Anita Rée: Werk und Leben (Hamburger Kunsthalle)
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Anita Rée: Werk und Leben Hamburger Malerin der Weimarer Republik wiederentdeckt

Anita Rée, Selbstbildnis, Detail, 1912/13, Kohle und Aquarell, 44,5 x 32 cm (© Hamburger Kunsthalle / bpk, Foto: Christoph Irrgang)

Anita Rée, Selbstbildnis, Detail, 1912/13, Kohle und Aquarell, 44,5 x 32 cm (© Hamburger Kunsthalle / bpk, Foto: Christoph Irrgang)

Anita Rée (1885–1933), Hamburger Malerin und Grafikerin, war ein erfolgreiches Gründungsmitglied der Hamburgischen Sezession (1919). Ihr umfangreiches Œuvre reicht von Zeichnungen, Aquarellen, Gemälden, Wandmalereien im öffentlichen Raum bis zu gestalteten Objekten. Nach einem längeren Italienaufenthalt 1926 in die Heimatstadt zurückgekehrt, erhielt sie zahlreiche Porträtaufträge – vor allem aus der gut situierten Hamburger Bürgerschaft.

Anita Rée schuf von 1904 an in wenigen Jahren verhältnismäßig viele Selbstporträts. Damit befragte sich die Künstlerin immer wieder selbst und ergründete das eigene Ich über Farbe, Form und Komposition. In ihren stilistisch bald neusachlich einzuordnenden Werken stellt sich Rée entweder en face oder mit schräg geneigtem Kopf dar. Dabei ist ihr zumeist emotionsloser, distanzierter Blick frontal oder aus dem Augenwinkel auf den Betrachter beziehungsweise auf das eigene Spiegelbild gerichtet.

Als Rée 1930 ein großformatiges Selbstbildnis vor gelbgrünem Hintergrund malte, war sie eine erfolgreiche und gefragte Künstlerin. Den melancholischen Eindruck dieses Bildes erwecken die – wie bei Kollwitz – an die Wange gelegte Hand sowie die großen, mandelförmigen Augen. Indem sie sich nackt malte, zitierte sie außerdem die von ihr als Vorkämpferin des Selbstakts in der Klassischen Moderne empfundene Malerin Paula Modersohn-Becker. Das als ein Hauptwerk einzuordnende Gemälde diente Rée dazu, ihre Rolle als Frau und Künstlerin, vor allem aber als Mensch zu befragen – insbesondere in einer Zeit, in der sie als Deutsche mit südamerikanischen und jüdischen Wurzeln die dräuende Gefahr durch eine sich an-bahnende politische Wende hatte spüren können.

Die Hamburger Kunsthalle widmet Anita Rée ihre erste große Museumsausstellung. Dabei wird Rées künstlerischer Facettenreichtum von impressionistischer Landschaftsmalerei über kubistische Stillleben bis hin zu neusachlichen Porträts anschaulich gemacht. Neben den zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Werken wird auch Einblick in das Leben der selbstständigen Frau gewährt – zwischen Moderne, Tradition und internationaler künstlerischer Ambition. Im Januar 2018 erscheint dazu eine Publikation mit Werkverzeichnis.

„Ich kann mich in so einer Welt nicht mehr zurechtfinden und habe keinen einzigen anderen Wunsch, als sie, auf die ich nicht mehr gehöre, zu verlassen. Welchen Sinn hat es – ohne Familie und ohne die einst geliebte Kunst und ohne irgendwelche Menschen – in so einer unbeschreiblichen, dem Wahnsinn verfallenen Welt weiter einsam zu vegetieren … ?“ (Anita Rée an ihre Schwester Emilie)

Kuratiert von Karin Schick, assistiert von Sophia Colditz.

Ausstellungskatalog: Anita Rée. Retrospektive

Karin Schick (Hg.)
Ausst. Kat. Hamburger Kunsthalle 2017,

Biografie von Anita Clara Rée (1885–1933)

1885 Am 9. Februar 1885 wurde Anita Rée als zweite Tochter des Kaufmanns Israel Rée und dessen Ehefrau Clara (geb. Hahn) in Hamburg geboren.

1905–1910 Anita Rée erhielt Malunterricht beim Hamburger Künstler Arthur Siebelist, da es in der Hansestadt keine institutionelle Kunstausbildung für Mädchen und Frauen gab.

1906 Da sie hinsichtlich ihres Berufswunsches Selbstzweifel plagten, holte sich Anita Rée Rat bei Max Liebermann in Berlin. Dieser empfahl ihr, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen, um Malerin zu werden.

1910/11 Anita Rée gründete mit Franz Nölken und Friedrich Ahlers-Hestermann eine Ateliergemeinschaft. Da Rée in Franz Nölken verliebt war, dieser allerdings die Gefühle nicht erwiderte, zerbracht die Freundschaft zwischen den drei angehenden Künstlern.

1912 Umzug nach Paris.

1912/1913 Im Winter war Anita Rée Schülerin von Fernand Léger und lernte dort Aktzeichnen. In den Werken dieser Zeit verband sie Einflüsse von Pablo PicassoHenri Matisse und Paul Cézanne.

1913 Erste Ausstellungsbeteiligung in der Galerie Cometer in Hamburg.

1914 Bekanntschaft mit dem Dichter Richard Dehmel. In den folgenden Jahren erlangte sie durch ihre Porträts Anerkennung.

1919 Anita Rée war Gründungsmitglied der Künstlervereinigung Hamburgische Sezession und gewann in den folgenden Ausstellungen große Beachtung. Sie traf sich mit Künstlerinnen und Künstlern wie Gretchen Wohlwill, Alma del Banco und Franz Radziwill.

1921 Reise nach Pians in Tirol.

1922–1925 Anita Rée lebte hauptsächlich in Positano an der italienischen Amalfiküste und wandte sich dort der Neuen Sachlichkeit zu. In dieser Zeit war sie mit dem Buchhändler und Maler Christian Selle befreundet. Sie kehrte nur für Ausstellungen nach Hamburg zurück.

1926 Rückkehr nach Hamburg; Mitbegründerin der GEDOK (Gemeinschaft Deutscher und Oesterreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen).

1929 Erstes Wandbild in einer vom Hamburger Architekten und Stadtplaner Fritz Schumacher errichteten Schule: „Die klugen und die törichten Jungfrauen“, Wandbild in einem Aufenthaltsraum der Berufsschule für weibliche Angestellte (heute: Berufliche Schule Uferstraße, Uferstraße 10). Das Gemälde wurde 1933 verhängt und 1942 von den Nationalsozialisten zerstört.

1930 Auftrag für ein Passions-Triptychon für den Altar der neuen Ansgarkirche in Hamburg-Langenhorn mit Einzug in Jerusalem, Abendmahl, der Verhaftung in Gethsemane sowie dem Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen. Die Gemeinde war mit Rées Entwürfen nicht zufrieden. Anita Rée wurde in diesem Zusammenhang von der NSDAP als Jüdin denunziert.

1931 Zweites Wandbild im Gymnastiksaal der früheren Oberschule für Mädchen an der Caspar-Voght-Straße (OCV) in Hamm: „Orpheus mit den Tieren“ (erhalten, wurde aber übermalt). 1954 wurde „Orpheus mit den Tieren“ grob restauriert und verschwand um 1969 hinter einer Holzverschalung, um es vor Ballwürfen zu schützen. Gegenwärtig ist es im Fokine-Studio der Ballettschule des Hamburg Balletts zu sehen, nachdem es während der Umbaumaßnahmen vom Gymnasium zur Ballettschule Ende der 1980er Jahre restauriert worden war. Das Wandgemälde steht – wie auch das Gebäude an der Caspar-Voght-Straße 54 – seit 1954 unter Denkmalschutz.

1932 Der Auftrag für das Passions-Triptychon wurde aus „kultischen Bedenken“ zurückgezogen. Die Bilder standen nie auf dem Altar der Kirche, wurden vermutlich in der Hauptkirche St. Nikolai eingelagert und verbrannten bei der Zerstörung der Kirche in den Bombennächten 1943. Schwarz-Weiß-Fotografien des Entwurfs sind seit vielen Jahren an der Orgelempore der Ansgarkirche zu sehen. Anita Rée verließ Hamburg und zog nach Sylt.

1933 Am 25. April 1933 wurde sie von der Hamburgischen Künstlerschaft als „artfremdes Mitglied“ diffamiert und ausgeschlossen. Anita Rée nahm sich am 12. Dezember 1933 in Kampen auf Sylt das Leben.

1937 Anita Rées Werke sollten als „entartete Kunst“ aus der Hamburger Kunsthalle entfernt werden. Der damalige Hausmeister der Kunsthalle, Wilhelm Werner, versteckte die sieben Bilder in seiner Wohnung und rettete sie dadurch für die Nachwelt. Nach 1945 reihte er stillschweigend alle sieben Gemälde der Künstlerin, die Gustav Pauli in den 1920er Jahren erworben hatte, wieder in den Depotbestand der Kunsthalle ein.

Anita Rée: Bilder

  • Anita Rée, Selbstbildnis, 1912/13, Kohle und Aquarell, 44,5 x 32 cm (© Hamburger Kunsthalle)
  • Anita Rée, Selbstbildnis, um 1913, Kohle und Aquarell, 44,5 x 32 cm (© Hamburger Kunsthalle)
  • Anita Rée, Selbstbildnis, 1915, Öl/Lw (© Hamburger Kunsthalle)
  • Anita Rée, Blaue Frau, vor 1919, Öl/Lw, 90 x 69 cm (Privatbesitz)
  • Anita Rée, Stillleben mit Orangenbaum, vor 1920, Öl/Lw, 61 x 65,2 cm (Privatbesitz)
  • Anita Rée, Paar (Zwei römische Köpfe), 1922–1925, Öl/Lw, 51 x 45,5 cm (Privatbesitz USA)
  • Anita Rée, Teresina, 1922–1925, Öl/Lw, 80,5 x 60 cm (© Hamburger Kunsthalle)
  • Anita Rée, Weiße Nussbäume, 1922–1925, Öl/Lw, 71,2 x 80,3 cm (© Hamburger Kunsthalle)
  • Anita Rée, Bildnis Hilde Zoepffel, um 1928, Öl/Lw, 50 x 41,5 cm (Privatbesitz)
  • Anita Rée, Hildegard Heise, um 1928, Öl/Lw, 40,5 x 35,5 cm (© Hamburger Kunsthalle)
  • Anita Rée, 6. Doppelbüsi-Karte, 1929, Collage, Federzeichnung und Gouache auf Karton, 14,8 x 10,8 cm (© Stiftung Historische Museen Hamburg, Altonaer Museum)
  • Marionetten für Die schöne Galathée (Pygmalion und Galathée), 1930, Holz, bemalt (Körper von Heinrich Johann Merck, Kostüme von Marie-Ellen Merck, geb. Haller, Köpfe von Anita Rée.) (Privatbesitz)
  • Anita Rée, Affenschrank (Affen und Giraffe), 1932, Weichholzschrank, bemalt, 173 x 87,8 x 51 cm (Privatbesitz)
  • Anita Rée, Verirrtes Schaf in verschneiten Dünen, 1932/33, Aquarell, 25 x 29,5 cm (Privatbesitz)
  • Anita Rée, Gelber Dünenhügel, 1932/33, Aquarell, 31 x 37 cm (Privatbesitz Hamburg)