Claude Monet, London, das Parlament, Sonnenloch im Nebel, Detail, 1904, Öl/Lw, 81,5 x 92,5 cm (Musée d’Orsay, Paris)
Claude Monet reiste zwischen Herbst 1899 und Frühjahr 1901 insgesamt drei Mal nach London, um die Stadt im Dunst und Nebel zu malen. Genauer, interessierte er sich nur für einige wenige Motive: Charing Cross Bridge (1899–1904), Waterloo Bridge (1899–1901), Leister Square (1900–1901) und das Parlament [Houses of Parliament] (1900–1901) oder auch Westminster Palace genannt. Obwohl Monet sein Vorhaben zuversichtlich und methodisch begann, wurde der inzwischen berühmte Maler dennoch bald von Selbstzweifeln geplagt.1 Monet begann die Bilder während dreier Aufenthalte 1899, 1900 und 1901 und malte die Serie bis 1904 in seinem Atelier fertig. Die nachträglichen Datierungen von 1900 bis 1904 zeigen die lange und schwierige Ausführung der Werke. Schlussendlich resultierten drei Serien mit insgesamt 97 Gemälden und mehr als 25 Pastellen der Londoner „Ansichten“.
Großbritannien / London: Tate Britain
2.11.2017 – 7.5.2018
„Ich liebe London sehr, aber nur im Winter. Im Sommer ist es schön mit seinen Parkanlagen, aber das ersetzt nicht den Winter mit dem Nebel, denn ohne Nebel wäre London keine schöne Stadt. Es ist der Nebel, der ihr die großartige Weite verleiht. Ihre regelmäßigen uns massiven Blöcke wirken großartig durch diesen mysteriösen Mantel.“ (Claude Monet im Gespräch mit René Gimpel, 1.2.1918)
Der erste Aufenthalt Monets in London datiert aus den Jahren 1870/71 (→ Impressionisten in London). Während des Deutsch-Französischen Kriegs hatte er sich von Sommer 1870 bis Frühjahr 1871 in der Stadt aufgehalten, um einrücken zu müssen. Während dieses ersten Aufenthalts wurde er bereits – wie das Gemälde „Die Themse unter Westminster“ zeigt – von den einzigartigen Effekten des Dunstes und des Nebels angezogen. Für diese Art der Luftverschmutzung war die Megacity London berühmt, oder besser gesagt berüchtigt. Bereits 1880 äußerte Monet mehrfach den Wunsch, einige Wochen in London zu verbringen, um die Themse zu malen. James McNeill Whister lud 1887 den französischen Maler ein, ihn zu besuchen; weitere Aufenthalte sind für die Jahre 1888, 1891 und 1898 dokumentiert. Die Bedeutung von Whistlers äußerst reduzierten, nahezu abstrakten, blau-grauen Bildern für die Bildauffassung Claude Monets wurde bereits häufig diskutiert und ist auch in der Londoner Schau ein Thema. Interessanterweise hatte keine dieser Reisen Bilder zur Folge, wenn auch Monet schon 1891 den Plan hegte, London zu malen.
Auch wenn Claude Monet in den folgenden Jahren immer wieder nach London zurückkehrte, so ist es doch unmöglich, seine Motivation genau zu bestimmen, warum er nach drei Jahrzehnten die Stadt erneut zum Subjekt seiner Bilder machte. Es werden in der Literatur verschiedene Erklärungsmuster angeboten: Diese reichen von der Begeisterung des Malers für den Neben bis zur Selbstüberprüfung der Entwicklung seiner Malerei. Immerhin war der Maler gerade 60 Jahre alt geworden und hatte den Wunsch geäußert Bildmotive seiner früheren Werke nocheinmal malen zu wollen.
Während der 1890er Jahre hatte sich Claude Monet anhand von Heuhaufen, Mohnfeldern, Pappeln, des Seine-Ufers (Seinelandschaften), der Kathedrale von Rouen sowie seiner japanischen Brücke in Giverny dem Malen in Serien verschrieben. Er interessierte sich für die Effekte des Sonnenlichts und ergänzte diese durch Tages- und Wetterstimmungen. In diesem Jahrzehnt besuchte Monet durchaus Orte, an denen er früher bereits gemalt hatte.2 Vielleicht wandte sich der Maler auch bewusst London zu und damit von Paris ab, da er von der Dreyfus Affäre schockiert war. Gleichzeitig war London in der Geschichte des Impressionismus ein Ort des Refugiums, des Lernens – englische Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts von John Constable, William Turner bis zu Monets Freund James McNeill Whister – und ein wichtiger Platz, um Kontakte zu schließen. Die Verkaufserfolge von Durand-Ruel in Amerika könnten genauso als Gründe für den Ortswechsel genannt werden, hatte der Impressionismus in Frankreich nach seinem holprigen Start auch während der 1890er Jahre noch nicht die Anerkennung von öffentlicher Seite erhalten.
Während seiner London Aufenthalte wohnte Claude Monet gemeinsam mit seiner Ehefrau Alice im Hotel Savoy, einem der besten Hotels am Nordufer der Themse. Von September bis Oktober 1899 beschäftigte er sich mit der Charing Cross Bridge (heute: Hungerford Bridge), die er von seinem Hotelfenster im fünften Stock aus sehen konnte. Vielleicht hat er sich 1899 auch schon mit den Darstellungen der Waterloo Bridge, die etwas dahinter liegt, auseinandergesetzt. Jedenfalls berichtete der Maler am 17. Oktober, dass er eine Serie von Themse-Ansichten begonnen hätte, die er von seinem Hotelfenster aus malte.
Der zweite Aufenthalt in London in dieser Phase dauerte von 9. Februar bis 5. April 1900. In diesem Frühjahr durfte der Maler erstmals auf der Terrasse des St. Thomas’s Hospital auf dem rechten Themse-Ufer seine Leinwand aufstellen. Jetzt erst konnte er den genau gegenüber liegenden Westminster Palace, dem Sitz des britischen Parlaments [Houses of Parliament], mit seinen imposanten Türmen in Angriff nehmen. Monet arbeitete an allen drei Motiven während seines dritten London-Aufenthalts von Ende Januar bis März 1901.
Anfang März 1901 schrieb Claude Monet an seine Ehefrau Alice, dass er Probleme mit der Vollendung der Gemälde vor Ort hätte:
„Wie ich schon zuvor gesagt habe, ist es mir nicht möglich, am gleichen Gemälde an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zu arbeiten. Ich werden mich auf Studien und schnelle Skizzen konzentrieren, so dass ich in der Freizeit im Atelier etwas aus ihnen machen kann. […] Es ist fast unmöglich an dem Gemälde weiterzuarbeiten. Ich mache Veränderungen an den Bildern und oft passiert es mir, dass oft eines, das passabel war, durch die Veränderung schlechter wurde. Niemand würde jemals die Schwierigkeiten erahnen, die ich durchmache, um mit so wenig zu enden.“
Die Themse-Ansichten zeigen London aus einer sehr limitierten Anzahl von Blickpunkten. Dennoch ist jedes der nahezu einhundert Gemälde eine Variation in Farben und Licht. In einigen Darstellungen der Charing Cross Bridge, wie jener des Art Institute Chicago, fügte Monet noch einen Streifen der Bahnstation Victoria Embankment unten rechts dazu. In anderen Versionen, wie jener des Baltimore Museum of Art, drehte Monet den Kopf etwas weiter nach links und ließ den Victoria Damm weg.
Am experimentellsten ging Claude Monet in den Bildern der Waterloo Bridge vor. Dieses Sujet muss ihn auch am intensivsten beschäftigt haben, ist es doch mit 41 Variationen am häufigsten dargestellt worden. Die längste Brücke Londons war 1811 errichtet worden und kann an ihren rhythmischen Pfeilerbögen leicht erkannt werden. Am gegenüberliegenden Flussufer tauchen Fabrikschlote und Türme auf. Monet entschied sich verschieden viele Bögen oder auch Rauchfänge in seine Bilder aufzunehmen und variierte auch hier die Blickpunkte.
Wenn Monet das neugotische Londoner Parlament [Houses of Parliament] malte, fügte er immer den 98,45 Meter hohen, rechteckigen Victoria Tower an der Südwestecke dazu. Je nachdem wie Monet seinen Blickpunkt veränderte, ließ er mehr oder weniger Türme von Westminster Palace ins Bild kommen. Das Parlament malte Monet am späten Nachmittag bzw. frühen Abend im Gegenlicht oder bei Sonnenuntergang. Die rasch wechselnden Wetter- und Lichtverhältnisse brachten ihn zuweilen an den Rand der Verzweiflung.
Während seines zweiten London Aufenthalts 1900 arbeitete Claude Monet vormittags in seinem Zimmer im Savoy und ging am späten Nachmittag über die Themse, um im St. Thomas’s Hospital die Arbeit an den Parlament-Bildern im Sonnenuntergang aufzunehmen. Der Maler litt besonders unter den wechselnden Wetter- und Nebelbedingungen. Daher entschied er sich, rohe Skizzen und Studien zu machen, die er dann in Giverny aus der Erinnerung aber in Ruhe zu vollenden dachte.
Die angefangenen Leinwände brachte Claude Monet in sein Atelier in Giverny, wo er bis Mai 1904 an ihnen weiterarbeitete. Als er Ende März 1903 in einem Brief an Paul Durand-Ruel über eine kommende Ausstellung nachdachte, schilderte er seine Situation dem Kunsthändler wie folgt:
„Ich kann Ihnen kein einziges Bild der London-Serie schicken, da es für die Arbeit, die ich mit vornehme, absolut notwendig ist, sie alle vor meinen Augen zu haben, und, um ehrlich zu sein, noch keines endgültig fertiggestellt ist. Ich arbeite gerade an ihnen allen, oder an einer Anzahl von ihnen, und weiß auch jetzt noch nicht, wie viele ich von ihnen ausstellen können werde, da das, was ich mache, sehr delikat ist.“3 (Claude Monet an Paul Durand-Ruel, 23.3.1903)
Seinem langjährigen Unterstützer, dem Kunstkritiker Gustave Geffroy, gestand er wenige Tage später:
„Mein Fehler war, sie überarbeiten zu wollen; man verliert so schnell einen guten Eindruck [impression] […] Diese Versuche und Anlagen hätten gezeigt werden können, aber nun, da ich alle von ihnen überarbeitet habe, muss ich um jeden Preis bis zum Schluss da durch.“
Es dauerte bis ins Frühjahr 1904, bis sich Claude Monet von den Leinwänden trennen konnte. Alle Werke dieser Serie zeigen unterschiedliche Grade der Überarbeitung. Es ist allerdings unmöglich, die genaue Zeit zu bestimmen, wann Monet jedes einzelne Bild bearbeitet hat. Wichtige Hinweise dazu geben naturwissenschaftliche Untersuchungen, die zum Teil nachweisen, dass Monet die Bilder noch bearbeitete, nachdem er sie bereits signiert hatte. In einigen Fällen signierte Monet die Werke ein zweites Mal. Er selbst gab 1899 bis 1905 als Entstehungszeitraum für einige Werke an. Der Katalog der Ausstellung von 1904 führt in den Untertiteln die sich ständig wandelnden Lichtstimmungen an: „Abendstimmung“, „Sonnenuntergang“, „Nebel am Morgen“, „Trübes Wetter“, „Sonne im Nebel“ usw. Die Beleuchtung erzeugt „Effekte“ oder auch „Stimmungen“, Eindrücke, die den Bildgegenstand auflösen.