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Matisse und die Künstler des Fauvismus Zweieinhalb Jahre Kunstrevolte in Paris

André Derain, Porträt des Henri Matisse, 1905, Tate Purchased 1958 - zu sehen in: Matisse und die Fauves- Albertina (20.09.2013 – 12.01.2014) - zu sehen in: Matisse und die Fauves- Albertina (20.09.2013 – 12.01.2014)

André Derain, Porträt des Henri Matisse, 1905, Tate Purchased 1958 - zu sehen in: Matisse und die Fauves- Albertina (20.09.2013 – 12.01.2014) - zu sehen in: Matisse und die Fauves- Albertina (20.09.2013 – 12.01.2014)

Geschichte des Fauvismus in der Albertina: Die „Fauves“ (franz. für Wilde/Bestien/wilde Tiere) waren eine Gruppe französischer Künstler rund um Henri Matisse, die zwischen 1905 und 1907 in wechselnder Beteiligung miteinander ausstellten. Als ältester und erfahrenster Künstler der Gruppe wurde der Mittdreißiger Matisse „Oberhaupt“ der „fauves“. Überraschenderweise sind zusätzlich zu den berühmten, farbintensiven Gemälden auch Zeichnungen, Druckgrafiken, Bronzen, Keramiken, eine Holzarbeit und eine Steinskulptur ausgestellt. Inspiriert durch die Kunst außereuropäischer Völker, die Kunst der Impressionisten und der Neo-Impressionisten, von Vincent van Gogh und Paul Gauguin, verselbständigten sie die Farben und vereinfachten die Formen, um zu einer Steigerung der Ausdruckskraft zu gelangen. Rund 160 Werke von 50 internationalen Leihgebern konnten die Kuratoren Heinz Widauer (Albertina) und Claudine Grammont (Paris) für die Ausstellung der Albertina zusammentragen.

1905 sorgten die Werke von Matisse, Derain, Vlaminck, Camoin, Marquet und Manguin beim 3. Pariser Herbstsalon im Grand Palais, dem Salon d`Automne, für immenses Aufsehen: Der Begriff „Fauvismus“ wurde vom Kunstkritiker Louis Vauxcelles im Magazin „Gil Blas“ geprägt aber von den bezeichneten Künstlern immer abgelehnt.

Matisse – der „König“ der „fauves“?

Henri Matisse (Le Chateau Cambrésis 1869–1954 Nizza → Henri Matisse. Figur & Ornament) war einer der umstrittensten Künstler seiner Zeit. Da viele Kritiker durch die häufigen Ausstellungsbeteiligungen von Matisse rege Anteil an seiner frühen Entwicklung nehmen konnten, fühlten sich erstaunlich viele durch seine zunehmend rohe Malweise provoziert. Wenn sie auch bereits die Salonmalerei des 19. Jahrhunderts, repräsentiert durch Adolphe Bouguereau, ablehnten, so galt Matisse aufgrund seiner Art, die Welt zu sehen und darzustellen, als „Verrückter“, „Epileptiker“, als „Revolutionär“ und „Wilder“ („fauve“). Die bürgerliche Normalität, die Intellektualität und das scheinbar „konservative Wesen“ des studierten Juristen Matisse ließen die Kommentatoren an dessen geistiger Gesundheit weiter zweifeln. Wie die Kunst seiner Freunde war auch Matisses Malerei nicht zu kategorisieren, entzog sich einer Einordnung, bewegte sich außerhalb bekannter Schulen und bediente keine ideologischen Programme. Stattdessen ging es ihm und seinen Freunden für kurze Zeit, um die Erneuerung der Malerei als solche, um die Darstellung der „Wahrheit“ der Landstriche und Objekte.

Wenn auch der „Fauvismus“, wie die kurz aufflammende Phase gemeinsamen Arbeitens und Ausstellens von knapp über einem Dutzend Künstlern bis heute in der Kunstgeschichte genannt wird, nicht mehr als zweieinhalb bis drei Jahre andauerte, sind in dieser Zeit doch Kunstwerke entstanden, die den Ruhm vor allem von Matisse, Derain, Vlaminck und Van Dongen begründeten. „Fauve“ ist ein Etikett der Kunstkritik, das „die betreffenden Maler niemals akzeptiert“ haben, wie Matisse selbst konstatierte, das jedoch dieser Avantgarde den Stempel des Vorkämpfertums aufdrückte. Als er im Jahr 1908 die „Notizen eines Malers“ veröffentlichte, konnte man im Gegensatz dazu nachlesen, dass er eine Malerei der Ausgewogenheit, Reinheit, Gelassenheit suche, die keine beunruhigenden Inhalte transportieren.

Das Atelier des Südens und der „Käfig voller Bestien“

Landschaften, Stillleben und Porträts sind die wichtigsten Themen der Fauvisten. An der durch die Tradition geprägten Motivauswahl lag die Ablehnung der Zeitgenossen also nicht! Vor allem die Landschaft wird zur wichtigen Trägerin künstlerischer Überlegungen. Der Süden Frankreichs, der bereits im Leben und Werk ihres Vorbilds Van Gogh eine eminent wichtige Bedeutung erlangt hatte (→ Vincent van Gogh : Paul Gauguin in Arles), wurde zum Ziel vieler Reisen während der Sommer- und Herbstmonate. Zu zweit oder dritt verbrachten die befreundeten Maler einige Monate im Jahr im Süden, um das irisierende Licht einzufangen. In Saint-Tropez oder Collioure, und später in L`Estaque bei Marseille und La Ciotat, wo schon Paul Cézanne gearbeitet hatte, entstanden jene farbenprächtigen Ansichten, die den Kunstkritiker Louis Vauxcelles im Magazin „Gil Blas“ angesichts zweier neo-klassizistischer Statuen von Albert Marque im Saal von Matisse, Derain und ihren Freunden den berühmt gewordenen Spruch ausrufen ließ: „Sieh da, Donatello unter den wilden Tieren!“ Die „wilden Tiere“ (franz. „fauves“) wurden zum geflügelten Wort, zum Etikett für eine Gruppe, als deren Zentrum bereits von den Zeitgenossen Matisse und Derain erkannt wurden. Der Saal VII auf der Herbstausstellung 1905 verwandeltet sich in eine „cage aux fauves“, einen „Käfig voller Bestien“, während gleichzeitig die Meisterschaft von Ingres und Manet in Form von Retrospektiven gewürdigt wurde.

Das Aufflackern eines Stils – die „Geburt“ einer neuen Malweise in Collioure, St. Tropez und Chatou

Jene Phase, die bis heute unter dem Begriff Fauvismus zusammengefasst wird, dauerte von 1905 bis 1906/07, also nur knapp drei Jahre. Die beteiligten Künstler vereinte kein Manifest, keine Ideologie aber die Suche nach „Wahrheit“ in groben Formen mit wenigen Details, kaum Modellierung der leuchtenden Farben, die gleichwertig auf die Leinwände aufgetragen wurden, und eine Verflächigung des Dargestellten. Die Kunstkritik sah sich nicht durch diese neue Malweise irritiert, sprach von „Abstraktion“ und meinte damit die Auflösung der Motive bis zur Unkenntlichkeit.

Ausgelöst wurde diese Hinwendung zum Luminosen durch den Neo-Impressionismus (→ Postimpressionismus | Pointillismus | Divisionismus): Henri Matisse reiste mit Paul Signac und Henri-Edmond Cross (→ Henri-Edmond Cross: Farbe und Licht) im Sommer 1904 nach Saint-Tropez. Die in dieser Phase entstandenen Bilder zeigen, wie er sich mit den Spektralfarben und der getupften Malweise auseinandersetzte. Ein Jahr späte, 1905, sollten Albert Marquet und Henri Manguin den Weg zu Signac an die Côte d´Azur finden. Marquets „Fauve-Akt“ von 1899 gehört zu den frühesten Werken der Albertina-Ausstellung. Er zeigt die Freunde beim traditionellen Aktstudium, wobei sich der Akt noch akademisch, plastisch entwickelt, während der Hintergrund neo-impressionistisch aufgelöst wird und zu flimmern beginnt. Das großformtige und ambidionierte Gemälde „Die Drucke“ (1905) von Henri Manguin offenbart hingegen eine viel feinere Malweise mit geschlossener, flächiger Wirkung. Manguin und Marquet zählen heute zu den wenig bekannten „fauves“, da sie sich in den folgenden Jahren einer spät-impressionistischen Malweise bedienten, um dekorative Motive - wie weibliche Akte und Blumenstillleben - publikumswirksam umzusetzen.

Die Werke, die den Stil des Fauvismus am „reinsten“ erkennen lassen, entstanden kurz danach zwischen 1905 und 1907. Henri Matisse lud im Sommer 1906 André Derain nach Collioure, einem kleinen Fischerdorf an den Ausläufern der Pyrenäen, ein, das so zum „Geburtsort“ des Fauvismus wurde. Während Matisse pastellige Töne (v.a. Grün-Rot-Kontrast) nutzte und die Leinwand in den Gemälden mitsprechen ließ, sind die Bilder Derains kompakter, die Farben intensiver (v.a. Orange-Blau-Kontrast). In den fauvistischen Gemälden kommt es im Kontrast zu den neo-impressionistischen, flimmernden wieder zu einer flächigeren Malerei und der Nutzung von Umrisslinigen, da Matisse das „Vibrato“ der neo-impressionistischen Bilder ablehnte.

Maurice de Vlaminck, Autodidakt, Radrennfahrer, Geiger, Autor von Schundromanen und Anarchist, sollte erst 1913 in den Süden fahren. Davor fand er seine Motive in Chatou in der Umgebung von Paris, nutzte eine gesteigerte Perspektive, schwarze Umrisslinien, eine heftige Pinselschrift, die er Van Gogh verdankte.

Herbstsalon 1905, Saal VII – die „Geburtsstunde“ des Fauvismus

Die gemeinsame Ausstellungsgeschichte der „fauves“ begann 1905 mit dem 3. Herbstsalon und der Teilnahme von Matisse, Derain, Albert Marquet, Manguin, die sich aus dem Atelier von Gustave Moreau kannten, und von dem Autodidakten Vlaminck. Einzig Gorges Rouault, Lieblingsschüler von Gustave Moreau, sollte mit seinen dunklen und düsteren Bildern stlistisch aus der Reihe tanzen – und wird von der Kunstkritik daher nur in den Umkreis von Matisse und den „fauves“ bracht. In der Albertina sind seine sozialkritischen Werke, in denen er die Ausgestoßenen der Gesellschaft festhielt und mit denen er das religiöse Historienbild erneuern wollte, in einem eigenen Raum präsentiert.

Wenn die Kritik und das Publikum auch an den Werken der „fauves“ nichts Bewunderswertes fanden, so waren doch einige Künstler, Kunsthändler und Sammler auf die Gruppe aufmerksam geworden. Nicht nur die Geschwister Stein begeisterte sich für die farbenfrohen und kontrastreichen Kompositionen, sondern auch Ambroise Vollard, der zum Händler der Fauvisten wurde. Auf Anraten von Matisse kaufte er im Herbst den gesamten Atelierbestand Derains und beauftragte den Künstler mit einer Serie von London-Ansichten nach dem Vorbild von Claude Monet.

Das Jahr 1906 – noch mehr „fauves“

Beeindruckt durch die Präsentation der Fauvisten schlossen sich Raoul Dufy, Georges Braque und Othon Friesz aus Le Havre der Gruppe an, experimentierten ihrerseits mit Farbe und stellten bereits 1906 mit den „fauves“ aus. Der reiche Hafenort in der Normandie mit seinen Küsten und Stränden bot bereits den Impressionisten unzählige beliebte Motive. Raoul Dufy nutzte impressionistische Sujets wie Fahnen, Flaggen und Plakatwände, die er mit einer expressiveren Farbigkeit und schnellem Pinsel umsetzte. Othon Friesz und Georges Braque verbrachten ihren Sommer in Antwerpen, wo sie ebenfalls den Hafen und die Schiffe malten. Unter dem Einfluss von Friesz und dessen dynamischer Strichführung hellte Braque seine Palette sukzessive auf. Braques fauvistische Phase sollte nur ein Jahr dauern, bevor er sich intensiv mit den Gemälden Cézannes auseinandersetzte und gemeinsam mit Picasso und Derain den Kubismus entwickelte.

Kees van Dongen ist der einzige Nichtfranzose unter den „fauves“. Er zeigte seine neo-impressionistischen Karusell-Bilder 1905 im Herbstsalon in einem anderen Saal, begann jedoch kurz danach mit der Gruppe auszustellen. Die Forschung beruteilt Van Dongens Werk unterschiedlich. Er gilt als ein „fauve“ der späten Stunde, interessierte sich ausschließlich für Mädchen-Darstellungen und ist nur schwer dem Stil der „fauves“ zuzuordnen.

Bereits in dem Jahr 1906 ist auch im Werk von Matisse das Wiedergewinnen der Zeichnung und damit der Form (Umrisslinie) feststellbar. Signac soll sich entsetzt von diesen Gemälden seines ehemaligen „Schülers“ abgewandt haben. So wie sich im Werk Matisses eine permanente Veränderung und ein Suchen nach dem angemessenen Stil erkennen lässt, so ist auch bei seinen Kommilitonen und Anhängern einzig die neuartige Verwendung der Farbtöne als verbindendes Glied feststellbar.

André Derain hielt sich 1906/07 drei Mal in London auf, füllte drei Skizzenbücher mit Ansichten von der Themse, dem Parlament samt Big Ben, den Brücken sowie Spaziergängern in den Parks und malte daraufhin 30 London-Bilder in seinem Pariser Atelier. Den Skizzen und Aquarellen der Fauvisten fällt daher in der Albertina-Ausstellung eine gewichtige Rolle zu: Sie waren die Notationen vor den Motiven, manche erinnen mit ihren variantenreichen Strichen an die Schöpfungen Van Goghs (v.a. die Zeichnungen von Derain). Die Farbkomposition wurde von den Künstlern während der Arbeit an den Gemälden festgelegt, spiegelt sie doch nicht das Äußere, die objektive Wirklichkeit wider, sondern die innere Schau, die Gefühle der Malenden. Derains London-Serie zeigt darüberhinaus zwei verschiedene Malweisen parallel: Die „Farbensprühnebel“ leiten sich von der neo-impressionistischen Malerei ab, und die flächigen, verfestigten Formen mit gesteigerten Perspektiven sind eine Weiterentwicklung des Fauvismus.

Fauvismus und Primitivismus

Inspiration fanden die „fauves“ in den Bildern von Vincent van Gogh, Paul Gauguin und Paul Cézanne, ab 1906 auch in den Skulpturen aus Afrika und Ozeanien sowie den Druckgrafiken aus Japan und China. Nach eigener Aussage soll Maurice de Vlaminck Matisse und Derain auf die afrikanische Kunst aufmerksam gemacht haben, einige von ihnen sind in der Ausstellung zu sehen. Da sich Derain seit Anfang des Jahres in London aufhielt und dort nicht nur die National Gallery sondern auch das British Museum besuchte, könnte der Anstoß aber auch von ihm gekommen sein. Derain sollte sogar für seinen Galeristen Vollard ein Bett schnitzen und Keramiken bemalen (1906/07), wofür er sich u.a. von Gauguins Tahiti-Motiven und indischen Tanzdarstellungen inspirieren ließ.

Im Jahr 1906 begannen Derain, Vlaminck und Matisse auch mit der Technik des Holzschnitts zu experimentieren. Bereits Paul Gauguin hatte in seinen Druckgrafiken eine rohe Behandlung des Holzes, eckige Formen und „ursprüngliche“, paradiesische Motive umgesetzt (→ Paul Gauguin. Druckgrafik). Im Sinne des Künstlerholzschnitts druckte er auch selbst, meist ohne Druckerpresse als Handdrucke. Auf der Suche nach einer „Idee“, die die Fauvisten umsetzen könnten, wandten sie sich 1906 wieder verstärkt dem Figurenbild zu. In den Holzschnitten widmeten sie sich dem weiblichen Körper in Nahsicht. Die gemalten Landschaften wurden mit nackten Frauen, Nymphen, Tänzerinnen bevölkert und zu Pastoralen umgedeutet. Die paradiesischen Szenerien entsprachen eine gesellschaftliche Utopie, einem Leben auf dem Land in einem Goldenen Zeitalter.

Das Jahr 1907 – die Auflösung der Gruppe

Die Hinwendung einer kleinen Gruppe zu „Struktur und Ordnung“ hatte jedenfalls nicht nur mit der Entdeckung der außereuropäischen Kunst zu tun, sondern auch mit dem Ableben von Cézanne im Oktober 1906 und dessen posthumer Würdigung 1907 in Form von zwei Retrospektiven. Braque reiste an die Wirkstätten des verehrten Künstlers, er freundete sich mit Picasso an und begann 1907/08 mit dem Spanier aus Malaga sowie Derain eine Frühform des Kubismus zu entwickeln. Henri Matisse könnte der Wortschöpfer des Kubismus gewesen sein, da er als Juror für den Herbstsalon 1908 die eingereichten Arbeiten von Braque mit den Worten ablehnte, die Komposition wäre aus lauter Kuben zusammengesetzt.

Das Werk von Matisse hatte sich zwischen 1905 bis 1908 immer mehr in Richtung Zeichnung und flächigem Einsatz der Farbe entwickelt. Die Bilder strahlen zwar noch immer in den reinen Tönen, sie sind jedoch deutlich von Mustern und klar definierten Formen bestimmt. Das expressionistischste Gemälde der Ausstellung ist „Die Zigeunerin“ (1905/06). Es hängt in der Albertina neben dem „Stillleben mit rotem Teppich“ (1906), das Matisses Liebe zu Mustern, Stoffen und einer flächigen Behandlung der Objekte erkennen lässt.

Matisse und die „Fauves“ in der Albertina

Wie lässt sich die Geschichte einer Künstlergruppe erzählen, die eigentlich keine ist? Die Kuratoren Heinz Widauer (Albertina) und Claudine Grammont (Paris) lösten die Aufgabe, indem sie der Ausstellung einen chronologischen Ablauf gaben, wobei die einzelnen Gruppen durch gemeinsames Auftreten als solche kenntlich gemacht werden. Höchst erfreulich ist dabei der multimediale Zugang – von den zu erwartenden Gemälden abgesehen – finden sich Arbeiten auf Papier, Skulpturen, Keramik und Holzobjekte aber auch einige von den Künstlern gesammelte Stammeskunstwerke in der Schau. Wenn auch die Gemälde spontan ausgeführt wirken, so beweisen die Zeichnungen und Aquarelle wie das unvollendete Bild „Der gelbe Tonkrug aus der Provence“ (1905) von Matisse die genaue Vorbereitung der Kompositionen mittels Zeichnung. Wenn sich auch die „fauves“ mit der Farbtheorie der Neo-Impressionisten intensiv auseinandersetzten, so sollte deren punkt- und strichartiger Auftrag der Farben nur ein „Zwischenzustand“ hin zu einer Verfestigung der Form bei aller Ablehnung der traditionellen europäischen Anatomiekenntnisse sein. Das Zwischenspiel hatte jedoch weitreichende Folgen, denn Kandinsky lebte zwischen 1906 und 1907 in Sèvres bei Paris. Wenn auch seine Lebensgefährtin Gabriele Münter betonte, dass er sich weder nach Picasso noch Matisse umgesehen hätte, so lässt sich die Neubewertung der Farbe in diesen Jahren für die weitere Entwicklung Kandinskys kaum zu hoch bewerten.

„Matisse und die Fauves“ in Wien zu zeigen, wurde erst durch die Leihgaben der Batliner Foundation möglich. Dass man in Österreich so lange warten musste, um die kürzeste aller Avantgarden der Moderne im Original studieren zu können, macht die Freude nun umso größer. Eine gelungene Schau, wunderbare Präsentation (dunkellila Fond!), tolle Exponate!

Kurzbiografien der „Fauves“

Georges Braque (Argenteuil-sur Seine 1882–1963 Paris)

Georges Braque lernte Maler und Anstreicher und besuchte Kurse an der Académie Humbert, nachdem er im Museum von Le Havre die Werke von Corot und Eugène Boudin entdeckt hatte. Ab Herbst 1900 in Paris, Ende 1902 erhält er vom Vater finanzielle Mittel, um Maler werden zu können. Den Sommer 1906 verbringt er mit Othon Friesz in Antwerpen, den Herbst in L`Éstaque, um auf den Spuren des gerade verstorbenen Cézanne zu wandeln – erste fauvistische Landschaften entstehen. Braque fällt durch seine Eigenständigkeit innerhalb der Gruppe auf. Im Oktober 1907 trifft er Picasso zum ersten Mal, die „Demoiselles d`Avignon“ lösen einen Schock bei ihm aus. 1908 ist er mit Dufy erneut in L`Éstaque, die dort entstandenen Bilder werden vom Herbstsalon (Matisse war Juror!) zurückgewiesen, da er die Objekte in Form von Kuben darstellt. Als Braque 1963 stirbt, wird ihm ein Staatsbegräbnis zuteil, der Sarg im Ehrenhof des Louvre aufgebahrt.

Charles Camoin (Marseille 1879–1965 Paris)

Ab 1898 studiert Camoin im Atelier von Moreau, der allerdings nur wenige Wochen nach dessen Eintritt stirbt. Im Atelier freundet er sich jedoch mit Henri Matisse und Albert Marquet an. Im Louvre bevorzugt Camoin die Koloristen Veronese, Rubens und Delacroix. Ab 1906 lebt er mit der Malerin Emilie Charmy zusammen. Als ihn diese verlässt, zerstört er 60 bis 80 Bilder und wirft die Leinwandschnipsel weg. Der Müllmann fischt sie aus der Tonne und verkauft sie an Galeristen, die die Bilder wieder zusammensetzen. 1927 kann der Künstler erst sein Copyright durchsetzen und ein Teil der Werke wird verbrannt. Camoin beschreibt sich selbst als Kolorist, nutzt eine gedämpfte Palette mit leichtem Farbauftrag.

Auguste Chabaud (Nîmes 1882–1955 Graveson)

André Derain (Chatou 1880–1954 Chambourcy)

1900 lernt Derain Maurice de Vlaminck kennen, der in dieser Zeit noch Musiker und Radrennfahrer ist. In der Académie Carrière trifft er Henri Matisse. Seiner Ansicht nach, soll Farbe tubenweise auf die Leinwand aufgetragen werden, sie sei wie Dynamit. Andererseits hält sich Derain tagelang im Louvre auf und entdeckt die „Primitiven“ (= altniederländische Maler wie van Eyck bis Rogier van der Weyden) für sich. 1905 verbringt er den Sommer gemeinsam mit Matisse in Collioure, hier entsteht der Fauvismus als Stil. Ein Vertrag mit Ambroise Vollard ermöglichte Derain zwei Aufenthalte in London (November 1905 und Ende Jänner bis Mitte März 1906). Er mag die Londoner nicht ist aber beeindruckt von der Themse und ihren Kais, den Brücken sowie den Gebäuden und dem Leben an ihrem Ufer. Interessanterweise malt Derain in zwei Stilen parallel: einem mit dynamischem Pinselstrich aber auch einem Nebeneinander von kolorierten Massen. Zwischen 1908 und 1912 zählt André Derain zu den Kubisten.

Raoul Dufy (Le Havre 1877–1953 Paris)

Dufy beginnt 1900 sein Malereistudium in Paris, wo er sich eine Wohnung mit Friesz teilt. Mehr noch als bei Bonnat lernt er in den Galerien zeitgenössischer Kunst: bei Durand-Ruel sieht er Cézanne und Gauguin, bei Sagot Degas, bei Bernheim fil. 1901 eine Van Gogh Retrospektive. Dufy begeistert sich für die Gemälde von Jongkind und Pissarro, den Monet der Küsten. 1902 lernt er Matisse, Marquet und van Donge kennen. „Das Wunder der Imagination“ erlebt er 1905 vor Matisses Bild „Luxus, Ruhe, Sinnlichkeit“. Im Herbst 1907 grenzt sich Dufy bereits wieder von den Fauves ab und entwickelt eine Frühgform des Kubismus, in dem Grün- und Ockertöne in den geometrisch gebauten Bildern vorherrschen. Es wundert daher nicht, dass er 1908 mit Braque gemeinsam in L`Éstaque malt.

Émile Othon Friesz (Le Havre 1879–1949 Paris)

Ab 1897 widmet er sich der Malerei und lernt Braque und Dufy in Le Havre kennen. Mit Hilfe eines Stipendiums geht er 1898 nach Paris, zuerst in das Atelier Bonnats und dann zu Gustave Moreau. Friesz vermeidet dunkle Grau- und Brauntöne, ab 1903/04 arbeitet er zunehmend mit Spektralfarben und schließt sich an Matisse, Derain und Vlaminck an. Zwischen 1905 und 1907 war er „Mitglied“ der „Fauves“. 1908 kehrt er jedoch zur Zeichnung zurück und wird in den 1920ern hochberühmt.

Henri Manguin (Paris 1874–1949 Saint-Tropez)

Mit 15 Jahren bricht Manguin seine Schulausbildung ab, um Maler zu werden. 1894 ist er im Atelier von Moreau, 1899 heiratet er Jeanne Carette, mit der er drei Kinder haben wird. Sie ist mit wenigen Ausnahmen sein einziges Modell. Es ist beeinflusst von Cézanne, Apollinaire bezeichnet seine Landschaften mit nackten Modellen als „heidnische Freiheit“. Mit akademischen Akten und Blumensträußen als Motiven wird Maguin ein erfolgreicher Maler des Bürgertums.

Maurice Marinot (Troyes 1882–1960)

Albert Marquet (Bordeaux 1875–1947 Paris)

Marquet lernt in der Ecole des Arts Décoratifs, wo er Henri Matisse kennenlernt. Die beiden verbindet eine lebenslange Freundschaft. Marquet ist ein guter Landschafter, studiert Städte und ihre Bewohner und hält auch Plakatwände fest. Stärker als Matisse steht er unter dem Einfluss von Manet und spricht von einem Zufall, dass er in Saal VII der Herbstausstellung 1905 im Saal der „Fauves“ gelandet war. Seine fünf Landschaften waren in Schwarz/Weiß gehalten, da der Himmel über Paris so grau war. Wie Pissarro (ab 1891) liebt es Marquet die Stadt von oben zu studieren. Vielleicht ist auch sein angeborener Gehfehler dafür verantwortlich, dass er sich Hotelzimmer als Malorte aussucht.

Henri Matisse (Le Chateau Cambrésis 1869–1954 Nizza)

Siehe unten!

Jean Puy (Roanne 1876–1960 Roanne)

Nach einem Architekturstudium an der Ecole des Beaux-Arts in Lyon besucht er von 1898 an die Académie Julian in Paris. Ab 1899 an der Académie Carrière und Freundschaft mit Matisse und Derain. Ab 1900 Teilnahme am Salon der Unabhängigen, 1903 erster Herbstsalon. Nach einer impressionistischen Phase teilt er ab 1905 die Ideen des „Fauves“. Rückkehr nach Roanne und Wiederentdeckung kurz vor seinem Tod 1959.

Louis Valtat (Dieppe 1869–1952 Paris)

Im Jahr 1888 Eintritt in die Académie Julian in Paris, 1889 im Atelier Gustave Moreaus. Ab 1903 stellt er im Herbstsalon aus. Seine Bilder lösen einen genauso großen Skandal aus, wie jene der „Fauves“. Vertrag mit Vollard von 1900 bis 1912. 1948 muss er die Malerei aufgeben, da er erblindet.

Kees Van Dongen (Delshaven 1877–1968 Monte-Carlo)

Wird in den südlichen Niederlanden geboren und studiert an der Kunstakademie in Rotterdam. 1897 ist er zum ersten Mal in Paris, 1899 zieht er in die französische Hauptstadt um. 1903 trifft er Felix Fénéon, der ihm eine fest Anstellung bei der Revue Blanche gibt. Van Dongen schließt sich zwar den „Fauves“ an, interessiert sich aber nur für das Darstellen von Frauen (keine Landschaften!). Er sucht einen neuen Typus des Aktes, arbeitet mit Modellierung und Konturen. Gemeinsam mit Derain und Vlaminck nimmt er 1941 eine Einladung nach Hitler-Deutschland an, um die Kunstbeziehungen zu verstärken. Das sollte ihm ein Jahr später sehr übel genommen werden.

Maurice de Vlaminck (Paris 1876–1958 Rueil-la-Gadelière)

Der Sohn eines flämischen Schneiders Vlaminck hatte eine Leidenschaft für Van Gogh und lehnte es ab, zum Studium in den Louvre zu gehen. 1905 entdeckte er bei einem Gastwirten „drei Negerskulpturen“, die er sogleich erwarb. Der Maler arbeitete auch als Schriftsteller. Seine Gemälde fallen durch eine perspektivische Verzerrung auf, manche wirken, als hätte der Künstler einen beweglichen Blickpunkt eingenommen.

Biografie von Henri Matisse

31.12.1869 geboren im Haus seiner Großeltern mütterlicherseits in Le Cateau-Cambrésis (Picardie, FR) und auf den Namen Henri-Emile-Benoit getauft; sein Vater Emile-Hippolyte-Henri Matisse ist Getreidehändler in Bohain-en-Vermandois, wo Henri auch aufwächst.
1872 Geburt des Bruders Emile-Auguste
1882-1887 Besuch des Lyceums in Saint-Quentin
1887 im Oktober geht Henri Matisse nach Paris, um Jura zu studieren
Im August 1888 besteht Matisse das Jura-Examen und kehrt in der Folge in die Picardie zurück, wo er als „avoué“ arbeitet
1890 erste Gemälde während sich Matisse von einer Blinddarmentzündung erholt
1891 Kehrt im Oktober nach Paris zurück, um Kunst zu studieren: Académie Julian bei Gabriel Ferrier und Adolphe W. Bouguereau
1892 fällt bei der Aufnahmearbeit zur Ecole des Beaux-Arts durch. Schreibt sich im Oktober für drei Kurse an der Ecole des Arts Décoratifs ein. Lernt Albert Marquet kennen. Schüler von Gustave Moreau. Lernt dort Georges Rouault und Simon Bussy kennen.
1893-1894 kopiert im Louvre
1894 im September wird seine Tochter Marguerite Emilienne geboren
1895 besteht im März die Aufnahmeprüfung an der Ecole des Beaux Arts. Im Sommer malt er mit Emile Wéry in der Bretagne. Besucht eine wichtige Cézanne-Ausstellung in der Galerie von Ambroise Vollard.
Im April 1896 erste öffentliche Ausstellung von Arbeiten im Salo des Cent, die von der symboilistischen Zeitschrift „La Plume“ veranstaltet wird. Wird zum außerordentlichen Mitglied der Société Nationale des Beaux-Arts (Champs-de-Mars) ernannt, stellte davor in deren Salon aus. Im Sommer reist er in die Bretagne und auf die Belle-Île.
1897 auf Anregung von Gustave Moreau malt er „Der servierte Tisch“, der im Salon de la Nationale ausgestellt wird. Lernt Camille Pissaro kennen. Im Sommer reist er in der Bretagne und auf die Belle-Île.
1898 heiratet am 8.Jänner Amélie Noêmie Alexandrine Parayre (1872-1958), Hoczeitsreise nach London, wo er Gemälde von J.M.W. Turner studiert. Von Februar bis August reist Matisse nach Ajaccio (Korsika). Malt Landschaften und liest Paul Signacs Essay „Von Eugène Delacroix bis zum Neo-Impressionismus“ in „La Revue Blanche“. Im April stirbt Moreau. Im August reist Matisse nach Beauzelle und Fenouillet in der Nähe von Toulouse.
1899 im Jänner wird sein Sohn Jean geboren. Matisse kauft s „Drei Badende“, Gauguins „Knabenkopf“ und Rodins Gipsbüste von Henri de Rochefort. Im Februar kehrt er nach Paris zurück, arbeitet kurze Zeit bei Fernand Cormon un dEigène Carrière. Lernt André Derain und Jean Puy kennen. Stellt zum letzten Mal im Salon de la Nationale aus.
1900 arbeitet Matisse an Dekorationen für die Weltausstellung mit. Matisse`s Frau eröffnet einen Putzmacherladen in der rue de Châteaudun. Im Juni wird der Sohn Pierre geboren. Matisse legt Rodin seine Zeichnungen vor.
1901 um sich von einer schweren Bronchitis zu erholen, reist Matisse mit seinem Vater nach Vallors-sur-Ollon (Schweiz). Stellt erstmals im Salon des Indépendants aus, der Vater stellt seine finanzielle Unterstützung ein. Über Derain lernt er Maurice de Vlaminck kennen.
1902 nimmt er an einer Gruppenausstellung in der Galerie Berthe Weill teil. Wohnt bei seinen Eltern im Winter, da er kein Geld hat.
1903 stellt Matisse beim ersten Salon d`Autonomne aus. Arbeitet an Radierungen und Kaltnadelarbeiten. Im Pavillon Marsan des Louvre besucht er eine Ausstellung persicher Miniaturen.
1904 Freundschaft mit Paul Signac. Die Galerie Vollard widmet ihm seine erste Einzelausstellung, Roger Marx schreibt das Vorwort zum Ausstellungskatalog. Im Sommer reist Matisse mit Signac und Henri-Edmond Cross nach Saint-Tropez und beginnt „Luxus, Stille, Wollust“. Reicht 13 Gemälde zum Salon d`Automne ein. Nennt sich ab nun Henri Matisse, um sich vom Maler Auguste Matisse zu unterscheiden.
1905 wird „Luxus, Stille, Wollust“ im Salon des Indépendante ausgestellt. Den Sommer verbringt er mit Derain in Collioure. Matisse malt seine ersten „Fauve“-Bilder. „Frau mit Hut“ wird im Salon d`Automne ausgestellt. Bekanntschaft mit Gertrude, Leo, Sarah und Michael Stein. Beginnt „Die Lebensfreude“.
1906 erste Lithografien. Matisse stellt „Die Lebensfreude“ im Salon d`Automne aus. Trifft Picasso im April. Sommer in Collioure. Lernt den russischen Sammler Sergej Schtschukin kennen und kauft seine erste afrikanische Skulptur. Im November kehrt Matisse nach Collioure zurück.
1907 malt „Liegender Akt“ und „Blauer Akt“, letztes wird im Salon des Indèpendants aus. Im Frühsommer reist er mit seiner Frau nach Italien, besucht die Steins in Florenz, danach Arezzo, Siena, Padua und Venedig. Den Spätsommer reist er nach Collioure.
Im Jänner 1908 eröffnet Matisse eine Malschule in der rue de Sèvres 56. Reise nach Deutschland – München, Nürnberg, Heidelberg. Erste Retrospektive in den USA, im Pariser Salon d`Automne wird eine Retrospektive abgehalten (11 Gemälde, 13 Skulpturen, 6 Zeichnungen). Veräffentlichung seiner „Notizen eines Malers“ auch auf Deutsch.
1909 Schtuschkin gibt „Der Tanz“ und „Die Musik“ in Auftrag.

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Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.