Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zeigt eine umfangreiche Überblicksschau der international bedeutenden US-amerikanischen Künstlerin Jenny Holzer (*1950). Seit den 1970er Jahren ist Holzer für ihren wegweisenden Umgang mit neuen Technologien und ihre gesellschaftskritischen Texte in verschiedenen Medien bekannt. So eröffnet die Schau mit dem malerischen Werk der Amerikanerin, die seit 2005 an der Serie „Redaction Paintings“ arbeitet und darin stark geschwärzt freigegebene Dokumente der US-Regierung verarbeitet. Indem sich die Künstlerin formal auf Werke des Abstrakten Expressionismus und Farbfeldmalerei bezieht - diese Bewegung galt in den 1950er Jahren als Ausdruck von Freiheit und Demokratie -, stellt sie sowohl die Möglichkeiten der Abstrakten Kunst als auch die Veröffentlichungspolitik ihres Heimatlandes zur Debatte.
Deutschland | Düsseldorf: K21
11.3. – 6.8.2023
Die jüngste Arbeit der Düsseldorfer Ausstellung greift den Krieg in der Ukraine auf: Die LED-Wandarbeit „UKRAINE“ (2023) zitiert aus Berichten der Vereinten Nationen über Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen. Schilderungen von Vergewaltigungen, Folter, Mord und willkürliche Angriffe durch russische Streitkräfte treffen auf Aussagen von ukrainischer Künstler:innen und Autor:innen aus den ersten Monaten der Invasion. Die normative Sprache der Verfasser:innen der offiziell beglaubigten Berichte fasst das unsägliche Grauen genauso in Worte wie die in Deutsch und Englisch zu lesenden Augenzeug:innenberichte von Yevgenia Belorusets, Oleh Kozarew, Andrij Kurkow und Natalija Woroschbyt sowie das Kriegstagebuch von Wolodymyr Wakulenko.
Bereits seit den 1990er Jahren setzt sich Jenny Holzer mit dem Grauen des Krieges auseinander. Während der Jugoslawienkriege (1991–1999) schuf sie die Textserie „Lustmord“ (1993–1995). An menschlichen Knochen baumeln Silberringe, auf die sie Texte eingravieren ließ. Holzer denunziert darin sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen als Kriegswaffe und Taktik. Inmitten der Präsentation zum Haufen aufgeschüttet, „repräsentieren und mahnen“ die Kunstwerke für Jenny Holzer „die Grausamkeiten und Verbrechen an“. Und doch versammelt sie – wie bei einem Gerichtsprozess – die Perspektiven aller Beteiligter, der Opfer, der Täter und von möglichen Beobachter:innen.
Ende der 1970er Jahre wurde Jenny Holzer mit den Serien „Truisms“ (1977–1979) und „Inflammatory Essays“ (1979–1982) bekannt. Im K21 Untergeschoss unterzieht die Künstlerin ihre alten Arbeiten einer Verjüngungskur, indem sie sie mit neuen Technologien und Präsentationsformen re-interpretiert. Der gesamte Ausstellungsraum wird zu Plakatinstallation. LED-Arbeiten flackern aufeinander abgestimmt, 26 Steinbänke und frühe Gemälde aus den 1980er Jahren erweitern die Präsentation. Alles ist von Worten, von Sprache, von Mitteilungsbedürfnis geprägt. So als wollte die Künstlerin die Weisheiten der Welt sammeln – und sie so geballt auf das Publikum niederrasseln lassen, dass deren schaler Klang ihre Leere offenbart.
„Truisms [Binsenweisheiten]“, mit denen Jenny Holzer ihre versammelt einzeilige Texte, die wie Tatsachenbehauptungen klingen. Die Künstlerin ließ sie 1977 bis 1979 in New York in schwarzer Schrift auf weißes Papier drucken und klebte sie im öffentlichen Raum. Die kurzen Sätze beinhalten bei genauer Betrachtung gewaltigen Sprengstoff und sollten (eigentlich) Reaktionen triggern. Wenn Holzer scheinbar lakonisch festhält: „ABUSE OF POWER SHOULD COME AS NO SURPRISE“ oder „SEX DIFFERENCES ARE HERE TO STAY” Wahr oder unwahr? Richtig oder falsch? Merksatz oder Machtmissbrauch? In den 70ern wurden die anonymen Poster auf den Straßen mit Kommentaren versehen und so zum Anstoß einer politisch-gesellschaftlichen Debatte. In Düsseldorf wurde dieser partizipative Anteil jedoch zugunsten eines Dialogs Holzers mit der Graffiti-Künstlerin Lady Pink ausgeschaltet. Lady Pink sprüht Bilder auf Holzers Texte, die Motive von Fotografien der bekannten Dokumentarfotografin Susan Meiselas (*1948) – sie arbeitete während der Bürgerkriege in den späten 1970er und den 1980er Jahren in Nicaragua und El Salvador – aufnehmen.
Mit den „Inflammatory Essays [aufrührerische Essays]“ (1979–1982) übertrug die Künstlerin diese Strategie auf politische und künstlerische Manifeste. Jeder Essay ist 100 Wörter lang, in 20 Zeilen gesetzt und auf leuchtend bunten Papieren gedruckt. An der Wand erscheinen die „Inflammatory Essays“ wie ein fröhliches Mosaik. Jenny Holzer startete damit einen Nachdenkprozess über Intoleranz, Idealismus, Gewalt, Konsum, Aktivismus, Geschlechterbeziehungen und Machtmissbrauch.
Seit dem Jahr 1983 nutzt Jenny Holzer LED-Technologie, um ihre Texte in den öffentlichen Raum zu bringen. Sonst für Live-Ticker, Breaking News und Werbung eingesetzt, sprühen die Licht-Paneele unter ihrer Regie vor Binsenweisheiten, individuellen Empfindungen und Verletzbarkeit, wenn Holzer Texte aus den Serien „Truisms“ (1977–1979) und „Survival“ (1983–1985) einspeist. Wie eine DJane kuratiert Holzer diese LEDs. Eine Robotersteuerung ermöglicht ihr seit 2015, die Lichtbänder in Bewegung zu versetzen.
Dass die Künstlerin die Medien ihrer Werke präzise wählt, um die Vermittlung ihrer Texte zusätzliches Gewicht und Öffentlichkeit zu verleihen, wird einmal mehr in ihren Steinbänken deutlich. Dem Kurzlebigen des Plakats und der sich bewegenden Lichtinstallation begegnet die Amerikanerin mit Steinbänken, an denen sie seit 1986 arbeitet. Sie verbindet darin Strategien ihrer textbasierten Arbeiten mit der Tradition der Bildhauerei, mit skulpturalen Ansätzen der Minimal Art. Die elektronische Anzeige findet eine Erweiterung bzw. einen Gegensatz in den in Stein gemeißelten Gedenkinschriften, den letzten Worten von Opfern. Ein Schlüsselwerk der Ausstellung ist der „Survival“ Sitzkreis aus siebzehn roten Granitbänken, den Holzer erstmals in ihrer bedeutenden Einzelausstellung 1989 im New Yorker Guggenheim Museum präsentierte. Kurz darauf änderte die Künstlerin ihre Arbeitsweise drastisch: Seit 2001 verwendet sie keine eigenen Texte mehr, sondern nutzt vorgefundenes Material von Autor:innen bis zu veröffentlichten, wenn auch geschwärzten Militärdokumenten.
Zur gleichen Zeit entdeckte die Künstlerin auch die Macht des Raumes für ihre Installationen:
„Nie bin ich der Lebensfreude [von Matisse, Anm. AM] näher gekommen, als in der Neuen Nationalgalerie [zu Berlin], als ich sie hübsch bernsteinfarben werden und sich auflösen ließ. Als ich die Zeichenfelder an der Decke einschaltete, ließen sie ein Feuer entstehen und das Museum von außen glühen. Der Text strömte dahin, und die Decke schien sich hinabzubeugen oder zu wölben. Die Bedeutung wirkte etwas bedrohlich, die Wölbung erhebend.“1 (Jenny Holzer)
Seither konzipiert Jenny Holzer ihre Werke sowohl auf den Ausstellungsraum als auch auf das Umfeld hin. Texte in Galerien und Museen können länger sein als jene, die sie im öffentlichen Raum projiziert oder leuchten lässt. Auch in Düsseldorf bringt die Künstlerin ihre Werke in die Stadt. Sie tauchen auf als Störer auf Werbetafeln, an den Infoscreens in den U-Bahnhöfen am Düsseldorfer Hauptbahnhof und der Heinrich-Heine-Allee sowie in der Ankunftshalle am Düsseldorfer Flughafen. Das K21 greift auf die Straße aus und bringt die Künstlerin dorthin zurück, wo sie begonnen hat: Als zum Widerspruch auffordernde Akteurin im gesellschaftlichen Gefüge!