Dagobert Peche
Wer war Dagobert Peche?
Dagobert Peche (Sankt Michael 3.4.1887–16.4.1923 Mödling) war ein österreichischer Künstler der Wiener Moderne und galt als der phantasiebegabteste Gestalter der Wiener Werkstätte (WW). Peche absolvierte zwar eine Ausbildung zum Architekten, doch seine Karriere basierte auf seinem außergewöhnlichen Talent als Designer im Bereich der dekorativen Künste. Dagobert Peches Extravaganz, sein phantasievoller Eklektizismus, die formale Kühnheit, der Mut zur Verspieltheit und die Gabe, Gegensätze mit traumwandlerischer Sicherheit zu verbinden, machen ihn zum Erneuerer der dekorativen Künste nach dem Ersten Weltkrieg und Vorreiter der Postmoderne.
Kindheit & Jugend
Dagobert Peche wurde am 3. April 1887 (Palmsonntag) in Sankt Michael im Lungau, Markt Nr. 10, Salzburg, geboren.1 Sein Vater Heinrich Peche (Karlovac 21.4.1849–16.1.1925 Freistadt) war k. k. Notar und seine Mutter Ernestine Caroline (geb. Kainrath; auch Kainrath, Graz 7.1.1855–16.7.1929 St. Lorenzen am Bacher/Sv. Lovrenc na Pohorju). Die gelernte Modistin kam aus dem slowenisch-sprachigen Kärnten. Eine berühmte Vorfahrin ist die Burgschauspielerin Therese Peche (Prag 12.10.1806–16.3.1882 Wien), nach der die Pechegasse in Wien-Meidling benannt ist.
Peche hatte drei Brüder, den akademischen Maler und Grafiker Ernst (St. Michael 22.11.1885–1.4.1945 Klosterneuburg), den Maschinenbauingenieur Otto (Oberndorf 28.8.1895–7.4.1971 Linz) und dem promovierten Chemiker Kuno (Oberndorf 10.5.1890–31.1.1962 Oberndorf).
In den ersten Lebensjahren zog die Familie häufig um, da der Vater verschiedene Anstellungen hatte: Oberndorf an der Salzach, Neufelden und Kremsmünster (OÖ). Dagobert Peche besuchte die Realschule (Volksschule) in Neufelden im Mühlviertel und in Freistadt.
Peche besuchte das Vorbereitungsjahr im Benediktiner-Gymnasium in Kremsmünster (1897/98). Ab 1898 besuchte er die k. k. Staats-Realschule in Salzburg; wohnhaft bei Baumeister Georg Eschlauer in der Haydnstraße 8. Einer seiner Mitschüler ab dem Schuljahr 1901/02 war der Textilproduzenten-Sohn Ernst Backhausen. Am 2. Juli 1906 legte er die Maturaprüfung ab.
„Man wird diese Beisteuer Salzburgs, das Blumige und das spielend Festliche, das erste Bekennen zu einem dem Ernst und der Schwere fremden, von mutwilliger Schönheit geschmückten und erleichterten Dasein, die fortwirkende Erinnerung an die Gärten von Mirabell im Werke Peches wiederfinden. Gerade auf diesem Knabenglück beruht der Grund seiner heiteren Männlichkeit.“2
Ausbildung
Zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn war Peche der Malerei zugeneigt. Da sein Bruder Ernst bereits als Maler ausgebildet wurde, studierte er auf Wunsch seines Vaters vom 5. Oktober 1906 bis zum 14. Juli 1909 an der Technischen Hochschule (heute TU Wien) Architektur. 1908 immatrikulierte sich Peche zusätzlich noch an der Akademie der bildenden Künste Wien; nach seinem Staatsexamen blieb er noch bis 1910 inskribiert.
Zu seinen Lehrern gehörten Carl König (1841–1915), Karl Mayreder (1856–1935), Leopold Simony (1859–1929) sowie Max von Ferstel (1859–1936) und von 1908 bis 1911 an der Akademie der Bildenden Künste Friedrich Ohmann (1858–1927). Karl Mayreder beurteilte ihn in architektonischer Formenlehre mit „sehr gut“, Eduard Veith in Freihand- und Aktzeichnen mit „sehr gut“, in Übung im Landschaftszeichnen und Aquarellieren mit „vorzüglich“ und Theodor Schmid in Geometrie mit „sehr gut“. Dagobert Peche wohnte während der Studienzeit in der Lerchenfelder Straße 50 (1907), in der Großen Neugasse 32 (1040) und in der Mariahilfer Straße 61/IV/18 (1060).3
1911 schloss Dagobert Peche das Studium an der Akademie ab; im Austrittszeugnis ist vermerkt:
„Herr Peche hat außerordentliche zeichnerische und formale Begabung, ist in allen seinen künstlerischen Äußerungen sehr interessant, selbständig und umbildend im Schaffen und gibt vermöge seines bestimmten Geschmackes und seiner dekorativen Begabung zu den besten Hoffnungen Anlass.“4
Obwohl Dagobert Peche zum Architekten ausgebildet worden war, galt seine Leidenschaft der Zeichnung. Dekor und Ornament hatten es ihm besonders angetan. Seine Vorbilder fand er zunächst im opulenten Barock, dann in der Wiener Secession und den ornamentalen Werken des englischen Grafikers Aubrey Beardsley (1872–1898). Eine Reise mit dem Architektenverein nach England 1910 ließ Peche möglicherweise auf Grafiken von Aubrey Beardsley aufmerksam werden, dessen Zeichenstil sein Frühwerk prägt. Dessen Schwarz-Weiß-Technik wurde für Peches weitere Entwicklung ausschlaggebend und ist in Klein- und Gelegenheitsgrafiken sichtbar.
Peches Werk wurde von 1909 bis 1911 im Magazin „Der Architekt“ veröffentlicht. Weitere Zeichnungen entstanden für den „Wachauer Almanach 1910“, herausgegeben vom Akademischen Architektenverein anlässlich seines 30-jährigen Bestehens.
Werke
Mitarbeiter im Atelier von Friedrich Ohmann
Dagobert Peche arbeitete im Atelier von Friedrich Ohmann mit und zeichnete die Entwürfe für dessen Hochaltar in Aggsbach sowie die Portalgestaltung des Kaufhauses Zwieback (Wien 1, Kärntner Straße 11).5
Er erhielt in diesem Jahr den Friedrich-Schmidt-Preis in Höhe von 120 Kronen, den Professor-Ohmann-Preis in Höhe von 200 Kronen sowie die Goldene Medaille des Füger-Preises für die beste Lösung der Aufgabe, die da lautete:
„Anlässlich der Fertigstellung der Alpenbahnen soll an der Felswand des Mönchsberges in Salzburg eine weithin sichtbare Gedenktafel monumentalster Art angebracht werden.“6
Während einer Reise nach England mit dem Architektenverein, sah Peche vielleicht erstmals Grafiken von Aubrey Beardsley, dessen Zeichenstil sein Frühwerk prägte.7
Ehe
Im Herbst 1910 lernte Peche Petronella (Nelly) Emilie Karoline Daberkow (9.1.1884-12.6.1965) bei seinem ehemaligen Schulfreund Ernst Backhausen in Hoheneich kennen. Sie war die Tochter des Verlagsbuchhändlers Theodor Daberkow und seiner Frau Sidonie Karoline (geb. Spiler). Das Paar heiratete am 30. Mai 1911 in der evangelischen Stadtkirche. Wegen seines Schwiegervaters, der Mitglied des Kirchenvorstandes war, war Peche zuvor zum evangelischen Glauben übergetreten.
Das Paar hatte zwei Töchter:
- Doris (12.11.1912–27.3.1991)
- Viola (10.5.1920–24.11.1984)
Beginn der Karriere als Innengestalter
Im Jahr 1911 wurde Peche mit der Goldenen Medaille sowie drei Preisen ausgezeichnet. Bei einem Geburtstagsbankett für den Architekten Otto Wagner im Juli 1911, dem er die Grüße seines verhinderten Lehrers Ohmann ausrichtete, lernte Peche Josef Hoffmann (1870–1956) kennen, der ihn zur Mitarbeit in der Wiener Werkstätte einlud.
„Vorläufig war der Erfolg dieses Zusammentreffens allerdings nur bescheiden. Hoffmann hatte im Gespräch von ungefähr gemeint, er hoffe, bald etwas von Peche zu sehen. Das genügte, um den Künstler in einen Glückstaumel zu versetzen. [I]m Nu war eine echte „Peche Schachtel“ voll köstlicher Einfälle fertig. Sie fand das Gefallen des Meisters, es lag nicht an ihm, daß nur weniges davon ausgeführt wurde. Aber jetzt kamen auch von anderer Seite Aufträge.“8
Nach Abschluss des Studiums 1911 arbeitete Peche als Entwerfer unter anderem für die Stoffabteilung der Wiener Werkstätte9 (WW), Vereinigte Wiener und Gmundner Keramik10, Johann Backhausen & Söhne und die Wiener Porzellanmanufaktur Böck.
Paris & Darmstadt
Dank des „Prix de Rome“, dotiert mit 3.300 Kronen (€ 22.862,27 im Jahr 2023), der ihm beim Abgang von der Akademie allerdings nur zur Hälfte zugesprochen worden war, konnten Dagobert Peche und seine Frau im Februar/März 1912 zwei Monate in Paris zubringen. Dort wurde Peche mit dem zeitgenössischen französischen Geschmack konfrontiert und konnte gleichzeitig seine Auseinandersetzung mit historischen Stilen intensivieren: Er studierte im Louvre französische Möbel, Teppiche und Rokoko-Malerei um Antoine Watteau. So sollen ein kleine altfranzösischer Gobelin und ein Sessel im Louis quinze-Stil es ihm besonders angetan haben.11 Peches Umgang mit dem von ihm bevorzugten Formenvokabular des Rokoko und Klassizismus erfolgte in einer Weise, die die Bezüge noch erkennen lässt, zugleich aber etwas gänzlich Individuelles hervorbringt. Dies wird möglich durch ein freies, unkonventionelles, ironisierendes, aber nie respektloses Umgehen mit den Vorbildern, zu denen auch die religiöse Volkskunst als wichtige Quelle gehört. Im bewussten, intelligenten und schöpferischen Eklektizismus liegt eine der wesentlichen Qualitäten Dagobert Peches.
Der Verleger Alexander Koch (1860–1939) in Darmstadt, den Peche auf seiner Rückreise im März 1912 aufsuchte und der die ungewöhnliche Begabung erkannt hatte, veröffentlichte Peches Entwürfe ab August 1913 in der Zeitschrift „Kunst und Dekoration“: Auszüge aus den Schwarz-Weiß-Gold-Zyklen „Liebe und Tand“, „Die Schatulle“ und „Die Puderquaste“ mit Keramiken, Interieurs und Stoffen. Hier erwies sich Peche als jener Ornamentiker, der immer die geeignete Form fand und dem erstarrten Kunsthandwerk seiner Zeit neues Leben einflößte. Seine schöpferische Phantasie, die Zierform über Zweckform stellte, belebte alle kunstgewerblichen Teilgebiete und fand für jedes Material und jede Technik neue Möglichkeiten dekorativer Gestaltung: in Tapetenindustrie und Stoffdruck, in der Spitzenklöppelei und Stickerei durch ansprechende Stoffmuster und Farben. Auch Goldschmiedekunst und Elfenbeinschnitzerei, Spiegelrahmen und Möbelformen, Keramik und Metallwaren, Papierindustrie und Mode (sogenannte Ombré-Farben) wurden durch seine Formensprache beeinflusst. Nicht erhalten ist leider die von Peche selbst gestaltete Erdgeschosswohnung in der Neubaugasse 29, 1070 Wien (ab 1912, Holzstege in Weiß in den Fenstern, Wandmalerei mit einem Blumenbusch, Möbel, Geschirr nach eigenen Entwürfen).
Erfindungsreicher Entwerfer der Wiener Moderne
Im Jahr 1913 begann Dagobert Peche seine Karriere als Architekt (selten), Innengestalter und Entwerfer. Zu seinen ersten Arbeiten gehörte ein Interieur für Alfred Hofmann, Direktor der österreichischen Linkrusta-Werke12 sowie die Einrichtung des Verkaufslokals der Firma Wiktorin & Co. am Graben im neu errichteten Trattnerhof.
Peches erste Ausstellungsbeteiligungen fanden 1913 im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie (ÖMKI, heute: MAK) und der Wiener Secession statt. Die Tapetenindustrie stellte ein Damenboudoir aus, und in der Winterschau der Secession, die „45. Sezessionsausstellung“ im Jahr 1913, war er mit einem Empfangsraum vertreten. Peches Schrank für einen Empfangssalon aus Birnbaumholz (MAK, Wien) war vom Tischler Soulek gebaut worden.
Dagobert Peche arbeitete Anfang der 1910er Jahre als freischaffender Entwerfer für die Wiener Werkstätte – er fertigte unter anderem Textil- und Tapetendesigns. Seine originellen Tapetenentwürfe, die auf der „Tapetenausstellung des k.k. österreichischen Museum für Kunst und Industrie 1913“ (ÖMKI) zu sehen waren, lenkten die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihn. 1914 stattete Dagobert Peche das Österreichische Haus auf der Werkbundausstellung in Köln mit seinen Teppichen, Gardinen und Tapeten aus: Seine Arbeiten dort machten den Designer und Kunsthandwerker neben Publikationen auch in Deutschland bekannt. Peches Produktivität, und die künstlerische Gabe für vielfältiges Design in den unterschiedlichsten Sparten, waren bereits 1913 in einem Artikel eines Fachjournals betont worden:
„Um seinen Ideen Ausdruck zu geben, lebt er sich mit überraschender Leichtigkeit in allen Techniken ein. Für ihn scheint es keine Schwierigkeiten zu geben, aus ihm sprudelt der volle Strom […] Seine Phantasie hat tausend Hände, tausend Flügel, ist unbegrenzt in ihrem Wachstum.“
Peche begann nun auch Möbel, Glas, Schmuck, Spielzeug und andere Gegenstände zu entwerfen. Im grafischen Bereich schuf er Postkarten, aber auch Einladungskarten, Exlibris und Plakate. Seine Figuren, oft Putten, liegende Akte oder kostümierte Harlekine aus der Commedia dell'arte, posieren suggestiv, mit einem Hauch von Rokoko und einer spielerischen erotischen Aufladung. Peche schuf auch Linolschnitte, die in die Modemappe „Mode Wien 1914/15“ aufgenommen wurden.13 Der Künstler war mit sieben Darstellungen vertreten.
Während sein Engagement für die Wiener Werkstätte zunahm, lieferte Dagobert Peche auch Entwürfe für andere Firmen, darunter Johann Backhausen & Söhne (Textilien und Teppiche), Vereinigte Wiener & Gmundner Keramik (Keramik), Oskar Dietrich (Schmuck) und J. Soulek (Möbel), und Max Schmidt bzw. Flammersheim & Steinmann (Tapeten).
Im Frühjahr 1914 gestaltete Dagobert Peche die beiden Säle für Malerei im Österreichischen Pavillon in Rom, im Sommer war er auf der Werkbundausstellung in Köln vertreten. Letztere Schau präsentierte einen eigenen Raum von Peche (neben Räumen von Hoffmann und Strnad). Damit war die Entwicklung vom Grafiker Peche zum Entwerfer und Designer abgeschlossen.
Erster Weltkrieg
„Der Kriegsausbruch überraschte [Peche] in der Sommerfrische in Gars am Kamp; als er nach Wien zurückkehrte, wollte sich durch Wochen kein Auftrag einstellen, in seiner Verzweiflung begann er seine Wohnung [...] auszumalen. Die phantastische Dekoration des Mittelzimmers – weiße Buketts auf schwarzem Grunde – ist noch erhalten und besitzt als erster Versuch eines neuen künstlerischen Wandschmuckes eine bestimmte historische Bedeutung.“14
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges traf Dagobert Peche in mehrfacher Hinsicht unvorbereitet. Seine finanzielle Situation verschlechterte sich drastisch, da er bis dahin ausschließlich von privaten Aufträgen gelebt hatte. Diese blieben nun aus.
Der Designer wurde im Oktober 1916 zum Kriegsdienst nach Brünn einberufen, erkrankte dort aber an einer Blinddarmentzündung. Nach seiner Genesung wurde Peche einem Militärbauamt in Bruck a. d. Leitha zugeteilt. Durch das Eingreifen des WW konnte Peche am Palmsonntag 1917 aus dem Militärdienst ausscheiden.
Dagobert Peche und die Wiener Werkstätte
Josef Hoffmann lud Dagobert Peche im Frühjahr 1915 ein, als sein Mitarbeiter in die künstlerische Leitung der Wiener Werkstätte einzutreten.15 Peche sollte die dort geplanten Künstlerwerkstätten der Stoffabteilung aufbauen und leiten.
Rasch begann er, den Stil der WW immer mehr zu prägen, denn Peche schuf von Frühjahr 1915 bis Frühjahr 1923 fast 3000 Entwürfe für die Wiener Werkstätte. Es gab kein Medium, kein Material, das er nicht mit seinen charakteristischen Dekoren versah: Stoffe für Wand, Teppiche für Boden, Möbel und Kleidung, Klöppel- und Spitzenarbeiten, Möbel, Tafelgeschirr und Vasen, Schmuck aus verschiedene Materialien, Bucheinbände, Papeterien, Grafiken.
Im Dezember 1915 war Dagobert Peche an der Modeausstellung im ÖMKI beteiligt. Zum ersten Mal war er für die gesamte Ausstellungsgestaltung verantwortlich. Einem niedrigen, mit der schwarz-weißen Tapete „Rom“ ausgekleideten Vitrinenumgang stellte er zwei hohe, großzügige Räume - den weiß-hellroten Mittelsaal und ein gelbgrünes Boudoir - gegenüber.
Seine Arbeiten in allen Bereichen der angewandten Kunst – Möbel, Metall, Keramik, Glas, Textil und Tapeten – bedeuten eine Abkehr vom programmatisch formulierten Ziel der Wiener Werkstätte, einfache Gebrauchsgegenstände zu erzeugen. Der rationale Zugang zum Objekt wird durch den emotionalen ersetzt. Diese Neudefinition des Funktionsbegriffes, die Sinnlichkeit und Gefühl als Funktionswerte einbezieht, stellt eine Verbindung zur Postmoderne des späten 20. Jahrhunderts her. Widersprüchlichkeit, Irritation, Spiel - all das bietet Peche als Alternative zur rein utilitären Lösung an. Gartenskulpturen aus Blech, Pyramiden aus Karton als Schmuckkästchen, durch Holzposamentrie zu Textil entstofflichte Möbel, Keramik, die wie aus Papier gefaltet oder aus Metall gebogen erscheint - derartige Freiheiten waren und sind nicht kompatibel mit der Auffassung, Kunsthandwerk habe zweckmäßig und materialgerecht zu sein.
Peche fand in der Grafik und in den Formen der Natur die notwendige Quelle und Inspiration für seine Entwürfe. Ein Leitmotiv seiner Arbeiten sind spitze Blätter. Die kapriziöse Anordnung, sowie das Negieren realer Größenverhältnisse der stilisierten Elemente kennzeichnen Peches „rokokohafte“ Gestaltung. Dadurch nahm deren Stil eine gänzlich neue Richtung. Bekannt wurde Peche für seine Liebe zu zweckbefreiten manieristisch-verspielten Objekten und Luxusgegenständen sowie seine kapriziöse Einfallskraft, die seinen Gestaltungen zugrunde lag. „Die geometrische Strenge wich einer verspielten, überbordenden Ornamentik, die Freude an den Dingen wurde über ihre Nutzbarkeit gestellt.“16
So schuf Peche 1916 ein kostbares Elfenbein-Diadem, umgesetzt von Bildhauermeister Friedrich Nerold. Der Kaufpreis von 600 Kronen machte es jedoch zu einem teuren „Ladenhüter“. Das Diadem fand erst bei der Auflösung der Wiener Werkstätte und der anschließenden Versteigerung seinen heutigen Besitzer.
Zürich
Nach erfolgreicher Organisation der Wiener Mode-Ausstellung 1915/16, gestaltete Peche 1916 einer Filiale der Gmundner Keramik am Kaiser-Ferdinand-Platz in Bad Ischl.17 Ebenfalls im ersten Halbjahr gestaltete er das WW-Geschäft am Graben 15 mit großflächigen Wand- und Deckenmalereien um. Damit beeinflusste Peche die Ausstattung der WW-Filiale in der Kärntner Straße 32, die zwei Jahre später u. a. Felice Rix und Hilda Jesser verantworteten.
1916 wurde Dagobert Peche stellvertretender Betriebsleiter und übernahm - nach seinem kurzen Kriegsdienst (Oktober 1916/Ostern 1917) - die Leitung der Zürcher Filiale der Wiener Werkstätte. Von 1917 bis 1919 lebte der Designer in Zürich, um dort die Filiale der Wiener Werkstätte nach eigenen Entwürfen zu realisieren. Neben dem Geschäft für Mode, Stoffe und Architektur an der Bahnhofstrasse 1 befand sich das eigentliche Verkaufslokal an der Bahnhofstrasse 12. Peche entwarf für das eine Geschäft Büromöbel, für das andere die gesamte Einrichtung.
Dort führte er durch mehr Rhythmus und Bewegung einen Stilwandel ein; er reicherte seinen Blumen- und Blätterdekor an zu einer Verbindung von Körper und Pflanze (Daphne-Motiv), beeinflusst von Rokoko (Peche-Sternchen) und chinesischen Pinselzeichnungen. Abseits des Kriegsgeschehens und ausgestattet mit Material und Mitarbeiterinnen ist dies die Phase größter Produktivität, deren Ergebnisse auf der „Wiener Kunstschau 1920“ präsentiert wurden.
Neuanfang in Wien
Ende 1919 kehrte Dagobert Peche in die Unternehmenszentrale nach Wien zurück und bewohnte mit seiner Familie allerdings eine baufällige Wohnung im 13. Wiener Gemeindebezirk, Erzbischofgasse 8. Zu Peches Ferialpraktikanten im Sommer 1920 gehörte der später berühmt gewordene Franz Hagenauer.
Peche beteiligte sich an der „Kunstschau“ des ÖMKI in den Jahren 1920 und 1921. Vor allem 1920 musste der erfolgsverwöhnte Künstler harsche Kritik für seine Arbeiten einstecken. Sein Plakatmotiv für die von der Gemeinde Wien veranstalteten Meisteraufführungen Wiener Musik (26. Mai bis 13. Juni 1920) - ein Frauenkopf mit ausgeprägtem Hals - wurde von der Presse verspottet. Auf der „Kunstschau“ im ÖMKI (Juni bis September 1920) zeigte Peche unter anderem eine silberne Kassette mit einer Rehfigur als Aufsatz und riesige Schränke - Arbeiten, die bei der Kritik ebenfalls erstmals auf Unverständnis stießen.18 Nach Weltkrieg und Revolution sehnte sich das Publikum offenbar nach nützlichen Möbeln und Gestaltungen.19 Für beides stand Dagobert Peches Name nicht:
„Peches Arbeiten fehlt die eine Hauptkomponente alles kunstgewerblichen Schaffens: die schlichte Erfassung der profanen Zwecknotwendigkeiten und ihre künstlerische Formung. Und damit das Gesunde, die lebendige Kraft des Natürlichen. Peches Phantasie nimmt das Kunstgewerbe als Kunstwerk und verliert das stärkste Regulativ: die unbedingte Einstellung auf den praktischen Ausgangspunkt aller kunstgewerblichen Produktion.“20
Seine Publikation „Stickerei- und Spitzen-Rundschau“ (Heft 1-2) mit einer großen Anzahl von modernen Spitzen und Perl- und Seidenbeuteln erfuhr ebenso große Ablehnung, wenn ein Autor meint: „Ein Künstler, der gewiss draußen mehr Verständnis für seine bizarre Begabung findet als hier.“21 Wenn der Autor „jeder Frau“ empfahl, „diese absolut künstlerische und anregende, über die wichtigsten kunstgewerblichen und industriellen Neuheiten berichtenden Zeitschrift“ zu lesen, dann wegen der enthaltenen Entwürfe von Oskar O. Treichel (Berlin), Nelly Brabetz, Maria Rickert usw.
Im März und erneut im November 1921 hielt sich Dagobert Peche in Köln auf, um im Auftrag der WW Tapeten zu entwerfen, die von Flammersheim & Steinmann ausgeführt werden sollen. Er selbst war von der Einzigartigkeit seiner Entwürfe überzeugt. Die Ergebnisse wurden 1922 teilweise in der Zeitschrift „Deutsche Kunst und Dekoration“ publiziert.22
In der ersten Aprilhälfte 1921 nahm er noch an der Messe im neuen Frankfurter Pavillon teil. Der Moderaum in dem von Häusler konzipierten Ausstellungshaus der WW wurde mit Mobiliar aus der aufgelassenen Filiale Zürich eingerichtet.
Für die erstmals abgehaltene „Wiener internationale Messe“ (heute: Wiener Messe) schuf Peche den Ausstellungsstand der Wiener Werkstätten; die Warenmesse fand in den ehemaligen Hofstallungen statt (11.–17.9.1921, MQ Museumsquartier).23 1922 stellte er bei der Münchener Gewerbeschau seine bei Flammersheim & Steinmann in Köln entstandenen Tapetenentwürfe aus. Damit wurde er für die folgende Generation an Entwerfer:innen der Wiener Werkstätte stilprägend – von Felice Rix-Ueno (→ Wien | MAK: Felice Rix-Ueno).
Zu den letzten bedeutenden Werken von Dagobert Peche gehören die Interieurs für Wolko Gartenberg in Wien 1., Reichsratsstraße 17 (Wohn-, Arbeits- und Speisezimmer) sowie die Wohnung Artur Gartenberg in Wien 4., Wohllebengasse 7:
„Ausgesuchte, zu kühnen Mustern geordnete Maserungen breiten einen sensationellen Glanz über die Holzmöbel und geben mit den in kühlen, dunklen Tönen zartabgestuften gestreiften Überzugflächen einen prunkvollen Effekt. Ausgelassene Formlaune hat sich hier in einer Übertreibung des prächtigen Holzes gefallen, in einer Elefantiasis von Stuhlbeinen, massiv genug, um das Gewicht von Golem-Menschen zu tragen.“24
Der in New York ansässige Joseph Urban bat Dagobert Peche, für ihn in Amerika zwei Silberleuchter zu entwerfen, da er unbedingt ein Original besitzen wollte. Um die Jahreswende 1921/22 fühlte sich Peche dennoch unruhig und unzufrieden. Er verfasste ein Manuskript, das er „Der brennende Dornbusch“ nennen wollte. Es enthält Äußerungen zu seiner eigenen Kunstauffassung, Reflexionen über die Kunst Josef Hoffmanns und Vorschläge zur Reform der WW.25
Mitgliedschaften
- 1913: ordentliches Mitglied der Gesellschaft österreichischer Architekten
Krankheit & Tod
Im September 1922 wurde bei Dagobert Peche ein spezifischer Lungenspitzenkatarrh, ein typisches Krankheitsbild der Tuberkulose in einem frühen Stadium, disgnostiziert. Der Künstler soll eine Liegekur im Sanatorium Aflenz machen; finanzieren ließe sich das durch den Dollarfonds von Urban und amerikanischen Freunden, den sogenannten Klimt-Hoffmann-Fonds. Jahrelang war es ihm nicht möglich, für sich und seine Familie in Wien eine helle und trockene Wohnung zu finden, was als Ursache für seine Erkrankung erkannt wurde. Es folgten mehrere Aufenthalte in zwei Sanatorien: Aflenz, Sanatorium der
Wiener Kaufmannschaft Am Hofacker (21.9.-15.11.1922) und Kuranstalt Priessnitztal Mödling (14.–22.11.1922).
Freunde wie Joseph Urban vermittelten ihm, seiner Frau Petronella (1884–1965) und den beiden Kindern noch eine Wohnung in Mödling. Peches Gesundheitszustand verschlechterte sich jedoch rasch, und er starb am 16. April 1923 in Mödling kurz nach seinem 36. Geburtstag an Krebs. Dagobert Peche wurde am 20. April 1923 auf dem Hietzinger Friedhof beigesetzt (Gruppe 10, Nr. 81).
„Plötzlich sagt er mir: 'Peche ist heute Nacht gestorben.' Und dann fährt er nach einer Weile fort: 'Nicht einmal alle hundert Jahre, alle dreihundert Jahre ein mal vielleicht nur, wird einem Land ein solches Genie geboren. Dagobert Peche war das größte Ornamentgenie, das Österreich seit der Barocke besessen hat. [...] Ganz Deutschland ist durch Peche Muster zu einer neuen Stilepoche gelangt.'“26 (Berta Zuckerkandl, Erinnerung an Dagobert Peche, 1923)
Ein halbes Jahr nach Peches Tod fand im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie (heute: MAK) die erste Gedächtnis-Ausstellung für den einflussreichen Entwerfer statt (September–November 1923). 1925 erschien bei Gerlach & Wiedling die Peche-Biografie von Max Eisler.
Literatur zu Dagobert Peche
- PECHE POP. Dagobert Peche und seine Spuren in der Gegenwart (Ausst.-Kat. MAK, Wien, 11.12.2024–11.5.2025), Köln / Wien 2025.
- Poesie des Ornaments. Das Backhausen-Archiv, hg. v. Ursula Oswald-Graf, Aline Marion Steinwender und Hans-Peter Wipplinger (Ausst.-Kat. Leopold Museum, Wien, 13.11.2024–9.3.2025), Wien 2024.
- Claudia Klein-Primavesi, Der Künstler Dagobert Peche und das Kind Melitta Primavesi, Wien 2004.
- Eva Chrambach, Peche, Dagobert, in: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 20, Berlin 2001, S. 149 f.
- Dagobert Peche, in: Adolf Haslinger (Hg.), Peter Mittermayr (Hg.), Rotraut Acker-Sutter (Mitarb.), Salzburger Kulturlexikon, Wien/Frankfurt am Main 2001.
- Die Überwindung der Utilität. Dagobert Peche und die Wiener Werkstätte, hg. von Peter Noever (Ausst.-Kat. Museum für Angewandte Kunst, MAK Wien, 11.2.–17.5.1998), Ostfildern 1998.
- Max Eisler, Dagobert Peche, Stuttgart 1992.
- Alastair Duncan, Dagobert Peche, in: Encyclopedia of Art Deco, Sydney 1988, S. 137.
- Jana Wisniewski, Dagobert Peche in der Zentralsparkasse: Luxuriöses und Geometrie, in: Arbeiter-Zeitung (26.1.1987), S. 29.
- Nikolaus Schaffer, Dagobert Peche in seinen Zeichnungen 1887–1923 (Ausst.-Kat. Salzburger Museum Carolino Augusteum), Salzburg 1987 (Monografische Reihe zur Salzburger Kunst, Band 7).
- Michael Martischnig, Biografie von Dagobert Peche.
- H(einz) Schöny, Peche Dagobert, in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 7, Wien 1978, S. 383.
- Hans Ankwicz-Kleehoven, Dagobert Peche, in: Ausstellung von Arbeiten des modernen österreichischen Kunsthandwerks. Dagobert Peches Gedächtnisausstellung September – November 1923, Wien, 1923, S. 25–35.
- Hans Ankwicz-Kleehoven, Kleine Chronik. (…) Dagobert Peche †, in: Wiener Zeitung, Nr. 92/1923, 21. April 1923, S. 6.
Beiträge zu Dagobert Peche
- Dieser Beitrag beruht auf: Anne-Katrin Rossberg, Wer ist Peche?, in: Überwindung der Utilität. Dagobert Peche und die Wiener
Werkstätte (Ausst.-Kat. MAK, Wien, 11.2.1998–17.5.1998), Wien 1998. - Max Eisler, Dagobert Peche, in: Dekorative Kunst, 19 (1915/16), S. 401.
- Matrikelschein Nr. 129, 1906/07–1909/10, Archiv der TU Wien.
- Zeugnisprotokoll 13 (1903–1930), 127 „P“, Universitätsarchiv Akademie der bildenden Künste, Wien.
- Vgl. Kat.-Nr. 237 (Entwurf Aggsbach), in: Die Überwindung der Utilität, Dagobert Peche und die Wiener Werkstätte, hg. v. Peter Noever (Ausst.-Kat. MAK, Wien), Ostfildern 1998, S. 279, S. 351.
- „Preiszuerkennung an der Akademie der bildenden Künste“, in: Neue Freie Presse, 10.7.1910, 14 f.
- Hanna Egger, Inspirationen aus dem Grotesken und der Groteske. Peche zwischen Beardsley und Barock, in: Peche 1998, 37.
- Max Eisler, Dagobert Peche, Wien/Leipzig 1925, 19.
- Die WW-Musterbüchern dieser Zeit verzeichnen beliebte Stoffmuster wie Blumenhorn, Gletscherblume, Marina, Kardinal, Rosengarten und Schwalbenschwanz.
- Die Freundschaft mit dem Besitzer der Manufaktur, Franz Schleiss, hielt bis an Peches Lebensende. Zahlreiche Briefe haben sich erhalten. Quelle: MAK, Inv.-Nr. WWDIV 59.
- Siehe: Eisler 1925, S. 13.
- Linkrusta ist ein linoleumähnliches Material, aus dem vor allem Prägetapeten zu Wandverkleidungen hergestellt wurden und werden, das 1877 in den Markt eingeführt wurde.
- Das grafische Mappenwerk „Mode Wien 1914/15“ wurde von zahlreichen WW-Künstler:innen gestaltet. Es erschien im Verlag Eduard Kosmack.
- Hans Ankwicz-Kleehoven, Dagobert Peche, in: Neue Österreichische Biographie, Bd. 8, Wien 1935, S. 107.
- Hans Ankwicz-Kleehoven, Dagobert Peche, in: Ausstellung von Arbeiten des modernen österreichischen Kunsthandwerks. Dagobert Peches Gedächtnisausstellung September – November 1923, Wien, 1923, S. 25–35, hier S. 30.
- Anne-Katrin Rossberg, Felice Rix-Ueno. Einzigartige Künstlerin der Wiener Werkstätte, in: STERNE, FEDERN, QUASTEN. Die Wiener-Werkstätte-Künstlerin Felice Rix-Ueno (1893–1967), Herausgegeben von Lilli Hollein und Anne-Katrin Rossberg (Ausst.-Kat. MAK, Wien, 22.11.2023–21.4.2024), Basel 2024, S. 25–39, hier S. 28.
- N. N., Gmundner Keramik, in: Wiener Zeitung (1.9.1916) S. 2; Siehe: Peche Pop 2024, S. 288.
- Die Rehfigur wurde 2024 für eine halbe Million Euro verkauft. Positive Resonanz erhielt Dagobert Peche von seinem späteren Biografen Max Eisler in: Max Eisler, Kunstschau 1920, in: Moderne Welt, Heft 5 (1920), S. 4–7, v. a. S. 6.
- Siehe: Dr. V. Tr., Kunstschau 1920, in: Reichspost, Nr. 200 (22.7.1920) S. 8.
- A. P., Oesterreichische Kunstschau. Das Kunstgewerbe, in: Wiener Mittag (1.7.1920).
- N. N., Neuerschienene Kunstzeitschriften, in: Moderne Welt, Heft 8 (1920), S. 22.
- Hans Schiebelhuth, Tapeten der Wiener Werkstätte, in: Deutsche Kunst und Dekoration (50) 1922, S. 169–174. Abgebildet sind die Muster Der Spitz, Narcissus, Ranke und Tulpen.
- Als zweiter Messestandort wurde bis 1937 die Rotunde im Prater verwendet.
- N. N., Dreadnoughtsofa und Wälzraum. Zur Kunstgewerbe-Ausstellung, in: Volkszeitung (22.10.1923); zit. n. Peche Pop 2024, S. 292.
- MAK, KI 15256. Transkription abgedruckt in: Noever 1998, S. 169–191.
- Berta Zuckerkandl, Erinnerung an Dagobert Peche, in: Neues Wiener Journal, 19.4.1923, S. 5.