Anish Kapoor: britisch-indischer Bildhauer | ARTinWORDS

Anish Kapoor

Wer ist Anish Kapoor?

Anish Kapoor (* 12.3.1954, Mumbai, Indien) ist einer der berühmtesten Bildhauer der Zeitgenössischen Kunst (→ Zeitgenössische Kunst). Er repräsentierte Großbritannien auf der 44. Venedig Biennale (1990) und ist seither für sein vielseitiges Materialspektrum bekannt. Anish Kapoor arbeitet mit ephemeren Farbpigmenten, Spigelobjekte, Wachs (eigens für ihn produziert), Stein, Glas, Stahl, Wasser, Schlamm und Vaseline.

Anish Kapoor lebt und arbeitet seit den späten 1970er Jahren in London.

„Mir scheint, dass es zwei grundsätzliche Arbeitsweisen gibt: Die eine ist, dass der Künstler das Werk, die andere, dass das Werk den Künstler leitet. Es sollte das Werk den Künstler leiten, nicht umgekehrt. Wenn der Künstler das Werk leitet, so muss man annehmen, dass der Künstler weiß, was er tut, und etwas zu sagen hat. Wenn das Werk den Künstler leitet, ist der Prozess der einer Entdeckung. Ich habe nicht etwas, was ich unbedingt sagen möchte, aber ich weiß, dass, wenn ich es mir erlaube zu graben, zu forschen, dieser Prozess zu Bedeutungen führt, die man sich logisch nie hätte vorstellen können.“1

Kindheit und Ausbildung

Anish Kapoor kam am 12. März 1954 in Mumbai zur Welt. Er ist der Sohn eines indischen Hindu und einer jüdischen Irakerin. Kapoors Vater arbeitete als Hydrograph bei der indischen Marian. Im Alter von 16 Jahren zog Anish Kapoor in einen israelischen Kibbuz. Erst 1973 übersiedelte er nach London. Dort studierte Kapoor zuerst am Hornsey College of Art und am Chelsea College of Art and Design. Zudem besuchte er die Doon School in Dehradun in Indien.

Seit seiner Ausstellung von wegweisenden Pigmentarbeiten in den frühen 1980er Jahren hat Kapoor in einem breiten Spektrum von Materialien gearbeitet, um in Wachs, PVC, Silikon, Fiberglas, Stahl oder Zement eine einzigartige und oftmals atemberaubende skulpturale Formensprache zu entwickeln.

Die erste Ausstellungsbeteiligung war 1975 Kapoors Teilnahme an "Young Contemporaries" in der Royal Academy of Art in London. 1979 war sein Werk auch in der "Whitechapel Open" in der Whitechapel Art Gallery in London zu sehen.
Patrice Alexandre in Paris richtete Anish Kapoor seine erste Einzelausstellung aus (1980), gefolgt von der Lisson Gallery in London (1982) und der Galerie 't Venster in Rotterdam (1983). Die erste institutionelle Ausstellung organisierte die Kunsthalle Basel im Jahr 1985 in Kooperation mit dem Stedelijk Van Abbemuseum in Eindhoven, wo die Schau 1986 gezeigt wurde. Als Anish Kapoor 1990 Großbritannien auf der Biennale vetrat, stellte die Tate Gallery Zeichnungen des Künstlers aus.

Werke

Die frühesten Werke von Anish Kapoor sind Bodenskulpturen aus puverförmigem Pigment. Die unscheinbarsten Formen, getaucht in leuchtende Farbstoffe, verwandeln sich in magische Objekte, verwandeln sich Kappors häufig minimalistische Formen in farbige Ereignisse. Seinen internationalen Durchbruch erlebte Kapoor allerdings mit seinen raumgreifenden Installationen, wie z.B. „Marsyas“ in der Londoner Tate Modern, und Monumentalskulpturen im öffentlichen Raum, wie „Cloud Gate“ im Chicagoer Millennium Park. Aufgrund der Größe seiner Werke aber auch dem intellektuellen Spiel mit Raumwahrnehmung wurde Anish Kapoor auchs schon mal als Architekt angesprochen, auch wenn sich der Künstler selbst so nicht wahrnimmt. Was die künstlerischen Einflüsse auf das Werk von Anish Kapoor betrifft, werden sowohl indische Kunst bzw. Mythologie angeführt wie westliche Kunst, darunter Caspar David Friedrich, Joseph Beuys und Donald Judd.

Sein Ziel, so sagte Kapoor einmal, seien Skulpturen, die aussähen, als kämen sie aus einer andren Welt.2

„Die Leere ist nicht still. Ich habe sie immer schon mehr und mehr als einen Übergangsraum gedacht, einen Zwischen-Raum.“3 (Anish Kapoor)

Kapoor hat weltweit vielfach ausgestellt und Werke in architektonischen Dimensionen geschaffen, die in Form und Technik völlig neue Wege gingen. Zu diesen Werken zählen:

  • „Descent into Limbo“ (1992) für die Documenta 9, Kassel
  • „Taratantara“(1999) für Baltic, Gateshead, Großbritannien
  • „Sky Mirror“ (2001) für Nottingham Playhouse
  • „Marsyas“ (2002) für die Turbinenhalle, Tate Modern, London
  • „Dismemberment, Site I“ (2003–2009) für The Farm, Kaipara Bay, Neuseeland
  • „CloudGate“ (2004) im Millennium Park, Chicago; eine 110 Tonnen schwere, rostfreie Stahlkonstruktion, auch „The Bean“ genannt
  • „Memory“ (2008) für die Deutsche Guggenheim
  • „Temenos” (2010) in Middlesbrough, Großbritannien
  • „Turning the World Upside Down” (2010), Israel Museum, Jerusalem
  • „Leviathan“ (2011) für die Monumenta 2011, Grand Palais, Paris
  • „ArcelorMittal Orbit” (2012) im Queen Elizabeth Park, London
  • Bühnenbild für Richard Wagners „Pasifal“ an der Nederlandse Opera in Amsterdam (2012)
  • „ArkNova” (2013), die weltweit erste aufblasbare Konzerthalle für das Lucerne Festival, Japan
  • „Descension” (2014), zuletzt 2016 ausgestellt im Brooklyn Bridge Park, New York.
  • „Decent into Limbo [Abstieg in die Vorhölle]“ (2018), Serralves-Museum, Portugal

Konkave Spiegel

Anish Kapoor begann Mitte der 1990er Jahre sich mit konkaven Spiegel zu beschäftigen, fasziniert von der Neigung der Objekte, zwischen sinnlicher Schönheit und unheimlicher Entmaterialisierung zu oszillieren.

2012 schuf Anish Kapoor eine Serie reflektierender Hohlspiegel. Beim Blick in den Spiegel werden die Betrachtenden mit einer vergrößerten Sicht auf sich selbst konfrontiert, als ob das Spiegelbild durch reine Abstraktion verändert worden wäre. Die gebrochene Oberfläche aus Edelstahldreiecken erzeugt einen Kaleidoskopeffekt, der alles, was sich ihm in den Weg stellt, absorbiert und verzerrt.

 „Sinnlichkeit ist Terror. […] Sinnlichkeit überzeugt uns irgendwie davon, dass wir nicht allein sind. […] Ein leeres Objekt ist kein leeres Objekt; sein Potenzial für generative Möglichkeiten ist allgegenwärtig. Es ist schwanger. Die Leere erwidert den Blick. Sein leeres Gesicht zwingt uns, Inhalt und Bedeutung einzutragen. Aus Leere wird Fülle. Die Dinge werden auf den Kopf gestellt […] Die Kunst, die ich liebe, die Kunst, die ich mache, hoffe ich, zelebriert das Sinnliche, während ich immer weiß, dass der Verfall nahe ist“4 (Anish Kapoor, 2015)

Das unheimliche Gefühl der Grenzenlosigkeit, das die Reflexion erzeugt, erinnert an Kapoors Interesse an der Analogie zwischen der Idee des Erhabenen in der künstlerischen Tradition und dem kosmischen Konzept eines Paralleluniversums. Wenn die Betrachter:innen in die schwindelerregende Oberfläche blickt, verwandelt „Untitled“ den materiellen Körper in eine Illusion der Immaterialität – eine Antwort auf eine unausgesprochene Frage, die Verkörperung einer spirituellen Selbstwahrnehmung.

„Bei den räumlichen Fragen, die [das gespiegelte Objekt] zu stellen schien, ging es nicht um den Weltraum, sondern um den gegenwärtigen Raum, den ich als ein neues Erhabenes zu betrachten begann. Wenn sich das traditionelle Erhabene im Weltraum befindet, dann bedeutet dies, dass sich das zeitgenössische Erhabene vor der Bildebene befindet und nicht darüber hinaus.“5 (Anish Kapoor, 2008)

Auszeichnungen

Anish Kapoor erhielt den Premio Duemila auf der Biennale von Venedig 1990. 1991 gewann er den britischen Turner Prize. In den folgenden Jahren erhielt er viele Ehrungen wie das Ehrendotorat des London Institute (1997), die Ehrenmitgliedschaft des Royal Institute of British Architecture (2001) und wurde zum Commander of the British Empire geschlagen (2003).

Der Praemium Imperiale, Tokio, wurde ihm 2011 verliehen und im folgenden Jahr der Indische Staatsorden Padma Bhushan. 2013 wurde Kapoor für seine Verdienste für die Bildenden Künste zum Ritter geschlagen. 2017 erhielt er den Genesis-Preis. Ansih Kapoor ist Ehrenmitglied der American Academy of Arts and Letters sowie Mitglied der Royal Academy of Arts in London.

Beiträge zu Anish Kapoor

4. April 2023
Pablo Picasso, Die orangefarbene Bluse – Dora Maar [Le corsage orange – Dora Maar], 21.04.1940, Öl auf Leinwand, 73 × 60 cm (Sammlung Würth, Foto: Volker Naumann, Schönaich © Succession Picasso/Bildrecht, Wien 2022)

Wien | Leopold Museum: Highlights der Sammlung Würth Amazing | 2023

Hans-Peter Wipplinger stellt eine für das Leopold Museum maßgeschneiderte Auswahl vom Impressionismus bis in die Kunst der Gegenwart zusammen. Obschon Malerei triumphiert wird auch die Skulptur thematisiert werden. Das Publikum darf sich freuen auf Charakteristisches von Max Liebermann, Metamalerei von Gerhard Richter bis Anselm Kiefers Aufarbeitung der Vergangenheit, österreichische Kunst der 1950er bis in die 1980er sowie einige Vertreter der französischen Avantgarde.
13. August 2022
Anish Kapoor, Sectional Body preparing for Monadic Singularity, 2015, außen © Anish Kapoor

Wuppertal | Skulpturenpark Waldfrieden: Anish Kapoor Körper und Nicht-Körper | 2023

Im Skulpturenpark präsentiert Anish Kapoor neben einer Auswahl aktueller Werke auch seine begehbare Großskulptur „Sectional Body preparing for Monadic Singularity“ von 2015.
6. Mai 2022
Anish Kapoor, Atelier, 2020 ©Anish Kapoor. All rights reserved SIAE, 2021

Venedig | Gallerie dell’Accademia: Anish Kapoor An den Grenzen der Sichtbarkeit | 2022

Große Retrospektive von Anish Kapoor in zwei Ausstellungsorten: Meditationen über Farbe, Sichtbarkeit und Falten. Mit neuen, ortsspezifischen Installation „Mount Moriah at the Gate of the Ghetto“ (2022) im Palazzo Manfrin.
16. September 2020

München | Pinakothek der Moderne: Anish Kapoor – Howl

Am 16. September 2020, exakt 18 Jahre nach Eröffnung der Pinakothek der Moderne, installiert Anish Kapoor eine neue ortsspezifische Arbeit in der Pinakothek der Moderne, München.
3. Februar 2019
David Annesley, Swing Low, 1964, Stahl, bemalt, 128,3 x 175,9 x 36,8 cm (© Tate Images credit, © David Annesley)

PalaisPopulaire: Objects of Wonder – britische Skulptur seit den 1950ern Revolutionäre Neudefinition der Bildhauerei bis zur zeitgenössischen Objektkunst

PalaisPopulaire in Berlin zeigt in Kooperation mit der Tate Britain britische Skulptur seit den 1950ern: Henry Moore, Barbara Hepworth, David Annesley, Gilbert & George, Damien Hirst bis Helen Marten.
9. Mai 2017
Anish Kapoor, White Dark VIII, 2000, Fiberglas und Farbe, 160 x 160 x 64 cm (Privatbesitz), Foto: Anna-Maria Matzner, ARTinWORDS.

Intuition im Palazzo Fortuny Kuratiert von Axel Vervoordt und Daniela Ferretti | 2017

Intuition in der Kunst – über Kulturen, Zeiten und Regionen hinweg. Axel Vervoordt stellt einmal mehr für den Palazzo Fortuny eine atmosphärische Schau über das Unbewusste in der Kunst zusammen.
  1. Mythologies in the Making. Anish Kapoor in conversation with Nicholas Baume, in: Anish Kapoor, Past, Present, Future, hg. v. Nicholas Baume (Ausst.-Kat. Institute of Contemporary Art, Boston, 30.5.-7.9.2008), Boston 2008, S. 39-40.
  2. Peter Noever, Worauf zielt diese Unternehmung eigentlich ab?, in: Anish Kapoor. Shooting into the Corner, hg. v. Peter Noever (Ausst.-Kat. MAK, Wien, 21.1.-19.4.2009), S. 6-9, hier S. 7.
  3. Homi K. Bhabha, Anish Kapoor. Making Emptiness.
  4. Zitiert nach: Anish Kapoor. Blood and Light. Im Gespräch mit Julia Kristeva, 2015.
  5. Zitiert nach: Anish Kapoor: Past Present Future (Ausst.-Kat., The Institute of Contemporary Art), Boston 2008, S. 52.