Kunst in Wien und Paris um 1900 bis in die Nachkriegszeit: Das bedeutet, die spannende Frage nach den künstlerischen Beziehungen zwischen der Pariser und Wiener Kunstszene vom Impressionismus zum Informel zu stellen. Dass Paris ab der Mitte des 19. Jahrhunderts unangefochten eines der, wenn nicht das europäische Zentrum der Kunstentwicklung war, ist weithin bekannt (→ Expressionismus in Deutschland und Frankreich). Wie sehr haben sich aber österreichische Künstler auf einen Gedankenaustausch mit ihren französischen Kollegen eingelassen? Und vor allem: Hat diese Auseinandersetzung Spuren in ihren Werken hinterlassen?
Österreich | Wien: Unteres Belvedere
3.10.2007 – 13.1.2008
Nun, die Errungenschaften der französischen Kunstlandschaft wie die Plein-air-Malerei der Schule von Barbizon aber auch die Aufhellung des Kolorits und die Auflockerung des Striches in den Arbeiten der Impressionisten lassen sich seit den 1850er Jahren in den Bildern von August von Pettenkofen, der 1852 nach Paris gereist war, nachweisen. Eine intensive Auseinandersetzung mit den französischen Vorbildern wurde den Daheimgebliebenen über Ausstellungen sowohl des Künstlerhauses wie der Secession ermöglicht. Das Belvedere illustriert durch Bildpaare vornehmlich die Auswirkungen - stilistischer wie thematischer Natur - der Franzosen auf die Österreicher.
So zeigt sich der spätere Secessionspräsident Josef Engelhart im Gemälde „Loge im Sophiensaal“ (1903) von der Demimonde des Wiener Nachtlebens angezogen. Eine leicht bekleidete Dame stützt sich lässig am Tisch ab, dem feisten Mann ihr gegenüber einen interessanten Blick ins Dekollete bietend. Das Interesse für diese nächtliche Szene wird mit kleinformatigen Ölskizzen des Künstlers mit Eindrücken aus den Pariser Bällen noch unterstrichen. Unspektakuläre Szenen der „Schönen der Nacht“ in fröhliche Farben gehüllt, finden sich auch im Œuvre von Henri de Toulouse-Lautrec („Ces Dames“, 1902). Bilder wie diese oder auch Opern- und Ballettmädchenszenen von Edgar Degas mögen als Inspirationsquellen für Josef Engelhart gedient haben. Fern sind ihm jedoch die psychologische Durchdringung und der, vor allem bei Toulouse-Lautrec immer wieder festgestellte, Hang zur Karikatur. Wichtig bleiben die Impressionisten jedoch als Wegbereiter der stillen, unaufdringlichen Szenen des Alltags.
1903 hatten die Wiener in der Secession Gelegenheit, die Werke der Impressionisten, die bereits seit Jahren Teil des hiesigen Ausstellungsgeschehens waren, in einer großen Schau zu verfolgen (→ Impressionismus in Österreich). Erstmals wurde in Wien versucht, die Entwicklung impressionistischer Tendenzen in Malerei und Skulptur seit der italienischen Renaissance wissenschaftlich aufzubereiten. Dass diese Auseinandersetzung deutliche Spuren in der österreichischen Kunstproduktion hinterließ, ist nahezu eine logische Folge: Gustav Klimts „Oberösterreichisches Bauernhaus“ (1911) zeigt nicht nur eine Auseinandersetzung mit der Urlaubsregion Attersee, sondern auch seine Auslegung des Postimpressionismus. Der so genannte Pointillismus hatte eine Verwissenschaftlichung der impressionistischen Faktur und Farbwahl zum Ziel. Paul Signacs oftmals südlichen oder Pariser Landschaften erstrahlen in hellsten Tönen, die Farbe wird systematisch in Flecken aufgetragen und der sichtbar bleibende Malgrund spielt eine große Rolle („Le Pont des Arts, Paris, Île de la cité“, 1912). Gustav Klimt bedient sich der pointillistischen Malweise, indem er dadurch geschickt die hölzerne Oberfläche des Bauernhauses von der fast nervösen Struktur der Bäume und des Grases differenziert.
Wie aus dem Vergleicht dieser beiden Bildpaaren deutlich wird, sind die österreichischen Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Position des Nehmens, des sich mit Vorbildern Auseinandersetzens und der (teilweisen) Übernahme von in Frankreich entwickelten Formen. Erst nach dem zweiten Weltkrieg wird sich diese Position merkbar ändern, nämlich als sich eine ganze Generation von jungen Künstlern zum intellektuellen Austausch in die Metropole Paris begibt: u. a. entwickeln hier Maria Lassnig, Arnulf Rainer, Hans Bischoffshausen, Hans Staudacher und Friedensreich Hundertwasser in ihren Frühwerken neue Wege der informellen Malerei. Die Materialfülle der Ausstellung lädt zum vergleichenden Schauen ein. Der Blick aufs Detail wird so manches Ähnliche wie auch Trennende verdeutlichen.