Edgar Degas, Tänzerin in Ruhestellung, um 1882/1885, Bronze, H. 45,5 cm (Von der Heydt-Museum Wuppertal) & Tänzerinnen (im Hintergrund), 1900–1905 (Von der Heydt-Museum Wuppertal Foto: Medienzentrum/Antje Zeis-Loi)
Degas Skulptur mit Werken von Auguste Rodin zu vergleichen, klingt erstmal wie ein Sakrileg. Doch dem Von der Heydt Museum Wuppertal gelingt eine überraschend aufschlussreiche Gegenüberstellung, die vor allem Degas' Skulpturen einer Neubewertung unterzieht.
Edgar Degas (1834–1917) und Auguste Rodin (1840–1917) revolutionierten beide auf ihre Weise die Kunst des späten 19. Jahrhunderts; beide verstarben 1917. Der Maler, Druckgrafiker und Plastiker Degas wählte moderne Motive, setzte einen fotografischen Blick ein und dachte über das moderne Großstadtsubjekt nach. Rodin stieg aufgrund seiner Themenwahl, der neuartigen Oberflächengestaltung und seiner revolutionären Auffassung des Denkmals ab 1880 zum Bildhauerfürsten Europas auf. Beide reflektierten den Prozess des Kunstmachens genauso wie ihre unterschiedlichen sozialen Rollen innerhalb des Kunstzirkels. Wie gut sie einander kannten, lässt sich aufgrund fehlender Dokumente nicht mehr bestimmen. Degas und Rodin einer gemeinsamen Schau zu vereinen, fokussiert damit weder auf die wenig bekannten Plastiken Degas‘ im Vergleich zu den weltberühmten Bronzeskulpturen Rodins noch auf einen Motivvergleich, sondern zielt auf einen Vergleich beider Lebenshaltungen und Werke, um schlussendlich der Konstruktion der modernen Kunst auf die Spur zu kommen.
Deutschland | Wuppertal: Von der Heydt Museum
25.10.2016 – 26.2.2017
Wenig verbindet Herkunft, kulturellen Hintergrund, Ausbildung und finanziellen Möglichkeiten von Edgar Degas (1834–1917) und Auguste Rodin (1840–1917 → Auguste Rodin: Werke). Der als Misanthrop in die Kunstgeschichte eingegangene Edgar Degas entstammte einer wohlhabenden Bankiersfamilie und besuchte während seiner Ausbildung seine Verwandten in Italien und den USA, während der Sohn des Polizeiinspektors Rodin an der Petite École studierte, drei Mal an der Académie des Beaux Arts abgelehnt wurde und daher sich als Bauplastiker verdingen musste. Erst im Jahr 1875 konnte Rodin die obligate Italien-Reise antreten. Die Zulassung zum Salon erreichte Degas bereits 1864, während Rodin im Jahr darauf mit seiner „Maske des Mannes mit der zerbrochenen Nase“ aus Gips an der Jury scheiterte. Erst die Bronzefassung fand 1875 Eingang in die erlauchten Hallen. Die Porträts von Degas kreisen während der 1850er und 1860er Jahre um seine Familie oder auch betuchte Freunde. Rodin wählte hingegen für seine erste bedeutende Plastik Bibi, einen Mann vom Pariser Pferdemarkt, einen Mann der Unterschicht als Modell. Dessen eingeschlagene Nase mag ihn an das ebenfalls gebrochene Riechorgan des von ihm hochverehrten Michelangelo Buonarroti erinnert haben, der Gips war für die Salon-Juroren von allzu realistischer Natur. Die Hässlichkeit des Kopfes steht in starkem Kontrast zu den an der Klassik orientierten Plastiken und Skulpturen von Jean-Baptiste Carpeaux dieser Jahre. Dafür war nicht nur der schlecht verheilte Bruch verantwortlich, sondern auch Rodins Entscheidung die glatte Oberfläche der Skulptur seiner Zeit zugunsten einer unruhigen, aus Tonklümpchen aufgebauten Fläche zu verlassen.
„Es ist gut, das Gesehene zu kopieren; aber noch besser, das Gesehene nach der Erinnerung zu zeichnen. Im Zusammenwirken von Einbildungskraft und Erinnerung verändert sich das Gesehene. Nur das, was einen wirklich berührt, d.h. das Wesentliche, wird reproduziert. Erinnerung und Fantasie sind befreit von der Tyrannei der Natur.“1 (Edgar Degas)
Doch was verbindet die beiden so unterschiedlichen Künstler? Anne Pingeot hebt einige grundlegende Charakteristika ihrer Arbeitsweisen hervor. Dazu zählen: „Arbeit war die einzige Leidenschaft ihres Lebens“, das ständige sich selbst Korrigieren, Bewunderung für die Antike und die Alten Meister. Dazu ließen sich noch Augenprobleme anführen, denn Degas verlor 1908 nahezu seine ganze Sehkraft, und Rodin war kurzsichtig. Gemeinsame Ausstellungsprojekte gab es nicht, genauso unterschiedlich verlief auch die Aufnahme der beiden Künstler: Rodin errang 1900 Weltruhm, während Degas mit zunehmendem Alter immer zurückgezogener lebte. Erst ab 1911 sollte sich für Degas das Blatt wenden, als das Fogg Art Museum ihm eine erste Museumsausstellung widmete.
Degas und Rodin waren keine Konkurrenten im Kampf um Aufmerksamkeit und öffentliche Aufträge. Auguste Rodin stellte von 1875 an immer im Salon aus und bekam Aufträge für öffentliche Denkmäler, deren Entwürfe von Auftraggebern und Publikum ob ihrer Neuartigkeit oftmals als unpassend empfunden wurden. Edgar Degas hingegen präsentierte seine Gemälde, Druckgrafiken und Zeichnungen auf sieben der acht Impressionisten-Ausstellungen, die Bildhauerei war für ihn eine geheime Leidenschaft und Methode sich über Bewegungen und Körperhaltungen (Ballettposen) klar zu werden. Seit dem Skandal um seine Plastik einer „Tänzerin von 14 Jahren“ im Jahr 1881 verbarg Degas seine plastischen Arbeiten vor dem Blick der Öffentlichkeit. Als seine Sehkraft dramatisch abnahm, bezeichnete er seine Plastiken despektierlich als „Blindenhandwerk“. Erst nach seinem Tod am 27. September 1917 fand man in seinem Atelier die – zum Teil bereits zerbröselten – 72 Wachs- und Tonplastiken, die sogleich von der Gießerei A.-A. Hébrard et Cie in Bronze gegossen wurden.
„Ein Bild ist eine eigentümliche Verbindung von Linien und Farbtönen, die sich wechselseitig zur Geltung bringen.“2 (Edgar Degas)
Beide prägten jedoch den reflektierenden Künstler der Moderne, der alle Schritte der Kunstproduktion rational erfasst, das Werk als ein handgemachtes Objekt charakterisiert und, indem er sich in von den Traditionen löst, sich unabhängig von Regeln begreift. Rodins zeitlebens nie abgeschlossenes „Höllentor“ steht prototypisch für die Offenheit des modernen Kunstwerks, wobei es gleichzeitig zur Quelle der unerschöpflichen Kreativität des Schaffenden wird. Seine Werkstatt verband zudem den Arbeitsplatz mit einem Ausstellungsort, wo die abgeschlossenen Werke inszeniert, präsentiert und abfotografiert wurden. Künstler zwischen unabhängigem Flaneur und gefeiertem Staatskünstler, Kurator, Erfinder innovativer ästhetischer Lösungen auf Basis der Tradition, Revoluzzer und Ikone – all das konnten die Meister des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts als Bestandteile ihres Selbstverständnisses und ihrer Selbstdarstellung einsetzen. Die Betrachterinnen und Betrachter der Kunst der Moderne werden ihrerseits zur aktiven Auseinandersetzung herausgefordert. Dieses Selbstbewusstsein (sich seiner Selbst und der eigenen Handlungen bewusst sein) spiegelt sich in der Aufgabe von festen Vorgaben wie dem gängigen Schönheitsideal und Funktionszuweisungen in der Kunst der Moderne.3 Die „unzufällige Kunst“ von Edgar Degas zeigt Büglerinnen bei der Arbeit, beziehungslose Balletttänzerinnen beim Richten ihrer Trikots oder sich waschende Frauen in scheinbar momenthaft eingefrorenen Posen, während sich der „urwüchsige“ Rodin mit ekstatischen Figuren und Verkörperungen der Lebensenergie ins allgemeine Gedächtnis einschrieb. Der eine analysiert isoliert agierende Frauen und der andere das Begehren und die Zweisamkeit. Skulpturen und Gemälde thematisieren aber keine Individuen, sondern soziale Rollen (v. a. Degas), deren prekäre Bewegungsmotive auf die komplexen gesellschaftlichen Situationen reagieren.
Sowohl Degas wie auch Rodin verursachten mit ihren Werken immer wieder Kunstskandale. Ob es sich hierbei um Rodins Plastik „Der Besiegte“ oder „L’âge d’airain [Das eherne Zeitalter]“ (1877) handelte oder um Degas‘ „Kleine Tänzerin von 14 Jahren“ (1881), Kritiker und Publikum reagierten verstört auf die Lebensechtheit der Dargestellten. Rund um kritischen Kommentaren zu Naturabguss, Darstellungswürdigkeit von vermeintlich Hässlichem und der Assemblage von Zopf aus menschlichem Haar, den ein Seidenbändel zusammenhielt, ein Oberteil aus gerippter Seide, leinene Tanzschuhe und ein aus Tarlatan, d. h. aus einem gazeartigen Stoff bestehender Rock, das Tutu entspann sich eine Diskussion über die Frage, was als Kunst zu akzeptieren ist. Während Rodin durch Kollegen wie Carrier-Belleuse und Alexandre Joseph Falguière4 unterstützt wurde und ein Fotovergleich die künstlerische Formung des „Ehernen Zeitalters“ bewies, zog sich Degas als Bildhauer gänzlich aus der Öffentlichkeit zurück. Rodin wurde ab den 1880er Jahren ein berühmt-berüchtigter Entwerfer von Großskulpturen und Denkmälern, in denen er über den Status des Erinnerungsmals und dessen Verhältnis zur Gesellschaft nachdachte. Die Tonmodelle von Degas wurden erst nach dessen Tod im Atelier aufgefunden und posthum gegossen.
Der Umgang mit der zunehmend bedeutenden Kunstkritik musste im 19. Jahrhundert erlernt werden. Edgar Degas zeigte sich hier als unwirscher Zeitgenosse, der zwar gerne redete, seinen schreibenden Kollegen jedoch Maulkörbe anzulegen wünschte.5 Er empfand das Schreiben und Reden über Kunst als Sakrileg und das Weitergeben seiner Gedanken auf diesem Weg als Indiskretion. Zweifellos war Degas ein Einzelgänger, der sich nicht im Licht der Scheinwerfer bewegen wollte.
Auguste Rodin sah sich bereits zu Beginn seiner Karriere mit der Macht der Presse konfrontiert. Die öffentliche Kontroverse um seine Plastik „Das eherne Zeitalter“ wurde auch in der Kunstkritik geführt und ließ den Bildhauer fast schon zu Beginn seiner eigenständigen künstlerischen Tätigkeit straucheln. Rodin nahm das Erlebte zum Anlass die Presse zu beobachten und Artikel in seinem Archiv zu sammeln. Auch vergaß er nie, sich bei einem positiven Rezensenten seiner Werke zu bedanken.
Die Art und Weise wie sich Edgar Degas und Auguste Rodin dem Tanz näherten kann fast schon antagonistisch genannt werden. Degas erhielt nach dem deutsch-französischen Krieg 1871 die offizielle Erlaubnis, sich während der Proben und der Aufführungen in den Kulissen der Pariser Oper aufzuhalten. Bereits während der späten 1860er Jahre hatte er begonnen, sich mit Tänzerinnen zu beschäftigen. Ab Mitte der 1870er Jahre nimmt der Themenkreis rund um berufsmäßig tanzende Frauen, sich vorbereitende Ballerinen, trainierende Mädchen, Aufführungen und Proben einen wichtigen Stellenwert in seiner Malerei ein. Zur gleichen Zeit begann er auch Tonfiguren von Tänzerinnen in verschiedenen Posen (bevorzugt der Arabeske mit dem gestreckten, nach hinten gehobenen Bein) anzufertigen. Wie Auguste Rodin bevorzugte er die Klümpchen-Technik, d. h. dass die Figurinen aus kleinen Tonklumpen aufgebaut werden.
Rodin wandte sich erst ab 1905 dem Tanz als Inspirationsquelle zu. Er hatte 1905 an der Opéra Comique die Tänzerin Alda Moreno kennengelernt und die spanische Tänzerin und Akrobatin in etwa 50 Bleistiftzeichnungen festgehalten. Aquarellierte Zeichnungen zeigen kambodschanische Tempeltänzerinnen, die 1905 im Gefolge des Königs Frankreich besuchten und den Bildhauer so sehr faszinierten, dass er ihnen nach Marseille nachreiste, um sie zu studieren. Unter seinen „Mouvement de danse [Tanzbewegungen]“ verstand der Bildhauer kleine Skulpturen in ausdrucksstarken Bewegungen aus seiner Spätzeit, die als Einzelfigur oder Paar auftreten. Typisch an ihnen – wie am gesamten späten Werk des Bildhauers – sind ihre extreme Vereinfachung und Reduktion auf die Form. Im Jahr 1912 „porträtierte“ Rodin den russischen Tänzer Nijinsky als springenden Faun. Seither beherrscht die Kunstkritik ein durchaus vergleichbar ekstatisches Schreiben über Vollendung/Unvollendetheit, Emotion/Logos/Pathos, Fragen der Lebendigkeit/Körperlichkeit, das prozesshafte Gestalten im Verhältnis zur Instabilität von Rodins Plastiken (von der Darstellung einer Pose zur Entwicklung der Pose), wie Aline Magnien im Katalog eindrucksvoll ausführt.6 Diese Haltung führte wohl auch zum hohen Interesse, dass Tänzerinnen, Tänzer und Choreografen der Kunst Rodins entgegenbrachten.
Sowohl Edgar Degas wie Auguste Rodin nutzten Fotografie extensiv, um ihre Kunst weiterzuentwickeln. Edgar Degas betätigte 1895/96 sogar selbst die Fotokamera, nachdem er sich ab den frühen 1880er Jahren autodidaktisch mit der Technik und den ästhetischen Möglichkeiten der Fotografie auseinandergesetzt hatte.7 Die heute erhaltenen 44 Originalabzüge und -negative sind nur ein Bruchteil der ursprünglich angerfertigten Aufnahmen des Künstlers. Die Motive der Fotografien zeigen einige Landschaften und weibliche Akte, Degas‘ Künstlerfreunde, ihm nahestehende Familien und gelegentlich auch sich selbst in seinem Atelier und in Wohnungen. Da der Maler diese Aufnahmen nie als Bildquellen für seine Porträts verwendete, darf man wohl annehmen, dass das Fotografieren an sich die künstlerische Betätigung für ihn darstellte. Die größten Übereinstimmungen finden sich in den Zeichnungen des Künstlers.
Die Bedeutung der Fotografe für die Kunst von Degas ist trotz dieser faktischen Belege nicht unumstritten.8 Interessanterweise wurden bei der posthumen Auktion von Degas‘ Vermächtnis in der Galerie Durand-Ruel, die nach dessen Tod 1918 noch während des Ersten Weltkrieges durchgeführt wurde, keine Fotografien angeboten. Posthum haben mehrere Freunde des Künstlers wie Ernest Rouart, Paul Valéry, Ludovic Halévy und Jacques-Émile Blanche Degas‘ großes Interesse an der Fotografe bezeugt. Konkret ist der Einfluss der Fotografie auf Degas‘ Bildauffassung nur für wenige Werke nachweisbar wie dem Selbstporträt „Degas grüßend“ (1863, Calouste Gulbenkian Museum, Lissabon) oder dem „Porträt der Fürstin Pauline von Metternich“ (1865, The National Gallery London), die auf Visitenkarten-Aufnahmen aufbauen. Ob und, wenn ja, wie sich Degas vielleicht auch von Momentfotografien (so genannten vues instantanées) der 1860er Jahre beeinflussen ließ, ist nicht dokumentiert. Zumindest scheinen angeschnittene Personen, deren ungewöhnliche, weil dezentralisierte Positionierungen im Bildfeld, außergewöhnliche Perspektiven nicht nur von japanischen Farbholzschnitten abhängig gewesen zu sein, sondern auch von der aufkommenden Straßen- und Momentfotografie. Damit übertrug er die Bildsprache und neuen Wahrnehmungsformen der Fotografie in seine Malerei – und zwar nicht, indem er sie kopierte, sondern indem er sie auf reflektierte Weise nutzte.
Inwiefern Eadweard Muybridges (1830–1904) fotografische Untersuchungen von tierischen und menschlichen Bewegungen („The Horse in Motion“ um 1886, „The attitudes of animals in motion“ 1881, „Animal Locomotion, an Electro-Photographic investigation of consecutive phases of animal movement“ 1887, „The Human Figure in Motion“ 1901) sich auf Degas‘ Produktion auswirkte, ist strittig. Ab 1888 passte er seine Darstellungen von Pferden dem neuen Wissen an. Mindestens sechs der dynamischen Pferdeskulpturen sind ebenfalls davon inspiriert.
Auguste Rodin nutzte ebenfalls die Fotografie – und dennoch auf gänzlich andere Weise als Degas. Er fotografierte nie selbst, arbeitete jedoch mit teils berühmten Fotografen wie Eugène Druet (1867–1919, bis 1902/03 der Hausfotograf von Rodin), Stephen Haweis (1878–1969) und Henry Coles (1875–?), Edward Steichen (erste Begegnung 1901) zusammen, um seine eigenen Werke ablichten zu lassen und zu verbreiten. Die Methode Rodins, seine Skulpturen als Abwandlungen und Weiterentwicklungen seines Körperrepertoires zu konstruieren, ließ ihn bereits für die zeitgenössischen Kritiker zum Demiurgen werden. Steichens Fotografien, darunter so berühmte Aufnahmen wie „Le Penseur [Der Denker]“ (1902) und „The Silhouette, 4 a.m., Meudon [Die Silhouette]“ (1908), verbindet einerseits Rodin mit seinem nachdenklichen Alter Ego und der Figur des Victor Hugo im Hintergrund und den „Balzac“ wie eine naturwüchsige Landmarke aus dem Halbdunkel auftauchen.
„Wenn die Personen in den Fotografen, festgehalten in voller Aktion, plötzlich in der Luft zum Stillstand gekommen zu sein scheinen, so deshalb, weil sie im 20tel oder 40tel einer Sekunde reproduziert wurden, und nicht wie in der Kunst in einem progressiven Bewegungsablauf. (…) Der Künstler ist es, der der Wahrheit näherkommt, die Fotografe lügt; denn in der Realität steht die Zeit nicht still: und wenn es dem Künstler gelingt, den Eindruck eines Bewegungsablaufs zu vermitteln, der nicht abgeschlossen ist, sondern sich in der Zukunft weiter fortsetzen wird, so ist sein Werk mit Sicherheit unkonventioneller als das wissenschaftliche Bild, in dem die Zeit angehalten wurde. Und das spricht gegen einige moderne Maler, die für ihre Bilder von galoppierenden Pferden Fotografen als Vorlage benutzen.“9 (Auguste Rodin)
In Rodins Atelier finden sich bis heute unzählige Fotografien, die der Bildhauer als Motivrepertoire seiner Skulpturen nutzte. Er vermachte 1916 dem französischen Staat nicht nur den Inhalt seiner Werkstatt, sondern auch sein Archiv, in dem sich Aktfotografien von Gaudenzio Marconi (um 1841–um 1885), Kinderfotos von Josep Maria Canellas (1856–1902) befinden. Dabei dienten die Abzüge nicht nur als Sammlung, sondern auch als veränderbare Notizen. Auguste Rodin retuschierte sie, notierte sich seine Gedanken darauf und wandelte so seine bereits fixierten Körperhaltungen unentwegt ab.
Inspiration für diese Ausstellung gab ein Aufsatz der französischen Kunsthistorikerin und Kuratorin der Abteilung für Skulpturen des Pariser Louvre und des Musée d'Orsay, Anne Pingeot, über die unterschiedlichen Reaktionen von Edgar Degas und Auguste Rodin auf die Kunstkritik, den sie für den Ausstellungskatalog noch einmal überarbeitet hat. Wenn auch die beiden nahezu gleich alten Künstler die Kunst des Impressionismus maßgeblich prägten, so scheinen sie auf dem ersten Blick kaum in Beziehung zu setzen zu sein. Der Maler und Grafiker Degas ist erst posthum für seine plastischen Arbeiten bekannt geworden, Rodin darf als der wichtigste Bildhauer Europas in diesem Zeitraum bezeichnet werden. Und dennoch lassen sich subkutane Strukturen aufzeigen, die ihre Wirkung in den nachfolgenden Generationen offenbarten. „Degas – Rodin. Giganten im Wettlauf zur Moderne“ im Von der Heydt-Museum zeichnet von verschiedenen Blickwinkeln das spannende Verhältnis zwischen zwei so heterogenen Künstlern und ihren Werken auf. Unbedingt sehenswert!
Pierre-Auguste Renoir an Ambroise Vollard: „Und wir haben das Glück in einer Zeit zu leben, in der es einen Bildhauer gibt, der sich mit den Alten Meistern messen kann! Und der macht seine Sache gut…“
Vollard: „Rodin hat doch soeben den Auftrag für den „Denker“ erhalten und für seine Statue von „Victor Hugo“ und „Das Höllentor“ …“
Renoir: „Ich meine nicht Rodin! Ich spreche vom größten Bildhauer, und das ist Degas!“10 (Anekdote um 1884, publiziert von Vollard 1919)
Gerhard Finckh (Hg.)
mit Beiträgen von Gerhard Finckh, Stefan Lüddemann, Nicole Hartje-Grave,
432 Seiten
Selbstverlag
Gerhard Finckh, Vorwort, S. 11–43
Stefan Lüddemann, „Keine Kunst ist weniger spontan als die meine“ Künstlerische Modernität bei Edgar Degas und Auguste Rodin, S. 45–71
Nicole Hartje-Grave, Rodin und Degas – Artistes engagés? Zwei Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft, S. 73–113
Alexander Eiling, « Il faut copier et recopier les maîtres… ». – Degas und die Kopie, S. 117–127
Ulrich Pohlmann Degas und die Fotografie, S. 155–169
Cyrielle Durox, Auguste Rodin und die Fotografe – Die Sichtweise eines Bildhauers, S. 175–193
Marlene Baum Frauen und Pferde als Zeitzeugen einer Profanierung im Werk von Edgar Degas, S. 213–227
Anne Pingeot, Rodin (1840–1917) und Degas (1834–1917) – Umgang mit der Kunstkritik, S. 263–283
Aline Magnien, „Wie eine gereizte Schlange“, S. 287–299
Lukas Gloor, Das Tutu der Kleinen 14jährigen Tänzerin von Edgar Degas – ein flüchtiges Gewebe, S. 301–307
Anne Mitzen, Intimität und Distanz. Die Badenden im Werk von Degas, S. 347–363
Arist von Schlippe, Beziehung an den Grenzen – Die Paarbeziehung im Werk der Künstler Auguste Rodin und Edgar Degas, S. 385–401
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