Inji Efflatoun: ägypt. Malerin des Surrealismus und der Moderne | ARTinWORDS

Inji Efflatoun

Wer war Inji Efflatoun?

Inji Efflatoun (auch Eflatoun, Aflatoun; arabisch: إنجي أفلاطون, Kairo 16.4.1924–17.4.1989 Kairo) war eine ägyptische Malerin, politisch-feministische Aktivistin und Autorin des Surrealismus und der Moderne. Sie gilt als eine „führende Sprecherin der marxistisch-progressiv-nationalistisch-feministischen Bewegung in den späten 1940er und 1950er Jahren“ sowie eine „Pionierin der modernen ägyptischen Kunst“ und „eine der bedeutendsten ägyptischen bildenden Künstlerinnen“.

Kindheit

Inji Efflatoun wurde am 16. April 1924 in Kairo als zweite Tochter in eine wohlhabende und gebildete, traditionell muslimische Familie in Kairo geboren. Sie beschrieb sie selbst als „halbfeudal und bürgerlich“. Ihre Mutter Salha Efflatoun war Mitglied im Frauenkomitee des Roten Halbmondes und später Modeunternehmerin sowie erste ägyptische Modedesignerin. Ihr Vater, Hassan C. Efflatoun, war Dekan an der Universität Kairo, Entomologe und Landbesitzer. Nach der Scheidung der Eltern wuchsen die Mädchen seit ihrer frühesten Jugend bei ihrer alleinerziehenden, berufstätigen Mutter auf.

Nach dem Besuch einer katholischen Mädchenschule in Kairo wechselte Inji Efflatoun auf ein französisches Gymnasium (College du Sacré-Coeur), das sie als ihr „erstes Gefängnis“ bezeichnete und wo sie ihren Schulausschluss machte. Die strengen Regeln der Schule und die offensichtliche Diskriminierung – ägyptischen Nonnen wurde mehr Arbeit übertragen als ihren im Ausland geborenen Kolleginnen – schürten ihre Rebellion und führten dazu, dass sie trotzig Bücher las, die die Schule verboten hatte. Später besuchte Efflatoun das liberalere Lycée Français du Caire, wo sie von Rousseau, Voltaire, der Französischen Revolution und Napoleons Invasion in Ägypten lernte.

Ausbildung

Inji Efflatoun war eine der ersten Frauen, die an der Universität Kairo Kunst studierten (ab 1940). Über ihren Lehrer Kamel el-Tilmisani (1915–1972), Maler, Filmemacher und einer der Gründer der Gruppe „Art et liberté“ (1938–1948), kam sie in Kontakt mit dem Surrealismus, der sie ab diesem Zeitpunkt stark beeinflusste. Ihre „surrealistische Phase“ dauerte etwa bis 1952 und sie beteiligte sich ab 1942 an den Ausstellungen von „Art et liberté“. Die Gruppe setzte sich aus sehr unterschiedlichen Kunstschaffenden zusammen – beteiligt waren Künstler:innen und Literat:innen sowie andere Intellektuelle. Zu „Art et liberté“ gehörten auch viele Frauen, die durch Zusammenarbeit mit etwa Lee Miller internationale Beziehungen pflegten. Die Mitglieder hoben sich vom Kunstestablishment ab und behandelten soziale Themen, Bildung, Frauenrechte und die Folgen des Krieges.

Im Jahr 1942 schloss sich Efflatoun der marxistischen Jugendgruppe „Iskra“ an und nahm an der jährlichen Ausstellung von „Art et Liberté“ im Continental Hotel in Kairo teil. Sie stellte Bilder von verängstigten Frauen, unheimlichen Landschaften und gewundenen Bäumen aus. Für die junge Künstlerin wurde der Baum zum Symbol des menschlichen Daseins:

„Bäume sind wie Menschen – leiden – und repräsentieren unsere Traumgeister. […] Die Leute fragten sich, warum ein Mädchen aus einer reichen Familie so gequält und unglücklich war und vieles ablehnte.“1 (Inji Efflatoun, 1989)

Inji Efflatoun wurde später Schülerin von Margo Veillon und arbeitete mit dem Maler Hamed Abdallah zusammen.

Politischer Aktivismus

Als politische und feministische Aktivistin war Inji Efflatoun seit 1942 Mitglied der kommunistischen Jugendorganisation „Iskra“. Efflatoun wurde 1945 zur Delegierten der Ersten Internationalen Demokratischen Frauenföderation in Paris ernannt und verfasste politische Broschüren, die sich mit Fragen der Klasse, des Geschlechts und der imperialistischen Unterdrückung befassten. Ebenfalls 1945 gründete sie zusammen mit Latifa al-Zayyat die „Rabitat Fatayat at jami'a wa al ma' ahid [Liga junger Frauen an Universitäten und Instituten]“ und reiste im selben Jahr als ägyptische Vertreterin zum Internationalen Frauenkongress in Paris. Ende der 1940er Jahre veröffentlichte Efflatoun antikoloniale, linke Texte gegen die Unterdrückung des Proletariats und für die Gleichstellung der Geschlechter: „Thamanun milyun imraa ma'ana [Achtzig Millionen Frauen mit uns]“ (1948) und „Nahnu al-nisa al-misriyyat [Wir ägyptischen Frauen]“ (1949).

Von 1946 bis 1948 malte Efflatoun nichts, da das, was sie schuf, nicht mehr ihren Gefühlen entsprach. 1948 heiratete sie den Anwalt Mohammed Abdul Elija, der ihre Überzeugungen teilte; er starb 1956.

Im Jahr 1949 wurde Inji Efflatoun Gründungsmitglied des Ersten Kongresses des Ersten Friedensrates Ägyptens. Sie trat 1950 der „Harakat ansar al salam [Bewegung der Freunde des Friedens]“ und der Ägyptischen Feministischen Union (EFU) bei; zudem engagierte sie sich in weiteren Organisationen und bei anderen – auch militanten – Aktivitäten.

Gefangenschaft (1959–Juli 1963)

1952 führte Gamal Abdel Nasser den Sturz der ägyptischen Monarchie an. Unter seiner Präsidentschaft wurde Inji Efflatoun im Rahmen einer antikommunistischen Verhaftungswelle 1959 festgenommen und viereinhalb Jahre in einem geheimen Lager inhaftiert – wo sie weiter malen konnte und dies auch intensiv tat.

Die Arbeiten aus der Zeit ihrer Inhaftierung zeigen den Gefängnisalltag der Frauen, sie sind „ein visuelle Aufzeichnung des al-Qanatir-Frauengefängnisses“. Die Motive bewegten sich aber auch weg vom Düsteren, hin zu klareren Farben und symbolischeren Motiven. Hinter Gittern, wo sie unter beengten Verhältnissen malte, gründete sie ein Nebengeschäft, indem sie den Gefängnisbeamten ein Trinkgeld gab, damit diese ihre Leinwände einwickelten und sie zu ihrer Schwester schmuggelten, die sie dann verkaufte.

Auf Nassers Befehl wurde Efflatoun im Juli 1963 zusammen mit anderen politischen Gefangenen im Vorfeld eines Besuchs des sowjetischen Ministerpräsidenten Nikita S. Chruschtschow im Land freigelassen. Davor war bereits die Kommunistische Partei Ägyptens aufgelöst worden. Efflatoun widmete sich ab nun hauptsächlich der Malerei. Später erklärte sie: „Nasser war ein guter Patriot, obwohl er mich ins Gefängnis brachte.“

Werke

Während der Schulzeit malte Aflatoun gern und ihre Eltern ermutigten sie auch dazu. Ihr privater Kunstlehrer Kamel el-Telmissany, Leiter eines ägyptischen Surrealistenkollektivs namens „Art et liberté“, führte sie in die surrealistische und kubistische Ästhetik ein. Ihre Gemälde aus dieser Zeit sind vom Surrealismus beeinflusst. Später erinnerte sie sich, dass die Menschen von ihren Bildern erstaunt waren und sich fragten, „warum ein Mädchen aus einer reichen Familie so gequält wurde“. Später näherte sie sich durch ihr politisches Engagement in Richtung Sozialkritik stilistisch dem Sozialistischen Realismus an.

Efflatouns Interesse erwachte erneut nach einem Besuch in Luxor, Nubien und den ägyptischen Oasen. Während dieser Reisen hatte sie Gelegenheit, „in die Häuser einzudringen und Männer und Frauen bei der Arbeit zu zeichnen“. In lebendigen Gemälden wie „Vierte Frau“ (1952) und „Ezba“ (1953) sind Männer und Frauen hart bei der Arbeit – beim Pflügen, Ernten, Weben und Verkaufen ihrer Waren dargestellt. Anfang der 1950er Jahre wurden ihre künstlerischen Arbeiten politischer – sie bereiste das ländliche Ägypten und porträtierte die Fellahin und Frauen aus der arbeitenden Klasse, andere Bilder hatten Episoden der englischen Besatzung zum Thema, etwa der so genannte Zwischenfall von Dinschawai.

Efflatoun studierte ein Jahr lang bei der in Ägypten geborenen Schweizer Künstlerin Margo Veillon. In dieser Zeit erwarb sie zunehmend Anerkennung in der ägyptischen und internationalen Kunstwelt: nach ihrer ersten Einzelausstellung in Kairo war sie 1952 auf der „Biennale di Venezia“ und 1953 auf der Biennale von São Paulo vertreten.  Während dieser Zeit erhielt sie Einzelausstellungen in Kairo und Alexandria und stellte 1952 auf der Biennale von Venedig sowie 1956 auf der Kunstbiennale von São Paulo aus.

Im Jahr 1956 lernte Inji Efflatoun den mexikanischen Wandmaler David Alfaro Siqueiros kennen und freundete sich mit ihm an. In den späten 1940er und 1950er Jahren war Aflatouns Werk dem sozialen Realismus der mexikanischen Wandmalerei verpflichtet. Während ihrer Haft konnte sie weiter malen. Bei ihren frühen Gefängnisgemälden handelt es sich um Porträts, während es sich bei den späteren um Landschaften handelt.

Nachdem Inji Efflatouns im Juli 1963 entlassen worden war, wandte sie sich vom Sozialistischen Realismus ab und entwickelte einen leichteren, strukturierteren Stil. Wieder in Freiheit, entwickelte sie einen farbigeren, dynamischeren Stil, im Spätwerk dann noch schlichter und mit mehr Weißraum auf der Leinwand.

Ab den 1960er Jahren konzentrierte sich Inji Efflatoun auf ihre künstlerische Tätigkeit – sie stellte 1967 in Rom und Paris, 1970 in Dresden, Ostberlin, Warschau und Moskau, 1974 in Sofia, 1975 in Prag und 1979 in Neu-Delhi, weiters in Kairo, Venedig, Bulgarien und Kuwait aus. Als die UNO 1975 die Dekade der Frau ausrief, gehörte sie zu den Kuratorinnen der großen Ausstellung „Egyptian Women Painters over Half a Century“. Ihre Bilder sind voller „lebendiger Pinselstriche von intensiver Farbe“, die manche Betrachter an Werke von Vincent van Gogh oder Pierre Bonnard erinnern.

Auszeichnungen und Ehrungen

  • 1985: Orden Arts et des Lettres vom französischen Kulturministerium

Ausstellungen (Auswahl)

  • 1942/1943: Art et Liberté, Kairo, Ägypten (Beteiligung)
  • 1952: Erste Einzelausstellung, Galerie Adam, Kairo, Ägypten
  • 1952: Biennale di Venezia, Italien
  • 1953: Biennale von São Paulo, Brasilien
  • 1958: Biennale von Alexandria, Ägypten
  • 1975: „(Ten) Egyptian Women Painters over Half a Century“, Kairo, Ägypten (Teilnahme als Künstlerin und Kuratorin)
  • 1981: Ägyptische Akademie, Rom, Italien
  • 2014: “Inji's World” (Retrospektive), Safar Khan Gallery, Kairo

Tod

Bevor sie ihr letztes größeres Projekt, die Veröffentlichung ihrer Memoiren, abschließen konnte, starb Inji Efflatoun unerwartet am 17. April 1989 in Kairo.

Die wichtigsten Sammlungen von Inji Efflatouns Werk befindet sich im Amir-Taz-Palast in Kairo und in der Barjeel Art Foundation in Sharjah.

  1. Inji Efflatoun in einem Interview mit Betty LaDuke, 1989, in: Zeitschrift der National Women’s Studies Association.