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Hamburg | Hamburger Kunsthalle: Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit Mensch und Natur | 2023/24

Caspar David Friedrich, Wanderer über dem Nebelmeer, Details, um 1817 (© SHK/Hamburger Kunsthalle/bpk, Foto: Elke Walford)

Caspar David Friedrich, Wanderer über dem Nebelmeer, Details, um 1817 (© SHK/Hamburger Kunsthalle/bpk, Foto: Elke Walford)

Caspar David Friedrich steht wie kein anderer Maler für die Romantik, seine Werke sind Ikonen einer Zeit größter gesellschaftlicher Umbrüche – und Zeugen eines neuen Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Anlässlich seines 250. Geburtstags präsentiert die Hamburger Kunsthalle über 100 Gemälde und Zeichnungen Friedrichs. Zu den wertvollen Leihgaben gehören die bedeutendsten von ihm geschaffenen Werke wie „Der Mönch am Meer“ (1808–1810), „Kreidefelsen auf Rügen“ (1818), „Der Watzmann“ (1824/25) und „Ruine Eldena im Riesengebirge“ (1830/34). An der Ausstellung haben sich die wichtigsten Sammlungen zu Friedrichs Kunst beteiligt – einzig die Werke aus Russland konnten nicht geholt werden.

Caspar David Friedrich in Hamburg

Caspar David Friedrich prägte mit seinen stimmungsvollen und einprägsamen Bildern unsere Vorstellung der Romantik. Zentrales Thema in Hamburg ist das neuartige Verhältnis von Mensch und Natur in seinen Landschaftsdarstellungen. Fridrich schuf „Kunst für eine neue Zeit“, indem er in den 1810er bis 1830er Jahren die Landschaftsmalerei revolutionierte. In Gemälden und Zeichnungen brach er mit überlieferten Darstellungsformen. So verband er ein ungewöhnlich präzises Naturstudium mit klaren kompositorischen Vorstellungen. Friedrichs stimmungsvollen wie einprägsamen Landschaften stellen Fragen zur Wechselbeziehung zwischen Subjekt und Natur. Denn so unberührt die Natur in vielen seiner Bilder auch erscheint, ist sie nie ohne den Menschen zu denken. Die Darstellungen führen uns vor Augen, dass der Mensch Teil der Natur ist und ihr zugleich betrachtend und denkend gegenübertritt.

Mit diesem zentralen Thema – der Mensch und sein Verhältnis zur Natur – berührte Caspar David Friedrich bereits eine Frage, die heute so virulent ist wie kaum zuvor. Der zweite Teil der Ausstellung versammelt im 2. Obergeschoss und im Makart-Saal der Hamburger Kunsthalle Arbeiten von 21 zeitgenössischen Künstler:innen. Gattungs- und medienübergreifend treten diese Werke in einen Dialog mit Friedrichs Bildwelten und den Naturvorstellungen der Romantik.

Friedrich im Porträt: Wie sah Caspar David Friedrich aus? Wie war er?

Das Äußere Friedrichs ist in bemerkenswert vielen und unterschiedlichen Bildnissen überliefert. Sie zeigen den Künstler als durchsetzungsfreudigen Maler oder arbeitend in seinem Atelier. Während etwa Georg Friedrich Kerstings berühmtes Bild „Caspar David Friedrich im Atelier“ (1811) den konzentriert und präzise arbeitenden Künstler vor Augen führt, charakterisiert ihn das wenige Jahre zuvor von Gerhard von Kügelgen gemalte Porträt (um 1808) als energische und entschlossene Persönlichkeit. Nochmals andere Facetten erschließen die Porträts, die Alphonse de Labroue 1820 und Pierre Jean David d’Angers 1834 geschaffen haben. Sie belegen, dass Friedrich später durchaus für Begegnungen mit französischen Künstlern offen war, obwohl er sich während der napoleonischen Besatzung explizit feindlich über Frankreich geäußert hatte.

Friedrichs Selbstporträts bekräftigen diesen Eindruck. In ihnen zeigt sich der Maler überraschend vielschichtig und wandelbar. Das gilt insbesondere für das frühe, um 1800 entstandene zeichnerische Selbstporträt. Der Künstler tritt uns hier als höchst aufmerksamer und zugleich offener Beobachter entgegen, der weniger daran interessiert zu sein scheint, ein bestimmtes Bild seiner Persönlichkeit zu prägen, als vielmehr die Welt um sich herum in den Blick zu nehmen. Die Hamburger Kunsthalle nimmt dies zum Anlass, Friedrich nicht auf einen Charakterzug festzulegen.

Von der Zeichnung zur Malerei

Johann Gottfried Quistorp führte den jungen erhielt Caspar David Friedrich an der Greifswalder Universität in die Zeichnung ein, danach besuchte er die Kopenhagener Akademie (1794–1798). Neben ersten Malausflügen in die Umgebung belegen einzelne Aquarelle Friedrichs eigenständige Auseinandersetzung mit Landschaftsgärten im englischen Stil. Diese standen für Naturnähe, obwohl sie eher ein Konstrukt von Natur waren als natürlich gewachsene Anlagen.

Im Jahr 1798 ließ sich Friedrich in Dresden nieder. Nun wurde das unmittelbare Naturstudium zu einem zentralen Aspekt seines künstlerischen Schaffens. Die dabei entstandenen Zeichnungen verdeutlichen seinen fokussierten, fast wissenschaftlichen Blick auf Blatt- und Blütenpflanzen, Bäume und Felsen, verorten die einzelnen Gegenstände aber auch in ihrem natürlichen Kontext.

Neben der Intensivierung des Naturstudiums griff Friedrich in den Jahren um 1800 verstärkt auch zur Radiernadel, um sich in dieser Technik mit der lokalen künstlerischen Tradition auseinanderzusetzen. Im Rahmen dieser Studien schuf der Maler ein Konvolut an Zeichnungen, in denen er ein Spektrum von Gefühlen auslotete – von Traurigkeit und Melancholie bis hin zu purer Verzweiflung. Friedrichs Bruder Christian verarbeitete ausgewählte Motive zu Holzschnitten. Nach wie vor ist ungeklärt, ob es sich bei diesen um geplante Illustrationen zu einem bislang noch nicht identifizierten literarischen Werk handelt.

Erlebnisreiche Insel Rügen

Im Frühjahr 1801 reiste Caspar David Friedrich in seine vorpommersche Heimat, um erst im Sommer des folgenden Jahres wieder nach Dresden zurückzukehren. Auf der Suche nach neuen Motiven besuchte er mehrfach die Insel Rügen, die er sich wandernd erschloss. Dabei beschritt er auch künstlerisch Neuland, da viele der von ihm erfassten An- und Aussichten als Kunstmotiv noch nicht etabliert waren. Friedrich eignete sich das Gesehene auf eine betont sachliche, fast schon nüchterne Weise an. Weiterhin lässt sich den Zeichnungen sein Anliegen entnehmen, das Erlebnis der Weiträumigkeit auch auf dem Papier wiederzugeben. Er erreichte dies insbesondere durch gedehnte Blickwinkel und panoramahafte Formate.

Zahlreiche Bleistift- und Federzeichnungen dienten dem Künstler als Grundlage einer weiterführenden Beschäftigung mit bestimmten Motiven. Die großformatige Pinselzeichnung „Blick auf Arkona bei aufgehender Sonne“ (Albertina) verdeutlicht Friedrichs besonderes Gespür für die stimmungsvolle Inszenierung bestimmter Tageszeiten. Den beiden einzigen Gouachen, die sich aus dieser frühen Schaffenszeit erhalten haben, lässt sich sein subtiles Farbempfinden entnehmen. Mit derartigen Arbeiten reagierte Friedrich auf das wachsende Interesse an bestimmten Motiven der Insel, die sich vor allem bei den Tourist:innen großer Beliebtheit erfreuten.

Landschaft und Bedeutung: Frühe Ölgemälde

Wie lässt sich das Landschaftsbild gestalten, dass es zu weitergehenden Gedanken Anlass geben kann? Mit Fragen wie dieser beschäftigte Friedrich in den Jahren ab 1802. Bereits in Friedrichs Frühwerk äußert sich das Anliegen, die Natur auf neue Art darzustellen. Zunehmend reduzierte er die Zahl der potenziell sinnträchtigen Motive, für die er zudem offenließ, ob und wie sie auszudeuten sind.

Als Caspar David Friedrich sich der Ölmalerei zuwandte, entschied er sich weder für naturgetreue Landschaftsansichten, sog. Veduten, noch für klassische Ideallandschaften mit erzählender Staffage. Vielmehr entwickelte er eine Form der Malerei, die in den Details höchst präzise ist, aber durch ihre Komposition und mit wenigen sinntragenden Bildgegenständen zum Denken einlädt. Dabei setzte er auch Staffagefiguren auf eine neue Weise ein. In Friedrichs Bildern erscheinen nicht bloß Repräsentant:innen einer größeren Gruppe (Bäuerinnen, Bauern oder Schäfer:innen), sondern individuell charakterisierte Menschen, deren Identität jedoch unklar bleibt. Diese Figuren wenden sich der Landschaft mit einem konzentrierten Blick zu. Damit bildet sich ein Leitmotiv von Friedrichs weiterem Œuvre heraus: die Darstellung von Betrachtenden, die gleichzeitig dazu anregen soll, über das Sehen an sich nachzudenken. Um 1810 treten in Friedrichs Bildern vermehrt Staffagefiguren auf. Damit zeigte der Maler, dass er nicht allein die Natur, sondern verschiedene Ausprägungen des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur zur Darstellung bringen wollte.

Religiöse und politische Bilder

Das Verhältnis von Mensch und Natur spielt in Bildern Caspar David Friedrichs eine große Rolle. Menschliche Eingriffe verändern die Landschaft und machen eine spezifische Sinngebung möglich. Die Klosterruine Oybin regte den Künstler gleich zu mehreren Werken an. Im Gemälde „Ruine Oybin“ (um 1812) ergänzte er die ruinöse Architektur um ein Kreuz, einen Altar und eine Madonnenskulptur. Das Bild lädt daher zum Nachdenken über Glaubensfragen ein.
Beim späteren Gemälde „Huttens Grab“ von 1823/24 liegt hingegen eher ein Bezug zu politischen Diskussionen nahe. Die Ruine wird nun zum Ort des Gedenkens an den Humanisten Ulrich von Hutten (1488–1523) sowie an Protagonisten der Befreiungskriege, die zwar die napoleonische Fremdherrschaft überwunden, aber nicht zu der von vielen erhofften Demokratisierung geführt hatten.

Eine religiöse Sinnstiftung bietet sich bei den Kreuzlandschaften an, mit denen Friedrich bekannt wurde, aber auch Widerspruch provozierte. In ihnen erscheint das Kruzifix häufig auf der Mittelachse einer streng symmetrisch strukturierten Bildkomposition, sodass es sich von gewöhnlichen Weg- oder Gipfelkreuzen abhebt. Damit ging es dem Maler nicht um einen Pantheismus, also die Idee einer Einheit des Göttlichen mit der Natur. Statt die Gegenwart Gottes in der Schöpfung zu suchen, betonte Friedrich die Künstlichkeit seiner in hohem Maße komponierten Bilder. Gott erscheint in der Gestalt des Gekreuzigten, als ein Bild im Bild.

Undurchdringlichkeit: Natur als Übermacht

Das Verhältnis von Mensch und Natur zählt zu den grundlegenden Themen von Friedrichs Kunst. In den Jahren um 1812/13 schuf der Maler eine Gruppe politisch motivierter, sogenannter patriotischer Bilder, die vor dem Hintergrund der Besetzung Sachsens durch die napoleonischen Truppen entstanden. Diese Gemälde zeigen Soldaten, die von einer als subtile Bedrohung erfahrbaren Natur umgeben sind. So stellt sich der Eindruck ein, als würden die Figuren von der Höhle oder dem Nadelwald eingeschlossen und bedrängt.

Mit dem die Betrachtenden zu seiner Entstehungszeit irritierenden Hauptwerk „Das Eismeer“ erteilte Friedrich dem menschlichen Entdeckerdrang wie auch jeglichem Überlegenheitsgefühl gegenüber einer vermeintlich beherrschbaren Natur eine deutliche Absage. Inspirieren ließ sich der Maler von Eisschollen auf der zugefrorenen Elbe, die er im Winter 1820/21 mit Ölskizzen festgehalten hatte. Die Regionen des ewigen Eises hatte Friedrich selbst nie bereist, und auch die in jene Jahre fallenden Darstellungen nordischer Landschaften waren Produkte seiner Fantasie.

Entrückt und unerreichbar erscheint die Gipfelpartie des „Watzmanns“ auf seinem großformatigen Gemälde. Friedrich kannte den berühmten Berg nicht aus eigener Anschauung, jedoch gelang es ihm, uns dessen überwältigende Größe eindrücklich vor Augen zu führen. Im Gegensatz dazu präsentiert der mit ihm befreundete Carl Gustav Carus die Erschließbarkeit der erhabenen Gletscherwelt der Mont-Blanc-Gruppe, indem er zwei Rückenfiguren an der Abbruchkante zeigt.

Friedrichs Rückenfiguren: Das betrachtende Subjekt im Blick

Caspar David Friedrich ist nicht der erste Künstler, der Figuren gemalt hat, die den Bildbetrachter:innen konsequent den Rücken zukehren, sodass ihr Gesicht und ihre Blickrichtung verborgen bleiben. Aber er setzt diesen Figurentyp ungewöhnlich häufig und konsequent ein – bis hin zu ganzen Gruppen. Durch Kleidung, Körperbau und Haltung werden sie zwar als Individuen gekennzeichnet, und doch erweist sich ihre Identität als unzugänglich. Woher sie kommen und was sie in die Landschaft geführt hat, bleibt offen.

Umso stärker tritt hervor, was die Rückenfiguren im dargestellten Augenblick tun: Sie betrachten die Natur. Oft sind sie als Identifikationsfiguren verstanden worden, und tatsächlich scheint man eingeladen zu sein, sich in die dargestellte Figur hineinzuversetzen. Was sehen Friedrichs Rückenfiguren? Diese Frage muss immer offen bleiben, da sie meist so positioniert sind, dass das Betrachtete im Unbestimmbaren bleibt.

Mit seinen Rückenfiguren versetzt uns Friedrich nicht in die Lage, vollkommen in die dargestellte Natur einzutauchen. Nicht allein die Natur, sondern die Beziehung zwischen Mensch und Natur steht im Zentrum. Dabei tritt nicht zuletzt die Ambivalenz dieses Verhältnisses hervor: Mit den Rückenfiguren im Bild ist der Mensch Teil der Natur, zugleich tritt er ihr in einer distanzierten, betrachtenden Haltung gegenüber.

Seestücke und Fischer

Dem Meer kommt in Caspar David Friedrichs Bildwelten eine zentrale Bedeutung zu. Insbesondere in den Jahren ab 1816 schuf er zahlreiche Seestücke, in denen er das Verhältnis des Menschen zum Meer variantenreich auslotete. Mit dem charakteristischen Dreiklang aus Ufer, Wasser und Himmel stehen diese Werke zudem für ein elementares Erleben der Natur. Oftmals finden sich in den Gemälden Figuren, die in der dargestellten Natur heimisch sind. Dabei zeigt Friedrich die Tätigkeiten der Fischer im Verhältnis zur jeweils dargestellten Tageszeit. Mitunter halten diese auch betrachtend inne, um auf die besondere Stimmung der Natur am Abend und in der Nacht zu reagieren.

Nicht immer laufen die in Friedrichs Seestücken dargestellten Schiffe geordnet ein oder aus. Auch der Schiffbruch – und damit das Scheitern des Menschen an den Naturgewalten von Wind und Wasser – wird gelegentlich zum Thema seiner Malerei. So sind Schiffe zu sehen, die im Sturm an den Klippen zerschellten oder aber im seichten Wasser auf Grund liefen und die Besatzung in exponierter und existenzieller Lage zeigen.

Ganz aus dem Rahmen des Erwartbaren fällt schließlich Friedrichs Gemälde Segelschiff (Kat. 119). Verfügen seine Seestücke fast durchgängig über einen Uferstreifen im Vorder-grund, der unseren Standpunkt vor dem Bild definiert, sehen wir uns hier einem Hochseemotiv gegenüber, das uns keinen vergleichbaren Halt bietet.

Gezeichnete Naturstudien

Die Zeichnungen, die Caspar David Friedrich in der Natur angefertigt hat, weisen einen beeindruckenden Grad an Präzision auf. Spätestens einige Jahre nach seiner Ankunft in Dresden hatte er seine zeichnerischen Fertigkeiten so perfektioniert und routiniert eingeübt, dass er einen Baum, eine Pflanze oder einen Felsen problemlos festhalten konnte. Friedrich scheint es wichtig gewesen zu sein, die jeweiligen Naturerscheinungen getreu und gewissenhaft in ihrer Individualität wiederzugeben.

Nach und nach hat Friedrich ein ausdifferenziertes Repertoire an Hilfsmitteln entwickelt, mit dem sich dieses Anliegen besonders gut umsetzen ließ: Striche, Markierungen, Kürzel und Beschriftungen dienten ihm dazu, Größenverhältnisse, Distanzen und die Höhe des Augenpunktes festzuhalten. All diese Notate beziehen sich nicht allein auf Eigenschaften der Bäume, Pflanzen oder Felsen, sondern vor allem auf das Verhältnis zwischen dem Dargestellten und dem betrachtenden Menschen. Es ist daher nicht die Natur als solche, sondern die durch einen Menschen wahrgenommene Natur, die Friedrich in seinen Zeichnungen erfasst hat. Wenngleich die Studienzeichnungen in der Regel keine Figuren zeigen, erscheint die Natur in ihnen keineswegs völlig unberührt. Indem ihre Bindung an ein wahrnehmendes Subjekt unaufdringlich, aber doch unverkennbar angezeigt wird, zeugen sie stets von der Präsenz eines menschlichen Betrachters der Natur.

Stimmungen: Wolken, Nebel, Licht und Farbenspiel

Um 1830 verwendet Friedrich in einem Text mit dem Titel „Äußerungen bei Betrachtung einer Sammlung von Gemählden“ ein Wort, das erst kurz zuvor in der Kunsttheorie Konturen erhalten hatte: den Begriff der Stimmung. Sein Text zeugt davon, dass er sowohl darüber nachdachte, wie Bilder Stimmungen anregen können, als auch ein Bewusstsein davon hatte, dass die Betrachtung ihrerseits von Stimmungen abhängig ist. Mit dem Stimmungsbegriff erschließt sich ein weiterer Aspekt des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur. Denn Stimmungen sind weder allein auf das Subjekt beschränkt noch ausschließlich eine objektive Eigenschaft eines Gegenstands.

Friedrich war ausgesprochen gut gerüstet, um stimmungshafte Qualitäten in seinen Werken zur Geltung zu bringen. Seine Zeichnungen, einige Ölstudien und viele seiner Gemälde führen vor Augen, wie genau und nuanciert er Erscheinungen zu erfassen vermochte, die Stimmungen hervorrufen können: Licht und Schatten, das Farbenspiel des Himmels, Wolken, Nebel und weitere atmosphärische Effekte. Der Maler scheint verstärkt darüber nachgedacht zu haben, wie sich solche Stimmungen mit sinnträchtigen Bildmotiven, mit Stadtansichten ebenso wie mit Bäumen, Büschen oder Hünengräbern, verknüpfen lassen. In seinen Äußerungen hat Friedrich selbst formuliert, dass es „ein großer Verdienst und vielleicht das größte eines Künstlers“ sei, „geistig anzuregen und in dem Beschauer, Gedanken, Gefühle und Empfindungen zu erwecken, und wären sie auch nicht die seinen“.

Friedrich weiterdenken: Carus, Oehme, Heinrich, Dahl und Crola

Wie prägte Caspar David Friedrich mit seinen einprägsamen Landschaftsdarstellungen die romantische Landschaftsmalerei? Anhand von fünf Zeitgenossen und Nachfolger zeigt die Hamburger Kunsthalle den Einfluss des Dresdner Malers auf die weitere Entwicklung. Insbesondere in Dresden wurde sein spezifischer Blick auf die Natur vielfach aufgegriffen. Doch neben den Bezugnahmen auf sein Werk vertraten die ihm nachfolgenden Künstler auch Positionen, die eine wirklichkeitsnahe und weniger bedeutungshaltige Natursicht beförderten. Darin unterscheiden sie sich von Friedrich.

Zu den Künstlern, die sich in den 1820er Jahren noch eng an Friedrich anschlossen, zählte der Mediziner und Maler Carl Gustav Carus. Carus verarbeitete in seinem Werk Friedrichs prägende Rückenfiguren und ließ sich auch hinsichtlich der landschaftlichen Inszenierung von dem fünfzehn Jahre älteren Maler inspirieren. Ernst Ferdinand Oehme wurde ebenfalls wesentlich von Friedrichs Kunst beeinflusst, mit detaillierten wie ausschnitthaften Kompositionen setze er eigene Akzente. Der mit Oehme befreundete Friedrich-Schüler August Heinrich spürte den sichtbaren Dingen auf eine fast schon obsessive Weise nach, um sie mit einer staunenswerten Wirklichkeitstreue umzusetzen. Mit seinen virtuosen Wolkenölskizzen revolutionierte schließlich der in Dresden lebende norwegische Landschaftsmaler Johan Christian Dahl die unmittelbare Wiedergabe des Gesehenen. Während sich Friedrich lediglich kurzzeitig von dieser Technik begeistern ließ, wurde die Ölskizze und -studie zu einem festen Bestandteil des Werkprozesses von Carus und Georg Heinrich Crola.

Das Spätwerk

Friedrichs spätes Schaffen zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Bandbreite aus. Dabei griff der Künstler Themen und Motive auf, die ihn in den Jahrzehnten davor immer wieder beschäftigt hatten. Als Folge eines am 26. Juni 1835 erlittenen Schlaganfalls war Friedrich allerdings immer häufiger gezwungen, auf zeichnerische Techniken zu setzen. Damit kehrteer gleichsam zu seinen künstlerischen Wurzeln zurück. Zahlreiche auf ein großes Format gebrachte Sepiazeichnungen verdeutlichen seine Ambitionen in diesem Medium.

Zieht sich die Todes- und Vergänglichkeitsthematik wie ein Leitmotiv durch sein gesamtes Werk, so offenbart sie sich in seiner letzten Schaffensphase in auffälliger Verdichtung. Mehrfach behandelte Friedrich das Motiv des offenen Grabes auf Friedhöfen, die er durch verschiedene sinnstiftende Gegenstände noch zusätzlich stärker symbolisch auflud. Gebirgsdarstellungen sind ein weiteres Thema, das in Friedrichs spätem Schaffen mehrfach auftritt. Auch die Küste blieb für den Künstler ein wichtiger motivischer Bezugspunkt. So schuf er mehrere Sepiazeichnungen, die unter Verzicht auf die Wiedergabe von Menschen und Schiffen stille, stimmungsvolle nächtliche Blicke auf die Weite des Meeres zeigen.

Dass sich Friedrich dennoch in der Lage sah, vereinzelt Großformate zu bewältigen, belegt sein „Meeresufer im Mondschein“ – eines der letzten, wenn nicht sogar das letzte von ihm geschaffene Gemälde.

Der zweite Teil der Ausstellung ist zeitgenössischen Künstler:innen gewidmet, deren Werke an Caspar David Friedrichs Bilder denken lassen - sei es aus theamtischer oder formal-kompositioneller Hinsicht. Zu den ausgestellten Künstler:innen gehören: Elina Brotherus, David Claerbout, Susan Schuppli, Julian Charrière, Kehinde Wiley, Ann Böttcher.

Bilder

  • Caspar David Friedrich, Selbstbildnis mit aufgestütztem Arm, um 1802, Feder in Braun über Bleistift, 26,7 x 21,5 cm (Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett)
  • Caspar David Friedrich, Der Mönch am Meer, 1808–1810, Öl auf Leinwand, 110 x 171,5 cm (Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie)
  • Caspar David Friedrich, Wanderer über dem Nebelmeer, um 1817, Öl auf Leinwand, 94,8 x 74,8 cm (Dauerleihgabe der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen)
  • Caspar David Friedrich, Kreidefelsen auf Rügen, 1818, Öl auf Leinwand, 90 x 70 cm (Kunst Museum Winterthur, Stiftung Oskar Reinhart)
  • Caspar David Friedrich, Zwei Männer in Betrachtung des Mondes, 1819/20, Öl auf Leinwand, 33 x 44,5 cm (Albertinum / Galerie Neue Meister)
  • Caspar David Friedrich, Wiesen bei Greifswald, 1821/22, Öl auf Leinwand, 34,5 x 48,3 cm (Hamburger Kunsthalle)
  • Caspar David Friedrich, Mondaufgang am Meer, 1822, Öl auf Leinwand, 55 x 71 cm (Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie)
  • Caspar David Friedrich, Das Eismeer, 1823/24, Öl auf Leinwand, 96,7 x 126,9 cm (Hamburger Kunsthalle)
  • Caspar David Friedrich, Abend, 1824, Öl auf textilem Bildträger auf Hartfaserplatte, 20 x 27,5 cm (Städtische Kunsthalle Mannheim, Mannheim)
  • Caspar David Friedrich, Der Watzmann, 1824/25, Öl auf Leinwand, 135 x 170 cm (Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie)
  • Caspar David Friedrich, Der Feldstein bei Rathen, 1828, Aquarell, Bleistift, schwarze Einfassungslinie auf Papier, 26,2 x 23,1 cm (Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg)
  • Caspar David Friedrich, Ruine Eldena im Riesengebirge, 1830/34, Öl auf Leinwand, 72 x 101 cm (Stiftung Pommersches Landesmuseum, Greifswald)
  • Elina Brotherus, Der Wanderer 2, 2004, Aus der Serie The New Painting, Giclée-Print auf Grundlage eines digitalisierten Negativs, 105 × 128 cm (Artist’s Proof) (Miettinen Collection, Berlin-Helsinki)
  • David Claerbout, Wildfire (meditation on fire), 2019–2020, Einkanal-Videoprojektion, 3D-Animation, Stereoton, Farbe, 24 Min. (In Zusammenarbeit mit Musea Brugge, Courtesy of the artist und Kunstmuseum Bonn, Dauerleihgabe der KiCo Collection Bonn)
  • Susan Schuppli, Arctic Archipelago, 2021, HD-Video, Farbe, Stereoton, 26:20 Min. (Filmstill) (Privatsammlung)
  • Julian Charrière, The Blue Fossil Entropic Stories III, 2013, Archivpigmentdruck, 160 × 240 cm (Courtesy DITTRICH & SCHLECHT-RIEM, Berlin)
  • Kehinde Wiley, The Prelude (Ibrahima Ndiaye und El Hadji Malick Gueye), 2021, Öl auf Leinwand, 387,2 x 305 cm (Rennie Collection, Vancouver)
  • Ann Böttcher (*1973), Pause I (after Frühschnee, »Early Snow«, Caspar David Friedrich, ca. 1827), 2000, Bleistift auf Papier, 26,4 × 29,6 cm (Maria Bonnier Dahlins Stiftelse, Stockholm)

Quelle: Hamburger Kunsthalle

Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit: Ausstellungskatalog

Markus Bertsch und Johannes Grave (Hg.)
mit Beiträgen von Markus Bertsch, Johannes Grave, Ute Haug, Anne Hemkendreis, Florian Illies, Eva Keochakian,Petra Lange-Berndt, Dietmar Rübel, Christian Scholl, Ruth Stamm, Andrea Völker, Paul Ziche
ca. 512 S. ● 350 Abb. ● 23,5 x 29 cm ● Raw-cut Hardcover mit farbigem Buchschnitt
978-3-7757-5604-4 WG 583 AU (Deutsch)
Hatje Cantz

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