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Madame d’Ora: Pionierin der Porträtfotografie in Wien und Paris VIPs, Künstler, Tänzerinnen und die Welt der Mode

Atelier d’Ora, Anna Pawlowa, Detail, 1913, Silbergelatineabzug, 22,4 x 16,7 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)

Atelier d’Ora, Anna Pawlowa, Detail, 1913, Silbergelatineabzug, 22,4 x 16,7 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)

Madame d’Ora (ab 1907), oder besser Dora Philippine Kallmus (1881–1963), prägte wie kaum eine andere unser Bild der Wiener Moderne, denn sie fotografierte die berühmten Schriftsteller, Musiker und Maler wie Gustav Klimt, porträtierte Intellektuelle genauso wie Schauspielerinnen und Operettenstars. Von 1910 bis in die 1950er Jahre ist Madame d‘Ora DIE Fotoporträtistin der Wiener und Pariser Gesellschaft und der Künstlerbohème: In ihren Ateliers in Wien und Paris gaben sich Arthur Schnitzler, Alban Berg, Hermann Bahr, die Mödeschöpferin Emilie Flöge (→ Gustav Klimt – Emilie Flöge), die Schwestern Wiesenthal, Anna Pawlowa, die skandalumwitterte Nackttänzerin Anita Berber, die Operettenstars Fritzy Massary, von Josephine Baker und Coco Chanel die Klinke in die Hand.

Modefotografien

Wenn auch Madame d’Ora, die sich seit 1907 dieses französisch klingenden Künstlernamens bediente, für Porträtaufnahmen im eleganten Stil berühmt geworden ist, so wandte sie sich in den 1910er Jahren auch der Mode zu. Modeaufnahmen für u.a. die Wiener Werkstätte waren nur der Beginn eines in dieser Zeit enorm expandierenden Geschäftszweigs, der während der 1920er Jahre noch zunahm: Madame d’Ora lieferte Vorlagen für neue, gehobene Lifestyle-Magazine wie „Die Dame“ des Ullstein Verlags, „Madame“ oder „Officiel de la Cuture et de la Mode“. In der Nachkriegszeit wurde sie von Balmain oder Balanciaga mit Aufträgen bedacht.

Flüchtlinge und Schlachthöfe

Der zweite Weltkrieg setzt jedoch eine radikale Zäsur in ihrem Werk, das sie bis dato ausschließlich der Welt des Schönen gewidmet hatte. Als Jüdin floh Madame d‘Ora 1940 aus Paris in die Ardèche und gelangte 1945 nach Österreich, wo sie 1945/1946 bei Wien das Schicksal der Flüchtlinge dokumentierte. Hier betätigt sie sich erstmals als Sozialreporterin. 1950 und 1958 schafft sie zwei bis heute verstörende Serien über Schlachthöfe, die als künstlerische Reaktion auf die Gräuel des Krieges verstanden werden können.

Madame d'Ora im Mueum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Rund 250 Exponate geben einen Werküberblick und lassen eine Neubewertung des Werks zu. Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe besitzt einen Großteil des Nachlasses der Fotografin, neben ca. 500 Original-Abzügen umfasst er Negative und Kontaktbögen, sowie den Schriftwechsel und das Kundenbuch des Ateliers. Das MKG ergänzt die Schau durch Zeitschriften der Zeit sowie Mode internationaler Leihgeber.

Kuratiert von Monika Faber, Magdalena Vukovic (Photoinstitut Bonartes, Wien) und Esther Ruelfs sowie Cathrin Hauswald (MKG). Die Ausstellung entsteht in Kooperation mit dem Photoinstitut Bonartes, Wien.

Madame d’Ora: Biografie

  • 1881

    Am 20. März 1881 wurde Dora Philippine Kallmus in Wien als zweite Tochter des Wiener Hofgerichtsadvokaten Dr. Philipp Kallmus (1842–1918) und dessen Ehefrau Malvine Sonnenberg (1853–1892) geboren. Sie entstammte einer wohlhabenden jüdischen Familie mit Prager Wurzeln.
  • 1892

    Tod der Mutter im Alter von 39 Jahren. Dora und ihrer Schwester Anna Malvine (1878–1941) wurden von der Großmutter väterlicherseits erzogen. Dora Kallmus erhielt als erste Frau Zutritt zu den Theoriekursen der Wiener Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt, jedoch nicht zu deren Praxisseminaren.
  • 1906

    Fotografie- und Retuscheunterricht beim Fotografen Nicola Perscheid in Berlin
  • 1907

    Nach ihrer, eröffnet sie mit ihrem Geschäftspartner Arthur Benda (1885-1969) ein eigenes Atelier im ersten Wiener Gemeindebezirk.
  • 1916

    Madame d’Ora fotografierte die Krönung von Karl I. zum König von Ungarn und stellte eine Porträtserie der gesamten kaiserlichen Familie her.
  • 1917

    Erste Modefotografien und Aufbau enger Kontakte zur Modeabteilung der Wiener Werkstätte.
  • 1921–1926

    Madame d’Ora unterhielt sie ein Sommeratelier im Kurort Karlsbad und eröffnete 1925 ein Studio in Paris.
  • 1927

    Madame d’Ora gab das Atelier d’Ora an Arthur Benda ab und zog nach Paris.
  • 1940–1945

    Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Paris musste sie als Jüdin fliehen und hielt sich in Südfrankreich in einem Kloster und einem Bauernhof in der Ardèche versteckt. Ihre Schwester Anna Malvine wurde deportiert und ermordet.
  • 1945

    Rückkehr nach Österreich und Wiedereröffnung ihres Ateliers. Daneben fotografierte sie auch Flüchtlingslager und vor 1958 Schlachthöfe.
  • 1959

    Beendigung ihrer Laufbahn nach einem Autounfall, durch den sie ihr Gedächtnis verlor. Ihre letzten Jahre verbrachte sie bei einer Freundin ihrer Schwester in Fronleiten, Steiermark.
  • 1963

    Am 30. Oktober 1963 verstarb Dora Kallmus, alias Madame d’Ora, in Fronleiten, Steiermark (A).

Madame d’Ora: Fotografien

  • Atelier d’Ora, Die Modeschöpferin Emilie Flöge in einem ihrer Kleider mit den Kolo-Moser-Motiven, 1908, Silbergelatineabzug, 29,6 x 22 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)
  • Atelier d’Ora, Der Dichter Hermann Bahr, 1909, Silbergelatineabzug, 29,8 x 22,3 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)
  • Atelier d’Ora Anna Pawlowa, 1913, Silbergelatineabzug, 22,4 x 16,7 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)
  • Atelier d’Ora, "Die Verführung des heiligen Sebastian" – Sebastian Droste und Anita Berber, 1922, Silbergelatineabzug, 21,7 x 12,8 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)
  • Atelier d’Ora, Die Operettendiva Fritzi Massary, 1923, Silbergelatineabzug, 30,2 x 23,4 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)
  • Atelier d’Ora, Der Variété- und Trapezkünstler „Barbette“, 1926, Silbergelatineabzug, 19,8 x 16,6 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)
  • Madame d’Ora, Josephine Baker, 1928, Silbergelatineabzug, 19,4 x 16 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)
  • Madame d’Ora, Ada André in einer Avantgarde-Jacke der 1930er Jahre, 1930, Silbergelatineabzug, 19,7 x 16,7 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)
  • Madame d’Ora, Kleinkind auf einem Bett liegend, 1945/46, aus der Flüchtlings-Serie, Silbergelatineabzug, 18,4 x 26,7 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)
  • Madame d’Ora, Frau, einen kränklichen Mann stützend, 1945/46, aus der Flüchtlings-Serie, Silbergelatineabzug, 34,7 x 29,5 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)
  • Madame d’Ora, Comtesse Heléne Costa de Beauregard, 1953, Silbergelatineabzug, 25,7 x 22,9 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)
  • Madame d’Ora, Madame Faure in einem Kostüm von Pierre Balmain, 1953, Silbergelatineabzug, 23,5 x 21 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)
  • Madame d’Ora, Madame de La Haye-Jousselin in einem Reitkostüm à la Elisabeth von Österreich von Pierre Balmain, 1955, Silbergelatineabzug, 26,8 x 19,7 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)
  • Madame d’Ora, Kaiserin von Annam, um 1955, Silbergelatineabzug, 26,7 x 23 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)
  • Madame d’Ora, Marquis George de Cuevas mit Balletttänzerin, um 1955, Silbergelatineabzug, 17,4 x 21,5 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)
  • Madame d’Ora, Marquis George de Cuevas mit Schafsköpfen, vor 1958, aus der Schlachthof-Serie, Silbergelatineabzug, 30,2 x 20,8 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)
  • Madame d’Ora, Hängende Schafsköpfe und Gedärme, vor 1958, aus der Schlachthof-Serie, Silbergelatineabzug, 35,4 x 28,2 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)
  • Madame d’Ora, Abgezogener Hasenkörper, vor 1958, aus der Schlachthof-Serie, Silbergelatineabzug, 29,3 x 23,5 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)
  • Madame d’Ora, Abgetrennter Kalbskopf, vor 1958, aus der Schlachthof-Serie, Silbergelatineabzug, 31,7 x 24,5 cm (© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)

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Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.