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London | Tate Modern: Hilma af Klint & Piet Mondrian Pionier:innen der Abstraktion | 2023

Hilma af Klint, The Ten Largest [Die zehn Größten], Group IV, No. 3 Youth, 1907, Detail (Courtesy of The Hilma af Klint Foundation)

Hilma af Klint, The Ten Largest [Die zehn Größten], Group IV, No. 3 Youth, 1907, Detail (Courtesy of The Hilma af Klint Foundation)

Diese Ausstellung vereint die Arbeiten zweier bahnbrechender moderner Künstler:innen – der schwedischen Malerin Hilma af Klint (1862–1944) und dem niederländischen Maler Piet Mondrian (1872–1944).

Als Landschaftsmaler haben sie ihre eigene Sprache der Abstraktion entwickelt und die Kunstformen ihrer Zeit herausgefordert (→ Abstrakte Kunst). Diese Ausstellung untersucht, wie Lebensformen in der Natur ihre künstlerischen Erkundungen weiter vorantrieben. Die Tate Modern behandelt beide als Künstler, die um die Wende des 20. Jahrhunderts Werke als Reaktion auf die sie umgebende Welt geschaffen haben.

Hilma af Klint und Piet Mondrian in London

Verwurzelt in der Natur

Ende des 19. Jahrhunderts begannen Hilma af Klint und Piet Mondrian ihre Karrieren mit akademischer Landschaftsmalerei, bevor sie im 20. Jahrhundert einen radikal neuen Zugang zur Malerei entwickelten. Obwohl sie einander – oder die Arbeit des anderen – nicht kannten, untersucht die Tate Modern, in einem Dialog wie beide die Möglichkeiten der abstrakten Kunst entwickelten, indem sie sich von den Konventionen der Wiedergabe lösten.

Um 1900 forderten neue Technologien wie Mikroskop, Radiographie und Fotografie die menschliche Wahrnehmung heraus. In der zeitgenössischen Debatte wurden diese unsichtbaren Strahlen mündete in der Vorstellung, dass eine unsichtbare Energie alle Dinge verbindet, was als „Äther“ bezeichnet wurde. Der Nachweis von Welten, die für das menschliche Auge unsichtbar sind, katalysierte Veränderungen in Wissenschaft, Spiritualität und Kunst. Ihre künstlerischen Prozesse werden in London als ein Nachdenken über die Natur vorgestellt. Jeder der beiden schuf eine eigene abstrakte Sprache mit Symbolik, Farbe und Form, mittels der sie die Verbundenheit der Kunst mit allen Lebensformen ausdrücken konnten. Sie widmeten sich in Werken mit Titeln wie „Evolution“ der spirituellen und künstlerischen Evolution der Menschheit.

Obwohl sich af Klint und Mondrian nie getroffen haben, teilten sie den gleichen Wunsch, die Kräfte hinter dem Leben auf der Erde zu verstehen. Besucher:innen können diese Ideen anhand der Zeichen, Formen und Farben in den wunderschönen und komplexen Gemälden beider Künstler entdecken. Die große Ausstellung in der Tate Modern zeigt rund 250 Werke, darunter Gemälde, Zeichnungen und Archivmaterialien. Ihr Werke spiegeln Radikale neue Ideen, Theorien und wissenschaftliche Entdeckungen in einer Ära des raschen gesellschaftlichen Wandels wider.

Frühe Landschaften

1882 wurde Hilma af Klint an der Akademie der Schönen Künste in Stockholm aufgenomemn, wo sie fünf Jahre lang studierte. Frauen wurden erst 1864 an der Akademie aufgenommen und standen oft noch vor Karrierehindernissen. Bereits während ihres Studiums wurde af Klint für ihre Landschafts- und Porträtmalerei bekannt und etablierte sich als angesehene Künstlerin. Sie schuf weiterhin traditionelle Gemälde, auch nachdem sie begonnen hatte, spiritistisch-abstrakte Werke zu malen. Im Jahr 1910 trat af Klint der Schwedischen Gesellschaft der Künstlerinnen bei und fungierte als deren Sekretärin.

Piet Mondrian studierte von 1892 bis 1897 an der Rijksakademie van Beeldende Kunsten in Amsterdam. Die niederländische Malerei der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war vor allem von der „Haager Schule“, der realistischen Malerei in der Nachfolge der Schule von Barbizon, geprägt. Charakteristisch – auch für Mondrians Arbeiten – sind gedeckte Farben, lockere Pinselführung und strukturierte Oberflächen.

Evolution

Die Künstlerkolonie Domburg auf der Insel Walcheren in der niederländischen Provinz Zeeland war für ihre unverwechselbare Landschaft und die Qualität des Lichts bekannt. Mondrian kam 1908 zum ersten Mal zu Besuch und verbrachte dort bis 1914 jeden Sommer. In diese Jahren suchte er nach seiner eigenen visuellen Sprache und experimentierte mit Farbe, Stil und Maltechnik. Die Türme von Domburg in Verbindung mit Dünenszenen und Meereslandschaften lösten bei Mondrian eine Konzentration auf horizontale und vertikale Prinzipien aus, die für sein späteres abstraktes Werk charakteristisch sind. Er führte die Landschaften im spätimpressionistischen/pointillistischen Stil (→ Postimpressionismus | Pointillismus | Divisionismus) und mit leuchtenden Farben aus. Mondrians Triptychon „Evolution“ wird als Fortschritt der Menschheit vom physischen zum spirituellen Bereich interpretiert, indem sich der Maler der Symbolik der Theosophie bediente.

Die Gemälde von af Klint aus dem Jahr 1908 stellen den Aufstieg der Menschheit zu einem höheren spirituellen Zustand dar. Die Schwedin verwendete eine farbenfrohe Symbolik, einschließlich der Spirale oder Schnecke, um die Evolution darzustellen. Diese Serie zeigt, wie af Klint innerhalb einer einzigen Arbeit mit mehreren visuellen Sprachen experimentierte, von Symbolik und organischen Formen bis hin zur Abstraktion. Die Titel basieren auf einem von ihr entwickelten System, bei dem Zahlen bestimmten geometrischen Formen entsprechen, die auf verschiedene Aspekte der Welt und des Kosmos verweisen.

Die Gemälde für den Tempel

Die „Gemälde für den Tempel“ sind eine Reihe von Werken, die Hilma af Klint zwischen 1906 und 1915 schuf und die sie als ihren „größten Auftrag“ betrachtete. Af Klint glaubte, dass diese Arbeiten von ihrem spirituellen Führer Amaliel in Auftrag gegeben wurden, einer der fünf Führer oder „Hohen Meister“, mit denen sie zusammen mit ihrem spirituellen Kollektiv „Die Fünf [De Fem]“ kommunizierte. Der Auftrag umfasste schließlich 193 Werke in mehreren Serien. Die in der Tate Modern ausstellten Bilder der Serie „WUS/Seven-Pointed Star, Gruppe VI, The Evolution“ (1908) sind Teil von „Die Gemälde für den Tempel“.

Blumen und Verwandlung

Hilma af Klints Blumendarstellungen zeigen die scharfe Beobachtung der Natur und ihrer Artenvielfalt durch die Künstlerin. Auch Piet Mondrian malte und zeichnete ab den späten 1890er Jahren immer wieder Blumen (teils auch aus ökonomischer Notwendigkeit). Beide Kunstschaffenden verwendeten Blumen, um natürliche Prozesse im Laufe der Zeit zu verfolgen, wobei Mondrian oft blühende und welke Blumen darstellte. Af Klint hingegen beobachtete Pflanzen gerne in verschiedenen Stadien ihres Lebens und reflektierte zyklische Muster in der Natur (Frühling/Sommer). Im „unfertigen“ Zustand ihrer Zeichnungen schwingt die Vergänglichkeit ihres Sujets mit.

Während Mondrian bevorzugt Kulturblumen wie Lilien und Chrysanthemen malte, konzentrierte sich af Klint auf in den nordischen Ländern heimische Pflanzen wie Kornblume und Strandnelke. Sie bevorzugte Aquarell auf Papier und ordnete die Pflanzen auf dem Blatt, was den Konventionen des botanischen Zeichnens entsprach. Im 19. Jahrhundert war die botanische Illustration eine der wenigen professionellen künstlerischen Aktivitäten, die Frauen offenstanden.

„Ich habe es genossen, Blumen zu malen, keine Sträuße, sondern jeweils eine einzelne Blume, um ihre plastische Struktur besser auszudrücken.“1 (Piet Mondrian)

Beide Maler:innen bewegten sich über realistische Darstellungen von Blumen hinaus. Af Klint erforschte ihre tiefere spirituelle Bedeutung, während Mondrian erklärte, dass er es genoss, einzelne Blumen zu malen, um ihre plastische Struktur besser auszudrücken. Ihr frühes Eintauchen in die Sprache der Pflanzen und der Pflanzenwelt bot ihnen die Möglichkeit, Verbindungen zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos zu artikulieren, die Idee, dass sich die Struktur des Kosmos im kleinsten Lebewesen widerspiegelt.

Baum

Der Baum wurde sowohl für Piet Mondrian als auch Hilma af Klint zu einem bedeutenden Thema. Bäume haben in vielen Kulturen und Glaubenssystemen eine Bedeutung als mystische und symbolische Repräsentationen jenseits der sichtbaren Welt. Indem sie sich auf die Struktur des Baumes konzentrierten, erforschten sowohl af Klint als auch Mondrian diese Pflanzen auf ihre jeweils einzigartige Art.

Mondrian malte zwischen 1908 und 1911 eine Reihe von Bäumen, während af Klint 1913 zwei Jahre lang an „Der Baum des Wissens“ (1913-1915) arbeitete. Af Klints Serie stützt sich auf das Konzept der „axis mundi“, oft als „Weltbaum“ bezeichnet. Das ist eine Form, die jeden Teil des Universums verbindet, vom Mikrokosmos bis zum Makrokosmos. In der nordischen Mythologie ist der Yggdrasil eine Esche im Zentrum des Kosmos, deren Wurzeln tief in den Untergrund reichen und deren Äste bis in den Himmel reichen. Af Klint kombinierte die Präzision botanischer und wissenschaftlicher Diagramme mit vom Jugendstil inspirierter Ornamentik in ihrer Darstellung des Baumes: sie verwendete fließende und geschwungene Linien, die auf pflanzlichen Formen basieren.

Mondrians Begegnung mit dem Kubismus (Paris 1911) beeinflusste seine Herangehensweise an das Malen von Bäumen nachhaltig. Der Kubismus war ein radikal neuer visueller Ansatz, bei dem Objekte und Figuren in verschiedene Ebenen zerlegt wurden, wodurch die zweidimensionale Oberfläche der Leinwand betont wurde. In „Der rote Baum“ malte Mondrian einen Baum nicht als Element der realen Welt, sondern als „plastischen Ausdruck“, mit energischer Pinselführung. Diese scheinen den Akt des Malens selbst zu feiern. Bei späteren Bäumen verdichtete Mondrian den Stamm und die Äste zu einem Netzwerk aus Vertikalen und Horizontalen und konzentrierte sich darauf, das Bild auf die wesentlichen Formen des Baums zu reduzieren.

Dynamische Farbe

Mondrian und af Klint experimentierten auf unterschiedliche Weise mit den dynamischen Beziehungen von Form und Farbe, um das „Universelle“ auszudrücken.

Mondrian verfeinerte während seiner in Domburg verbrachten Sommer nach und nach seine Darstellungen von Türmen und Meeresansichten, bis sie sich in völliger Abstraktion auflösten. Er sah vertikale Linien als Darstellung des spirituellen oder „männlichen“ Prinzips und horizontale Linien als Ausdruck des materiellen oder „weiblichen“ Prinzips. Ab 1914 bestand Mondrians Werk aus Horizontalen und Vertikalen, die sich allerdings noch nicht kreuzten. Sein ultimatives Ziel war es, eine universelle Harmonie auszudrücken, die auf dem Gleichgewicht gegensätzlicher Kräfte basiert.

Af Klint malte die „Eros“-Serie mit hellen Pastellfarben und eleganten Linien, begleitet von Buchstaben und Text, im Jahr 1907. Lineare Diagonalen entwickeln sich zu dynamischen Formen, die an Blumen, Blätter oder Ovale erinnern. Alle Elemente dieser Serie scheinen darauf ausgelegt zu sein, gegensätzliche „männliche“ und „weibliche“ Kräfte auszugleichen: die Verwendung der kontrastierenden Farben Blau und Gelb, der Buchstaben AO (Alpha und Omega) und der schwedischen Wörter Asket (Asket) und Vestalin. Af Klint verwendete diese Wörter in ihren Notizbüchern oft austauschbar in Bezug auf sich selbst und ihre Mitarbeiterin Anna Cassel, was auf eine fließende Geschlechtszugehörigkeit oder eine Einheit zwischen männlich und weiblich hindeutet. Möglicherweise hat die Malerin den Serientitel aus der griechischen Mythologie übernommen, in der Eros der Gott der Liebe ist. In dem Text „Metamorphosen“ des römischen Dichters Ovid begegnen wir Eros in der Geschichte von Amor und Psyche, in der es darum geht, Hindernisse zu überwinden, um schließlich die endgültige Vereinigung in einer heiligen Ehe zu erreichen.

Spiritualität und Mystik

Die Ausstellung legt offen, wie sich beide Kunstschaffende in ihrer Kunst mit Spiritualität und Mystik auseinandersetzten. Die Entdeckung unsichtbarer Kräfte wie Röntgenstrahlen, Radioaktivität und Elektronen in den 1890er Jahren untergrub das Vertrauen der Gesellschaft in die Solidität der Welt um sie herum und enthüllte, was dem bloßen Auge verborgen war. In ganz Europa wandten sich Künstler und Denker wie af Klint und Mondrian esoterischen Bewegungen wie Theosophie und Anthroposophie zu, um die Religion mit der modernen Welt zu versöhnen.

Weltreligionen

„Alle Religionen haben denselben grundlegenden Inhalt; sie unterscheiden sich nur in der Form. Die Form ist die äußere Manifestation dieses Inhalts und somit ein unverzichtbares Vehikel für den Ausdruck primärer Prinzipien.“2 (Piet Mondrian, Skizzenbücher 1912–1914)

Die Theosophische Gesellschaft, ein ausgedehntes transnationales Netzwerk, spielte eine bedeutende Rolle bei der Übersetzung und Verbreitung von spiritistischen Texten. Theosophische Prinzipien besagten, dass alle Religionen durch eine spirituelle Kernwahrheit verbunden sind, und angeschlossene Zeitschriften wie „The Theosophist“, „The Path“, „The Lamp“ und „Lucifer“ veröffentlichten regelmäßig Artikel über Weltreligionen. Diese Ideen waren für viele Künstler:innen und Schriftsteller:innen überzeugend. 1904 trat af Klint der Stockholmer Loge der Theosophischen Gesellschaft bei, Adyar, und Mondrian trat 1909 der Theosophischen Gesellschaft in Amsterdam bei.

1920, nachdem sie vier Jahre ihre Mutter gepflegt hatte und dabei nicht malen konnte, kehrte Hilma af Klint zur Malerei zurück. Nun behauptete sie nicht mehr, sie von spirituellen Führern oder „Hohen Meistern“ beauftragt zu werden. In einer reduzierten abstrakten Sprache segmentierter Kreise visualisiert af Klint verschiedene Religionen an bestimmten Punkten ihrer Entwicklung. Kreise und Kreuze umkreisen, kollidieren mit und halbieren größere Formen. Die „Serie II“ kann als Teil von af Klints Projekt betrachtet werden, die Beziehungen zwischen äußeren Formen und den ihnen zugrunde liegenden Kräften herauszuarbeiten.

Raum und Rhythmus

Ab 1914 interessierte sich Mondrian dafür, wie er Raum in der Malerei darstellen könne. Dafür entwickelte er um 1920 seine Theorie des Neoplastizismus, eine Bildsprache der „reinen Beziehungen“. Der Maler gab die Symbolik zugunsten von unregelmäßigen Gittern aus horizontalen und vertikalen Linien in den Primärfarben und Grau, Weiß und Schwarz auf. Zuvor hatte er 1918 die räumliche Wirkung der Rautenform entdeckt, die in vielen seiner späteren Arbeiten wie Bild „Nr. III: Rautenkomposition mit acht Linien und Rot“ mit Doppel- und Dreifachlinien zum Einsatz kam. Wenn er erklärte, wie er seine Kompositionen durch räumliche Beziehungen von Linien und Farbflächen aufbaute, bezog sich der Niederländer stets auf ein „dynamisches Gleichgewicht“.

Mondrian wollte den Neoplastizismus als Bildsprache etablieren. Er versuchte, die Malerei auf ihre Grundprinzipien zu reduzieren und einzelne Aspekte (die er als „tragisch“ bezeichnete) zu entfernen, um das „Universelle“ auszudrücken. Infolgedessen wird seine Arbeit oft als vom Leben losgelöst angesehen, was jedoch die komplexe Beziehung seiner Bilder zur Welt zu sehr vereinfacht. Heute können Mondrians Strukturen (auch) mit Jazzrhythmen verglichen werden.3 Das „tiefste Wesen der Kunst“ blieb für Mondrian immer gleich: „Die Schönheit des Lebens“ sichtbar, greifbar und vor allem spürbar zu machen.

Harmonie und Schönheit

Tate modern zeigt auch „Die Parsifal Serie“, die Hilma af Klint 1916 in ihrem Atelier auf der Insel Münso4, Schweden, geschaffen hat. Möglicherweise ist der Zyklus nach der gleichnamigen Oper von Richard Wagner benannt. Die Untertitel einzelner Werke lautet „Ether“ und „Astral“5 – Begriffe, die von Vordenker:innen der Theosophischen Gesellschaft, Annie Besant und Charles W. Leadbeater, verwendet wurden. In Büchern wie „Thought Forms“ und „Occult Chemistry“ beziehen sie sich auf unsichtbare Kräfte, auf die nur bei Erlangen eines höheren Bewusstseins zugegriffen werden kann. Af Klints okkulte Überzeugungen wurden für sie zu einem Möglichkeitsraum, um die Grenzen ihrer akademischen künstlerischen Ausbildung zu sprengen und zu experimentieren.

Mondrian analysierte universelle Konzepte und die Schönheit des Lebens in höchst unterschiedlichen Werken: „Rautenkomposition mit gelben Linien“ (1933) ist ein Beispiel für Mondrians neoplastische Kunst, während „Rose in einem Glas“ (nach 1921) zu den mimetischen Werken des Niederländers zählt. Die Beziehung zwischen horizontalen und vertikalen Linien erinnert an ein Raster, das sich über das Sichtfeld ausdehnt und eine allumfassende Umgebung suggeriert. „Rose in einem Glas“ ist auf einem leuchtend gelben Grund gemalt, wobei die zarten Rhythmen der Blütenblätter von einer weichen, strahlenden Linie umrissen werden. Während Mondrian seinen Blumenarbeiten gegenüber ambivalent war und die Forschung vermutet, dass es sich hauptsächlich um ein kommerzielles Unternehmen handelte, beschäftigte er sich bis spät in seiner Karriere, auch ohne Auftrag mit ihnen.

Kunst ist Leben

Hilma af Klint träumte davon, einen Tempel in Form einer Spirale zu bauen, wo ihre Gemälde als „schöne Wandbespannung“ zusammengehängt werden könnten. Durch den Tempel aufzusteigen, bedeutete, sich auf einen höheren Seinszustand zuzubewegen. Trotz ihres großen Umfangs arbeitete af Klint schnell daran und realisierte „Die zehn Größten“ in wenigen Monaten im Jahr 1907. Die Malerin stürzte in den Werken die zeitgenössischen Konventionen des Kunstschaffens in Bezug auf Maßstab, Farbe und Form vollständig um.

„Die zehn Größten“ sind Teil von „Die Gemälde für den Tempel“, von denen Klint glaubte, dass sie von ihren spirituellen Führern in Auftrag gegeben wurden. Die großformatigen Bilder repräsentieren die Lebensabschnitte von der Kindheit bis ins hohe Alter. Af Klint belebt diesen Zyklus mit organischen Motiven und abstrakten Geometrien. Die Schnecke spiegelt sich zum Beispiel in der logarithmischen Spirale wider – eine Form, die tief mit Wachstums- und Evolutionsprozessen verbunden ist. Botanische Formen verwandeln sich in abstrakte Formen, während die Bildsprache von mikroskopisch zu kosmisch wechselt.

Af Klint und Mondrian nutzten Kunst, um Naturgesetze sichtbar zu machen – Gesetze, von denen Mondrian glaubte, dass sie sowohl der natürlichen Umwelt als auch dem architektonischen Design zugrunde liegen. Der Neoplastizismus war für ihn ein visuelles Modell für eine gerechte und harmonische Zukunft. Beide Kunstschaffenden stellten die Trennung zwischen Kunst und Leben in Frage. Kunst wurde zu ihrem Reflexionsprozess über universelle Muster und zu einem Weg, die zerbrechliche Verbundenheit zwischen Lebensformen sichtbar zu machen. Beide verband der Glaube, dass ihre Bildsprache von den kommenden Generationen besser verstanden werden würde. Tatsächlich legte af Klint fest, dass viele ihrer Werke zwanzig Jahre nach ihrem Tod nicht gezeigt werden sollten.

Skizzen, Notizbücher, Tagebücher

Die Kunst von af Klint und Mondrian beruht auf ihrer Überzeugung, dass eine unsichtbare Energie (Äther) alles Sichtbare verbindet. Deshalb zeigt die Tate modern eine große Auswahl an Skizzenbüchern, Notizen und Bücher der Künstler:innen im Zentrum der Schau. Neben Schlüsselreferenzen wie Goethes Farbenlehre, Rudolf Steiners Tafeldiagrammen und Carl Linnés Darstellungen der natürlichen Welt zeigt dieses Kapitel, wie Hilma af Klint und Piet Mondrian ihre eigene visuelle Sprache der Zeichen, Farben und Formen entwickelten, um dem Leben einen Sinn zu geben.

Das Archivmaterial ist in drei Kapitel organisiert: vegetarisches Universum, Innenleben und unsichtbare Welten. Diese Papiere zeigen die tiefe Verwurzelung von af Klint und Mondrian mit der (heutigen) Ökologie – einem immensen, aber fragilen Netzwerk von Verbindungen zwischen allen lebenden Dingen. Sie zeigen ihre Arbeitsweise und ihre Denkweise über die und mit Hilfe von der Natur. Die Verschränkung von Natur, Wissenschaft, Spiritualität und Kunst mündet schlussendlich in der Erfindung der abstrakten Malerei. Während Piet Mondrian bereits zu seinen Lebzeiten dafür hochgelobt wurde, sollte es bis in die 1980er Jahre dauern, bis die Malerin Hilma af Klint als Pionierin der Abstraktion erkannt und gefeiert wurde. Nunmehr weltweit ausgestellt, belegen ihre Gemälde in London, dass sie in Qualität und intellektueller Durchdringung dem Werk des Niederländers in Nichts nachstehen. Bis heute strahlen sie eine geheimnisumwobene Energie aus, die das Publikum begeistert!

Die Tate Modern zeigt die bisher größte Präsentation von Hilma af Klints Werk in Großbritannien, darunter alle zehn ihrer monumentalen Gemälde aus der Serie "Die zehn Größten" von 1907. Darüber hinaus ist es auch die erste große britische Ausstellung zu Piet Mondrians frühem Werk. Neben Mondrians ikonischen Gitterkompositionen stehen die spiritistischen Experimente mit Licht und Farbe im Zentrum. So überraschenden seine figurativen Gemälde wie "Die rote Wolke" (1907) und "Evolution" (1911) sowie frühe abstrakte Experimente wie "Composition in colour B" (1917, Kröller-Müller Museum, Otterlo).

Die Ausstellung wird von der Tate Modern und dem Kunstmuseum Den Haag organisiert → Den Haag | Kunstmuseum: Hilma af Klint – Piet Mondrian
Quelle: Tate Museen

Bilder

  • Hilma af Klint, The Ten Largest, Group IV, No. 3 Youth, 1907 (Courtesy of The Hilma af Klint Foundation)

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  1. Piet Mondrian, Toward the True Vision of Reality, in Plastic Art and Pure Plastic Art, San Francisco 2008, S. 12.
  2. Robert P. Welsh and Joop Joosten, Two Mondrian Sketchbooks 1912–1914, Amsterdam 1969, S. 59.
  3. Laut Laura Stamps und Hedvig Martin verhält sich wie eine Jazzband, „die ihre Musik auf der Grundlage einer strengen Organisation produziert, innerhalb der Raum für Disruption und Improvisation geschaffen wird“. Zitiert nach Laura Stamps, Evolution (Not Revolution), in: Hilma af Klint and Piet Mondrian: Forms of Life (Ausst.-Kat. Tate Modern, London, 20.4.2023–3.9.2023; Kunstmuseum Den Haag, 7.10.2023–25.2.2024) London 2023, S. 88 und Fußnote 16 (S. 219).
  4. Hilma af Klint träumte davon, auf Münso eine Wohn- und Forschungsgemeinschaft aufzubauen, in der sie und ihre Freunde jahrelang Pflanzen, Tiere und Mineralien erforschen könnten.
  5. Die „Parsifal Serie“ umfasst drei Gruppen von Gemälden mit den Titeln „Physical Plane Convolute“, „Astral Plane Convolute“ und „Mental Plane Convolute“.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.