Jeanne Mammen

Wer war Jeanne Mammen?

Jeanne Mammen (Berlin 21.11.1890–22.4.1976 Berlin) war eine deutsche Künstlerin der Klassischen Moderne. Die äußerst erfolgreiche Berliner Grafikerin schuf Illustrationen für Modezeichnungen und satirische Magazine der Weimarer Republik (→ Neue Sachlichkeit). Bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten war die in Paris und Brüssel ausgebildete Mammen eine der bestverdienenden Künstlerinnen ihrer Generation. Danach musste sie in die innere Emigration gehen und beschäftigte sich während des Zweiten Weltkriegs im Geheimen mit Futurismus und Kubismus. Nach Ende des Kriegs zählte Jeanne Mammen zu den wichtigsten Berliner Künstlerinnen.

Kindheit

Gertrud Johanna Louise Mammen, genannt Jeanne, wurde am 21. November 1890 in Berlin geboren. Sie war die jüngste Tochter des Kaufmanns Gustav Oskar Mammen und seiner Frau Ernestine Juliane Karoline (geb. Delhaes). Vor ihrer Ehre war Jeanne Mammens Mutter als Sprachlehrerin tätig, ihr Vater hatte sich mit einer Schriftgießerei selbständig gemacht. Ihre Geschwister hießen Louise Ernestine, gen. Loulou (geb. 1881), Oskar (geb. 1886) und Adeline Maria Louise, gen. Mimi (1888–1956). Jeanne Mammen wuchs in einem kosmopolitischen, wohlhabenden Elternhaus auf, das die Neigungen seiner Kinder förderte.

1901 übersiedelte die Familie nach Paris (Passy), wo sie bis 1914 blieb. Mammens Vater erwarb einen Anteil an einer Glasbläserei. Jeanne Mammen besuchte das Lycée Molière, in dem sie eine umfassende musische und naturwissenschaftliche Ausbildung erhielt.

Ausbildung: Paris, Brüssel, Rom

Im Oktober 1907 begann Jeanne Mammen, wie ihre Schwester Loulou, eine Ausbildung an der Académie Julian. Sie nahm ein Jahr lang Unterricht in der Frauenklasse, wo sie in Malerei, Zeichnung und Illustration ausgebildet wurde. In Paris war es den Frauen auch möglich, nach Aktmodellen zu arbeiten. Künstlerisch geprägt wurde Jeanne Mammen durch Henri de Toulouse-Lautrec und Edgar Degas.

Ab 1908 besuchte Mammen die Académie Royal des Beaux-Arts in Brüssel. Zu Mammens Lehrern zählten die belgischen Symbolisten Fernand Khnopff und Jean Delville, die jenseits bürgerlicher Moralvorstellungen einen mystischen Erotizismus kultivierten. Die derb-sinnlichen Illustrationen des Belgiers Félicien Rops studierte Mammen in der Bibliothek der Académie. Edvard Munchs Druckgrafiken hat die angehende Künstlerin ebenso genkannt. Das 1874 erschienene Buch "Die Versuchung des heiligen Antonius" von Gustave Flaubert zählte zu ihren Lieblingstexten. Bereits 1909 wurde Mammen mit der Medaille pour composition und einem Preisgeld von 150 Francs ausgezeichnet. Das Kunststudium in Brüssel beendete sie 1910.

1911 belegte Jeanne Mammen Kurse an der Scuola Libera del Nudo dell’Accademia di Bele Arti, einem Bereich der römischen Akademie, der auch für nicht eingeschriebene Künstler zugänglich war. Der Aufenthalt in Italien sollte die Ausbildung von Jeanne Mammen abschließen.

Brüssel

Gemeinsam mit ihrer Schwester arbeitete Jeanne Mammen ab 1912 in Brüssel als freischaffende Künstlerin. Vermutlich hat sie 1912 am Salon des Indépendants in Paris und 1913 am Salon in Brüssel teilgenommen. Schon zu dieser Zeit hielt Mammen das Treiben auf den Straßen in Skizzenbüchern fest.

Als umfassende Bilanz von Mammens Studienjahren gilt ein zwischen 1908 und 1914 entstandenes Konvolut von knapp 50 Bildern, überwiegend ausgeführt in Bleistift, Tusche und Aquarell.1 Darin umkreist die Künstlerin auf intensive Weise die Geschlechterstereotypen des Symbolismus. Während ihre Entwürfe zur Femme fatale eher konventionell anmuten, steigerte sie sich bei der Schilderung in den Kompositionen mit männlichen Hauptfiguren. Verbindendes Glied scheint die Infragestellung gängiger Rollenzuschreibungen. Mammen nutzt hierfür spielerisch den Requisitentausch (Kleidung). Sehen und Gesehenwerden, Eros und Tod sind zentrale Themen in Mammens frühem Werk.

Zweiter Weltkrieg: Den Haag, Berlin

Unmittelbar nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs flüchtete die als feindliche Ausländer geltende Familie über Brüssel in die Niederlande. Da das väterliche Vermögen beschlagnahmt wurde, war Jeanne Mammen ab diesem Zeitpunkt mittellos. Erst im Herbst 1915 folgte sie ihrer Familie aus Den Haag nach Berlin. Die Schwestern Mammen hielten sich während des Kriegs mit Gelegenheitsjobs über Wasser, u.a. Illustrationen für Paul Schülers „Das Gift im Weibe. Sieben Novellen“ (1917). Ihre erste Veröffentlichung von symbolistischen Illustrationen fand 1916 im „Kunstgewerbeblatt“ statt: die Zeichnung "Melancolia", in der sie sich auf Albrecht Dürers berühmter Druckgrafik "Melancholia I" und Fernand Khnopffs Gemälde "Die Sphinx, die Kunst oder die Liebkosungen" gleichermaßen kritisch bezog. Mammen tauschte die Geschlechter, indem sie eine androgyn anmutende junge Frau auf den steinernen Pranken einer ägyptischen Sphingenstatue positionierte.

„1969 lebten die Berliner noch ganz und gar unter der Fuchtel Wilhelms des Zweiten, Großbürger, Kleinbürger, Proletenbürger, Bettelbürger, sauber gewachen, frisiert, gebürstet. Dienstmädchen gab’s noch, die, die riesigen Korb am Arm, mit der ,Gnädchen‘ auf den Markt gingen. Die jungen Mädchen ,knicksten‘, wenn sie den Herrn Wachtmeister nach dem Weg fragten […]. Die Straßen waren dunkel, ohne Licht und Läden (außer Friedrich und Potsdamer), die Häuser klotzig und pompös, alles zugeknöpft, frostig, hochanständig […]. Das Militär stramm, die ,Herren‘ hochnäsig du frech. Sogar die Bohème im Café des Westens war fein gewichst und verlangte mit freundlicher Distance ihre Getränke vom ,Herrn Oba‘. Vor Geld krochen sie, wer kein hatte war ,n Dreck‘. Nach den langen Pariser Jahren fühlte ich mich dermaßen ,fremd‘, dass ich innerlich stöhnte: ,Nein, hier kann ich nicht leben‘“2 (Jeanne Mammen an Hans Thiemann)

Illustratorin und „Beobachterin“ im Berlin der 20er Jahre

Mit ihrer älteren Schwester Maria Louise (genannt Mimi) bezog sie am 1. April 1920 ein Atelier am Kurfürstendamm 29 (im 4. Obergeschoss des Gartenhauses). Ab 1921 gestaltete Mannen Filmplakate für die Ufa und zunehmend Gebrauchsgrafiken. Im Jahr 1922 begann Jeanne Mammens produktive und lukrative Zeit als Zeichnerin und Illustratorin für Zeitschriften und Witzblätter. Sie fertigte Milieustudien in Zeichnungen und Aquarellen, dabei galt ihr besonderes Interesse eleganten Frauenfiguren. Ihr erster Auftrag war die Titelgestaltung der Zeitschrift „Die Dame“, anschließend arbeitete sie für satirische Zeitschriften wie „Jugend“, „Simplicissimus“, „Ulk“ und „Uhu“.

Jeanne Mammen entzieht sich einer eindeutigen Kategorisierung, denn die Berlinerin schuf ihre bekanntesten Werke der 1920er Jahre nur anfangs als Modezeichnerin und entwickelte sich im Verlauf des Jahrzehnts zu einer Schilderin des Berliner Alltags. Dabei nutzte sie auch den spitzen Stift der Karikaturistin. Mammens Aquarelle und Federzeichnungen erzählen von den Anstrengungen der Durchschnittsfrau und kleinen Angestellten, sich dem Leitbild der Neuen Frau anzupassen.

Den Durchbruch schaffte sie in dem ab 1924 erscheinenden Herrenmagazin „Der Junggeselle“. Ihr Erfolg als Pressezeichnerin stellte sich im Rahmen des Modernisierungsprozesses der alteingesessenen bürgerlichen Satiremagazine „Simplicissimus“, „Jugend“ und „Ulk“ ein, womit sie ein Massenpublikum erreichte. Die Redakteure Herbert Sinsheimer und Franz Schoenberner agierten für Jeanne Mammen als „Türöffner“: 1924 übernahm der ehemalige Theater- und Literaturkritiker Herbert Sinsheimer die Leitung des „Simplicissimus“ und konnte gegenüber den Sozietären die Mitarbeit von Karl Arnold, George Grosz und Jules Pascin durchsetzen und damit für ein neues Profil sorgen. Bei der Münchner „Jugend“ bestand das gleiche Problem. Unter Franz Schoernberners Erneuerungskampagne ab 1926 begann Jeanne Mammens Arbeit für die „Jugend“, ihre Tätigkeit für den „Simplicissimus“ 1927 während der Ära Sinsheimer.

Nur in der kurzen Zeitspanne zwischen 1927 und 1933 verdiente Jeanne Mammen viel Geld mit ihrer Kunst:

„Jede Woche war ein Riesenpaket [mit Blättern] unter die Witze passen mussten“, nach München zu schicken, erinnerte sich Jeanne Mammen 1975 in einem Gespräch mit Hans Kinkel. Das Honorar war „anständig und prompt“. Für eine farbige Zeichnung zahlte die Redaktion 300 Mark. „Das war sehr viel damals“.3 Jeanne Mammen gehörte mit diesen Preisen zu den wenigen Künstlerinnen der Zwanziger Jahre, die von ihrer Kunst leben konnten.

Mitte 1929 ging Sinsheimer nach Berlin und übernahm dort den „Ulk. Illustriertes Wochenblatt für Humor und Satire“. Hier veröffentlichte Mammen ebenfalls ab 1927. Kurt Tucholsky, der 1918 bis 1920 Redakteur des Ulk gewesen war, publizierte 1929 in der „Weltbühne“ jene inzwischen berühmte

„Antwort an Jeanne Mammen: Die zarten, duftigen Aquarelle, die Sie in Magazinen und Witzblättern veröffentlichen, überragen das undisziplinierte Geschmier der meisten Ihrer Zunftkollegen derart, daß man Ihnen eine kleine Liebeserklärung schuldig ist. Ihre Figuren fassen sich sauber an, sie sind anmutig und herb dabei, und sie springen mit Haut und Haaren aus dem Papier. Im Delikatessenladen, den uns Ihre Brotherren wöchentlich oder monatlich aufsperren, sind Sie so ziemlich die einzige Delikatesse.“4

Von Oktober bis November 1930 fand Mammens erste umfassende Einzelausstellung in der Galerie Gurlitt in Berlin statt. Im Katalog lobte Hermann Sinsheimer Mammens Arbeiten als das Resultat „einer tiefen Anschauung von Mensch und Welt“. Dennoch verortete er seine beste Mitarbeiterin eher im männlichen Geschlecht, wenn er meinte, sie wäre eine „betont männliche Erscheinung“. Von den 19 ausgestellten Gemälden sind heute nur noch vier nachweisbar, darunter „Schachspieler“ und „Valeska Gert“. Daneben präsentierte Mammen auch zahlreiche grafische Arbeiten. In der Folge beauftragte Gurlitt die Künstlerin mit einem Grafikzyklus zu Pierre Louys „Die Lieder der Bilitis“. Die Lithografien über die lesbische Liebe erschienen aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten nicht mehr.

Jeanne Mammens Neue Frau

Jeanne Mammen, eher Beobachterin als Insiderin, siedelte ihre Szenen in der Theaterloge, auf dem Rennplatz, im Ballsaal an, aber sie begab sich auch an die Orte proletarischen Vergnügens, in die Kneipen und Kaschemmen rund um den Alexanderplatz, die Szenetreffs der schwul-lesbischen Subkultur oder auf den Rummel, wie die Schießbude beweist. Auch ihre Gesellschaftskritik tritt in ihrer Darstellung der zwischenmenschlichen Beziehungen zutage, doch sie führt ihren Stift mit unverhohlener Anteilnahme. Ihre Figuren versprühen spröden Charme und eine Erotik, die Betrachter beiderlei Geschlechts anspricht. Sozial sind Mammens aquarellierte Szenen überwiegend in der Vergnügungswelt der Neureichen und Kleinbürger angesiedelt und vermitteln den Widerspruch zwischen Aufsteigenwollen und Absteigenmüssen. So zeigt Jeanne Mammen in dem Aquarell „Börsianer (Börse)“ beispiellos das Ende einer Verbindung von Geld und Schönheit: Ein Kapitalist mit Börsenkurier unterm Arm wendet sich von seiner Begleiterin ab, und der jungen Frau bleibt offenbar nur noch ihr Pelzkragen.

Jeanne Mammen bietet ein besonders prägnantes Beispiel für eine im Herzen Berlins tätige Künstlerin, die sich in den 1920er und 1930er Jahren ganz gezielt mit vielfältigen Darstellungsweisen der Neuen Frau befasste. Schon ein kurzer Blick auf einige von Jeanne Mammens Illustrationen für diese Titel führt vor Augen, wie genau ihre Perspektive an der ihrer Zeit ausgerichtet war, dass sie aber auch über die heteronormativen medialen Konstrukte der entpolitisierten Neuen Frau hinausging, die in den Begleittexten dieser und anderer Magazine verbreitet wurden. Ab Mitte der 1920er-Jahre entstanden unter anderem Werke wie „Wahrsagerin“ oder „Vor dem Auftritt“ im Rahmen von Mammens Einreichungen bei Berliner Verlagen, die im Schnitt drei oder vier ihrer Zeichnungen in der Woche abdruckten. Anschließend zirkulierten diese Zeichnungen in wechselnden Kontexten und mit verschiedenen Titeln, je nach der Geschichte, dem Gedicht oder Artikel, die sie illustrierten. Mammens Neue Frau bewegt sich ausschließlich in weiblichen Räumen und verweigert sich den heteronormativen Erzählmustern der sie begleitenden Texte. „Wahrsagerin“ etwa erschien im September 1928 in einer „Uhu“-Ausgabe neben dem von André Baron von Foelckersam verfassten Gedicht „Die Kartenlegerin“. Typisch an Mammens Bild ist die Wiedergabe der Protagonistinnen als Freundes- oder Liebespaar im Stil der Neuen Frau: als Bubikopf tragende Kundin in Gesellschaft ihrer Freundin mit Herrenschnitt, die beide mit Interesse die vor ihnen ausgelegten Karten betrachten.

Jeanne Mammens Illustration „Frisch, fromm, fröhlich, frei!“ zeigt junge Frauen in ungewohnt luftiger Sportkleidung, fröhlich gemeinsam laufend. Mit der für Mammen üblichen Ironie wird hier ein neuer gesellschaftlicher Trend kommentiert. Auch die moderne „Flaneurin“ Jeanne Mammen fand ihre eigene Betrachtungsweise, die von hintergründiger Ironie geprägt war, wenn sie das moderne Berlin mit seiner ausufernden Vergnügungsindustrie zeichnend charakterisierte: Viele ihrer Arbeiten zeigen Szenen mit zwei oder mehreren Frauen, es gibt Kameradschaft und keine Konkurrenz.

Nur wenige Künstlerinnen und Künstler haben den Geist der befreiten deutschen Frau in den Weimarer Jahren und die zentrale Rolle, die Maskerade und Rollenspiel dabei einnahmen, so treffend ins Bild gesetzt wie Jeanne Mammen. Ihr im Magazin „Ulk“ und in „Morecks Führer“ abgedrucktes Werk „Sie repräsentiert“ bietet faszinierende Einblicke in einen dem weiblichen Geschlecht vorbehaltenen Maskenball lesbischer und heterosexueller Frauen. Gekleidet in Smokinghose, weiße Weste, Seidenschal und Zylinder, nimmt eine Garçonne mit im Mundwinkel hängender Zigarette eine theatralische Pose ein. Rund um die Hauptfigur herrscht das rege Treiben ultraweiblicher, in moderne Seidenmode gehüllter Femmes. Crossdressing – im Sinne einer Darbietung ebenso wie einer Kostümierung – bot Männern wie Frauen eine Plattform für das Spiel mit sexueller Identität.

Mammen im Deutschen Reich und Zweiten Weltkrieg

Kurz vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten reiste Jeanne Mammen mit dem Ingenieur und späteren Bildhauer Hans Uhlmann nach Moskau, da sie sich für den Sozialismus begeisterte. Da die meisten der Magazine, für die Mammen arbeitete, nach der Machtübernahme ihr Erscheinen einstellen mussten, verlor die Künstlerin am Höhepunkt ihres Erfolgs ihre Existenzgrundlage. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Berliner Künstlerin etwa 2.000 Zeichnungen geschaffen und damit den umfangreichsten Teil ihres Werks. Mammen reagierte auf die restriktive Ausstellungs- und Kunstpolitik der NSDAP mit dem Rückzug in die innere Emigration. Sie umgab sich in Berlin mit Vertrauten und Wissenschaftlern, die auch ihre ersten Sammler wurden. Während des Zweiten Weltkriegs überprüfte sie ihr Werk und setzte sich intensiv mit Futurismus und Kubismus auseinander. Zunehmend abstrahierte sie in ihren Werken, die sie nur engen Vertrauten zeigen durfte. Zwischen 1937 und 1939 emigrierten jedoch viele ihrer Freunde. Woraufhin Mammen dass surrealistische Filmskript „Schreib mir Emmy!“ verfasste.

Im Sommer 1937 hielt sich Jeanne Mammen in Paris auf, wo sie im spanischen Pavillon der Weltausstellung Pablo Picassos Monumentalgemälde „Guernica“ sah (→ Picasso: Guernica). In ihren eigenen Gemälden der folgenden Jahre verarbeitete sie formale Anregungen der Pariser Avantgarde. Um Geld zu verdienen, arbeitete Mammen im Bereich der angewandten Kunst, als Schaufensterdekorateurin, sie fertigte orthopädische Schuhe an und stellte Marionetten her. In Auseinandersetzung mit der Kunst von Henry Moore entdeckte Mammen die Plastik für sich. In ihren Kopfskulpturen beschäftigte sie sich mit der Auflösung der Kernskulptur. Während der letzten beiden Kriegsjahre wurde Jeanne Mammens Atelier mehrfach von Bomben getroffen. Dazu kommt noch die schlechte medizinische Versorgung in Berlin, weshalb ihre Mutter 1943 und ihr Vater 1945 versterben. Sie selbst überlebte die Kriegsjahre körperlich unversehrt, jedoch gezeichnet vom Erlebten.

Jeanne Mammens reifes Werk

Die zweite Hälfte der 1940er Jahre waren für Jeanne Mammen eine entbehrungsreiche Zeit. Ihre Freunde schickten ihr Care-Pakete und Malmaterial. Die Künstlerin verarbeitete auch die Verpackungen, was sie als Befreiungsschlag vom nationalsozialistischen Kunstbegriff empfand. Die Berliner Künstlerin war in allen wichtigen Ausstellungen der Nachkriegszeit vertreten, sie schuf Titelblätter und Illustrationen für die antifaschistische Zeitschrift „Ulenspiegel“. Weiters war sie für „Athena“, die Tageszeitung „Der Kurier“ und die „Berliner Zeitung“ tätig.

Ab Juli 1949 entwarf Jeanne Mammen Kostüme für das existentialistische Kabarett „Die Badewanne“ (bis 1950). Danach zog sie sich wieder in ihr Atelier zurück. 1960 folgte ihre erste große Einzelausstellung mit 42 aktuellen Arbeiten in der Akademie der Künste in Berlin. Nach dem Mauerbau 1961 überlegte die Künstlerin, Berlin zu verlassen. In ihren späten Gemälden klebte sie seit Anfang der 1960er Jahre Glanzpapiere (Bonbonpapiere), um deren farbige Wirkung einzufangen. Mammens Gesundheit begann zu schwinden: 1968 wurde bei ihr der Graue Star diagnostiziert. Ein Jahr später erkrankte sie während einer Marokko-Reise an Lungenentzündung. Ab den frühen 1970er Jahren wurde das Werk von Jeanne Mammen und ihre Person wiederentdeckt und in Ausstellungen gewürdigt. Am 6. Oktober 1975 vollendete sie ihr letztes Bild, das posthum „Verheißung eines Winters“ genannt wurde.

Tod

Am 22. April 1976 starb Jeanne Mammen in Berlin.

Literatur über Jeanne Mammen

  • Jeanne Mammen. Die Beobachterin. Retrospektive 1910–1975, hg. v. Thomas Köhler, Annelie Lütgens (Ausst.-Kat. Berlinische Galerie, Berlin, 6.10.2017–15.1.2018), München 2017.
  • Katharina Ferus, Jeanne Mammen, in: Geschlechterkampf. Franz von Stuck bis Frida Kahlo, hg. v. Felix Krämer (Ausst.-Kat. Städel Museum, Frankfurt am Main 24.11.2016–19.3.2017), München 2016.
  • Hildegard Reinhardt, Jeanne Mammen – Das symbolistische Frühwerk 1908–1914. „Les Tribulations de l’artiste“, Berlin 2002.
  • Annelie Lütgens, „Nur ein Paar Augen sein…“ Jeanne Mammen – Eine Künstlerin in ihrer Zeit, Berlin 1991.
  • Hans Kinkel, Begegnung mit Jeanne Mammen, in: Jeanne Mammen 1890–1976, hg. von der Jeanne-Mammen-Gesellschaft in Verbindung mit der Berlinischen Galerie, Stuttgart-Bad Cannstadt 1978, S. 93–102.
  1. Siehe hierzu v.a. Hildegard Reinhardt, Jeanne Mammen – Das symbolistische Frühwerk 1908–1914. „Les Tribulations de l’artiste“, Berlin 2002.
  2. Zit. n. Annelie Lütgens, Modezeichnungen und Illustrationen, in: Jeanne Mammen. Die Beobachterin. Retrospektive 1910–1975, hg. v. Thomas Köhler, Annelie Lütgens (Berlinische Galerie, Berlin, 6.10.2017–15.1.2018), München 2017, S. 27.
  3. 1929 wurden die monatlichen Lebenshaltungskosten einer alleinstehenden Angestellten vom Zentralverband mit 175 Mark berechnet. Das durchschnittliche Bruttoeinkommen lag jedoch bei 146 Mark und ein gutes Viertel der weiblichen Angestelltenlöhne sogar unter 100 Mark. Männer verdienten 10–15 Prozent mehr.
  4. Kurt Tucholsky, Antwort an Jeanne Mammen, in: Die Weltbühne, Jg. 25, H. 32, 6.8.1929, S. 225.