Das Belvedere würdigt den Wiener Biedermeiermaler Michael Neder (29.4.1807–30.9.1882) mit einer ersten Museumsausstellung! Galt der Künstler bislang als „Schustermaler“, als Autodidakt und als armer Künstler, so kann Kuratorin Sabine Grabner im Katalog (Hirmer) mit diesen Vorurteilen aufräumen. Auch einen Vornamen hat Neder nun weniger: Bei Thieme/Becker als „Johann Michael Neder“ geführt, zeigte sich während der Recherche, dass der erste Vorname in keinem Dokument nachweisbar ist. Bekannt wurde Neder, der einer Schusterdynastie entstammte, für seine „nüchternen“ Beschreibungen des Wiener Volkslebens, Wiener Typen inklusive. Man trifft sie auf Volksfesten, in Kaffeehäusern und Gaststätten, seltener in vornehmen Salons. Einzeln porträtiert, wirken Schlachter und Kutscher wie Mittler zwischen barocken Kaufrufen von Christian Brand (ab 1775) und Augusts Sanders (1876–1964) Fotoprojekt „Menschen des 20. Jahrhunderts“ (1925–1964).
Österreich | Wien: Oberes Belvedere
18.9.2013 - 19.1.2014
Direktorin Agnes Husslein-Arco betont in ihrer Einführung, dass es sich um einen „profunden Anfang“ der wissenschaftlichen Erfassung und Aufarbeitung von Neders Werk handle, und die „verstörende Sachlichkeit“ seiner Darstellungen als Referenz für die Zwischenkriegszeit von noch unterschätzter Bedeutung sei.
Zu den oft widerholten Vorurteilen, denen Neders Werk in den letzten Jahrzehnten immer wieder ausgesetzt war, zählt die Einfachheit seiner Kompositionen mit ihrem schablonenhaften, bildparallelen Aufbau, die fehlende Sensualität so mancher Gesichter, die kaum wahrnehmbaren Emotionen der handelnden Figuren, das extreme Hell-Dunkel und eine mindere Sensibilität für Farben. Der genaue Blick, zu dem diese „Meisterwerke im Fokus“-Ausstellung sicherlich einlädt, zeigt einen höchst unterschiedlich agierenden Maler. Einen, der sich selbst sicher immer zurückgenommen hat, der sich sowohl von zeitgenössischen Lithografien1 wie auch den Holländern des 17. Jahrhunderts mit ihren Genredarstellungen hat inspirieren lassen. Das „Lebensechte“ scheint ihm ein Anliegen gewesen zu sein, allzu oft wurden seine Bilder bis in die jüngste Vergangenheit als „Dokumente“ des Wiener Volkslebens in der Biedermeierzeit ausgestellt. Doch sollte man sich vom Realismus in der Malerei Neders genauso wenig täuschen lassen, wie in den Werken von Georg Ferdinand Waldmüller (1793–1865), Friedrich von Amerling (1803–1887) oder Gustave Courbet (1819–1877).
Nüchtern und nicht naiv ist die Malweise Michael Neders für die Verantwortlichen dieser Ausstellung. Dass der Begriff einer Naiven Malerei so auch nicht stimmt, zeigen die Originale und die Kenntnis um Neders zirka siebenjährige akademische Ausbildung an der k. k. Akademie in Wien. Auffallend ist die qualitative Bandbreite, mit der Neder seine Bilder gestaltete. Hierbei ist es weniger die Komposition als die Ausführung, die nicht nur in verschiedenen Jahrzehnten unterschiedlich ausfällt, sondern auch quasi von Bild zu Bild unterschiedlich sein kann. In seinen besten Arbeiten erreicht er in den Porträts eine Glätte wie Franz Eybl, kann runzelige Haut wie Waldmüller malen, lässt das Fell eines „Lieblingspferde“ aufglänzen wie bei Gauermann wird aber nie so romantisch moralisierend wie Danhauser. Die wenigen Kinderporträts sind jedoch nie so herzig wie bei Johann Matthias Ranftl oder Johann Baptist Reiter.
Es handelt sich bei Michael Neder mitnichten um einen malenden Schuster, wie oft kolportiert wurde, sondern um einen höchst selbstkritischen Maler zwischen einer gesicherten Existenz als Handwerker und dem freien, von Geldnöten geplagten Überleben als Künstler. Schlussendlich siegte die Liebe zur Kunst über jede wirtschaftliche Überlegung. Der Meister hängte die Leisten in die Ecke und widmete sich ab 1834 seinen kleinformatigen Porträts und Gesellschaftsszenen auf Holz.
Da Michael Neder in seinem Elternhaus keine Unterstützung fand, war bereits für seine Ausbildung an der Akademie eine Mäzenin verantwortlich. Ihr folgten weitere Förderer, die den junge Künstler mit berühmten Kollegen in Kontakt brachten bzw. ihn in ihren Häusern verköstigten.
Nahezu jährlich stellte Neder mehrere Werke an den Akademie-Ausstellungen und im Österreichischen Kunstverein aus, aus dem Verlauf des ererbten Hausanteils in Oberdöbling kann man nur indirekt den vielleicht immer öfter ausbleibenden finanziellen Erfolg schlussfolgern. In der Gründerzeit fanden sich wohl keine Abnehmer für seine Bilder mehr. Als Michael Neder 1882 starb, war er völlig mittellos.
Die drei in der Ausstellung gezeigten Zeichnungen belegen eindrucksvoll das zeichnerische Talent und Können Michael Neders. In ihnen wird besonderes Augenmerk auf die Köpfe und deren Porträthaftigkeit gelegt, Kleidung wird vom Künstler eher summarisch wiedergegeben. Ähnliche Qualität findet sich, wie bereits angedeutet, auch in den besten Bildern Neders, seien es Porträts oder kleinbürgerliche Genreszenen. Sabine Grabner prägt dafür den Begriff der „Volksmalerei“, nicht zu verwechseln mit der moralisierenden Genremalerei der Zeit oder gar der Volkskunst. Für sie erheben die Bilder Neders keinen belehrenden Zeigefinger, auch wenn sich zumindest ein anklagender in dem Gemälde „Vor dem Dorfrichter“ (um 1830) finden lässt. Das Gemälde hinter dem Paar zeigt die alttestamentarische Szene von „Susanna und den beiden Alten“, die die schwangere Frau und den Mann vor dem Richter in eindeutigem Licht erscheinen lässt. Ist ihr Begleiter für ihre anderen Umstände verantwortlich? Was haben die beiden Männer im Türstock damit zu tun? Schlussendlich wird wohl offen bleiben müssen, was Neder in diesem Bild erzählt.
So wie Neder ein offensichtliches Interesse an den verschiedenen Berufsständen hatte und diese in eindrucksvollen, kleinformatigen Typenporträts festhielt, so sind die Geschlechterrollen ebenfalls zeittypisch aufgeteilt. Das weibliche Servierpersonal ist häufig sexuellen Avancen der männlichen Gäste ausgeliefert, Voyeurismus ist das Thema von „Der Morgen in der Mägdekammer“ (1830; Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum). Ob sich der lebenslang ledige Neder hier mit den Frauen solidarisierte oder erneut einen wenn auch kleinen moralischen Zeigefinger einbaute, mag eine weitere Untersuchung zeigen.
Männlichkeit beweist man in den Bildern Neders durch ausladende Gestik. Männer werden oftmals ausfallend, ergreifen vermeintliche Kontrahenten während der Diskussion am „Krawattl“ oder prügeln sich schlussendlich.2 Die fröhlichsten Momente in Neders Bildwelt sind die ländlichen Tanzveranstaltungen im Freien und die ruhigsten beziehen sich auf die Heimkehr von Weidevieh in den Stall (siehe „Die Heimkehr der Herde“, 1844) bzw. in den späten Jahren auf Stallinterieurs.
Kompromisslos gewesen zu sein, kann man von Michael Neder berechtigterweise annehmen. Er trotzte den gängigen Marktmechanismen, indem er dem Historienbild nach seiner akademischen Ausbildung den Rücken zukehrte. Stattdessen suchte er sich wohl mit Porträts eine finanzielle Basis zu schaffen und widmete sich dem Malen von kleinbürgerlichen und bäuerlichen Szenen. Einige Porträts zeigen Neder als genauen Bobachter, der v.a. in den 1830er Jahren mit Licht und Schatten genauestens modelliert, während in den zeitgleich entstandenen Volksszenen eine deutlich summarischere Behandlung der Gesichter feststellbar ist. Während in der Ringstraßenzeit die Salonmalerei eines Hans Makart Furore machte, malte Neder noch immer seine kleinen Bauernszenen, hellte jedoch die Bilder auf und setzte bunteres Kolorit ein.
In einem Selbstbildnis aus dem Jahr 1853 sitzt er mit seiner Staffelei inmitten seiner Atelier-Kammer, rechts der Herrgottswinkel, von links fällt das Licht durch ein verhangenes Fenster, verschiedene Haushaltsutensilien hängen an der Wand, fertige Bilder lehnen dagegen. Zentral ist die Palette mit den teils leuchtenden Farbflecken, während seine Bilder in früheren Jahren eher einem brauntonigen Hell-Dunkel-Kontrast entsprechen, zeigt sich an Neders Familienbild „Demeter Theodor Tirka und seine Tochter Maria, verh. Christomanos, und die Kinder Demeter und Theodor“ (1857) dass Tiefenraum nun ein Thema und darüber hinaus Mensch und Dingwelt nicht nur gleichwertig behandelt, sondern auch noch bunter werden konnten. Vielleicht hat Neder wirklich sein Spiegelbild abgemalt, vielleicht hat er es gleich wieder gewendet. Wenn nicht, zeigt sich der Maler als Linkshänder inmitten seiner Welt.
28.4.1807 im Wiener Vorort Oberdöbling in eine Schusterdynastie geboren
1809–1811 Nach dem Tod der Mutter Anna Maria wird Michael Neder von dr Großmutter aufgezogen
26.2.1810 Neders Vater heiratet die Köchin Elisabeth Lassecker (gest. 1840), die Familie übersiedelt nach Unterhollabrunn.
1813–1820 Rückkehr nach Oberdöbling, Schulbesuch. Michael Neder wird von seiner Stiefmutter nicht geliebt, verbringt ein halbes Jahr im k. k. Waisenhaus
1820 wird Michael Neder auf der Straße zeichnend – seinen eigenen Angaben zufolge – von der zufällig vorbeikommenden Henriette von Henikstein entdeckt und an die k. k. Akademie (heute: Akademie der bildenden Künste Wien) empfohlen.
Ab 3.7.1821 Besuch des Sommerkurses „Historische Anfangsgründe“ bei Karl Gsellhofer; Neder wird weiterhin von Henriette von Henikstein finanziell unterstützt.
1823 lange, schwere Krankheit
Juli 1824 Sommerkurs für „Historische Zeichnungskunst“
1826 erhält den Gräflich Czernin`schen Preis für eine Umrisszeichnung „Das Opfer Abrahams nach einem Gemählde von Procaccini“ zugesprochen.
Bis 1828/29 Studium an der Akademie der bildenden Künste
1829 schickt ihn Frau Henriette des Brevilliers (ehemals von Henikstein) zu Moriz Michael Daffinger, der Neders Porträts als „hölzern“ abtut und ihm empfiehlt Wirtshausszenen zu malen.
1830 nimmt mit vier Arbeiten an der Akademie-Ausstellung teil. Aufgrund von Geldproblemen überlegt Neder, wieder Schuster zu werden.
1831 Nach einem halben Jahr als Schuster beginnt Michael Neder wieder zu malen.
1832 Neder nimmt wieder an der Akademie-Ausstellung teil.
1833/34 Rückkehr zur Malerei. Friedrich Gauermann soll ihn dazu angeregt haben. Malt hauptsächlich auf Holzplatten und im Kleinformat.
1834/35 Besuch von Stift Kremsmünster mit dem Gönner Herr von Huber, einem k. k. Beamten. Vielleicht besucht Neder den Zeichenlehrer Georg Riezlmayr (1784-1852), der auch Adalbert Stifter zu Landschaftszeichnungen anregte. Rückkehr im Juni 1835.
1835 Architekt Anton Jäger (1779-1865) wird Neders Unterstützer und von ihm mit seiner Familie porträtiert.
1838 Herr von Arthaber vermittelt Neder zu Friedrich von Amerling, die „Lehrphase“ ist nach acht Tagen gleich wieder vorbei.
1839/1843/1844/1845/1846 Neder nimmt an den Akademie-Ausstellungen teil. Über sein Leben ist nichts bekannt.
1848 Während der Revolution ist Neder Leutnant der Nationalgarde, malt die „Nationalgarde in Döbling“ (Wien Museum)
1854 Neder befindet sich in Prag und vom 27. bis zum 30. August erstmals in Budweis, wo seine Halbschwester Anna Welsch (ehemals Neder) wohnt.
1855 Erste Beteiligung an einer Ausstellung im Österreichischen Kunstverein.
Mitte der 1860er verfasst Neder seinen Lebensbericht.
1864–1875 Michael Neder besitzt gemeinsam mit zwei Cousinen ein Haus in Oberdöbling:
1870–1874 wohnt Neder in der Grinzingerstraße 1.
1870er Ferdinand Bauer ist sein wichtigster Mäzen, Neder verbringt viel Zeit daher in Ober-St.-Veit, wo Bauer mit seiner Familie wohnt.
1874 die finanzielle Lage von Michael Neder verschlechtert sich aus unbekannten Gründen extrem. Er zieht nach Obersievering.
1879 Erkrankung an schwerem Nervenfieber
Am 30. August 1882 stirbt Michael Neder im Alter von 75 Jahren an Altersschwäche im Allgemeinen Krankenhaus. Sein Leichnam wird in einem Schachtgrab am Wr. Zentralfriedhof beerdigt. 1884 wird Michel Neder in ein Ehrengrab umgebettet.