0

Gunter Damisch. MACRO. MICRO Holzschnitte in der Albertina

Gunter Damisch, Installationsansicht mit Unikatdrucken von Gunter Damisch „MACRO. MICRO“, Albertina 2013, Foto: Alexandra Matzner.

Gunter Damisch, Installationsansicht der Pfeilerhalle mit Unikatdrucken von Gunter Damisch „MACRO. MICRO“, Albertina 2013, Foto: Alexandra Matzner.

Gunter Damischs aktuelle Holzschnitte fassen unter dem Titel „MARO. MICRO“ die Kosmologie des Künstlers in der Albertina zusammen. Nach Herbert Brandl (2009 und 2010) sowie Erwin Wurm „De profundis“ (2012) folgt nun der seit 1992 als Grafikprofessor an der Akademie der bildenden Künste lehrende Gunter Damisch. Circa 60 der knapp über 100 seit 2009 entstandenen, großformatigen Holzschnitte zeigt die Schau in der Pfeilerhalle, ergänzt durch zwei Skulpturen und ein tischartiges Objekt. Das gesamte Damisch-Universum ist hier versammelt: der Flämmler, die haarigen Mikroben, die gleichzeitig an Strukturen aus dem Universum erinnern. Die Albertina schätzt sich glücklich, gemeinsam mit der in Wien und Innsbruck beheimateten Galerie Elisabeth und Klaus Thoman, die Ausstellung und den opulenten Katalog vorzustellen.

Die Arbeiten wirken auf den ersten Blick grafisch-linear, ganz in der Tradition des modernen, künstlerischen Holzschnitts1 der vorletzten Jahrhundertwende verankert. Man spürt förmlich, wie der Künstler dem spröden Holz die Formen abgerungen hat, wie er auch mit den Schnittresten in den weißen Leerflächen arbeitet. Die Drucke sind mit einer Größe von 197 x 120 cm auf ein Maß angelegt, das durchaus den Vergleich mit den großformatigen Gemälden nicht zu scheuen braucht. Die schwebende Montierung der Blätter tut den Arbeiten gut, können so auch die Trägerpapiere am besten, weil am direktesten zur Wirkung gelangen.

Fläche und Raum

Gunter Damisch hat sich in den letzten vier Jahren mit drei verschiedenen Druckarten beschäftigt. Ausgangspunkt für die komplexen Arbeiten sind 16 einfarbige Holzschnitte, die als Editionsdrucke in Schwarz-Weiß gehalten sind und ein All-Over linearer Formen zeigen. Durch Übereinanderdrucken in verschiedenen Farben und Drehen der Druckplatten entstanden in der Folge komplexere, mehrfarbige Unikatdrucke. Mit "Free Jazz" verglich Damisch die dritte Variante der Collage, in denen die er Zeitungsausschnitte, Faksimile von Drucken der Albertina und eigene Drucke auf Transparentpapier verband, letztere entstehen eigentlich beim Reinigen der Druckplatten und werden dann entsorgt. Sind die Gemälde von Gunter Damisch in ihrer Oberfläche charakteristischerweise haptisch, die Farbe pastos aufgetragen, so sind die Drucke naturgemäß der Fläche verhaftet, wenn sie auch durch Blinddrucke2 ein Relief erhalten.

Die Motive spielen die Grundformen von Damischs Mikoorganismen und Makrowelten variantenreich durch. Sie verbinden sich nahezu zu Ornamenten und sind leicht über den Bildrand hinaus erweiterbar. Die ausgefransten Papiere von Damischs Grafiken verstärken noch den Eindruck, dass es sich um Ausschnitte aus größeren Zusammenhängen handeln könnte. Das Musterhafte der Kompositionen changiert auf eigentümlich komplexer Weise zwischen Zwei- und Dreidimensionalität: Während die 16 einfach gestalteten schwarz-weißen Holzschnitte in ihrer Flächigkeit und Reduktion bestechen, sind die mehrfarbigen Unikatdrucke aus einander überlagernden Schichten aufgebaut und bereits im Entstehungsprozess auf Tiefe ausgelegt.

Die Frage von Figur und Grund bzw. Zwei- und Dreidimensionalität führt Damisch auch zur Umsetzung seiner Kompositionen in Skulpturen. Zwei davon sind in der Ausstellung aufgestellt, die eine leuchtet rotorange und die andere silbern. Durch ihre Färbung sind sie nicht nur optisch auffallende Objekte, sondern bilden eine formale Brücke zwischen der Säulenhalle mit ihren Stützen und den grafischen Werken. Die direkteste Umsetzung der Druckgrafik in ein Objekt findet sich im hinteren, schmalen Ausstellungsraum in Form eines Tisches, dessen Tischplatte aus einem Teil einer Druckplatte gefertigt wurde. Hier wird die Materialität der Arbeiten wie auch die Anstrengung des Aushöhlens deutlich gemacht: sprödes Pressspanholz, schwarze Einfärbung der erhabenen Teile, keine Maserung des Holzes zugunsten einer glatten und opaken Oberfläche der Drucke. Für die Beinkonstruktion übersetzt Gunter Damisch seine Muster ins Skulpturale. Erinnerungen an die fragilen Tische mit den kleinen Figuren von Diego Giacometti (1902-1985) werden wach.

Homogenisierung heterogener Materialien

Die Collagen bringen Gunter Damischs Überzeugung von der Bedeutung der Druckkunst für die Geschichte der Kommunikation zum Ausdruck, indem er heterogene Ausformungen von Drucken zusammenklebt: Zeitungsausschnitte aus dem eigenen Archiv (Standard, Die Presse, The New York Times, Neue Zürcher Zeitung sind erkennbar) kleben neben Referenzen an die Kultur- und Kunstgeschichte. Reproduktionen von japanischen Ukiyo-e Drucken sind genauso zu finden wie Wilhelm Buschs Max und Moritz (1865), Zusammenstellungen historischer Trachtensammlungen (wohl 19. Jh.), ein barockes Titelkupfer mit heiligem Augustinus3, Musikerporträts, Genredarstellungen aus dem 18. Jahrhundert und eine Reproduktionsgrafik mit der büßenden heiligen Maria Magdalena (1809) nach Antonio Canova (1757-1822). Wenn sich auch die figurativen Teile selten überschneiden, so ist ihre Lesbarkeit dennoch durch das Überkleben mit bedruckten Transparentpapieren erschwert.

Zwischen reproduzierenden Drucken und Zeitungsausschnitten finden sich immer wieder Unikate, nämlich Damischs Monotypien, die schemenhafte Figuren zeigen, aber auch "Reinigungspapier". Letzteres wird bei der Reinigung der Platten mit den Motiven der Holzschnitte bedruckt und ist eigentlich Abfall im Druckprozess. Damisch baut diese "unkünstlerischen" Drucke ein, um Schichten an Motiven übereinanderlegen zu können. Damit führt er den seit der Renaissance geführten Diskurs ob der verschiedenen Wertigkeit der Druckkunst vor Augen: Einerseits wird der Holzschnitt in der dienenden Funktion der Vervielfältigung von Texten und Bildern präsentiert, durch einzigartige Monotypien ergänzt und wiederum zu unikalen Collagen vereint.

Die Überschrift zu einem NZZ-Artikel vom 23.3.2013 zu Denis Diderot (1713–1784) könnte einen Hinweis auf die künstlerische Strategie hinter den Collagen geben: Gunter Damisch befände sich demnach „Im Labor des Lebens“, in einer Versuchsanstalt zwischen Alltagsgeschehen auf Papier gebannt und Hochkunst aus dem Depot der Grafiksammlung, zwischen privater Sammellust und gesellschaftlicher Funktion von Gedrucktem. Das Speichern von Information auf Papier seit Gutenberg und mit all seinen verschiedenen Ausprägungen ist für den Professor für Druckgrafik essentiell für die Entwicklung unserer Kultur – wie immer sie sich durch die Digitalisierung verändern wird.

Damischs geordnetes Universum

Der Ausstellungstitel „MACRO. MICRO“ suggeriert kein Denken vom Kleinsten ins Große, sondern in die andere Richtung. Diese Haltung wird auch durch die Betitelung der Holzschnitte bestätigt: Damisch nennt seine Holzschnitte etwa „Weltflimmern“, „Weltwegnetzflämmlern“, „Weltlöchern“, „Seit- und Eckweltkonstrukten“. Das Fließen der Welt, ihre Vernetzungen sind wichtige Vorstellungen für die Bildwelt des Grafikers. Die verdichteten Strukturen scheinen wie Sterne aus dem dunklen bzw. hellen Hintergrund zu leuchten. Der Mensch steht mit seiner Kultur und Neugier genau in der Mitte zwischen der kleinsten und der größten vorstellbaren Größe, der Planck-Länge (10-35m) und dem kosmischen Horizont (1026m). Damisch schließt mit der Serie diesen kosmischen Kreis. Vor allem die drei in der Eingangsachse präsentierten Drucke – wunderbar dekorativ die Zusammenstellung von Gelb bzw. Blau und Silber – lassen eher an galaktische Nebel als an Zellhaufen denken, wenn sich auch – wie Charles und Ray Eames bereits 1977 in ihrer Filmarbeit „The Powers of Ten“ eindrucksvoll visuell umgesetzt haben – beide Dimensionen erstaunlich ähneln.

Biografie von Gunter Damisch (* 1958–2016)

1958 in Steyr, Oberösterreich (A), geboren
Studium der Medizin, Germanistik und Geschichte
1977–1983 Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien, Meisterklasse Prof. Max Melcher und Prof. Arnulf Rainer
1982 Erste Einzelausstellung in der Galerie Ariadne (noch als Student!)
1983 Römerquelle-Kunstpreis
1985 Otto-Mauer-Preis und Max-Weiler-Preis
1991 Karl-Rössing-Preis
1992 Gastprofessur an der Akademie der bildenden Künste Wien, Meisterklasse Grafik
1995 Preis der Stadt Wien
1996 Anton-Faistauer-Preis für Malerei des Landes Salzburg
1997 Ordentlicher Professor an der Akademie der bildenden Künste Wien
1998 Preis bei der 2. Internationalen Graphiktriennale, Prag und Oberösterreichischer Landeskulturpreis für Grafik
2011 Kulturpreis des Landes Niederösterreich in der Sparte Bildende Kunst
Lebte und arbeitete in Wien und Freidegg in einem ehemaligen Wirtschaftsgebäude eines verfallenen Renaissance-Schlosses (Bezirk Amstetten/NÖ).
Am 31. April 2016 starb Gunter Damisch an den Folgen einer schweren Krebserkrankung.

  1. Der künstlerische Holzschnitt wurde ab den 1880er Jahren von Künstlern wie Max Klinger, Edvard Munch oder Paul Gauguin wiederentdeckt: Edvard Munchs Druckgrafik und Paul Gauguins Druckgrafik. Diese Grafiker beschränkten sich nicht auf das Entwerfen von Motiven, sondern schnitten die Druckplatten selbst und fertigten auch die Abzüge, teils ohne Druckerpresse als sog. Reiberdrucke, an. Im Vergleich zum reproduzierenden Holzstich der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind künstlerische Holzschnitte als originäre Kunstwerke zu verstehen.
  2. Unter Blinddruck versteht man einen Druck ohne Farbe, sodass sich das gedruckte Motiv als Relief in das Papier einprägt.
  3. In „Silberweltlochflämmlercollage“: Diesen Hinweis verdanke ich Dr. Werner Telesko, wahrscheinlich handelt es sich um ein Titelkupfer, das einst eine Augustinus-Biografie oder die Augustiner-Kanoniker-Regeln eingeleitet hat.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.