Dagobert Peche

Wer war Dagobert Peche?

Dagobert Peche (Sankt Michael 3.4.1887–16.4.1923 Mödling) war ein österreichischer Künstler und galt als der phantasiebegabteste Vertreter der Wiener Werkstätte (WW). Peche absolvierte zwar eine Ausbildung zum Architekten, doch seine Karriere basierte auf seinem außergewöhnlichen Talent als Designer im Bereich der dekorativen Künste. Dagobert Peches Extravaganz, sein phantasievoller Eklektizismus, die formale Kühnheit, der Mut zur Verspieltheit und die Gabe, Gegensätze mit traumwandlerischer Sicherheit zu verbinden, machen ihn zum Erneuerer der dekorativen Künste nach dem Ersten Weltkrieg und Vorreiter der Postmoderne.

Kindheit

Dagobert Peche wurde 3. April 1887 in Sankt Michael im Lungau, Salzburg, geboren. Sein Vater Heinrich Peche war Notar und seine Mutter Ernestine (geb. Kainrath) kam aus dem slowenisch-sprachigen Kärnten; er hatte einen älteren Bruder namens Ernst. In den ersten Lebensjahren zog die Familie häufig um, da der Vater verschiedene Anstellungen hatte: Oberndorf an der Salzach, Neufelden und Kremsmünster (OÖ). Dagobert Peche besuchte die Realschule in Salzburg.

Ausbildung

Zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn war Peche der Malerei zugeneigt. Auf Wunsch seines Vaters jedoch studierte er von 1906 bis 1910 an der Technischen Hochschule bei Karl König (1841–1915), Karl Mayreder (1856–1935), Leopold Simony (1859–1929) sowie Max von Ferstel (1859–1936) und von 1908 bis 1911 an der Akademie der Bildenden Künste bei Friedrich Ohmann (1858–1927).

Obwohl Dagobert Peche zum Architekten ausgebildet worden war, galt seine Leidenschaft der Zeichnung. Dekor und Ornament hatten es ihm besonders angetan. Seine Vorbilder fand er zunächst im opulenten Barock, dann in der Wiener Secession und den ornamentalen Werken des englischen Grafikers Aubrey Beardsley (1872–1898). Eine Reise mit dem Architektenverein nach England 1910 ließ Peche möglicherweise auf Graphiken von Aubrey Beardsley aufmerksam werden, dessen Zeichenstil sein Frühwerk prägt. Dessen Schwarz-Weiß-Technik wurde für Peches weitere Entwicklung ausschlaggebend und ist in Klein- und Gelegenheitsgrafiken sichtbar.

Peches Werk wurde von 1909 bis 1911 im Magazin „Der Architekt“ veröffentlicht. Er lernte Petronella (Nelly) Daberkow im Jahr 1910 kennen und die beiden heirateten im folgenden Jahr, als er auch die Akademie abschloss.

Werke

Nach Abschluss des Studiums 1911 arbeitete er als Entwerfer unter anderem für die Vereinigte Wiener und Gmundner Keramik, Johann Backhausen & Söhne und die Wiener Porzellanmanufaktur Böck. 1911 wurde Peche mit der Goldenen Medaille sowie drei Preisen ausgezeichnet. Bei einem Geburtstagsbankett für den Architekten Otto Wagner, dem er die Grüße seines verhinderten Lehrers Ohmann ausrichtete, lernte Peche Josef Hoffmann (1870–1956) kennen, der ihn zur Mitarbeit in der WW einlud.

Dank des „Prix de Rome“, der ihm beim Abgang von der Akademie zugesprochen worden war, konnten Dagobert Peche und seine Frau 1912 zwei Monate in Paris zubringen. Dort wurde Peche mit dem zeitgenössischen französischen Geschmack konfrontiert und konnte gleichzeitig seine Auseinandersetzung mit historischen Stilen intensivieren: Er studierte im Louvre die französischen Möbel, die Teppiche und die Rokoko-Malerei um Antoine Watteau. So sollen ein kleine altfranzösischer Gobelin und ein Sessel Louis quinzes es ihm besonders angetan haben. Peches Umgang mit dem von ihm bevorzugten Formenvokabular des Rokoko und Klassizismus erfolgte in einer Weise, die die Bezüge noch erkennen lässt, zugleich aber etwas gänzlich Individuelles hervorbringt. Dies wird möglich durch ein freies, unkonventionelles, ironisierendes, aber nie respektloses Umgehen mit den Vorbildern, zu denen auch die religiöse Volkskunst als wichtige Quelle gehört. Im bewussten, intelligenten und schöpferischen Eklektizismus liegt eine der wesentlichen Qualitäten Dagobert Peches.

Der Verleger Alexander Koch (1860–1939) in Darmstadt, der Peches ungewöhnliche Begabung erkannt hatte, veröffentlichte Peches Entwürfe ab August 1913 in der Zeitschrift „Kunst und Dekoration“. Hier erwies sich Peche als jener Ornamentiker, der immer die geeignete Form fand und dem erstarrten Kunsthandwerk seiner Zeit neues Leben einflößte. Seine schöpferische Phantasie, die Zierform über Zweckform stellte, belebte alle kunstgewerblichen Teilgebiete und fand für jedes Material und jede Technik neue Möglichkeiten dekorativer Gestaltung: in Tapetenindustrie und Stoffdruck, in der Spitzenklöppelei und Stickerei durch ansprechende Stoffmuster und Farben. Auch Goldschmiedekunst und Elfenbeinschnitzerei, Spiegelrahmen und Möbelformen, Keramik und Metallwaren, Papierindustrie und Mode (sogenannte Ombré-Farben) wurden durch seine Formensprache beeinflusst. Nicht erhalten ist leider die von Peche selbst gestaltete Erdgeschosswohnung in der Neubaugasse 29, 1070 Wien (ab 1912, Holzstege in Weiß in den Fenstern, Wandmalerei mit einem Blumenbusch, Möbel, Geschirr nach eigenen Entwürfen).

Peches erste Ausstellungsbeteiligungen fanden 1913 im Museum für Kunst und Industrie (heute: MAK) und der Wiener Secession statt. Die Tapetenindustrie stellte ein Damen boudoir aus, und in der Winterschau der Secession, die „45. Sezessionsausstellung“ 1913, war er mit einem Empfangsraum vertreten. Peches Schrank für einen Empfangssalon aus Birnbaumholz (MAK, Wien) war vom Tischler Soulek gebaut worden.
Peche arbeitete als freischaffender Entwerfer für die Wiener Werkstätte – er fertigte unter anderem Textil- und Tapetendesigns. Seine originellen Tapetenentwürfe, die auf der „Tapetenausstellung des k.k. österreichischen Museum für Kunst und Industrie 1913“ zu sehen waren, lenkten die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihn. 1914 statte Dagobert Peche das Österreichische Haus auf der Werkbundausstellung in Köln mit seinen Teppichen, Gardinen und Tapeten aus: Seine Arbeiten dort machten den Designer und Kunsthandwerker auch in Deutschland bekannt. Peches Produktivität, und die künstlerische Gabe für vielfältiges Design in den unterschiedlichsten Sparten, waren bereits 1913 in einem Artikel eines Fachjournals betont worden:

„Um seinen Ideen Ausdruck zu geben, lebt er sich mit überraschender Leichtigkeit in allen Techniken ein. Für ihn scheint es keine Schwierigkeiten zu geben, aus ihm sprudelt der volle Strom […] Seine Phantasie hat tausend Hände, tausend Flügel, ist unbegrenzt in ihrem Wachstum.“

Peche begann, Entwürfe für Möbel, Glas, Schmuck, Spielzeug und andere Gegenstände beizusteuern. Im grafischen Bereich entwarf er Postkarten, aber auch Einladungskarten, Exlibris und Plakate. Seine Figuren, oft Putten, liegende Akte oder kostümierte Harlekinfiguren aus der Commedia dell'arte, posieren suggestiv, mit einem Hauch des Rokoko und tragen eine verspielte erotische Ladung. Peche entwarf auch Holzschnitte, die in die Modemappe „Mode Wien 1914/15“ aufgenommen wurden.

Während sein Engagement für die Wiener Werkstätte zunahm, lieferte Dagobert Peche auch Entwürfe für andere Firmen, darunter Johann Backhausen & Söhne (Textilien und Teppiche), Vereinigte Wiener & Gmundner Keramik (Keramik), Oskar Dietrich (Schmuck) und J. Soulek (Möbel), und Max Schmidt und Flammersheim & Steinmann (Tapeten).

Im Frühjahr 1914 zeigte Dagobert Peche Werke in beiden Sälen für Malerei im Österreichischen Pavillon in Rom, im Sommer war er auf der Werkbundausstellung in Köln vertreten. Letztere Schau präsentierte einen eigenen Raum von Peche (neben Räumen von Hoffmann und Strnad). Damit war die Entwicklung vom Grafiker Peche zum Entwerfer und Designer abgeschlossen.

Peche und die Wiener Werkstätte

Dagobert Peche schuf von 1915 bis 1923 fast 3000 Entwürfe für die Wiener Werkstätte, mit einer kurzen Unterbrechung durch die Einberufung zum Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg. Es gab kein Medium, kein Material, das er nicht mit seinen charakteristischen Dekoren versah: Stoffe für Wand, Boden, Möbel und Kleidung, Klöppel- und Spitzenarbeiten, Möbel, Tafelgeschirr und Vasen, Schmuck aus verschiedene Materialien, Bucheinbände, Papeterien, Grafiken.

Zur vollen Entfaltung gelangte Peches Talent erst, als er im Frühjahr 1915 als Mitarbeiter Josef Hoffmanns in die künstlerische Leitung der Wiener Werkstätte (WW) eintrat. Peche sollte die dort geplanten Künstlerwerkstätten der Stoffabteilung aufbauen und leiten. Der Designer wurde 1916 zum Kriegsdienst eingezogen, aber 1917 nach einer Blinddarmentzündung entlassen.

Seine Arbeiten in allen Bereichen der angewandten Kunst – Möbel, Metall, Keramik, Glas, Textil und Tapeten – bedeuten eine Abkehr vom programmatisch formulierten Ziel der Wiener Werkstätte, einfache Gebrauchsgegenstände zu erzeugen. Der rationale Zugang zum Objekt wird durch den emotionalen ersetzt. Diese Neudefinition des Funktionsbegriffes, die Sinnlichkeit und Gefühl als Funktionswerte einbezieht, stellt eine Verbindung zur Postmoderne des späten 20. Jahrhunderts her. Widersprüchlichkeit, Irritation, Spiel - all das bietet Peche als Alternative zur rein utilitären Lösung an. Gartenskulpturen aus Blech, Pyramiden aus Karton als Schmuckkästchen, durch Holzposamentrie zu Textil entstofflichte Möbel, Keramik, die wie aus Papier gefaltet oder aus Metall gebogen erscheint - derartige Freiheiten waren und sind nicht kompatibel mit der Auffassung, Kunsthandwerk habe zweckmäßig und materialgerecht zu sein.

Peche fand in der Grafik und in den Formen der Natur die notwendige Quelle und Inspiration für seine Entwürfe. Ein Leitmotiv seiner Arbeiten sind spitze Blätter. Die kapriziöse Anordnung, sowie das Negieren realer Größenverhältnisse der stilisierten Elemente kennzeichnen Peches „rokokohafte“ Gestaltung. Dadurch nahm deren Stil eine gänzlich neue Richtung. Bekannt wurde Peche für seine Liebe zu zweckbefreiten manieristisch-verspielten Objekten und Luxusgegenständen sowie seine kapriziöse Einfallskraft, die seinen Gestaltungen zugrunde lag. „Die geometrische Strenge wich einer verspielten, überbordenden Ornamentik, die Freude an den Dingen wurde über ihre Nutzbarkeit gestellt.“1

So schuf Peche 1916 ein kostbares Elfenbein-Diadem, umgesetzt von Bildhauermeister Friedrich Nerold. Der Kaufpreis von 600 Kronen machte es jedoch zu einem teuren „Ladenhüter“. Das Diadem fand erst bei der Auflösung der Wiener Werkstätte und der anschließenden Versteigerung seinen heutigen Besitzer.

Nach erfolgreicher Organisation der Wiener Mode-Ausstellung 1915/16, wurde er 1916 stellvertretender Direktor des Unternehmens und übernahm die Leitung der Zürcher Filiale der Wiener Werkstätte. Von 1917 bis 1919 befand er sich in Zürich, um dort die Filiale der Wiener Werkstätte nach eigenen Entwürfen zu realisieren. Dort führte er mehr Rhythmus und Bewegung einen Stilwandel ein; er reicherte seinen Blumen- und Blätterdekor an zu einer Verbindung von Körper und Pflanze (Daphne-Motiv), beeinflusst von Rokoko (Peche-Sternchen) und chinesischen Pinselzeichnungen. Abseits des Kriegsgeschehens und ausgestattet mit Material und Mitarbeiterinnen ist dies die Phase größter Produktivität, deren Ergebnisse auf der „Wiener Kunstschau 1920“ präsentiert wurden.

Ende 1919 kehrte Dagobert Peche in die Unternehmenszentrale nach Wien zurück und beteiligte sich erfolgreich an den Kunstausstellungen der Jahre 1920 und 1921. Zu seinen Ferialpraktikanten im Sommer 1920 gehörte der später berühmt gewordene Franz Hagenauer. Für die erstmals abgehaltene „Wiener internationale Messe“ (heute: Wiener Messe) schuf Peche den Ausstellungsstand der Wiener Werkstätten; die Warenmesse fand in den ehemaligen Hofstallungen statt (11.–17.9.1921, MQ Museumsquartier).2 1922 stellte er bei der Münchener Gewerbeschau seine bei Flammersheim & Steinmann in Köln entstandenen Tapetenentwürfe aus. Damit wurde er für die folgende Generation an Entwerfer:innen der Wiener Werkstätte stilprägend – von Kitty Rix-Ueno ().

Tod

Noch 1922 begann Peche zu kränkeln. Jahrelang war es ihm nicht möglich, für sich und seine Familie in Wien eine helle, trockene Wohnung zu finden. Freunde stellten ihm seiner Frau Petronella (1884–1965) und zwei Kindern in Mödling eine Wohnung bereit Peches Zustand verschlechterte sich schnell, und er verstarb am 16. April 1923 in Mödling kurz nach seinem 36. Geburtstag an einer Krebserkrankung. Dagobert Peche wurde am 20. April 1923 auf dem Hietzinger Friedhof bestattet (Gruppe 10, Nr. 81).

Ein halbes Jahr nach Peches Tod fand im Museum für Kunst und Industrie (heute: MAK) die erste Gedächtnis-Ausstellung für den einflussreichen Entwerfer statt.

„Dagobert Peche war das größte Ornamentgenie, das Österreich seit der Barocke besessen hat. [...] Ganz Deutschland ist durch Peche-Muster zu einer neuen Stilepoche gelangt.“ (Josef Hoffmann)

Literatur zu Dagobert Peche

  • Claudia Klein-Primavesi, Der Künstler Dagobert Peche und das Kind Melitta Primavesi, Wien 2004.
  • Eva Chrambach, Peche, Dagobert, in: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 20, Berlin 2001, S. 149 f.
  • Dagobert Peche, in: Adolf Haslinger (Hg.), Peter Mittermayr (Hg.), Rotraut Acker-Sutter (Mitarb.), Salzburger Kulturlexikon, Wien/Frankfurt am Main 2001.
  • Die Überwindung der Utilität. Dagobert Peche und die Wiener Werkstätte, hg. von Peter Noever (Ausst.-Kat. Museum für Angewandte Kunst, MAK Wien, 11.2.–17.5.1998), Ostfildern 1998.
  • Max Eisler, Dagobert Peche, Stuttgart 1992.
  • Alastair Duncan, Dagobert Peche, in: Encyclopedia of Art Deco, Sydney 1988, S. 137.
  • Jana Wisniewski, Dagobert Peche in der Zentralsparkasse: Luxuriöses und Geometrie, in: Arbeiter-Zeitung (26.1.1987), S. 29.
  • Nikolaus Schaffer, Dagobert Peche in seinen Zeichnungen 1887–1923 (Ausst.-Kat. Salzburger Museum Carolino Augusteum), Salzburg 1987 (Monografische Reihe zur Salzburger Kunst, Band 7).
  • Michael Martischnig, Biografie von Dagobert Peche.
  • H(einz) Schöny, Peche Dagobert, in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 7, Wien 1978, S. 383.
  • Hans Ankwicz-Kleehoven, Kleine Chronik. (…) Dagobert Peche †, in: Wiener Zeitung, Nr. 92/1923, 21. April 1923, S. 6.
  1. Anne-Katrin Rossberg, Felice Rix-Ueno. Einzigartige Künstlerin der Wiener Werkstätte, in: STERNE, FEDERN, QUASTEN. Die Wiener-Werkstätte-Künstlerin Felice Rix-Ueno (1893–1967), Herausgegeben von Lilli Hollein und Anne-Katrin Rossberg (Ausst.-Kat. MAK, Wien, 22.11.2023–21.4.2024), Basel 2024, S. 25–39, hier S. 28.
  2. Als zweiter Messestandort wurde bis 1937 die Rotunde im Prater verwendet.