. Herbert Read, Naum Gabo, in: Jörn Merkert (Hg.), Naum Gabo. Ein russischer Konstruktivist in Berlin 1922–1932, Berlin 1989, S. 40.
  7. Russland und der Konstruktivisimus. Ein Interview mit Naum Gabo von Ibram Lassaw und Ilja Bolotowsky (1956), in: Naum Gabo: Bauten, Skulptur, Malerei, Zeichnungen, Grafik, S. 159-165, hier S. 164.
  8. Naum Gabo. Ein russischer Konstruktivist in Berlin, Berlin 1989: Überblick zum Bestand