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Detroit | DIA: Van Gogh in Amerika Wie wurde Van Gogh ein Superstar in den USA? | 2022/23

Vincent van Gogh, Selbstporträt, Detail, 1887,Öl auf Karton auf Holz (Detroit Institute of Arts)

Vincent van Gogh, Selbstporträt, Detail, 1887,Öl auf Karton auf Holz (Detroit Institute of Arts)

Mit der Ausstellung „Van Gogh in Amerika“ feiert das Detroit Institute of Art, dass es als erstes öffentliches Museum in den USA ein Gemälde von Vincent van Gogh angekauft hat. Van Goghs „Selbstporträt“ von 1887 kam vor 100 Jahren in die Sammlung des DIA. 2022/23 erweitern 74 Gemälde aus der ganzen Welt den Blick auf das Selbstbildnis, um erstmals die Rezeption Van Goghs in den Vereinigten Staaten darzulegen. Wer waren die frühen Förderer und Förderinnen seiner Malerei in den Vereinigten Staaten? Bekannt ist, dass sich darunter Händler, Sammler:innen, private Kunstorganisationen, öffentliche Institutionen und die Familie des Künstlers befanden.

Van Goghs Stuhl

Van Goghs Weg zu posthumem Ruhm war in den USA weder geradlinig noch unmittelbar. Trotz seiner Popularität in Europa – insbesondere in Deutschland (→ Vincent van Gogh und Deutschland) – brauchten vorausschauende Menschen Jahrzehnte, um die Amerikaner:innen mit seiner Arbeit vertraut zu machen. Eine Reihe von Fehlstarts, überzeugenden Fälschungen, wiederholt verpassten Gelegenheiten und mutigen Entscheidungen sowie sensationelle Geschichten erschwerten die Durchsetzung Van Goghs in der Neuen Welt. Die Geschichte der DIA-Ausstellung beginnt über 20 Jahre nach dem frühen Tod des Künstlers und kulminiert in den 1950er Jahren, als Hollywood ihn in eine Ikone verwandelte.

Zu den berühmtesten Werken Vincent van Goghs gehört „Van Goghs Stuhl“ von 1888 in London. Er malte den schlichten Kiefernholzstuhl als Symbol für sich selbst und die Einfachheit, die er im Leben und in seiner Kunst suchte. Persönliche Gegenstände erweitern das Stillleben zu einem versteckten Selbstporträt: Van Goghs Pfeife, ein Tabakbeutel und eine Kiste mit Zwiebeln, die seine Signatur trägt. „Van Goghs Stuhl“ war in den frühen 1920er Jahren Teil einer Reihe von Ausstellungen in den Vereinigten Staaten, wo das Bild auch zum Verkauf angeboten wurde. Obwohl das Gemälde in Verbindung mit der ersten amerikanischen Retrospektive des Künstlers im Jahr 1920 in der Zeitschrift „Vogue“ abgebildet wurde, fand es in den USA keine Aufnahme. Die Tate Gallery, London, kaufte 1924 das ikonische Bild und brachte es in die National Gallery, wo es sich bis heute befindet.

Van Gogh in Schwarz und Weiss

Eine Wand voller Schwarz-Weiß-Reproduktionen von Van Goghs Werken zeigt, wie der erste Kontakt der amerikanischen Bevölkerung mit ihnen vonstattenging: Abgesehen von Reisen nach Europa, konnte sie nur über seine Gemälde lesen und sie auf Schwarz-Weiß-Fotografien in den Büchern betrachten. Erst 1913 wurden Van Goghs Bilder zum ersten Mal in den Vereinigten Staaten ausgestellt.

Zeitungen berichteten über mehrere bahnbrechenden europäischen Ausstellungen im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, in denen das Werk von Vincent van Gogh zentral präsentiert wurde. Es erschienen Bücher in englischer Sprache, die Van Gogh der amerikanischen Öffentlichkeit vorstellten und oft eine verzerrte, romantisierte Sicht des Künstlers als tragischen Helden beförderten, anstatt sich auf seine künstlerischen Leistungen und Fähigkeiten zu konzentrieren. All das zusammen diente als Einführung in Van Goghs Welt aber konnte die Amerikaner:innen weder auf die Lebendigkeit noch die Vitalität des Koloristen Van Gogh vorbereiten.

Amerikas erster Kontakt mit Van Gogh

Vincent van Goghs Werk wurde in den Vereinigten Staaten auf der „International Exhibition of Modern Art“, besser bekannt als Armory Show“, erstmals öffentlich vorgestellt. Die Ausstellung eröffnete 1913 in der Waffenkammer des 69. Regiments in New York City, was ihren Spitznamen erklärt. Die „Armory Show“ führte das Publikum in die radikalen Entwicklungen der Klassischen Moderne ein. Über 1.300 europäische und amerikanische Exponate lösten bei Besucher:innen und in der Presse umfangreiche Kommentare aus. Eine verkleinerte Version der Ausstellung reiste weiter nach Chicago und Boston. Die „Armory Show“ umfasste mindestens 21 Van Gogh-Werke; das DIA zeigt eine Auswahl der identifizierten Bilder.

Ein Rezensent stellte fest, dass einige der Gemälde des Künstlers „viel studiert und überfragt“ wurden. Ein weniger begeisterter Kritiker schrieb ihn als „mäßig kompetenten Impressionisten“ ab, der „unbeholfen war, wenig oder gar keinen Sinn für Schönheit hatte und viel Leinwand mit groben, ziemlich unwichtigen Bildern verdarb“. Die meisten Gemälde waren zwar käuflich zu erwerben, aber keines wurde verkauft – ein Zeichen mangelnden Interesses amerikanischer Sammler:innen.

Die komplexe Verkaufsgeschichte von „Unterholz mit zwei Figuren“ (1890, Cincinnati Art Museum) veranschaulicht die frühen Schwierigkeiten, denen Van Gogh-Gemälde in Amerika ausgesetzt waren. Die Familie Van Gogh lieh es der „Armory Show“, wo es für über 10.000 US-Dollar angeboten wurde – ein Betrag, der mit den Preisen für Gemälde des Impressionisten Claude Monet in der Ausstellung vergleichbar war (der bereits große Aufmerksamkeit auf dem amerikanischen Markt erhalten hatte). Das Gemälde kehrte unverkauft nach Europa zurück und wurde zahlreiche Male ausgestellt, bevor der Bostoner Sammler Gilbert E. Fuller es schließlich 1929 erwarb.

Das „Porträt von Adeline Ravoux“ zeigt die älteste Tochter des Gastwirts, bei dem sich Van Gogh seit Mai 1890 in Auvers-sur-Oise eingemietet hatte. Es ist eines von drei Bildnissen des Mädchens. Die amerikanische Künstlerin Katherine S. Dreier erwarb es nach ihrem Besuch der Sonderbund-Ausstellung 1912 in Köln, die über 125 Van-Gogh-Werke umfasste und als Modell für die Organisatoren der „Armory Show“ diente. Vincent van Goghs Kunst in Deutschland zu sehen, war für Dreier wie „aus einem stickigen Raum in herrlich belebende Luft zu treten“. Sie lieh dieses Gemälde der „Armory Show“ und Anfang der 1920er Jahre weiteren Ausstellungen, darunter 1922 in Detroit. Zusammen mit anderen frühen Sammlern, wie Albert C. Barnes und John Quinn, erkannte Dreier als eine der ersten amerikanischen Sammlerinnen die Bedeutung Van Goghs – denn erst Mitte bis Ende der 1920er Jahre nahmen Privatsammler:innen in den Vereinigten Staaten den Künstler wirklich an.

Besagter John Quinn, New Yorker Anwalt und Verfechter moderner Kunst, erwarb Van Goghs „Selbstporträt“ (1887, Wadsworth Atheneum Museum of Art, Hartford) im September 1912, einige Monate nachdem der Pharmamagnat Albert C. Barnes aus Philadelphia ein Porträt des Postboten Joseph Roulin gekauft hatte. Damit ist es das zweite Gemälde von Van Gogh, das in eine amerikanische Sammlung aufgenommen wurde. Das Selbstporträt erhielt beträchtliche Aufmerksamkeit, sobald es sich in Quinns Besitz befand, und erschien 1913 in der ersten US-Ausstellung mit Werken von Van Gogh und in den frühen 1920er Jahren in zwei Gruppenausstellungen im New Yorker Metropolitan Museum of Art.

Van Goghs Familie in New York

Während seiner gesamten künstlerischen Laufbahn genoss Vincent van Gogh die hingebungsvolle Unterstützung seines jüngeren Bruders Theo, der in Paris als Kunsthändler tätig war. Nach Vincents Tod 1890 besaß Theo den Großteil des künstlerischen Schaffens seines Bruders, aber er selbst starb kaum sechs Monate später. Theos 28-jährige Witwe Johanna (Jo) van Gogh-Bonger und sein kleiner Sohn Vincent Willem van Gogh erhielten Sammlung und umfangreiche Korrespondenz der Brüder. Im Laufe der Jahre veröffentlichten Jo die Briefe strategisch und förderten ihren Schwager unermüdlich, nicht nur in Europa, sondern auch in Amerika und darüber hinaus.

Die Familie Van Gogh lebte während des Ersten Weltkriegs in New York City und verlieh zwischen 1913 und 1920 etwa 85 Werke für Ausstellungen in den Vereinigten Staaten. Sie waren 1913 Leihgeber der „Armory Show“, 1915 einer kleinen Einzelausstellung in der Modern Gallery in New York und 1920 der ersten großen US-Ausstellung in der Montross Gallery in New York (67 Werke). Von den 85 an diesen Orten ausgestellten Bildern wurden allerdings nur drei verkauft – alle von der Ausstellung von 1920 und alle gingen an einen einzigen Käufer. Das DIA konnte einige der Werke der Montross-Ausstellung für seine Schau zusammentragen.

In den frühen 1920er Jahren waren die Amerikaner:innen noch nicht bereit, Van Gogh anzunehmen – insbesondere zu den Preisen, die Jo am europäischen Markt bereits für seine Arbeit etabliert hatte. Aber es waren nicht nur die Preise, die die Sammler:innen abschreckten. Die Analyse eines Kunstkritikers nach der Ausstellung in der Montross Gallery erklärt die Sackgasse:

„Van Goghs Tag in Amerika ist noch nicht da. Fast mehr als jeder andere moderne Maler wird er als Fremder empfunden. Doch es gibt keinen anderen Maler der Gegenwart, außer vielleicht [Paul] Gauguin, dessen Anziehungskraft so einfach und direkt ist. Gerade diese Schlichtheit lässt ihn fremd erscheinen.“

Doch wer war der Käufer der drei Van Gogh-Gemälde in New York? Theodore Pitcairn, ein Geistlicher aus Bryn Athyn, einem Vorort von Philadelphia, erwarb die Zeichnung „Sorrow“, ein (weiteres) Porträt von Adeline Ravoux und „Der Sämann“ (1888, Hammer Museum, Los Angeles). Neben Pitcairns „Sämann“ war auch die Version aus dem Van Gogh Museum in Amsterdam zu sehen, das den Sämann in Nahsicht vor einer riesigen Sonnenscheibe zeigt, rechts schneidet ein Baum in die Komposition ein. Der Vergleich zwischen den beiden Bildern lässt den Schluss zu, dass der amerikanische Geistliche sich für eine konservativere, wenn auch farbig mutige Interpretation des Themas entschied.

Ein Van Gogh für Detroit

31. Januar 1922, abends: Ralph H. Booth, Präsident der Kunstkommission der Stadt Detroit, nahm an der New Yorker Auktion der Sammlung des Händlers Dikran Kelekian teil und bot im Namen des Museums erfolgreich auf Vincent van Goghs „Selbstbildnis“ von 1887. Damit kaufte das 1885 gegründete Detroit Institute of Arts (DIA) als erstes Museum in den Vereinigten Staaten ein Gemälde Vincent van Goghs. Das DIA erhielt auch für Henri Matisses „Das Fenster“ (1916) sowie ein weiteres Ölgemälde von Raoul Dufy und drei Zeichnungen anderer Künstler den Zuschlag. Angesichts der Tatsache, dass nur wenige von Van Goghs Werken zu diesem Zeitpunkt in einem amerikanischen Museum gezeigt worden waren, beschrieb die zeitgenössische Presse der Ankauf der DIA als „mutig“. Desgleichen zeigten sich auch einige Kritiker:innen von der skizzenhaften Ausführung des Matisse-Gemäldes nicht überzeugt.

Kurz danach erweiterte das Museum die Präsentation des Selbstporträts um eine Wanderausstellung avantgardistischer Kunst aus Europa und den USA, die von der „Société Anonyme“ organisiert wurde. Die Künstler:innen Katherine S. Dreier, Marcel Duchamp und Man Ray hatten diese Gruppe gegründet, um die Moderne in den USA zu promoten. Dreiers „Porträt von Adeline Ravoux“ und ein heute als nicht authentisches „Stillleben“ von Frederic Clay Bartlett aus Chicago wurden als zwei weitere Van Gogh Bilder ergänzt. Das DIA erweiterte die Schau um eigene Neuerwerbungen sowie um Leihgaben von Werken der „großen Drei“ des Postimpressionismus – Van Gogh, seines Malerfreundes Paul Gauguin und Paul Cézanne – mit Bildern. Im Kontext der neueren abstrakten und avantgardistischen Gemälde der frühen 1920er Jahre müssen die Werke fast altmodisch gewirkt haben.

Van Gogh: Liebling des Mittleren Westens

In den späten 1920er Jahren hatte sich die Einstellung zu Vincent van Gogh und seiner Kunst geändert. Als das New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) 1929 seine Pforten öffnete, feierte seine Eröffnungsausstellung die „Pioniere“ der modernen Kunst: Paul Cézanne, Paul Gauguin, Georges Seurat und Van Gogh. Die vom Gründungsdirektor des MoMA, Alfred H. Barr Jr., organisierte Ausstellung umfasste eine beeindruckende Anzahl von Leihgaben aus amerikanischen Privatsammlungen. Dies veranlasste einen Kritiker zu der Bemerkung, dass, obwohl „amerikanische Sammler zu spät zu Van Gogh kamen, ihre Macht so umfassend ist, dass sie, wenn sie sich einmal entschieden haben, bekommen, was sie wollen“.

Der Enthusiasmus privater Sammler – darunter Albert C. Barnes (Merion, PA) und Duncan Phillips (Washington, DC), die einen gewissen Zugang zu ihren Sammlungen gewährten – wurde von ihren institutionellen Kollegen nicht erreicht. Die einzigen Museen, die Van-Gogh-Gemälde besaßen, um sie der MoMA-Ausstellung auszuleihen, waren das DIA und das Art Institute of Chicago. Das Art Institute of Chicago hatte vier Gemälde, die Van Gogh zugeschrieben worden waren, von Frederic Clay Bartlett erhalten und davon zwei für die Ausstellung geliehen: „Das Schlafzimmer“ (1889) sowie ein „Stillleben“, das später als Fälschung enttarnt wurde. Mr. und Mrs. Walter S. Brewster aus Chicago liehen dem MoMA das Stillleben „Trauben, Zitronen, Birnen und Äpfel“ (1887, The Art Institute of Chicago).

Der Mittlere Westen sollte diesen Vorsprung beibehalten: Die nächsten vier Van Gogh Bilder, die von öffentlichen US-Museen gekauft wurden, wurden von hiesigen Institutionen erworben: dem Nelson-Atkins Museum of Art in Kansas City (1932: Olivenbäume von 1889), dem Saint Louis Art Museum und dem Toledo Museum of Art.

Der Sammler moderner Kunst Duncan Phillips aus Washington, DC, erwarb Van Goghs „Eingang zu den öffentlichen Gärten in Arles“ (1888, The Phillips Collection, Washington, DC) im Jahr 1930. Phillips hatte zuvor ein anderes Bild gekauft, dessen Zuschreibung an Van Gogh angezweifelt wurde, weshalb der Sammler es im Austausch für „Frauen überqueren die Felder“ an den Händler zurückgab. Phillips musste noch drei Werke anderer Künstler drauflegen, um „Eingang zu den öffentlichen Gärten in Arles“ zu erhalten. Dies zeigt den enormen Wertzuwachs für Van Goghs Werk in den Vereinigten Staaten Ende der 1920er Jahre.

Der Wendepunkt: Van Goghs Durchbruch in den USA

1935 organisierte das Museum of Modern Art Van Goghs erste amerikanische Museumsretrospektive. Es präsentierte etwa 127 Werke, die hauptsächlich aus den Sammlungen von Vincent Willem van Gogh, dem Neffen des Künstlers, und der in den Niederlanden ansässigen Sammlerin moderner Kunst Helene Kröller-Müller stammten. Die Ausstellung folgte der 1934 erschienenen Veröffentlichung von Irving Stones „Lust for Life“, einem Roman, der auf dem Leben des Künstlers basiert.1 Dieser Bestseller regte die Fantasie der Öffentlichkeit an und weckte das Interesse an Van Gogh.

Vincent Willem van Gogh lieh für die MoMA-Retrospektive etwa 20 Werke. Ausgestellt war damals die gemalte Version von „Die Kartoffelesser“ (1885, Van Gogh Museum, Amsterdam), das noch in Besitz von Vincent Willem van Gogh war. Es zählte zu den Highlights des Blockbusters. Das Gemälde war schon seit 1912 in den USA bekannt, da es in der „New York Times“ reproduziert worden war. Im DIA ist derzeit eine Lithografie des Gemäldes ausgestellt. Die „Fischerboote am Strand von Les Saintes-Maries-de-la-Mer“ (Mai 1888, Van Gogh Museum) durften im Original nach Detroit reisen.

Ein weiterer Leihgeber war d er Kunstsammler, Händler und Direktor der New York Philharmonic, Josef Stransky mit dem „Porträt von Camille Roulin“ (1888).2 Mit „Wiegenlied: Madame Augustine Roulin schaukelt eine Wiege [La Berceuse]“ von 1889 war auch eines der beliebtesten Porträts bzw. Motive in der 1935er Ausstellung zu sehen: Das heute im Kröller-Müller Museum befindliche Werk wird in Detroit durch eine Version aus dem Museum of Fine Arts, Boston, vertreten.3 Über das DIA kam auch „Ufer der Oise in Auvers“ (1890, Detroit Institute of Arts) in die Retrospektive.4 „Mohnfeld“ (1890, Kunstmuseum Den Haag) wurde von Bob Kröller, dem Sohn von Helene Kröller-Müller, für die MoMA-Retrospektive ausgeliehen – aber in der Hoffnung, einen Käufer für das Bild zu finden, zog er es aus der Ausstellung in Chicago zurück, um es an einen Kunsthändler in New York zu schicken. Auf Wunsch von MoMA-Direktor Alfred H. Barr Jr. stellte die Kröller-Müller-Stiftung der Ausstellung ein weiteres ihrer Van-Gogh-Gemälde zur Verfügung.

Das Cover des Katalogs zierte „L’Arlésienne: Madame Joseph-Michel Ginoux“ (1888/89, The Metropolitan Museum of Art) des deutsch-amerikanischen Geschäftsmanns Adolph Lewisohn. Dieser hatte „L’Arlésienne“ 1926 über seinen Kunstberater Stephan Bourgeois erworben und das Bild in nicht weniger als acht New Yorker Ausstellungen gezeigt. Bereits 1929 schrieb ein Kritiker über das Werk:

„Keine Van-Gogh-Gruppe könnte als wirklich würdig bezeichnet werden, die nicht das große ‚L’Arlésienne (Mme. Ginoux)‘ enthielt. […]  Sie ist präsent, mit ihrer unbesiegbaren Vitalität und dem Glanz ihres gelben Hintergrunds.“

Wie wichtig Van Gogh selbst die Dargestellte war, offenbart eine weiteres, heute in Privatbesitz befindliches Porträt von „L’Arlésienne: Madame Joseph-Michel Ginoux“ (1890), die er während seiner Behandlung in Saint-Rémy-de-Provence schuf. Das Modell übernahm er von einer Zeichnung Gauguins (!) und ergänzte es um zwei Bücher, die ihm wichtig waren: die französische Übersetzungen von Harriet Beecher Stowes „Onkel Toms Hütte“ und Charles Dickens „A Christmas Carol“. Sam van Deventer, Sekretär der Kröller-Müller-Stiftung, der die zweitgrößte Sammlung von Van-Gogh-Werken zusammengetragen hatte, stellte „Die Olivenbäume“ (1890, MoMA) zur Verfügung.

Die Ausstellung im MoMA war eine Sensation und hatte spektakuläre Zuschauerzahlen sowohl in New York als auch an den weiteren amerikanischen Veranstaltungsorten. Über 50 Museen forderten lautstark die Aufnahme in die Tour, aber die Ausstellung konnte nur in reduzierter Form zu fünf zusätzlichen Stationen reisen, von denen eine das Detroit Institute of Arts war. Bis zum Ende der Ausstellungstour im Jahr 1937 hatten fast eine Million Besucher:innen die Gelegenheit genutzt, Van Goghs Werke persönlich zu sehen!

Für das triumphale Finale der Tournee im Januar 1937 in New York wurden mehrere Werke hinzugefügt, darunter „Die Sternennacht“ von einem Rotterdamer Sammler. Als das MoMA „Die Sternennacht“ 1941 kaufte, wurde es als das erste Gemälde des Malers gefeiert, das von einem New Yorker Museum erworben wurde (→ Vincent van Gogh: Die Sternennacht).

Van Gogh in Hollywood

In den 1930er Jahren wurden die populären Medien mit sensationellen Berichten über Van Goghs Lebensgeschichte überschwemmt. Ein besonders lautstarker Kritiker beklagte die Betonung im Boulevardzeitungsstil auf „die Frustration, die Tragödie und nicht die Errungenschaften in einem Leben, das hartnäckig vom Unglück verfolgt wurde“. Ein Korrektiv bestand darin, den Künstler durch seine Briefe sprechen zu lassen – ein Ansatz, der u.a. im Katalog der Retrospektive des Museum of Modern Art von 1935 verfolgt wurde. Aber der „Van Gogh-Mythos“ war nicht zu unterdrücken, besonders nachdem Regisseur Vincente Minnelli den äußerst beliebten Roman „Lust for Life“ für die Leinwand adaptiert hatte. Das Melodram von 1956 war ein kritischer Erfolg und festigte die Wahrnehmung des Künstlers als tragischer Held, ein Einzelgänger, der am Rande einer Krise arbeitet.

Biografien von Van Gogh enthielten notwendigerweise Gemälde zur visuellen Inspiration und als Requisiten, und diese Filme boten den ausgewählten Kunstwerken eine breite Mainstream-Präsenz. Das „Selbstbildnis“ des DIA und andere ausgestellte Werke spielten Haupt- oder Nebenrollen auf der Leinwand oder in den Sammlungen von Hollywood-Studiomanagern.

Während sich das Biopic „Lust for Life“ auf seinen dramatischen Höhepunkt zubewegt, erscheint „Weizenfelder nach dem Regen (Die Ebene von Auvers)“ (1890, Carnegie Museum of Art, Pittsburgh) auf der Leinwand und Van Gogh gesteht:

„Neben Porträts habe ich auch einige Landschaften gemacht. Ich habe das Gefühl, meinem Pinsel sicherer zu sein als je zuvor, also arbeite ich in Eile wie ein Bergmann, der weiß, dass ihm eine Katastrophe bevorsteht.“

Hollywood erlaubte sich damit eine historische Neuinterpretation: Ungefähr zur Zeit, als Van Gogh dieses Werk malte, schrieb er an seine Familie, dass er „völlig in einer fast zu ruhigen Stimmung“ sei und dass seine Leinwände „Ihnen sagen werden, was ich nicht in Worten sagen kann, was ich als gesund und stärkend am Landleben finde“.5

Van Goghs Darstellungen des Nachthimmels gehören zu seinen bekanntesten Werken. „Sternennacht (Sternennacht über der Rhône)“ (1888) steht an einem dramatischen Wendepunkt im Film. In der Szene malt der Niederländer dieses Bild gleichsam in Ekstase, während er in einem leidenschaftlicher Off-Kommentar erzählt:

„Manchmal arbeite ich bis in die Nacht hinein. Ich bin mir meiner selbst kaum noch bewusst. Und die Bilder kommen mir wie in einem Traum mit einer schrecklichen Klarheit.“

Van Goghs Briefe, die dieses Gemälde erwähnen, bieten jedoch keinen Hinweis darauf, dass es impulsiv ausgeführt wurde. Der Künstler schickte seinem Bruder eine Skizze des Werks, zusammen mit akribischen Beschreibungen der vielen Farben, die er verwendete, der Gaslampe, unter der er malte, und des wichtigen Zusammenspiels von Stadtlichtern und funkelnden Sternen am klaren Nachthimmel darüber.

Die Mythisierung und der Ruhm Van Goghs führten dazu, dass einige Hollywood-Größen Werke von ihm besitzen wollten. Die Zeichnung „Die Ebene von La Crau“ (1888, Privatsammlung) war in der Sammlung von Harold Hecht, einem Oscar-prämierten Hollywood-Filmproduzenten. Hecht besaß auch eines von Van Goghs Gemälden, das auf Gauguins Zeichnung der Arlésienne Marie Ginoux basiert (eine andere Version des oben erwähnten). Andere Hollywoodstars, die Werke von Van Gogh sammelten, waren Elizabeth Taylor (deren Vater Kunsthändler war), der Filmstar Errol Flynn und die Film-Noir-Legende Edward G. Robinson.

Dauerhaftes Vermächtnis

1920 kritisierte der Kunstkritiker Henry McBride das mangelnde Interesse an Van Gogh in den Vereinigten Staaten scharf:

„Während des dreißigjährigen Schlafs, dem sich unsere Museumsdirektoren und Sammler hingegeben haben, haben Amateure auf der anderen Seite des Wassers nicht geschlafen. […] Die Türen so lange gegen Van Gogh verriegelt zu haben, sich von ihm während all der Jahre ferngehalten zu haben, in denen er sozusagen ‚vor Gericht stand‘, scheint darauf kein schönes Licht zu werfen.“

Im Laufe des 20. Jahrhunderts korrigierte Amerika diesen Kurs, und Van Gogh, der nie einen Fuß in dieses Land gesetzt hat, genießt heute universelle Verehrung. Die anhaltende Faszination für Van Goghs Werk und Biografie – die in Druck und auf der Leinwand seit langem mythologisiert und in letzter Zeit Gegenstand beliebter immersiver Erfahrungen sind – ist ein Beweis für seine anhaltende Anziehungskraft. Van Goghs Malerei bleibt weiterhin eine Quelle der Inspiration für Filmemacher:innen und Musiker:innen, Schriftsteller:innen, Künstler:innen und Kunstliebhaber:innen in den Vereinigten Staaten und auf der ganzen Welt.

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  1. Stones Roman-Biografie ging „Vincent“, eine ebenso fiktive Van Gogh-Biografie des deutschen Kunstkritikers Julius Meier-Graefe, voraus. Die englische Übersetzung wurde später in den 1920er Jahren in einer gekürzten populären Ausgabe veröffentlicht. Als Vorläufer von Irving Stone förderte Meier-Graefe das Bild von Van Gogh als gequältem Genie, das „jeden Atemzug, der in ihm steckte, für seine Arbeit aufsparte“.
  2. Josef Stransky kaufte das Bildnis von Camille Roulin 1920, als Van Goghs auf dem amerikanischen Markt noch nicht Fuß gefasst hatte. Er verkaufte es im folgenden Jahr an Marius de Zayas, der es in seiner Galerie sowie im Metropolitan Museum of Art, der Dallas Art Association und dem Minneapolis Institute of Arts ausstellte. Das Porträt fand keinen Käufer, und De Zayas ließ es 1923 versteigern. Stransky erwarb das Gemälde später zurück und lieh es der MoMA-Retrospektive von 1935.
  3. Der Bostoner Geschäftsmann John T. Spaulding kaufte diese Version 1928 und schenkte es 1948 dem Museum of Fine Arts in Boston. Bereits 1915 war eine weitere Fassung in der Modern Gallery in New York ausgestellt gewesen. Die Version von Frederic Clay Bartlett (erworben 1923) war bereits 1923 im Art Institute of Chicago und 1925 im Minneapolis Institute of Arts und im Boston Art Club zu sehen. Drei der fünf Gemälde von Madame Roulin befinden sich heute in amerikanischen Museen.
  4. 1927 sah Ralph H. Booth, der Van Goghs „Selbstbildnis“ 1922 im Auftrag des Detroit Institute of Arts erworben hatte, dieses Gemälde in den Thannhauser Galleries. Trotz der Tatsache, dass es „der schönste Van Gogh“ war, den er je gesehen hatte, versuchten Booth und die DIA nicht, das Werk zu erwerben. Robert H. Tannahill, Förderer der DIA, erwarb es 1935 über die Knoedler Gallery und lieh es für Detroits Präsentation der Wanderretrospektive des MoMA. 1970 vermachte Tannahill schließlich die „Ufer der Oise in Auvers“ dem DIA.
  5. Dieses Gemälde wurde häufig in frühen englischsprachigen Texten über Van Gogh abgebildet, insbesondere in Julius Meier-Graefes „Modern Art: Being a Contribution to a New System of Æsthetics“ (1908) und „Vincent van Gogh: A Biographical Study“ (1922). Jahrzehnte bevor „Lust for Life“ Van Gogh als tragisches Genie darstellte, verbreiteten diese Veröffentlichungen bereits Mythen, die das Privatleben des Künstlers zur Sensation stilisierten – dass er ein Einzelgänger in einem ständigen Kampf war, dazu bestimmt, sich für seine Kunst zu opfern.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.