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Positionen zeitgenössischer Skulptur in Wien Raum_Körper Einsatz im MUSA

Flora Neuwirth, 100 Boots / Eleanor Antin (100%y-100%m), 2003, Gummistiefel, Acryllack, Größe variabel © MUSA; Foto: Michael Wolschlager.

Flora Neuwirth, 100 Boots / Eleanor Antin (100%y-100%m), 2003, Gummistiefel, Acryllack, Größe variabel © MUSA; Foto: Michael Wolschlager.

Dem modellierten, skulpierten, abgefilmten und fotografierten menschlichen Körper widmet das MUSA eine Ausstellung unter dem Titel „raum_körper/einsatz“. Anhand der Arbeiten von 41 in Wien lebenden Künstlern stellt Kuratorin Silvie Aigner, unterstützt durch Johannes Karel, die figurative Skulptur in Österreich vor. Beginnend mit Stein- und Bronzeplastiken von Andreas Urteil über monumentale Figuren von Alfred Hrdlicka breitet die Schau ein Kaleidoskop von Möglichkeiten plastischen und skulpturalen Gestaltens von den späten 50er Jahren bis in die Jetztzeit aus.

Kunst am Bau

Die Ausstellung gliedert sich in vier Bereiche: Bereits vor dem Eingang besetzen fünf Arbeiten den Stadtraum. Damit verweisen Aigner und Karel auf die Wiener Tradition von „Kunst am Bau“ als auch auf die Geschichte der „Galerie im Grünen“. Seit 1950 betätigt sich die Stadt als Mäzenin von Bildhauern, beauftragt Dekorationen für Neubauten aber auch Skulpturen für den öffentlichen Raum.

Für das Foyer des MUSA entwickelten Gabriele Fulterer und Christine Scherrer eine temporäre Wandzeichnung. Die miteinander verstrickten Frauenpaare verleihen dem Durchgangsraum eine neue Dynamik, „führen“ vom Außenraum ins Innere und verweisen bereits auf das Interesse zeitgenössischer Kunst, den Körper im Sinne einer zwischenmenschlichen Interaktion zu beschreiben.

Körper in Metall

Im MUSA sieht man sich zuerst mit einer monumentalen Bronzeplastik von Alfred Hrdlicka konfrontiert. Sein „Großer männlicher Torso“ (1963-1966), eine Hommage an den afro-amerikanischen Schwergewichtsboxer Sonny Liston, zelebriert das gewollt Unvollendete, das Fragmentarische der Figur (der Kopf fehlt gänzlich!), Disproportion aber auch die ungestüme Körperlichkeit. All diesen Aspekten brachte der Bildhauer stets immenses Interesse entgegen. Im Dialog mit den Arbeiten von Oswald Stimm, Josef Pillhofer, Hilde Uray und Andreas Urteil stehend, wird schnell deutlich, dass die Wiener Skulptur der frühen 60er Jahre stilistisch sehr unterschiedlich arbeitende Künstler hervorgebracht hat. Stimm ist mit einen an Giacometti gemahnenden „Weiblichen Akt“ (1962) vertreten, während Pillhofers „Kopf mit Bekrönung“ (1962) nur mehr durch den Titel an eine menschliche Figur erinnert und dadurch zwischen Figuration und Abstraktion changiert. Uray bediente sich eines ebenfalls abstrahierenden, aber stärker der menschlichen Figur verpflichteten Stils, und Urteils „Große liegende Figur“ (1960) wurde von Zeitgenossen als „vegetative Wucherung des Tachismus“ beschrieben. In Bezug auf die Materialwahl zeigen sich diese Künstler traditionell, wählten sie doch hauptsächlich Stein, Metall und Holz.

Objektkunst

Den Übergang von der Bildhauerei zur Objektkunst markieren zwei Arbeiten von Marc Adrian und Josef Bauer in der Glashalle. Beide erweiterten auf höchst unterschiedliche Weise das Spektrum an bildhauerisch genutzten Materialien und deren Einsatz aber auch die Funktion der Skulptur im Ausstellungsraum. Marc Adrian montierte für „Optic Destructions No. 3“ 1967 eine surrealistische Fotografie zweier fragmentierter Frauenkörper mit einem Spiegel. Die über Eck gestellte schwarz-weiß Aufnahme wird dadurch in zwei Hälften geteilt. Der rechte Frauenkörper scheint durch die Spiegelung vervollständigt, der linke mutiert durch die Verdoppelung hingegen zu einem dreifachen Unterleib. Fragen zu Wahrnehmung und Täuschung, Macht und Sexualität spielen in dieser Inszenierung eine große Rolle.

„Taktile Poesie“ (1969-71) von Josef Bauer wirkt auf den ersten Blick wie drei abstrakte Formen aus Polyester. Erst die dazu ausgestellten Fotos verraten ihre ursprüngliche Funktion als „Spielzeug“ für Ausstellungsbesucher. Diese verließen ihre rein rezeptive und passive Haltung, wenn sie die Objekte aufnahmen und sie in Bezug zu ihrem eigenen Körper brachten.

Von diesen beiden Arbeiten lässt sich leicht eine Verbindung zu VALIE EXPORTs „Wirbelsäulenflöte“ (1982) und Erwin Wurms „59 Stellungen“ (1992) an den gegenüberliegenden Wänden ziehen.  Dazwischen entfaltet sich ein White Cube mit Glasdach, in dem die Kuratoren eine ästhetisch sehr geglückte Schau von hauptsächlich weißen Objekten zusammengetragen haben. Hier sei besonders auf die Werke von Julie Hayward, Dorothee Goltz und Judith P. Fischer verwiesen, die sich dem Fragen von Naturformen und Technik (Hayward), Skulptur zwischen Architektur und Design (Goltz) sowie dem computergenerierten Morphing eines Körpers (Fischer) beschäftigten. Flora Neuwirths „100 Boots / Eleanor Antin (100%y-100%m)“ aus dem Jahr 2003 zeigen ebenfalls eine Auseinandersetzung der Künstlerin mit der Computerwelt, denn die Farbspuren auf den Gummistiefeln bewegen sich zwischen den Norm-Farben Yellow und Magenta. Seit den 60er Jahren spielt der eigene Körper als „Material“ und Forschungsfeld eine neue Rolle. Er wurde, angeregt durch Happening und Performance, zum Schauplatz, zur Quelle und zum Thema des Werks.

Katharina Schmidl inszenierte sich 2001 als „Muse au Chocolat“. Sie produzierte für das Video einen Abguss ihres nackten, liegenden Körpers aus Schokolade. Unter wärmenden Lichtquellen schmilzt die Schoko-Muse dahin, zerrinnt, bildet Lachen und wird schlussendlich aufgegessen. Schmidl bringt weiblich Nacktheit, Anthropophagismus etc. symbolhaft auf den Bildschirm.

Körper heute

Der vierte Bereich der Ausstellung ist erneut der Frage von Körper als Subjekt der zeitgenössischen Skulptur und vor allem feministischen Textilobjekten gewidmet. Edgar Honetschläger untersucht die Selbstdarstellung von Japanern, wenn er sie bittet, kaputte Stühle aus New York quasi als Sockel ihrer selbst zu benutzen. Claudia-Maria Luenig offeriert mit „Corpus Alter“ (2008), einem aus Kupferkabeln gehäkelten „Kettenhemd“, einen Schutzanzug. Dass Schutz aber gleichzeitig auch Behinderung bedeuten kann, wird beim Betrachten des dazugehörigen Videos schnell deutlich. Genauso wie Luenig entledigt sich in einer Fotostrecke auch Barbara Graf ihres Kostüms. „Jumping out of one`s skin“ von 1996 dient dazu, das Aus-der- Haut-Fahren faktisch zu ermöglichen. Einmal dieser „Haut“ entledigt, wird sie wie ein geschlachteter Ochse auf Fleischerhacken aufgehängt und dann in einen Sack gepackt. Das Thema Körper, so scheint es, hat auch in der zeitgenössischen Skulptur noch lange nicht ausgedient. Medien und Fragenstellungen haben sich im Laufe der Jahrzehnte deutlich verändert, doch die Faszination an der Auseinandersetzung mit dem Menschen bleibt. Der Körper verwandelt sich unter den Händen der Künstler in ein Fragment, eine Assemblage, in ein raumbestimmendes Element, das dem Betrachter dreidimensional entgegentritt; er wird transformiert in einen Abdruck, ein Simulakrum eines sozial bestimmten Ichs, das durch die Mittel der Kunst analysiert und offengelegt wird.

Teilnehmende Künstler_innen

Marc Adrian, Josef Bauer, Wander Bertoni, Linda Christanell, Sini Coreth, Katrina Daschner, VALIE EXPORT, Gerda Fassel, Judith. P. Fischer, Heinz Frank, Karin Frank, Gabriele Fulterer, Rita Furrer, Bruno Gironcoli, Dorothee Golz, Barbara Graf, Alfred Haberpointner, Julie Hayward, Lotte Hendrich-Hassmann, Edgar Honetschläger, Alfred Hrdlicka, Birgit Jürgenssen, Kiki Kogelnik, Karl Kowanz, Hans Kupelwieser, K.U.SCH., Claudia-Maria Luenig, Flora Neuwirth, Josef Pillhofer, Margot Pilz, Uwe Hauenfels (vormals Pointner), Erik Rockenschaub, Christine Scherrer, Katarina Schmidl, Oswald Stimm, Markus Redl, Hilde Uray, Andreas Urteil, Rainer Wölzl, Fritz Wotruba, Erwin Wurm.

Merken

Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.