Edward Hopper

Wer war Edward Hopper?

Edward Hopper (1882–1967) zählt zu den bekanntesten US-amerikanischen Malern des 20. Jahrhunderts. Sein Werk wird im Kontext von Neue Sachlichkeit (→ Neue Sachlichkeit), Amerikanischem Realismus und Impressionismus diskutiert. Über die Ungegenständliche Kunst äußerte er sich sich kritisch. Häufig werden seine Werke als dezidiert amerikanisch interpretiert. In ihnen bevölkern wenige, isolierte und melancholische Figuren schlaglichtartig beleuchtete Tankstellen, Motelzimmer, Büros und Lokale. Hopper führte seine Ölgemälde und Aquarelle äußerst sorgfältig aus und verlieh ihnen – bewusst oder unbewusst – eine zeitlose Qualität, die als Aussage über die conditio humana gewertet werden kann.

„Große Kunst ist der äußere Ausdruck eines inneren Lebens im Künstler, und dieses innere Leben prägt seine persönliche Sicht. [...] Das innere Leben des Menschen ist ein vielschichtiges Feld.“1 (Edward Hopper, in: Reality, 1, Frühjahr 1953)

Das Werk von Edward Hopper ist erstaunlich klein; so sind gerade einmal 366 Ölgemälde bekannt. Das Finden eines Sujets war für den amerikanischen Maler ein außerordentlich schwieriger Vorgang. Monate-, sogar jahrelang war er auf der Suche nach dem perfekten Motiv, das mit einem inneren Bild korrelierte. Die Kompliziertheit des Beginnens und seine Flucht davor mündeten in unzählige Besuche von Theatern und Kinos, vor allem aber in intensive Lektüre.

Kindheit und Ausbildung zum Maler und Illustrator

Edward Hopper wuchs in der Kleinstadt Nyack, New York, mit Blick auf den Hudson River auf. Er begeisterte sich früh für die vielen Boote und Rennyachten, die er beobachten konnte, wie sie aus dem Hafen hinausfuhren. Im Alter von 15 Jahren baute sich Hopper ein kleines Segelboot, auf Englisch „Catboat“. Das Holz stellte ihm sein Vater, der einen Textil- und Kurzwarenladen in der Stadt besaß, zur Verfügung. Da der junge Hopper das Segeln liebte, zog er eine Karriere als Marinearchitekt in Betracht.

Allerdings ließ er sich zunächst als kommerzieller Illustrator ausbilden. Edward Hopper belegte deshalb zwischen 1899 und 1900 Kurse an der New York School of Art (Chase School). Erst 1900 wechselte er an die New York School of Art, wo er bis 1906 bei den bekannten amerikanischen Künstlern William Merritt Chase und Robert Henri Malerei studierte. Robert Henri war der Gründer der sozialkritischen Künstlergruppe der Ashcan School (gegr. 1908), die für Hoppers spätere identitätsstiftende, das Leben der „einfachen Leute“ thematisierende Malerei wichtig wurde. Nach dem Studium arbeitete Edward Hopper ein Jahr Teilzeit als Illustrator für die New Yorker Werbeagentur C.C. Philips and Company.

Hopper, ein später „Impressionist“

Im Oktober 1906 reiste Edward Hopper mit finanzieller Hilfe seiner Eltern nach Paris, wo er bei einer französischen Familie in der Rue de Lille 48 lebte. Obwohl er keine Schule besuchte, malte er häufig im Freien und verliebte sich in die Stadt und ihre Kultur. Begeistert hielt er fest:

„Ich glaube nicht, dass es eine andere Stadt auf der Erde gibt, die so schön ist wie Paris oder ein anderes Volk, das das Schöne so schätzt wie die Franzosen. “2

Zeit seines Lebens empfand sich Edward Hopper als „Impressionist“. Die Liebe zum Impressionismus weckte sein Studienkollege Patrick Henry Bruce, der ihn mit den Malern in Paris bekannt machte. Hopper interessierte sich besonders für die Werke von Pierre-Auguste RenoirAlfred Sisley und Camille Pissarro. Während des Aufenthalts malte er unter deren Einfluss Pariser Straßenszenen Nach Paris besuchte Hopper noch London, Amsterdam (wo er begeistert Rembrandts „Nachtwache“, 1642, sah → Rembrandt im Rijksmuseum), Haarlem, Berlin und Brüssel, doch keine der Städte prägte ihn so sehr wie Paris. Er kehrte 1909 für vier Monate zurück und ein drittes Mal 1910 nur für kurze Zeit.

Die Ölskizzen, die er in diesen Jahren schuf, zeigen seine Auseinandersetzung mit ungewöhnliche Bildausschnitte und eine flächige Malerei. Offensichtlich orientierte sich Hopper an Künstlern wie Albert Marquet oder Félix Vallotton. Diese Maler lehrten ihn die Konzentration auf künstlerische Mittel, wobei der charakteristische Hopper-Stil sich erst ab 1915 in der Druckgrafik zu entwickeln begann.

Erfolgreicher Grafiker

Edward Hopper kehrte 1907 wieder nach New York zurück, wo er weiterhin als Illustrator arbeitete. Diese freiberufliche Tätigkeit übte er in den folgenden 16 Jahren immer wieder aus, wobei er mit Radierungen seinen ersten finanziellen Erfolg als Künstler verbuchen konnte. Die Arbeit als Illustrator sicherte ihm ein Einkommen, Edwar Hopper empfand es jedoch immer als Last. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass der Maler Hopper dem Illustrator verdankte, wie mit wenigen, sparsamen Mitteln atmosphärische Wirkung erzielt werden kann.

Im Jahr 1908 übersiedelte Hopper nach New York City. Sein Freund und Künstlerkollegen Martin Lewis brachte ihm 1915 die Technik der Radierung bei. Hoppers Ätz- und Kaltnadelradierungen finden großen Anklang und werden in den kommenden Jahren in verschiedenen Ausstellungen gezeigt. Zu den wichtigsten Themen, die sich der Druckgrafiker erarbeitete gehören Bilder von der nächtlichen Grossstadt und die Verbindung von Innen- und Außenraum, das Evoziieren erotischer Spannung, ergänzt durch einsame Häuser, Eisenbahnen und Segelschiffe.

Obschon Edward Hopper immer wieder Ölgemälde und Zeichnungen auf Ausstellungen präsentierte (1908, 1910–1912, 1913), gelang dem Vierzigjährigen der Durchbruch als Maler während der 1920er Jahre. Denn erst ab 1920 entstanden jene Bilder, für die Hopper heute so berühmt ist. Die Bedeutung der Radierung für Hoppers Entwicklung darf nicht unterschätzt werden.Der Künstler selbst war sich dessen vollauf bewusst, wenn er meinte:

„Nachdem ich mit dem Radieren angefangen hatte, kristallisierten sich meine Gemälde heraus.“3

Während des Ersten Weltkriegs verdiente sich Edward Hopper als Plakatkünstler Anerkennung von Auftraggebern, Publikum und Kritik. Der gefeierte Entwerfer gewann 1918 einen Plakatwettbewerb der United States Shipping Board. 1928 hörte Edward Hopper auf, Druckgrafiken herzustellen.

Josephine Nivison Hopper: Künstlerin, Lieblingsmodell und Ehefrau

Edward Hoppers Lieblingsmodell war seine Ehefrau Josephine Verstille Nivison. Sie war auch für seinen Erfolg verantwortlich und posierte für den Rest seiner Karriere für ihn. Als das Paar am 9. Juli 1924 heiratete, war Jo selbst eine erfolgreiche Künstlerin und Schauspielerin. Im Jahr 1923 wurde sie eingeladen, sechs ihrer Aquarelle in einer Gruppenausstellung amerikanischer und europäischer Künstler im Brooklyn Museum of Art zu zeigen. Sie schlug den Kuratoren vor, auch Edward Hoppers Werke in Betracht zu ziehen. Auf ihre Empfehlung hin, konnte Hopper sechs Aquarelle zeigen. Nach dem Ende der Ausstellung kaufte das Brooklyn Museum als erste Institution das Aquarell „Mansardendach“ (1923) für 100 Dollar. Nachdem er das Bild „Sailing [Segeln]“ auf der Armory Show 1913 verkauft hatte, war dies erst der zweite Verkauf eines Werks.

Erste Ausstellungen und eine Debatte über „Modernität“

Seine erste Einzelausstellung bekam Edward Hopper erst im Alter von 37 Jahren. Der inzwischen als Radierer bekannt gewordene Künstler war seit 1914 Mitglied des Whitney Studio Club, der von Gertrude Vanderbilt Whitney in der 147 West 4th Street gegründet worden war. Im Januar 1920 stellte er im Whitney Studio Club Gemälde aus, die sein Freund, der Künstler Guy Pène du Bois, kuratierte. Der wirtschaftliche Erfolg stellte sich erst 1930 ein, nachdem das Museum of Modern Art und im folgenden Jahr das Whitney Museum of American Art Bilder von Hopper erworben hatten.

Die erste Retrospektive organisierte Alfred H. Barr im Museum of Modern Art in New York. Sie war vom 1. November bis zum 7. Dezember 1933 geöffnet. Die Ausstellung löste eine öffentliche Debatte aus, ob Hoppers Bilder tatsächlich „modern genug“ wären, um im MoMA ausgestellt zu werden. Für den allmächtigen Kritiker Clement Greenberg war Hopper ein „schlechter Maler“, dessen technische Unzulänglichkeiten ihn allerdings zu einem „überlegenen Künstler“ machten.4 Der „Realist“ Edward Hopper bewegte sich fernab der Diskurse „moderner“ Kunst. Dieser Wahrnehmung steht jedoch entgegen, dass Edward Hoppers Gemälde „House by the Railroad“ (1925) überhaupt das erste vom Museum of Modern Art angekaufte Werk war. Mit diesem Werk wurde 1930 der Grundstein für die weltberühmte Sammlung gelegt.

„Für mich sind Form, Farbe und Komposition lediglich Mittel zum Zweck, das Handwerkszeug, mit dem ich arbeite, und sie interessieren mich nicht besonders um ihrer selbst willen. Mich interessiert in erster Linie das weite Feld der Erfahrung und Empfindung. […] Ich meine die allgemein menschliche Erfahrung, wohlgemerkt, damit man nicht Gefahr läuft, dass sie mit der oberflächlichen Anekdote verwechselt wird. Bilder, die auf farbliche oder kompositorische Harmonien oder Dissonanzen reduziert sind, stoßen mich ab. / Mein Ziel ist es immer gewesen, von den Gefühlen und Empfindungen ausgehend, die mir die Natur einflößt, meine innerste Wahrnehmung von einem Sujet, welches das intensivste Gefühl in mir auslöst, auf die Leinwand zu bringen; die Qualität meiner Beziehung zu diesem Sujet, meine Vorentscheidungen geben der Darstellung die Form. […] Kunst ist in so hohem Maße ein Ausdruck des Unbewussten, dass mir scheint, dass sie dem Unbewussten das Wichtigste verdankt und das Bewusstsein nur eine untergeordnete Rolle spielt. Aber diese Dinge sollte besser ein Psychologe entwirren.“5 (Edward Hopper in einem Brief an Charles H. Sawyer, den Direktor der Addison Gallery of American Art in Andover, Massachusetts, 1939)

Edward Hoppers Stil

Edward Hopper entwickelte seinen reifen Stil während der 1920er Jahre. Er reiste mit seiner zukünftigen Frau, der Malerin Josephine Verstille Nivison, die er 1915 kennengelernt hatte, durch die Vereinigten Staaten. In seinen frühen Werken war Edward Hopper deutlich vom Impressionismus geprägt und vollendete seine Bilder vor dem Motiv (meist auch im Freien). Zeitlebens trug Edward Hopper einen Zettel in seiner Jackentasche, auf dem er ein Zitat aus einem Brief Goethes geschrieben hatte. Hopper hatte in der Schule Deutsch gelernt, woher er das Zitat hatte, oder welche Ausgabe er benutzte, ist noch Gegenstand von Untersuchungen:

„Sieh Lieber, was doch alles Schreibens Anfang und Ende ist, die Reproduktion der Welt um mich, durch die innere Welt, die alles packt, verbindet, neuschafft, knetet und in eigner Form, Manier, wieder hinstellt, das bleibt ewig Geheimnis, Gott sei Dank, das auch ich nicht offenbaren will den Gaffern und Schwätzern.“6 (Johann Wolfgang von Goethe in einem Brief an Friedrich Heinrich Jacobi, 21. August 1774)

Nachdem er auf Anraten von Martin Lewis begonnen hatte, sich mit der Radierung zu beschäftigen, war Hopper gezwungen, Bilder aus dem Gedächtnis zu erschaffen. Für den Rest seines Künstlerlebens arbeitete Edward Hopper mit der Verbindung von Skizzen aus dem Leben mit erfundenen Kompositionen. Der Freiluftmaler entwickelte sich zu einem Maler, der seine Werke sorgfältig im Atelier konzipierte.

Edward Hoppers Malstil blieb während seines gesamten Lebens relativ unverändert. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, die sich mit verschiedenen künstlerischen Bewegungen auseinandersetzten (vgl. im Gegensatz dazu Mark Rothko), blieb Hoppers visuelles Vokabular von Mitte der 1920er Jahre bis zu seinem Tod im Jahr 1967 bemerkenswert gleichförmig. Daher kann sein Werk nicht in verschiedene Phasen unterteilt werden.

Edward Hoppers häufigstes Thema ist die einsam wirkende, vereinzelte Person, die sich mit in einem Zimmer mit Aussicht befindet. Meist nutzte er dafür Frauen, die landläufig als Projektionen seiner persönlichen Stimmungslage bzw. Selbstbeobachtung gedeutet werden. Häufig findet sich auch die Interpretation, dass Edward Hopper mit ihnen die Zeit des Börsenkrachs und der anschließenden Depression beschreiben wollte. Allerdings stehen diese Figuren auch für Hoppers Vorliebe, eine ruhige und nachdenkliche Untersuchung des Selbst zu führen.

In Bezug auf die von ihm als dezidiert „amerikanische“ Landschaft bezeichnete Raumdarstellung äußerte sich Edward Hopper 1939 hinsichtlich der von ihm gewünschten Unbegrenztheit. Er inszenierte amerikanische Landschaften als weit, von einfachen Holzhäusern und wenig Infrastruktur besetzt, charakterisiert durch Gras, Wald und Meer sowie (seltener) Kuhherden und (häufiger) Segler. Ein weiteres für den Maler bedeutendes Element seiner Landschaften ist das Sonnenlicht, das er als hell beleuchtete, fast strahlende Oberflächen, als Sonnenflecken oder als Schatten erfahrbar macht. So studierte er zwischen 1914 und 1919 in Maine die Wirkung von Licht und Schatten auf Felsen. Über „Manhattan Bridge Loop” von 1928 meinte er:

„Die sehr langgestreckte, horizontale Form […] ist ein Versuch, den Eindruck großer seitlicher Weite zu vermitteln. Wenn man die wichtigsten horizontalen Linien einer Komposition ohne große Unterbrechung bis an den Rand eines Bildes betont, verstärkt man diese Vorstellung und suggeriert dem Betrachter die Räume und Elemente jenseits der Grenzen der dargestellten Szene. Diese Räume außerhalb des Blickfelds prägen stets den sehr begrenzten Raum, den der Künstler darstellen will; allerdings glaube ich nicht, dass alle Maler sich dessen bewusst sind.“ 7 (Edward Hopper „über Manhattan Bridge Loop” von 1928 (Addison Gallery of American Art, Andover)

Edward Hopper und Edgar Degas

Jo überreichte ihrem Mann 1924 ein Buch über Edgar Degas, den Hauptvertreter der figurativen Richtung des Impressionismus. Hoppers Werke zeigen ab den 1920er Jahren ein klares Verständnis der kompositorischen Strategien von Degas, die sich am deutlichsten durch starkes Beschneiden, extreme Diagonalen und ungewöhnliche visuelle Perspektiven beschreiben lassen. Von Degas übernahm Hopper das Konzept des ornamental organisierten Bildraums. Indem er immer wieder darauf verweist, dass jedes seiner Bilder nur ein Ausschnitt ist (er zeigt in den Fenstern weitere Ausschnitte), und das Gefühl hervorruft, es würde sich um ein Standbild eines Films handeln, erreichte Hopper trotz aller Ruhe unablässige (gedankliche) Bewegung in seinen Bildern.

Edward Hoppers berühmtestes Bild: „Nighthawks“

Edward Hoppers berühmtestes Bild ist „Nighthawks“, auf Deutsch „Nachtschwärmer“, das er 1942 schuf und sich seit dem Jahr seiner Entstehung im Art Institute of Chicago befindet. Das 84,1 x 152,4 cm große Gemälde brachte dem Maler, der seit Anfang der 1930er Jahre große Erfolge feierte, sofort Anerkennung. Der Titel „Nighthawks“ war eine Erfindung von Edwards Ehefrau Jo, den dieser sofort übernahm.

Kurz nachdem die japanische Armee Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 angegriffen hatte und am folgenden Tag die USA in den Zweiten Weltkrieg eingetreten waren, begann Edward Hopper die Arbeit an „Nighthawks“. Nach etwa eineinhalb Monaten Arbeit war das Werk vollendet. Seither gilt das Gemälde als Symbol für die trostlose Stimmung der Zeit, für die Bestürzung über den unerwarteten und plötzlichen Kriegseintritt und düsteren Zukunftsaussichten. Zweifellos ist es Ausdruck dafür, dass sich der Maler von der einsetzenden Kriegshysterie nicht anstecken ließ und der Propaganda distanziert gegenüberstand.

Inspiration für die Architektur des hell erleuchteten Diners war ein Restaurant an einer Straßenkreuzung in der Greenwich Avenue, in deren Nähe der Maler seit 1913 sein Wohnatelier hatte. Zu den erfolgreichen Strategien Hoppers zählt, dass er die Szene so weit anonymisierte, dass die Bar auf viele Orte in Amerika passen könnte. Für das männliche Figurenpersonal saß er selbst Modell, die Frau gestaltete Hopper nach seiner eigenen Ehefrau Josephine.

Das Bild zeigt drei „Nighthawks“ und einen Barista in Weiß. Die Personen starren vor sich oder besser in sich. Das nebeneinandersitzende Paar ist genauso stumm mit sich selbst beschäftigt wie die männliche Rückenfigur, dessen Körperhaltung Müdigkeit ausdrückt. Die anonymen Nachteulen hängen ihren Gedanken nach, haben vielleicht Sorgen. Der Hutträger raucht eine Zigarette, seine rothaarige Begleiterin im roten Kleid starrt auf ein kleines Objekt in ihren Händen, ein Marshmallow. Niemand spricht, keiner lacht. Das goldgelbe Licht in dem hell erleuchteten Raum wirkt freundlich und verstärkt die Einsamkeit noch mehr. Eine große, nahtlose Glasfläche verbindet und trennt Innen- und Außenraum miteinander. Wenn auch Edward Hopper immer betonte, dass er keine Symbole der Isolation oder Einsamkeit einer Großstadt verarbeitet hätte, steigerte er doch den Eindruck von Zeitlosigkeit.

Dazu trägt bei, dass der Betrachterstandpunkt sich außerhalb des Diners befindet. Die Betrachtenden finden sich in der Position des Voyeurs, der aus dem Dunkeln einen guten Blick auf sein Gegenüber hat. Hopper eliminierte jeden Hinweis auf die Eingangstür des Lokals, weshalb die Figuren im abgeschlossenen Raum unter sich bleiben. Mit Hilfe von vereinfachten Formen und dem Spiel des Lichts erarbeitet Hopper eine gleichwohl expressive wie introvertierte Szene. Ob es sich bei dem unwirklich glühenden Licht um Leuchtstoffröhren handelt, die seit den frühen 1940er Jahren in Gebrauch waren, sei dahingestellt. Deutlicher wirkt die Verbindung zum gerade entstehenden Film Noir, der Gewalt, Verbrechen und das schnelle Leben von Gangstern ins Zentrum stellt.

Hopper und die Architektur Amerikas

Edward Hoppers Interesse an der amerikanischen Architektur begann in dessen Kindheit und hielt während seiner gesamten Karriere an. Bei der Auswahl der zu malenden Gebäude konzentrierte er sich oft eher auf ihre abstrakten Formen als auf ihre offensichtliche Schönheit. Hopper bewertete wiederholt die Vorzüge von Städten, die er besuchte, anhand ihrer architektonischen Qualitäten.

Häufig wird zitiert, der Maler hätte nur „das Sonnenlicht auf der Seite des Hauses“ malen mögen. Der „Impressionist“, „Realist“ oder auch „Sozialrealist“, als der er sich selbst sah und seine Kommentatoren seine Werke interpretierten, erforschte die Architektur des ländlichen wie des metropolitanen Amerika wie kein zweiter.

„Ich bin Realist und reagiere auf natürliche Phänomene. Schon als Kind fiel mir auf, dass das Sonnenlicht auf dem oberen Teil des Hauses anders ist als auf dem unteren Teil. Das Sonnenlicht auf dem oberen Teil des Hauses löst eine Art Begeisterung aus. Wissen Sie, in ein Bild gehen viele Gedanken, viele Impulse ein – nicht nur einer. Das Licht ist für mich ein wichtiges Ausdrucksmittel. Ich gehe aber gar nicht besonders bewusst damit um. Ich glaube, das Licht ist für mich eine natürliche Ausdrucksweise. […] Das Sonnenlicht auf den Gebäuden und den Figuren interessiert mich mehr als irgendein Symbolismus.“8 (Edward Hopper)

Die Innenräume, in denen Hoppers Geschichten spielen, sind von interessanten Brüchen gekennzeichnet. Der Maler schaffte gleichsam spielerisch die Gratwanderung zwischen Realismus und subtilen Brüchen mit der Logik. Die kastenförmige Architektur der Räume (Bühnen) wirkt auf dem ersten Blick immer überschaubar und korrekt konstruiert. Bei genauer Betrachtung fallen Inkongruenzen auf, wie perspektivische Streckung, unterschiedliche Kantenverläufe, Ungereimtheiten in Bezug auf Lichtquellen aber auch der Anatomie der Dargestellten.

„Meine Absicht war immer die möglichst genaue Wiedergabe meiner unmittelbarsten Eindrücke der Natur [most intimate impressions of nature].“9 (Edward Hopper, Notes on Painting, 1933)

Hopper und der Film

Edward Hopper war fasziniert von Filmen und ging regelmäßig ins Kino. Der Maler merkte einmal an: „Wenn ich keine Lust zum Malen habe, gehe ich eine Woche oder länger ins Kino.“

Der Einfluss des Kinos auf Edward Hoppers Werk kann nicht überschätzt werden. Zum einen wirken viele von Hoppers Bildern wie Filmstills. Zum anderen machte Alfred Hitchcock seinen amerikanischen Landsmann unsterblich, als er das berühmte Haus in „Pyscho“ (1960) nach Hoppers „House by the Railroad“ (1925, Museum of Modern Art, New York) schuf. Hoppers Kunst, die oft auf Kino und Film Noir anspielt, wurde zu einer bedeutenden Inspirationsquelle für Generationen von Filmemachern wie Alfred Hitchcock, Wim Wenders, David Lynch und Terrence Malick.

Darüber hinaus war und ist das Werk von Edward Hopper auch eine wichtige Inspiration für zeitgenössische Fotografen. Bereits Clement Greenberg verglich die stillen Kompositionen und die aus dem Leben geschöpften Themen mit Fotografien von Walker Evans und Weegee. Dazu kommt noch Hoppers durchdringendes Studium der Psyche, was Fotografen wie unter anderem Gregory Crewdson, Robert Adams, Diane Arbus, William Eggleston, Robert Frank, Walker Evans, Stephen Shore und Nan Goldin beeinflusste.

Tod

Mit „Two Comedians“ (Privatbesitz) malte Edward Hopper 1966 sein letztes Ölgemälde. Es zeigt den Maler und dessen Ehefrau als Schauspieler, die sich gerade von ihrem Publikum verabschieden. Interpreten sehen in der liebevollen Geste eine Hommage Hoppers an seine Frau Jo, die ihn während seiner gesamte Karriere so aufopfernd unterstützt hatte: Ihr Ambitionen als Schauspielerin lebte sie als Modell ihres Mannes im Geheimen aus. Zudem verband das Paar die Liebe zu Theater und Film. So vereint das Gemälde einige Leitmotive aus Hoppers Werken, darunter auch die gesuchte Perspektive und der Kontrast zwsichen Licht und Schatten. Als letztes Werk des New Yorker Malers darf es aber auch als sein Abschied von der Welt gedeutet werden.

Nach langen Krankenhausaufenthalten verstarb Edward Hopper am 15. Mai 1967. Seine Frau, Jo Hopper, verschied am 6. März 1968. Das Paar war kinderlos geblieben.

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  1. Zit. n. Sheena Wagstaff (Hg.), Edward Hopper (Ausst.-Kat. Tate Modern, London 27.5.-5.9.2004; Museum Ludwig, Köln, 9.10.2004-9.1.2005), Ostfildern-Ruit 2004, S. 11.
  2. Zit. n. Gail Levin, Edward Hopper: The Art and the Artist, New York, 1980, S. 23.
  3. Hopper in einem Gespräch mit Suzanne Burrey; Suzanne Burrey, Edward Hopper: The Emptying Spaces, in: The Arts Digest, 29, 1. April 1955, S. 8–10, 33, hier S. 10.
  4. Clement Greenberg, Review of the Whitney Annual, in: The Nation, 28.12.1946, Nachdruck in: Clement Greenberg, The Collected Essays and Criticism, hg. v. John O’Brian, Bd. 2, Chicago 1988, S. 118.
  5. Edward Hopper an Charles H. Sawyer, 19. Oktober 1939, zit. n. Didier Ottinger, Edward Hopper. Amerika – Licht und Schatten eines Mythos, übers. von Barbara Heber-Schärer und Claudia Steinitz, München 2013, S. 103
  6. Goethes Werke ( Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, Bd. 12: Schriften zur Kunst. Schriften zur Literatur. Maximen und Reflexionen), München 1994, S. 564.
  7. Edward Hopper an Charles H. Sawyer, 19. Oktober 1939, zit. n. Didier Ottinger, Edward Hopper. Amerika – Licht und Schatten eines Mythos, übers. von Barbara Heber-Schärer und Claudia Steinitz, München 2013, S. 103, zit. n. Ulf Küster, Edward Hopper – Ein neuer Blick auf Landschaft. Über die Ausstellung in der Fondation Beyeler (Ausst.-Kat. Fondation Beyeler, Riehen b. Basel, 26.1.– 17.5.2020) Berlin 2020, S. 13–22, hier S. 18.
  8. Katherina Kuh, The Artist’s Voice. Talks with Seventeen Artists, New York 1962, S: 140 und 134. Zit. n. Sheena Wagstaff, Begeisterung für das Sonnenlicht, in: Sheena Wagstaff (Hg), Edward Hopper (Aust.-Kat. Tate Modern, London, 27.5.–5.9.2004; Museum Ludwig, Köln, 9.10.2004–9.1.2005), Ostfildern-Ruit 2004, S. 12–29, hier S. 12.
  9. Edward Hopper, Notes on Painting, in: Edward Hopper. Retrospective Exhibition, hrsg. von Alfred Barr (Ausst.-Kat. The Museum of Modern Art, New York, New York 1933), S. 7, dt. Übersetzung in: Didier Ottinger, Edward Hopper. Amerika – Licht und Schatten eines Mythos, übers. von Barbara Heber-Schärer und Claudia Steinitz, München 2013, S. 102, zit. n. Ulf Küster, Edward Hopper – Ein neuer Blick auf Landschaft. Über die Ausstellung in der Fondation Beyeler (Ausst.-Kat. Fondation Beyeler, Riehen b. Basel, 26.1.– 17.5.2020) Berlin 2020, S. 13–22, hier S. 14.