Giulia Lama

Wer war Giulia Lama?

Giulia Lama (Venedig 1.10.1681–7.10.1747 Venedig) war eine venezianische Malerin des Barock. Stark beeinflusst von den dramatisch beleuchteten Kompositionen Giovanni Battista Piazzettas, schuf Lama Porträts und Altarbilder, in denen sie auch eigentümliche Verkürzungen nicht scheute.

Giulia Lama gilt als kühne Malerin mit raffiniertem Stil, hohem Intellekt und zurückhaltender Persönlichkeit. Zusätzlich zu ihrer Arbeit als Künstlerin wurde sie für ihre Poesie, Stickerei und ihre wissenschaftlichen Aktivitäten gelobt, mit denen sie die Grenzen überschritt, die Frauen zu Lebzeiten auferlegt wurden.

Kindheit und Ausbildung

Giulia Lama wurde am 1. Oktober 1681 als Tochter der Valentina dell’Avese (gest. 1723) und des Malers Agostino Lama (gest. 1714) in der Calle Lunga, Venedig, geboren. Sie war das älteste von vier Kindern. Sie lebte im Sestiere di Castello in der Nähe des Campo Santa Maria Formosa und blieb eng mit ihrer Familie verbunden, heiratete nie und führte ein größtenteils zurückgezogenes Leben.

Ihr Vater Agostino war ein Künstler, ein Schüler von Pietro Della Vecchia, und es wird angenommen, dass sie bis zu seinem Tod im Jahr 1714 bei ihm studierte und arbeitete. Vermutlich erhielt Giulia Lama im Elternhaus ihre erste künstlerische Ausbildung. Doch auch ihr Pate, der Porträtmaler Niccolò Cassana (1659–1711/14), dürfte sie bei ihrem künstlerischen Werdegang unterstützt haben. Dabei soll ihr Augenmerk, glaubt man dem Mathematiker und Historiker Abate Antonio Schinella Conti (1677–1749), jedoch zunächst der Mathematik gegolten haben.1

Freundschaft mit Giovanni Battista Piazzetta

Auch wenn es keine schriftlichen Quellen über eine Schulung durch ihren gleichaltrigen Landsmann Giovanni Battista Piazzetta (1682–1754) gibt, weisen ihre Werke stilistische Ähnlichkeiten mit seinen Gemälden auf. Zu nennen sind hier die dramatische Lichtregie mit extremen Licht- und Schattenpartien, aber auch das Arbeiten mit Untersichten und Diagonalen. Im Vergleich zu Giovanni Battista steigerte Giulia diese Grundprinzipien ins Extreme.2 Heute wird angenommen, dass sie nicht Lehrer und Schülerin waren, sondern miteinander befreundet. Im Laufe ihrer Karriere haben sie einander offensichtlich gegenseitig beeinflussten. Lama diente als Modell für einige seiner Porträts, darunter eines aus den Jahren 1715 bis 1720, in dem sie als Malerin bei der Arbeit mit Palette und Pinsel in der Hand dargestellt ist. Viele von Lamas Werken zu Beginn ihrer Karriere wurden einst Piazzetta zugeschrieben.

Dass der venezianische Künstler seine Malerkollegin äußerst schätzte, zeigt das Porträt, das er von ihr anfertigte: „Bildnis der Giulia Lama“ (um 1715/20, Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid). Auch bei anderen Zeitgenossen fand Giulia große Anerkennung.

Werke

Giulia Lama wird als Malerin erst spät greifbar: 1719 entstand das nicht mehr erhaltene Bildnis des Prokurators Pietro Grimani, das durch eine Radierung von Andrea Zucchi überliefert ist.

Die ersten bekannten Werke, die Giulia Lama zugeschrieben werden, stammen aus den frühen 1720er Jahren und umfassen das Altarbild für die Kirche Santa Maria Formosa mit der Darstellung der „Madonna mit Kind und dem Heiligen Petrus, dem Heiligen Magnus und der Allegorie von Venedig“ (1722). Einige Jahre später, wohl zwischen 1726 und 1732, malte Lama die „Kreuzigung“ in der Kirche San Vidal (San Vitale), ein erstaunlich originelles, von Piazzetta inspiriertes Altarbild, das heute als eines der größten Gemälde seiner Zeit gilt. Die „Vier Evangelisten“ von Lama in der Kirche San Marziale wurden etwa zur gleichen Zeit wie die „Kreuzigung“ angefertigt, mit der sie tatsächlich ein dramatisches Hell-Dunkel im Piazzette-Stil gemeinsam haben. Im Jahr 1732 besuchte Anton Maria Zanetti San Marziale und sah nur zwei der vier Gemälde (Markus und Matthäus). Im folgenden Jahr veröffentlichte Zanetti sie in seinem Stadtführer von Venedig mit der Zuschreibung an die „Schule von Piazzetta“. Die verbleibenden zwei Leinwände von Lama wurden wahrscheinlich unmittelbar danach gemalt und datieren die beiden Paare somit in die Zeit um 1732 bis 1734. Im Übrigen bestätigt Zanettis Zuschreibung auch, dass Lama in dieser Zeit von Piazzettas Werk stark angeregt wurde.

Die stilistische und formale Nähe zum Werk Giovanni Battista Piazzettas wird etwa beim „Martyrium der hl. Eurosia“ (um 1745, Venedig, Fondazione Musei Civici di Venezia, Ca’ Rezzonico) deutlich: In ihrem Bild vereint Giulia Lama Auf- und Untersicht auf das Martyrium und nimmt eigentümliche Verzerrungen in Kauf. Ihre Figuren sind im Pathos noch gesteigert. Piazzetta gestaltete seine Figuren ausgewogener und weniger herb, was er auch auf seine Malweise bezog.

Deshalb wurde sie in Venedig auch damit betraut, Altarbilder zu malen. Giulia schuf das Hochaltarbild Maria mit dem Kind, weiteren Heiligen und einer Allegorie der Venetia für die Pfarrkirche S. Maria Formosa. Da in der frühen Neuzeit die Historienmalerei Künstlerinnen wegen angeblich mangelnder Fähigkeiten meist abgesprochen wurde, ist dies als große Bestätigung ihrer Leistungen zu werten.

Über 200 Zeichnungen zeigen, dass sie eine der ersten Künstlerinnen war, die sich regelmäßig mit männlichen und weiblichen Aktmodellen aus dem Leben beschäftigte.

Giulia Lama in der Kunsttheorie

Im Jahr 1726 lobte die venezianische Dichterin und Librettistin Luisa Bergalli sie in ihrer Anthologie als eine „valorosa pittrice“.3 Giulia war aber nicht nur als Malerin tätig, sondern dichtete ebenfalls. Wie Bergalli war sie Mitglied der Accademia dell’Arcadia und verfasste Sonette und Kanzonen, die noch zu ihren Lebzeiten in verschiedenen Anthologien – wie beispielsweise in jener von Luisa Bergalli – erschienen. Unter dem Namen Lisandra schrieb sie auch eine Ode auf ihre venezianische Malerkollegin Rosalba Carriera (1673–1757).

Giulias künstlerisches Können wurde von ihren männlichen Zeitgenossen so weit zurückgewiesen, dass Abt Antonio Conti, ein vielseitiger Humanist und Mann der Wissenschaft, im Jahr 1728 feststellte, dass „das arme Mädchen von Malern verfolgt wird, aber ihre Tugenden über ihre Feinde triumphieren“. Abate Conti schätzte Giulias malerische Fähigkeiten jedoch höher ein: In einem Brief vom 1. März 1728 heißt es, sie male große Kompositionen weitaus besser als Rosalba Carriera.4

Bemerkenswert ist nicht nur, dass Giulia zeitlebens unverheiratet und kinderlos blieb, sondern vor allem, dass sie offenbar nie Mitglied einer Malervereinigung wurde.5 Aufgrund ihrer großen religiösen Gemälde gilt sie als eine der rätselhaftesten und faszinierendsten Figuren des frühen venezianischen Settecento.

Tod

Giulia Lama starb am 7. Oktober 1747 in Venedig. Sie wurde in der Kirche Santi Giovanni e Paolo beigesetzt.

Nachruhm

Giulia Lamas Leben und Karriere wurde bis ins 20. Jahrhundert wenig Beachtung geschenkt. Rodolfo Pallucchini und Ugo Ruggeri entdeckten ihre Bedeutung und Rolle in der Entwicklung der venezianischen Malerei in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Literatur zu Giulia Lama

  • Émilie Hamon-Lehours, Du paratexte à la monographie. Elisabetta Sirani e Giulia Lama, peintres italiennes à l’âge classique, in: Élise Pavy-Guilbert, Stéphane Pujol und Patrick Wald Lasowski (Hg.): Femmes artistes à l’âge classique. Arts du dessin – peinture, sculpture, gravure, Paris 2021, S. 185–199.
  • Heiko Damm, Lama, Giulia, in: Andreas Beyer, Bénédicte Savoy und Wolfgang Tegethoff (Hg.):  Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 83, München/Leipzig 2009, S. 12 f.
  • Maria Elena Massimi, Lama, Giulia, in: Dizionario Biografico degli Italiani, 63, Rom 2004, S. 112–114.
  • Bernard Aikema, Early Tiepolo Studies, I. The Ospedaletto Problem, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, 26, 3 (1982), S. 339–382.
  • William. L. Barcham, The Religious Paintings of Giambattista Tiepolo, Oxford 1989.
  • Ugo Ruggeri, Dipinti e disegni di Giulia Lama, Bergamo 1973.
  • Rodolfo Pallucchini, Di una pittrice veneziana: Giulia Lama, in: Rivista d’Arte XV (1933), S. 399–413.
  • Antonio Maria Zanetti, Descrizione di tutte le pubbliche pitture della città di Venezia e isole circonvicine, Venadig 1733.
  1. Damm 2009.
  2. ebenda.
  3. Bergalli 1726, S. 226–233.
  4. Damm 2009.
  5. Hamon-Lehours 2021, S. 193.