Levina Teerlinc

Wer war Levina Teerlinc?

Levina Teerlinc (auch: Lavina Teerlink, Brügge 1510/20–23.6.1576 London) war eine flämische Miniaturmalerin der Renaissance, die Heinrich VIII. Ende 1546 zu seiner königlichen Hofmalerin ernannte. Sie war die bedeutendste Miniaturistin zwischen Hans Holbein dem Jüngeren und Nicholas Hilliard am Tudor-Hof. Teerlinc schuf etwa 30 Jahre lang Porträtminiaturen für vier Generationen der Tudors von Heinrich VIII., Eduard VI., Maria I. bis Elisabeth I.

Kindheit und Ausbildung

Levina Teerlinc wurde in den 1510er Jahren in Brügge, Flandern (heute: Belgien), als eine von fünf Töchtern des berühmten Miniaturisten Simon Bening (1483–1561) geboren. Sie war auch die Enkelin von Catherine van der Goes – vermutlich eng verwandt mit Hugo van der Goes – und Alexander Bening.1 Ihr Vater, Simon Bening, war ein bekannter Buchmaler und Miniaturmaler der Gent-Brügge-Schule und bildete seine Tochter wahrscheinlich als Buchmalerin aus. Vermutlich arbeitete Levina Teerlinc vor ihrer Heirat in der Werkstatt Simon Benings.

Levina Teerlinc in London

Nach der Hochzeit mit George Teerlinc von Blanckenberge reiste die flämische Künstlerin mit ihrem Ehemann nach Brügge, um die Angelegenheiten nach dem Tod seines Vaters abzuschließen.2

Ebenfalls im Jahr 1545 zog Levina Teerlinc nach England. Dort wurde der Miniaturistin im November 1546 ein Jahreslohn von 40 Pfund zugesprochen. In der Folge diente sie als Hofmalerin am Tudor-Hof unter Heinrich VIII., Eduard VI., Maria I. und Elisabeth I.:

„Mrs. Levyna Terling, Paintrix [offizielle Titel der Hofmalerin, Anm. AM], erhält ein Honorar von 40 l. ein Jahr nach der letzten Verkündigung Unserer Lieben Frau zur Freude Ihrer Majestät.“3

Es wäre möglich, dass Teerlincs Status als verheiratete Frau wie auch ihre Abstammung aus einer Künstlerfamilie dazu beitrugen, dass ihr im Gegensatz zu Sofonisba Anguissola die offizielle Stellung als Hofmalerin des Königs zuteilwurde.4 Wie bei Inhaber:innen von Hofämtern üblich, erhielt Levina Teerlinc großzügige jährliche Pensionen und „Geschenke“. Heinrich VIII. gewährte der Porträtistin ein Gehalt, das bis zu ihrem Tod im Jahr 1576 auszubezahlen war, wie Lodovico Guicciardini (1567) überlieferte.5 Auch Königin Elisabeth I. gewährte Levina Teerlinc im Oktober 1559 eine lebenslange Rente und zahlte rückständige Beträge aus.6

Damit erhielt Levina Teerlinc mehr Geld, als der Herrscher dem 1543 verstorbenen Hans Holbein oder Lucas Horenbout (Horenbolte) zur Verfügung gestellt hatte bzw. ihrem möglichen Schüler Nicholas Hilliard zahlte.7 Levina Teerlinc ist die einzige dokumentarisch nachweisbare Malerin am Hofe Heinrichs VIII.,8 obwohl Catherine Parr (um 1512–1548) drei weibliche Miniaturmaler beschäftigt haben soll, nämlich Susanna Horenbout, Levina Teerlinc und Margaret Holsewyther.9

Königin Maria I. schenkte Levina Teerlinc 1556 zum Neujahrstag einen vergoldeten Silbersalzstreuer, und die Künstlerin revanchierte sich bei der Königin mit einem kleinen Bild der Dreifaltigkeit.10 Im Jahr 1559 wurde Teerlinc zur Mallehrerin der Königstochter am spanischen Hof ernannt.11 Sie und ihr Mann hatten einen Sohn namens Marcus.

Darüber hinaus existierten jedoch nicht unwesentliche Unterschiede in der professionellen Bindung an die Höfe, die zum Teil mit den dortigen Gepflogenheiten zusammenhingen, nicht zuletzt jedoch auch mit dem gesellschaftlichen und zivilen Status der Künstlerinnen selbst.

Werke

Bislang konnten keine Werke der Levina Teerlinc sicher zugeschrieben werden.12 Dennoch war sie eine der am besten dokumentierten Miniaturmalerinnen am englischen Königshof. Teerlinc ist heute vor allem für ihre zentrale Rolle beim Aufstieg der Porträtminiatur unter den Tudor-Herrscher:innen bekannt. Außerdem könnte sie den Goldschmied Nicholas Hilliard in den Methoden der Miniaturporträtmalerei geschult haben.

Levina Teerlinc schuf verschiedene Porträts von Elisabeth I. in den Jahren 1559, 1562, 1563, 1564, 1567 („ein Porträt in voller Länge“) und 1568 („mit Ordensrittern“), 1575 („mit anderen Persönlichkeiten“) und 1576. Sie malte für Maria I. im Jahr 1556 „ein kleines Bild der Dreifaltigkeit“ als Neujahrsgeschenk. Teerlinc entwarf wahrscheinlich auch das Große Siegel von England für Maria I. und das früheste, das Elisabeth verwendete (in den 1540er Jahren).

Die Zuordnung von Teerlincs Werken ist schwierig, da sie diese nicht immer signiert hat. Es gibt jedoch einige Porträtminiaturen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie von Teerlinc stammen könnten. Einige Forscher:innen spekulieren auch, dass viele der Miniaturen bei dem Brand in Whitehall verloren gingen.
Die von kuratiert von Roy Strong Ausstellung „Artists of the Tudor Court: The Portrait Miniature rediscovered 1520–1620“ im Victoria and Albert Museum im Jahr 1983 präsentierte erstmals eine Gruppe von Miniaturen, die Levina Teerlinc zugeschrieben werden kann: Fünf Miniaturen und zwei illuminierte Manuskriptblätter, darunter eine Miniatur von Lady Katherine Gray aus dem V&A und andere aus dem Yale Centre for British Art, der Royal Collection (beide möglicherweise von der jungen Elisabeth I.) und Privatsammlungen. Strong war der Ansicht, dass es sich um

„eine überzeugende Gruppe von Miniaturen handelte, die als das Werk einer einzigen Hand entstanden sind, deren zeichnerische Fähigkeiten schwach sind, deren Farbe dünn und transparent ist und deren Pinselführung locker ist“.13

Teerlinc in der Kunstkritik

Lodovico Guicciardini (1521–1589) nannte Levina Teerlinc in seiner „Beschreibung der Niederlande“ (1567) als eine von nur fünf „lebenden Künstlerinnen“ - neben Susanna Horenbout (um 1503–um 1550) aus Brüssel, Mayken Verhulst (Marijken Verhulst oder Maria de Bessemers, 1518–1596 oder 1599) aus Mechelen, Catharina van Hemessen (1527/28–nach 1583) aus Antwerpen und Anna Smijters aus Gent die früheste bekannte Malerin Flanderns.14:

„Die erste ist Laevina, die Tochter von Herrn Simon Bruges, die ist wie ihr Vater hervorragend im Miniaturformat; so dass auch Heinrich VIII. sie mit hohen Belohnungen an seinen Hof einlud, wo sie später glänzend verheiratet war, bei Maria weiterhin in hoher Gunst stand und nun bei Elisabeth die gleiche Wertschätzung genießt.“15

Der italienische Maler und Schriftsteller Giorgio Vasari (1511–1574) erwähnt sie in der Ausgabe seiner einflussreichen „Vite“ von 1568, wobei der Eintrag an den von Guicciardini erinnert.16

Nicholas Hilliard, den Teerlinc unterrichtet hatte, erwähnt sie in seiner Abhandlung „A Treatise Concerning the Arte of Limning“ nicht. Dort zählte er männliche Künstler namentlich aufr, die ihn beeinflusst haben, darunter Hans Holbein und Albrecht Dürer.17 Hilliard erwähnte Malerinnen nur im Allgemeinen, um ihre besondere Art von Quecksilberweiß hervorzuheben.18 In den folgenden Anleitungen führte er seine Rezepte und Techniken auf, die er sorgfältig als „Old Master Hilliard“19 kennzeichnete.

Zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert ist Teerlinc in wichtigen Texten über Kunst und Künstler in England und im Ausland präsent. Oft werden darin Vasari oder Guicciardini paraphrasiert, einschließlich des Irrtums über Teerlincs Ehe, aber viele graben auch Archivberichte aus, um ein besseres Verständnis ihres Lebens und ihres Beitrags zu entwickeln. Zu den wichtigsten Autoren gehören Antonius Sanderus (1641–1644, Bd. 1, S. 210), Horace Walpole (1762, S. 102), John Nichols (Bd. 1, S. 249), der Brügger Künstler und Chronist Pieter Le Doulx (1795). , S. 218), Octave Delepierre (1840, S. 44), John Gough Nichols (1863, S. 21–22, 30, 39–40), W. H. James Weale (1864–1865, S. 307–308; 1865 , S. 147; 1906, S. 278), John Bradley (1891, S. 375) und Joseph Destrée (1895, S. 18–25). In dieser Zeit wird Teerlinc im Kontext einer Geschichte weiblicher Kunstschaffender betrachtet: Elizabeth Ellets „Women Artists in All Ages and Countries“ (S. 57–58), nach Langer „die erste systematische Geschichte über das Leben von Künstlerinnen und ihre Leistungen von einer Amerikanerin“ (S. 58), und Ellen C. Claytons „English Female Artists“ (S. 5–12). Diese Berichte zeigen, dass Teerlinc nicht in „völlige Vergessenheit“ geriet, sondern dass er in regelmäßigen Abständen, in unterschiedlichen Kontexten und für unterschiedliche Verwendungszwecke die Erinnerung an die Miniaturistin wiederkehrte und im Laufe der Jahrhunderte wieder eine kritische Masse erreicht.

Seit den 1980ern wurde Levina Teerlinc dem Publikum wieder in großen Ausstellungen vorgestellt: „Artists of the Tudor Court: The Portrait Miniature Rediscovered 1520–1620“ (Strong und Murrell, 1983) sowie „A Chacun sa Grâce: Femmes Artistes en Belgique et Aux Pays-Bas 1500–1950“ (Van der Stighelen und Westen).

Tod

Levina Teerlinc starb am 23. Juni 1576 in Stepney, London.

Literatur zu Levina Teerlinc

  • Sarah Salomon, Ausnahme-Karrieren. Hindernisse, Chancen und Erfolgsstrategien von Malerinnen im frühneuzeitlichen Kunstbetrieb, in: Geniale Frauen. Künstlerinnen und ihre Weggefährten, hg. v. Katrin Dyballa (Ausst.-Kat. Bucerius Kunst Forum, Hamburg, 14.10.2023–28.1.2024; Kunstmuseum Basel, 2.3.–30.6.2024), München 2023, S. 50–59.
  • Catherine Padmore, Portrait of an Unknown Woman: Fictional Representations of Levina Teerlinc, Tudor Paintrix: Authorizing Early Modern European Women: From Biography to Biofiction, Amsterdam 2022, S. 33–48.
  • Melanie V. Taylor, Portrait Miniature: Is This Levina Teerlinc? (18.10.2017): https://melanievtaylor.co.uk/2023/03/04/levina-teerlinc-henry-viiis-court-artist-from-1546-1576/ (letzter Aufruf 1.8.2023).
  • Catherine King, What Women Can Make, 1999, S. 61–62.
  • A Chacun sa Grâce: Femmes Artistes en Belgique et Aux Pays-Bas 1500–1950, hg. v. Katlijne van der Stighelen und Mirjam Westen (Ausst.-Kat. Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen, 17.10.1999–16.1.2000; Museum voor Moderne Kunst Arnhem, 26.2.2000) Ghent 1999.
  • Delia Gaze, Dictionary of women artists, London 1997, S. 1358–1359.
  • Roy Strong, in: Nicholas Hilliard's miniature of the 'Wizard Earl', in: Bulletin van Het Rijksmuseum Nr. 31 Bd. 1 (1.1.1983) S. 54–62.
  • Artists of the Tudor Court: The Portrait Miniature rediscovered 1520–1620, hg. v. Roy Strong (Ausst.-Kat. The Victorian & Albert Museum, London, 9.7.–6.11.1983), London 1983.
  • Ann Sutherland-Harris, Linda Nochlin, Women Artists: 1550–1950, Los Angeles 1976, S. 102–104.
  • Simone Bergmans, The Miniatures of Levina Teerling, in: The Burlington Magazine for Connoisseurs, Bd. 64, Nr. 374 (Mai 1934) S. 232–233, S. 235–236.
  • H. James Weale, Livina Teerlinc, Miniaturist, in: The Burlington Magazine for Connoisseurs, Bd. 9, Nr. 40 (Juli 1906), S. 278.
  • H. James Weale, Levina Bynnynch, or Teerlinc, in: Notes and Queries, Bd. 8, Nr. 190 (August 1865), S. 147.
  • H. James Weale, Documents inédits sur les enlumineurs de Bruges, in: Le Beffroi, Bd. 2, 1864–1865, S. 298–320.
  • John Nichols, llustrations of the manners and expences of antient times in England, London 1797, S. 9 und 22.
  1. Delia Gaze, Dictionary of women artists, London 1997, S. 1358–1359.
  2. Im Archiv von Brügge hat sich ein Dokument erhalten. Siehe: Weale, 1865, S. 147; Weale, 1864–1865, S. 307– 308; Weale, 1906, S. 278.
  3. James Gairdner und R. H. Brodie (Hg.), Henry VIII: November 1546, 21–30, in: Letters and Papers, Foreign and Domestic, Henry VIII, Bd. 21, Teil 2, September 1546–January 1547, London 1910, S. 203–248; Erna Auerbach, Tudor Artists: A Study of Painters in the Royal Service and of Portraiture on Illuminated Documents from the Accession of Henry VIII to the Death of Elizabeth I. London 1954., S. 51.
  4. Tanja L. Jones, Makers. Towards the Study of Women Artists in the Early Modern Courts, in: Birgit Ulrike Münch u. a. (Hg.), Künstlerinnen. Neue Perspektiven auf ein Forschungsfeld der Vormoderne, Petersberg 2017, S. 38–47, hier S. 41 f.
  5. Ann Sutherland-Harris, Linda Nochlin, Women Artists: 1550–1950, Los Angeles 1976, S. 102–104.
  6. Auerbach, S. 103–104.
  7. Roy Strong, in: Nicholas Hilliard's miniature of the 'Wizard Earl', in: Bulletin van Het Rijksmuseum Nr. 31 Bd. 1 (1.1.1983) S. 54–62, hier S. 52; Holbeins Jahreslohn betrug 30 £ (Auerbach, S. 50). Horenbout hatte ein Monatsgehalt von 55 Shilling und 6 Pence, also knapp 34 Pfund im Jahr (Auerbach, S. 50). Nicholas Hilliard, der Maler in seine Fünfzigern dürfte seit den frühen 1570er Jahren für die Königin gearbeitet haben, erhielt jedoch im August 1599 nur eine Rente von 40 Pfund (Blakiston, S. 188). Das war zwar derselbe Betrag, den Teerlinc erhalten hatte, aber bis dahin wäre der reale Wert deutlich gesunken.
  8. Delia Gaze, Dictionary of women artists, London 1997, S. 1358–1359.
  9. Susan E. James, Lady jane grey or queen kateryn parr? National portrait gallery painting 6804: Analysis and historical context, in: Cogent Arts & Humanities, Bd. 5 (2018), https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/23311983.2018.1533368 (letzter Aufruf 1.8.2023).
  10. John Nichols, llustrations of the manners and expences of antient times in England, London 1797, S. 9 und 22.
  11. Catherine King, What Women Can Make, 1999, S. 61–62.
  12. Siehe den Objekttext zu den Miniaturen Teerlincs im Victoria and Albert Museum, London: https://collections.vam.ac.uk/item/O1067948/a-girl-formerly-thought-to-portrait-miniature-levina-teerlinc/ (letzter Aufrurf 1.8.2023)
  13. Artists of the Tudor Court: The Portrait Miniature rediscovered 1520–1620, hg. v. Roy Strong (Ausst.-Kat. The Victorian & Albert Museum, London, 9.7.–6.11.1983), London 1983.
  14. Guicciardini führte insgesamt sieben flämische Malerinnen, „Donne eccellenti nella Pittura“ an.
  15. Lodovico Guicciardini, Descrizione dei Paesi Bassi, S. 20–21.
  16. Vere, S. 269.
  17. Thornton und Cain, S. 49–53.
  18. Thornton und Cain, S. 71.
  19. Murrell, S. 60.