Anna Waser

Wer war Anna Waser?

Anna Waser (Zürich 16.10.1678–20.9.1714 Zürich) war eine Schweizer Malerin und Radiererin des Barock, die sich auf Miniaturmalerei spezialisierte. Sie gilt heute neben Angelika Kauffmann (1741–1807) als die erste Malerin der Schweiz, die historische Berühmtheit erlangte. Bereits im Alter von zwölf Jahren schuf das Wunderkind ein „Selbstporträt“ (1691, Kunsthaus Zürich), das in zahlreichen Büchern über Künstlerinnen reproduziert wurde. Von ihrem Werk sind etwa 25 Zeichnungen – in Feder und Tusche, Silber- oder Rötelstift – erhalten.

Kindheit

Anna Waser wurde am 16. Oktober 1678 in Zürich getauft. Sie war als fünftes Kind von Esther Müller und des Amtsmannes sowie Pflegers des Grossmünsterstifts Johann Rudolf Waser geboren worden. Anna Waser kam aus einer wohlhabenden und angesehenen Zürcher Familie. Ihr Vater war ein gebildeter und vorurteilsloser Mann, der das Talent der Tochter nach Kräften förderte.

Ausbildung

Johann Rudolf Waser ließ seine Tochter zur Malerin ausbilden, obgleich das allen gesellschaftlichen Konventionen widersprach. Wasers Biograf, Johann Caspar Füssli, hält fest, dass Anna neben ihrem Latein- und Französischstudium zunächst die Grundlagen der Kunst in Winterthur erlernte.1 Allerdings soll Johannes Sulzer ein unzureichender Lehrer für das begabte Mädchen gewesen sein; dieser Kommentar findet sich in Lebensgeschichten frühneuzeitlicher Künstlerinnen höchst selten.

Danach wurde der Berner Maler Joseph Werner II. (1637–1710) gebeten, Anna zu unterrichten – doch dieser lehnte ab und verwies auf ihre mangelnden Fähigkeiten. Diese Abfuhr schreckte Anna Waser allerdings nicht ab. Sie übte mit „unerbittlichem Fleiß“, bis es ihr gelang, eines von Werners Blumenstücken so gekonnt zu kopieren, dass es dem Original ebenbürtig war. Die erst 13-Jährige schickte die gemalte Kopie selbstbewusst an Werner, zusammen mit einem Brief, in dem sie ihren Wunsch zum Ausdruck brachte, bei ihm studieren zu dürfen. Daraufhin erkannte Joseph Werner ihr Talent und lud Waser in sein Atelier in Bern ein. Auch wenn diese „Hindernis“-Anekdote möglicherweise dramaturgisch ausgeschmückt ist, spiegelt sie zweifellos genau die Beharrlichkeit und das Selbstvertrauen wider, die Künstlerinnen benötigten, um in der Männerdomäne der professionellen Kunst erfolgreich zu sein.

Vier Jahre blieb Anna Waser als das einzige Mädchen unter Werners Schülern in seiner „Lernwerkstatt für Malerei“ (1691–1695). Aus dieser Zeit stammt ihr berühmtes „Selbstbildnis mit zwölf Jahren“ (1691).  Füssli berichtet, dass sich zwischen Werner und Waser ein enges Vertrauensverhältnis entwickelte und der Lehrer Anna wie seine Tochter behandelte. Nach einer vierjährigen Ausbildung kehrte Anna Waser nach Zürich zurück, wo sie aus dem Bekanntenkreis der Familie Porträtaufträge erhielt.

Zürich

Im Jahr 1699, Anna Waser war nun 21 Jahre alt, berief sie der kunstsinnige Graf Wilhelm Moritz von Solms-Braunfels als Hofmalerin auf sein Schloss Braunfels an der Lahn in Hessen. Anna Waser hielt sich bis 1702 in Hessen auf.

Statt eine geplante Reise nach Paris anzutreten, wurde Anna Waser nach Zürich zurückgebeten, da die Mutter erkrankt war und ihr Bruder Johann Rudolf, ein Hauslehrer in Braunfels, sich entschloss, als Feldprediger nach Holland zu reisen.
Ab etwa 1702 musste sich Anna Waser in Zürich nun um den Haushalt ihrer Eltern kümmern. Anna Waser war gezwungen, zu malen, um ihre Familie finanziell zu unterstützen. Bis 1708 ist ihr Schaffen gut belegt. Füssli porträtierte Waser konsequent als fleißige, pflichtbewusste Tochter, die den Befehlen ihres Vaters gehorcht.

Im Jahr 1708 gab Anna Waser zusammen mit ihren Schwestern Anna Maria und Elisabeth Waser einige kalligrafische Vorlagen heraus. Sie schickte ihre Autobiografie, ein in Silberstifttechnik ausgeführtes Selbstbildnis und andere Kunstwerke an Jacob von Sandrart für eine geplante Fortschreibung des von seinem Onkel Joachim von Sandrart begründeten Künstlerlexikons „Teutsche Academie“. Zu dieser Fortschreibung kam es aber nicht mehr, weil Jacob von Sandrart noch im selben Jahr verstarb. Danach malte sie nur noch selten ein Porträt oder eine der kleinen Schäferszenen, für die sie seinerzeit berühmt gewesen war.

Der Schweizer Biograf betont die intellektuellen Fähigkeiten der Malerin und weist darauf hin, dass sie mehrsprachig und begabt in Mathematik war und mit Kollegen über Kunsttheorie korrespondierte. Füssli bemerkt mit Bedauern, dass Anna, wenn sie „ihre Gabe einsetzen und ihren Instinkten folgen hätte können, den höchsten Grad an Perfektion erreicht hätte“2. Damit deutete er an, dass ihre Karriere durch die Forderungen des Vaters behindert wurde. Wie andere kreative Menschen konnte Waser unter diesem familiären Druck sich nicht entwickeln. Leider dürfte dies der einzige Fall in den Lebensgeschichten frühneuzeitlicher Künstlerinnen sein, in dem der Vater, der so oft als Hauptförderer des Kunstinteresses einer Tochter dargestellt wird, tatsächlich ihren tragischen Tod herbeizuführen scheint.

Werke

Füssli lobte die künstlerischen Fähigkeiten von Anna Waser. Während sie hauptsächlich im bescheidenen Medium der Miniaturmalerei arbeitete, nutzte sie die Farben so, dass ihre Werke einen „starken Eindruck auf das Auge“ machten.

Waser malte nicht nur Porträts, Stillleben und pastorale Szenen, sondern war auch eine talentierte Zeichnerin. Die klassizistische Schönheit ihres „Idealen Frauenkopfes“ (1711; Berlin, Staatliche Museen) zeigt eine bemerkenswerte stilistische Weiterentwicklung ihres frühen Selbstporträts. Wasers Werke fanden jedoch wenig wissenschaftliche Beachtung.

Selbstporträt im Alter von zwölf Jahren

Anna Waser malte sich im Jahr 1691 selbst – und damit früher als ihre Kolleginnen seit der Renaissance, deren erste Selbstbildnisse meist im Alter von 19 oder 20 Jahren entstanden. Sie zeigt sich als ein selbstbewusstes, aber dennoch angemessen zurückhaltendes Mädchen mit rosigen Wangen, das den Bildraum dominiert. Die Malerin weist mit ihrem Pinsel auf eine Miniaturleinwand auf einer Staffelei, auf der ihr erster Kunstlehrer, Johannes Sulzer (1652–1717), abgebildet ist.

Dieses Bildnis symbolisiert vorausschauend Wasers Leben, denn obwohl sie eine international bekannte Malerin von Miniaturporträts wurde, war ihre Karriere letztlich an das Eingreifen von Männern gebunden.

Johann Caspar Füssli, Wasers Biograf, besaß dieses Selbstporträt, und obwohl er in der Lebensgeschichte keine Aussage dazu macht, deutet sein Ruf als Kunstsammler darauf hin, dass er das Gemälde geschätzt haben muss.

Tod

Eine alte Chronik berichtet von einer anhaltenden depressiven Verstimmung der Künstlerin:

„Mit 30 Jahren verlor sie ihre Leibs- und Gemütskräfte.“

Ein paar Jahre dämmerte sie vor sich hin. Eine ihrer letzten Arbeiten, eine Silberstiftzeichnung, ist versehen mit der Datierung 1711. Im Jahr 1714 starb Anna Waser im Alter von 35 Jahren an den Folgen eines Sturzes.

Ihre Nachfahrin Maria Waser (1878–1939) verfasste 1913 den historischen Roman „Die Geschichte der Anna Waser“.

Literatur zu Anna Waser

  • Jordi Vigué, Great Women Masters of Art, New York 2002, S. 18.
  • Frances Borzello, Seeing Ourselves: Women’s Self-Portraits, New York 1998, S. 33.
  • Irma Hildebrandt, Selbstbildnis einer Frühvollendeten: Die Malerin Anna Waser 1678–1714, in: Irma Hildebrandt (Hg.), Die Frauenzimmer kommen: 16 Zürcher Portraits. München 1997, S. 13–24.
  • Waser, Anna, in: DA, Bd. 32, S. 883.
  • Anna Waser, in: Carl Brun (Hg.), Schweizerisches Künstler-Lexikon, Bd. 3., Frauenfeld 1913, 427–3.
  • Maria Waser, Die Geschichte der Anna Waser: ein Roman aus der Wende des 17. Jahrhunderts, Stuttgart 1913; Reprint: Zürich 1978.
  1. Johann Caspar Füssli, Geschichte der besten Künstler in der Schweiz nebst ihren Bildnissen, 5 Bände, Zürich 1769–1779.
  2. Johann Caspar Fuessli, Geschichte und Abbildung der besten Mahler in der Schweitz. Band 2. David Gessner, Zürich 1757, S. 228.