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Lara Almarcegui in der Wiener Secession

Lara Almarcegui, Installationsansicht: Bauschutt, Einblick in den Hauptraum Secession, 2010, Secession 2010, Foto: Wolfgang Thaler.

Lara Almarcegui, Installationsansicht: Bauschutt, Einblick in den Hauptraum Secession, 2010, Secession 2010, Foto: Wolfgang Thaler.

Die in Rotterdam lebende Spanierin Lara Almarcegui (* 1972) seziert die Secession, dekonstruiert ihre Architektur – aber nicht, um Fragen der Baustilkunde, der Architekturtheorie oder Kulturgeschichte zu klären, sondern um ihre Materialität sicht- und spürbar zu machen. Das Ergebnis sind acht verschieden hohe und unterschiedlich gefärbte Haufen Abbruchmaterial im Hauptausstellungsraum, von der Künstlerin „Berge“ genannt. Ästhetisch überzeugen sie allemal durch ihre einfache, kegelhafte Form, ein Ergebnis von Schwerkraft und Gleichgewicht, und ihre Farbigkeit. Wer sich Abbruchmaterial als schmutzig oder als Mischung verschiedenster Baustoffe vorstellt, wird hier eines Besseren belehrt. Recyceln ist offenbar ein technisch hocheffizientes Verfahren geworden, mit dessen Hilfe man die „Inhaltsstoffe von Bauwerken“ (Almarcegui) perfekt zu trennen versteht. Das Abbruchmaterial verweist dabei sowohl auf seine eigene Geschichte als der Rest einer gewesenen Architektur, aber auch auf das Potenzial, etwas Neues daraus zu gestalten.

Bauschutt im Hauptraum der Secession und Brachflächen am Nordbahnhof

Wenn die Künstlerin über ihre Arbeitsmethode spricht, so stehen Begriffe der Untersuchung, der Recherche, des Auflistens im Vordergrund. Almarcegui analysiert gebaute Strukturen, wobei sie gerne die Metapher des „Kuchenbackens“ und der „Ingredienzien“ verwendet. Die daraufhin erfolgte, physische Umsetzung dieser erarbeiteten Listen ist der Künstlerin ein zentrales Anliegen, und die Wirkung des Materials – seine Farbigkeit, seine Struktur, die Größe seiner Körnung – eine wichtige ästhetische Erfahrung ihrer Installation. Erstmals realisiert Lara Almarcegui für die Wiener Secession dieses Konzept sinnlich erfahrbar in einem Innenraum, denn bislang arbeitete die Künstlerin nur im öffentlichen Raum bzw. entwickelte für die Londoner Frieze Art Fair (2006) einen großformatigen Wandtext, in dem die Ergebnisse ihre Untersuchung dokumentiert wurden.

Wie verhalten sich also diese acht Berge aus Mörtel, Zement, Gips, Stahl, Glas, Ziegel, Holz und Terrazzo zu ihrer Umgebung? Sie repräsentieren in verkleinertem Maßstab den Hauptraum der Secession, stehen also in einem direkten Verhältnis zu der sie umgebenden Architekturhülle. Man muss sich auf dem schmalen Weg vor den Hügeln, um alle Materialhaufen zu entdecken. Die „Berge“ machen für mich auf höchst unspektakuläre Weise die formgebende Leistung des Architekten Joseph Maria Olbrich deutlich. Darüber hinaus erinnern sie mich in ihrer Anlage an den Englischen Landschaftsgarten des 19. Jahrhunderts. Auch dort wurde die große Welt im Kleinen nachgebaut, wurden Sichtachsen gezogen und Erfahrungsräume geschaffen.

In der Arbeit „Brachfläche am Nordbahnhof“ thematisiert Lara Almarcegui einen noch größeren Raum, um sozio-ökonomische Veränderungen und ihre Auswirkung auf gebaute Strukturen aufzudecken. Das Gelände des Wiener Nordbahnhofs ist ein Ort, an dessen wirtschaftliche Bedeutung des 19. Jahrhunderts nur noch Reste vergessener Bahngleise erinnern. Erst seit den 1990er-Jahren gibt es städtebauliche Pläne, dieses Gebiet zu einem Wohnviertel mit etwa 10.000 Wohnungen umzugestalten. Lara Almarcegui interessiert sich jedoch nicht für die Fortschritte der Stadtentwicklung, sondern für die Brachflächen, die für sie noch alle Möglichkeiten zukünftiger Nutzung in sich tragen. Während in der Stadt alles einer Funktion unterworfen ist, alles gestaltet und „in Form gebracht“ erscheint, sind Brachflächen prinzipiell offen. Für Lara Almarcegui ist dieser Zustand des noch uneroberten und ungestalteten Raums mitten in der Stadt Ausgangspunkt für Recherchen zur Geschichte und zur geplanten Nutzung des Ortes. Die Ergebnisse fasst sie in einem Folder, dessen Form und Funktion von Touristenplänen referenziert wird, zusammen. Die Sehenswürdigkeiten sind im wahrsten Sinne des Wortes (noch) brach liegende Landstriche, deren aktuelle Zwecklosigkeit im urbanen Feld eine Vielzahl von Funktionsmöglichkeiten gegenübersteht. Somit schließt sich der Kreis zu Almarceguis Arbeit im Hauptausstellungsraum, die Abbruchmaterial symbolisch auflädt: Einmal recycelt wird der Bauschutt wieder dem Produktionsprozess zugeführt und kann erneut Form und Funktion annehmen.

Der Blick, den Lara Almarcegui auf die so eng miteinander verbundenen Themen Urbanität und Architektur wirft, führt in der Wiener Secession zu einer Analyse und dann einer Auflistung der verwendeten Materialien im Sinne der Dekonstruktion des aktuellen Zustandes. Während bislang Almarceguis „Sektionen“ im öffentlichen Raum an Abbruchhäusern durchgeführt wurden, und dabei die untersuchten Objekte durch die Untersuchung zerstört wurden, musste sie in ihrer Wiener Arbeit symbolisch vorgehen. Genauso verhält es sich auch mit ihrem dritten Projekt im Graphischen Kabinett. Vor Ausstellungseröffnung ließ die Künstlerin den Parkettboden entfernen und davon Dias machen. Von diesem performativen Eingriff in die Bausubstanz bleibt nur diese fotografische Dokumentation, denn die Analyse ließ sich nur mit partieller Zerstörung und anschließender Rekonstruktion durchführen.

Almarceguis Umgang mit Architektur und Urbanität ist geprägt von einem tiefschürfenden Interesse für historische, aktuelle wie mögliche Funktionen von städtischen Räumen. Ihre Installationen beleuchten jene „blinde Flecke“ unserer Wahrnehmung, die sich dem öffentlichen Bewusstsein entziehen, da sie weder institutionalisiert noch politisch gelenkt werden. Obwohl die von Almarcegui gewählten Brachflächen nicht als gelebter sozialer Raum empfunden werden, keine aktuelle Codierung und Funktion haben bzw. sich in einem Übergangsstadium befinden, so wandeln sie sich durch den künstlerischen Eingriff auf sanfte Weise vom Übersehenen zum Wahrgenommenen.

Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.