Elger Esser – Aetas in Linz
0

Elger Esser – Aetas Ausstellung zu Proust, Frankreich und Nicht-Zeit in Linz

Elger Esser, Pointe du Percho, Frankreich, 2006, C-Print, DiaSec Face

Elger Esser, Pointe du Percho, Frankreich, 2006, C-Print, DiaSec Face

Elger Esser (* 1967) stellt für das Landesmuseum Linz seine erste museale Präsentation zusammen. Der Titel „Aetas“ (lat. Zeitalter) beschreibt die Faszination des Fotokünstlers für die Zeit, die in seinen Aufnahmen mehrfach stehengeblieben zu sein scheint. Zum einen konstruiert er in seiner jüngsten, für Esser charakteristischer Weise in über zehn Jahren entstandenen, jüngsten Serie „Combray“ eine Stadt, die nur zwischen zwei Buchdeckeln existiert.

Proust, Monet und die eingefrorene Zeit

Der in Stuttgart geborene Künstler wandelt auf den Sprachspuren von Proust, so wie dieser in seiner „Recherche“ die reiche Bildwelt der europäischen Kunstgeschichte verarbeitete: von Giotto di Bondones Arenakapelle, über Rembrandt van Rijns „Nachtwache“ zu El Grecos „Das Begräbnis des Grafen Orgaz, aber auch den französischen Malern des 19. Jahrhunderts - David, Eugène Delacroix, Edouard Manet, Pierre-Auguste Renoir, Claude Monet reichen die zahlreichen Anspielungen, Analogien, Metaphern und Symbole Prousts. In „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ denkt der Erzähler in Bildern, sucht jene glücklichen Tage im alten, nun verlorenen Combray. Bilder stehen für Gefühle, für Erinnerung, für Ewigkeit, schlussendlich für den Sinn – und das Dorf Combray für eine glückliche Kindheit.

„Durch die Kunst nur vermögen wir aus uns herauszutreten und uns bewusst zu werden, wie ein anderer das Universum sieht, das für ihn nicht das gleiche ist wie für uns und dessen Landschaften uns sonst ebenso unbekannt geblieben wären wie die, die es möglicherweise auf dem Mond gibt. Dank der Kunst sehen wir nicht nur eine einzige Welt, nämlich die unsere, sondern eine Vielzahl von Welten; so viele wahre Künstler es gibt, so viele Welten stehen uns offen: eine von der anderen stärker verschieden als jene, die im Universum kreisen, senden sie uns Jahrhunderte noch, nachdem der Fokus erloschen ist, von dem es ausging, ob er nun Rembrandt oder Jan Vermeer hieß, ihr spezifisches Licht.“ (Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Bd. 7: Die wiedergefundene Zeit)

Ein Frankreich vor der Modernisierung, inszeniert Elger Esser in seiner über 200-teiligen Fotoserie „Combray“: ein fiktives Dorf mit mittelalterlichen Kirchen, romantischen Flussläufen, unberührter Vegetation, einigen weißen Pferden – aber keinen Menschen, keinen Autos, keiner Industrie. Zudem setzt der Fotokünstler die Aufnahmen im Edeldruckverfahren der Heliogravüre um. Dazu wird das Negativ fotomechanisch in einen Tiefdruck umgesetzt, der feinste Graubabstufungen erlaubt. Langzeitbelichtungen bringen ein Spiel zwischen Schärfe und Unschärfe in die Kompositionen. Stillstehendes wird so sichtbar, Bewegtes verschwindet.

Dass Esser sich innerhalb der Serie mit Monets Garten in Giverny beschäftigte, führt die Frage nach der gemalten Zeit im Impressionismus in die Überlegungen ein. Dem festgehaltenen Effekt, dem Moment hielt Claude Monet die im Atelier konstruierten Großformate des Seerosenteichs entgegen. Über den Impressionismus hinausgehen, wie Monet es seit den 1880er Jahren immer häufiger gemacht hatte. Wiederkehren und in Serien zu arbeiten, waren die wichtigsten Methoden des Malers geworden, jeden Tag wiederkehren, um die gleiche Stimmung, den gleichen Sonnenstand, die gleiche Farbharmonie wiederzufinden und auf die Leinwand zu bannen. Veränderungen, das moderne Leben, das die Impressionisten anfangs so offen umarmt hatten, aber auch Bewegung blendete der berühmte Maler aus Giverny sukzessive und kategorisch aus.

Elger Esser’s „Combray“

Elger Esser hält das ländliche Frankreich fest, Veduten, Architekturen, Landstriche, die schon vor 100 Jahren und mehr so ausgesehen haben wie auf seinen Fotografien der letzten Jahre. Kaum zu glauben, dass es solche Gegenden noch gibt. So entstehen Bilder voller Poesie, in denen sich Esser über Fragen der Zeit, der Erinnerung, des Verlustes und des Scheiterns Gedanken macht. Dass er sich gerade an Prousts Lebenswerk reibt, lässt sich ja vielleicht auch als Selbstreflexion über seinen Status als Künstler, was Elger Esser bislang erreicht hat, auffassen. Eine gewisse Wehmut schwingt in den Bildern mit, eine Sehnsucht nach Stille, nach unberührter Natur, mit der der Mensch eins sein kann. Elger Esser kehrt Prousts Bildbeschreibungen in eine fotografierte Ekphrasis um und findet das Erdachte in erfundenen Landschaften.

Biografie von Elger Esser (* 1967)

1967 geboren in Stuttgart
1969–1986 Elger Esser wuchs in Rom auf.
1986 Rückkehr nach Deutschland
1991–1997 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Bernd und Hilla Becher
1996 Meisterschüler der Becher-Klasse → Die Düsseldorfer Photoschule
1997 Elger Esser schloss sein Studium mit dem Akademiebrief ab.
1998 DAAD-Reisestipendium „Italien“ Förderpreis Bildende Kunst der Stadt Düsseldorf
2008 Gastprofessur für Fotografie an der Folkwang Schule Essen
2006 Serien „Ansichten“ (2004–2006), „Wreks“ (2006)
2006–2009 Professur für Fotografie an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe
2010 Esser wurde der Rheinische Kunstpreis verliehen; Serie „Giverny“ (2010)
2011 Serie „Ägypten“
2012 Erhielt ein Stipendium Hanse-Wissenschaftskolleg (HWK), Institute for Advanced Study, Delmenhorst; Serie „Undinen“ (2012)
2013 Serie „Ninfa“ (2013)
2015 Serie „Landschaften“ (1999–2015)
2016 Elger Esser gewann den Oskar-Schlemmer-Preis (19.2.), dem Großen Staatspreis für Bildende Kunst Baden-Württemberg. Serie „Combray“ (2005–2016)
Der Fotokünstler lebt und arbeitet in Düsseldorf.

Elger Esser: Fotografien

  • Elger Esser, Combray (Rochemenier), Frankreich (Pays de la Loire, 49 Maine-et-Loire), 2011, Heliogravur auf Büttenpapier
  • Elger Esser, Pointe du Percho, Frankreich, 2006, C-Print, DiaSec Face
  • Elger Esser, Harmas (Iris III), 2014, Direktprint, AluDibond, Schellack

Beiträge zur Fotografie

21. März 2024
Francesca Woodman – Julia Margaret Cameron

London | National Portrait Gallery: Francesca Woodman – Julia Margaret Cameron Porträts zum Träumen | 2024

Mehr als 150 seltene Vintage-Prints verbinden die Karrieren beider Künstlerinnen – und offenbaren neue Sichtweisen auf ihre Arbeit und die Art und Weise, wie fotografische Porträts im 19. und 20. Jahrhundert geschaffen wurden.
13. Februar 2024
Tina Modotti, Gitarre, Patronengürtel und Sichel, 1927

Paris | Jeu de Paume: Tina Modotti Fotografin & Revolutionärin | 2024

Vintage-Abzüge & zeitgenössische Abzüge der 1970er Jahre, incl. Zeitschriften mit Modotti-Veröffentlichungen zeigen, wie die Fotografin das Bewusstsein ihrer Zeitgenoss:innen schärfen wollte.
1. Februar 2024
Kathrin Sonntag, Dinge im Hintergrund #4, 2022, Inkjet Print (© Kathrin Sonntag, Courtesy Kadel Willborn, Düsseldorf und die Künstlerin)

Düsseldorf | Kunstpalast: Size Matters. Größe in der Fotografie Bedeutungswandel durch Größenverschiebung | 2024/25

Vom Thumbnail zum Großbild: Werke vom späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart werfen Fragen nach den Konsequenzen von Größe für die Wahrnehmung und den Umgang mit fotografischen Bildern auf.

Aktuelle Ausstellungen

21. April 2024
Kiki Smith, Sky, Detail, 2011, Jacquard-Tapisserie, 287 x 190,5 cm (© Kiki Smith, courtesy Pace Gallery, Foto courtesy the artist and Magnolia Editions, Oakland)

Remagen | Arp Museum: Kiki Smith Verwobene Welten | 2024

Die in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin entwickelte Schau vereint rund 50 Werke, im Zentrum stehen ihre großformatigen, gewebten Wandteppiche.
20. April 2024

Venedig | Biennale 2024 Foreigners everywhere / Stranieri ovunque

Adriano Pedrosa zum künstlerischen Leiter der „60. Biennale von Venedig 2024“ ernannt.
19. April 2024
Caspar David Friedrich, Mönch am Meer, Detail, 1808–1810 (© Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Andres Kilger)

Berlin | Alte Nationalgalerie: Caspar David Friedrich Die Wiederentdeckung | 2024

Berlin feiert die Wiederentdeckung Caspar David Friedrichs im Jahr 1906 mit seiner ersten Friedrich-Ausstellung. 60 Gemälde & 50 Zeichnungen kommen aus nationalen und internationalen Sammlungen, um Themen wie Friedrichs Bilderpaare zu entschlüsseln.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.