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Bristol Museum präsentiert Banksys „Devolved Parliament”: ein Kommentar auf den Brexit? Was ist die Bedeutung des Bildes?

Banksy, Devolved Parliament, Detail, 2009 (Privatsammlung, © Banksy)

Banksy, Devolved Parliament, Detail, 2009 (Privatsammlung, © Banksy)

Wenn auch schon vor zehn Jahren im Rahmen der Ausstellung „Banksy versus Bristol Museum“ entstanden, scheint das 250 x 420 cm große Gemälde „Devolved Parliament“ (2009) gerade zum Brexit-Patt zu passen. Wenn auch das Bristol Museum & Art Gallery auf seiner Homepage angibt, mit der Präsentation des Banksy-Bildes der Zusammenarbeit mit dem Künstler vor zehn Jahren gedenken zu wollen, so hat es doch eine tagepolitische Aktualität erhalten – mit der gerechnet wird. Kurz nach Ende der Sommer-Ausstellung am 3. Oktober 2019 wurde das Gemälde für 9,879.500.- GBP, also etwas mehr als 11 Millionen Euro, bei Sotheby's auktioniert.

Wie wird ein Bild aktuell?

Am Mittwoch, dem 27. März 2019, wollte bekanntlich das britische Unterhaus zu einer Entscheidung gelangen, wie im verfahrenen Brexit-Prozess weiter vorgegangen werden soll. Ziel wäre eigentlich gewesen, der Regierung eine Richtung vorzugeben. Was als „Tag der Entscheidung“ begann, endete allerdings mit acht „No“-Stimmen. Die Abgeordneten konnten sie für kein Brexit-Szenario entscheiden. Das Chaos ist perfekt. Offenbar kennt niemand einen (demokratischen) Ausweg. So weit, so britisch. Auch am Freitag wurde das Austrittsabkommen von Theresa May abgelehnt, obwohl an diesem Tag endgültig die Voraussetzung für das Verlassen Großbritanniens aus der EU geschaffen werden hätten müssen. Die britische Presse schäumt vor Wut. Das Museum „kommentiert“ das Geschehen diplomatisch mit der Präsentation eines Bildes.

Im Jahr 2009 stellte Banksy im Bristol Museum & Art Gallery sein bisher größtes Gemälde aus: „Devolved Parliament“. Dafür bevölkerte er den Sitzungssaal im House of Commons [Unterhaus] mit unzähligen Schimpansen. Das Bild, das sich heute in unbekanntem Privatbesitz befindet, wird seit dem 28. März 2019 erneut der Öffentlichkeit präsentiert. Was vor zehn Jahren als ein virtuoses Meisterstück eines „Guerilla-Künstlers“ galt und eine Verfassungsänderung kommentierte, wird heute mit anderen Augen betrachtet. Der Kommentar Banksys auf Instagram befeuert diese Lesart:

„Laugh now, but one day no-one will be in charge. [Lache jetzt, aber eines Tages wird niemand verantwortlich sein.]“

Affen in der Kunst

Kunst und Karikatur gehen in der britischen Kunstgeschichte schon seit dem 18. Jahrhundert eine fruchtbare Ehe ein. Man denke an William Hogarths sechsteilige Serie „Marriage A-la-Mode“ (1743–1745) in der National Gallery in London. Zu Napoleons Zeiten war die britische Karikatur der kontinentaleuropäischen in Punkto Bissigkeit um Längen voraus. Und als 2005 Gentechniker endgültig festgestellt haben, dass der Schimpanse die größte genetische Nähe zum Menschen von allen Affenarten hat, hat diese Spezies in der Kunst die Funktion als „affiger Stellvertreter“ bereits seit mindestens 500 Jahren.

Alles dürfte mit Pieter Bruegel dem Älteren und dessen „Zwei Affen“ in der Gemäldegalerie in Berlin begonnen haben (→ Pieter Bruegel d. Ä.: Werk und Leben). Stehen die beiden angeketteten Tiere für Luxus, Handelswege oder fungieren sie doch als Stellvertreter menschlichen Handelns? Unter dem Begriff Singerie – französisch für „Affentrick“ – ging das Imitieren menschlichen Verhaltens durch die Primaten in die Kunstgeschichte ein. Im 16. Jahrhundert führte Pieter van der Borcht die Gattung weiter und machte sie in der Druckgrafik populär. Die Nachfolger Bruegels sind in dessen direktem Umfeld zu finden, darunter Jan Brueghel der Ältere und dessen Sohn Jan Brueghel der Jüngere. Darüber hinaus betätigten sich auch Frans Francken der Jüngere, Sebastian Vrancx und Jan van Kessel der Ältere, also vor allem Maler in Antwerpen in diesem Fach. Für die internationale Verbreitung der komischen Szenen mit Affen in menschlichem Umfeld sind David Teniers der Jüngere und dessen jüngerer Bruder Abraham Teniers verantwortlich.

Im 18. Jahrhundert erfreuten die Äffchen in putziger Manier das Publikum in Rokoko-Mode. Vor allem das Affenorchester aus Meißner Porzellan weiß heute noch zu begeistern, gefolgt von französischen Möbeln und dekorativen Fresken. In Großbritannien ist die Innenausstattung des Fischerpavillon auf der Duke of Marlborough’s Island, besser bekannt als „Monkey Island“, in der Themse (zwischen Maidenhead Bridge und Windsor) am bedeutendsten. Der französische Maler Andieu de Clermont malte um 1735 Fresken mit fischenden und jagenden Affen.
Weniger positiv dürfte das Urteil des Münchner Historienmalers Gabriel von Max ausfallen, wenn er „Affen als Kunstrichter“ (1889, Neue Pinakothek München) engagiert. Was die Horde beurteilt, ist für die Betrachtenden unsichtbar. Die Aufregung dürfte aber groß sein.

Banksys Affenherde im „Devolved Parliament“

Ob Banksy sich mit der kunsthistorischen Tradition des Affen beschäftigt hat, oder ob der Film „Planet der Affen“ ihn maßgeblich prägte, ist mir nicht bekannt. Sich Schimpansen als Stellvertreter für gewählte Parlamentarier auszusuchen, ist allerdings angesichts der Historie wenig überraschend. Vielmehr sollte die maltechnische Ausführung des Bildes für Furore sorgen, ist Banksy doch sonst für schablonierte Werke bekannt.

Der Titel „Devolved Parliament“ bezieht sich auf eine jüngere Entwicklung in der britischen Verfassung, wonach seit 1998 die Regionalparlamente in Schottland, Wales, Nordirland über regionale Fragen entscheiden dürfen. Zuvor war jedes Gesetz durch das Parlament in Westminster gegangen. Offenbar widmete Banksy zum „Devolved Parliament“ zehn Jahre nach seiner Begründung ein Historienbild – wenn er auch Schimpansen als Parlamentarier auftreten ließ. Die Umdeutung des Gemäldes angesichts einer bereits Jahre dauernden Brexit-Debatte legt die Vieldeutigkeit des Bildes offen. Der für seine schonungslosen Polit- und Gesellschaftskommentare bekannte Künstler arbeitet mit Verdichtung und Überzeichnung. Gerade die beschreibende Qualität von „Devolved Parliament“ ermöglicht die stattfindende Aktualisierung des Parlamentsbildes.

Banksy versus Bristol Museum

2009 inszenierte der Ausstellungstitel die Personale als Boxkampf, als Abrechnung des Briten mit der Tradition. Banksy kommentierte mit seinen etwa 100 Werken die im Museum ausgestellte Kunst und scheute nicht, Rembrandt van Rijn neue Augen aufzudrücken, einer klassizistischen Skulptur Einkaufstüten umzuhängen, einem antiken Gipsabguss einen Kübel rosa Farbe über den Kopf zu stülpen, Bilder aus ihren Rahmen treten zu lassen oder phantasievoll zu ergänzen (siehe: Banksy vs. Bristol Museum ). Die Kunstgalerie des Bristol Museum wirkte, als hätte eine Gruppe von kunstkritischen Vandalen, von Politaktivisten, von Popkulturkonsumenten und Gesellschaftskritikern das Museum in der Nacht heimgesucht. Dem ehrwürdigen Überlieferten, den „alten Werten“ setzte er scheinbar grenzenlos die konsum- und mediengeile Welt des Heute gegenüber, in der Zerstörung und Gewalt (auch mit Hilfe der Medien) omnipräsent sind. In arkadischen Landschaften ließ er Autos verrosten, pittoreske Sonnenuntergänge wurden von Ufo-Angriffen gestört. Inmitten des Chaos dann das britische Unterhaus, repräsentiert durch ein Bild eines ehrwürdigen Raumes, in dem Affen über das Wohl ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger entscheiden. In der Übertreibung ist Banksy respektlos. Aber das verschafft ihm erst jene Aufmerksamkeit, die hoffentlich ein Umdenken in Kraft setzt.

Aktuell zeigt das Bristol Museum & Art Gallery auch eine Auswahl an Zeichnungen Leonardo da Vincis aus der königlichen Sammlung: Royal Collection stellt 2019 Leonardo Zeichnungen aus

Banksy „Devolved Parliament”: Bilder

  • Banksy, Devolved Parliament, 2009 (Privatsammlung, © Banksy)
  • Banksy, Devolved Parliament, Detail, 2009 (Privatsammlung, © Banksy)

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Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.