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Die Bühnen des Richard Teschner Wie der Jugendstilkünstler das Figurentheater revolutionierte

Richard Teschner (1879–1948) © Österreichisches Theatermuseum.

Richard Teschner (1879–1948) © Österreichisches Theatermuseum.

Im Gespräch mit Ivan Ristić, gemeinsam mit Kurt Ifkovits Co-Kurator der Ausstellung „Die Bühnen des Richard Teschner“, wird bald deutlich, dass Teschner nicht nur auf den von ihm entwickelten Figurenspiegel reduzierbar ist. Stattdessen fächert die Ausstellung ein wunderbar vielschichtiges Werk fernab der üblichen Gattungsgrenzen auf. Der Gesamtkunstwerksgedanke – ganz im Geist von Gustav Klimt und die Kunstschau 1908 – schwebt über allem, denn Teschner beschäftigte sich mit Malerei und Zeichnung, Kunsthandwerk und Figurenspiel, war Synästhethiker und stilistisch und ideologisch der Moderne verpflichtet. Das Kuratoren-Duo  kontextualisiert den Deutschböhmen Teschner in der Prager Décadence, spricht über dessen erste Erfolge als Kunsthandwerker und führt in die Teschner-Bühne ein. Zwischen Jugendstil-Ästhetik, Stummfilm und Zauberwelt stilisierte sich Teschner selbst zum „Magier von Gersthof“.

Alexandra Matzner: Ich stehe hier mit Ivan Ristić, Co-Kurator der Ausstellung „Die Bühnen des Richard Teschner“, im Österreichischen Theatermuseum (ÖTM). Das Ausstellungsplakat zeigt den Schatten von Richard Teschner und einer weiblichen Figurine! Der 1879 geborene Kunsthandwerker übersiedelte 1909 nach Wien, wo er 1948 als „Puppen-Magier“ anerkannt verstarb. Teschner gilt als DER Puppenspieler Österreichs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts  - und dennoch ist Ziel der Ausstellung, dass er darauf nicht reduziert werden darf. Wie kam es zu dieser Ausstellung?
Ivan Ristić: Der Nachlass von Richard Teschner wurde in den 50er Jahren seitens der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen. Als das Österreichische Theatermuseum gegründet wurde, wurde dieser Nachlass einer seiner Hauptbestände. Er wird schon seit einigen Jahren in Wien bearbeitet, umfasst unzählige Schriftstücke, Gemälde und natürlich auch Figuren. Richard Teschner hat ein unglaublich vielseitiges Werk hinterlassen! Arthur Rössler schrieb in einer Würdigung, dass Teschner Maler in Öl, Tempera und anderen Techniken sei, Graveur, Ziseleur, Bildhauer, Erfinder und vieles mehr. Aber das Werk dieses Künstlers hat sich immer auf ein Ziel zubewegt! Das war das sublimierte, perfektionierte Figurentheater. Ich sage bewusst Figurentheater, denn Teschner hat immer betont, dass es ihm mehr als nur um Puppen ginge. Sein großes Anliegen war die Beseelung der Akteure auf der kleinen Bühne. Wir wollten aber den Kosmos Teschner erstmals in seiner ganzen Bandbreite zugänglich machen, daher wird im Titel von den Bühnen Richard Teschners gesprochen.

Alexandra Matzner: Wie hat Richard Teschner seine Karriere begonnen?
Ivan Ristić: Er hat um die Jahrhundertwende in Prag Malerei studiert. Nachdem er an der Wiener Akademie keinen Platz bekommen hatte,  beschloss er, ins Böhmische Leitmeritz (heute Litoměřice) zurückzukehren. Über der Lithographiewerkstätte seines Vaters hatte er ein kleines Atelier. Bald ist es ihm dort jedoch zu eng geworden und Teschner ist nach Prag gezogen. Zwischen 1902 und 1909 ist er im Prager Milieu – nicht so sehr im künstlerischen wie im literarischen – zu beobachten. Er konnte dort die Blütezeit der tschechischen Moderne, der Décadence, miterleben.

Alexandra Matzner: Wie definiert sich die tschechische Moderne, die Décadence?
Ivan Ristić: Das ist eine Kunst, die Eros und Thanatos gleichermaßen zelebrierte. Diese Momente sucht man bei Teschner – zumindest in dieser Phase – vergeblich. Seine Kunst ist im Vergleich relativ brav und harmlos, was ihm auch die damalige Kritik ankreidete. Das Märchenhafte, Phantastische war sein Hauptanliegen!

Alexandra Matzner: Richard Teschner ging nach Wien, geprägt durch seine künstlerischen Erlebnisse in Prag. Was sind seine wichtigsten Werke, die ihn in Wien bereits vor seinem Umzug bekannt gemacht haben?
Ivan Ristić: Spätestens seit 1905 hatte Teschner gemeinsam mit Gustav Meyrink vorgehabt, ein Puppentheater in Zusammenarbeit mit der Wiener Werkstätte zu verwirklichen. Diese Pläne sind vor allem aus finanziellen Gründen gescheitert. Ins Bewusstsein der breiteren Wiener Öffentlichkeit ist er wohl durch seine Teilnahme an der Kunstschau von 1908 getreten. Er stellte Grafiken, kleine Plastiken, seine beiden großen Glasreliefs aus, nicht zuletzt waren die Marionetten zu sehen. Teschner zeigte sie bereits 1906 in Reichenberg bei der großen "Deutschböhmischen Ausstellung". Kaiser Franz Joseph soll ausgerechnet die Puppen eingehend betrachtet und bewundert haben. Also hatte Teschner das Terrain schon vor einer Übersiedelung nach Wien 1909 nivelliert. Was ausschlaggebend für die Übersiedelung nach Wien war, weiß man bis heute nicht. Seine Pläne, gemeinsam mit Karl Wilfert d.J. eine deutschsprachige Kunstakademie in Prag zu gründen, mussten scheitern. Er hoffte vergeblich auf einen Professorenposten an der Prager Akademie, den schließlich August Brömse bekam. Es dürften wohl auch einige Enttäuschungen im Spiel gewesen sein. Dazu kam die Tatsache, dass er in Wien mit einer besseren Auftragslage rechnen konnte.

Alexandra Matzner: Stilistisch lässt sich Teschner mit den Lehrern der Kunstgewerbeschule Bertold Löffler und Carl Otto Czeschka vergleichen. Inwiefern ist das mit dem Austausch Wien – Prag im Jugendstil zu begründen? Ist er in Prag der Wiener und in Wien der Prager?
Ivan Ristić: Du hat mit dieser Frage teilweise auch schon die Antwort gegeben. Es ging vielen seiner deutschsprachigen Zeitgenossen in Prag darum, zu beweisen, dass die sog. „Provinzstadt“ Prag der Residenzstadt Wien um nichts nachstand. Zu den großen Durchbrüchen in Teschners Laufbahn zählten beispielsweise die Bühnenbilder zu Debussys Oper „Pelléas et Mélisande“, die 1908 anlässlich des 70. Geburtstags von Angelo Neumann, dem großen Wagner-Sänger, neuinszeniert wurde. Dieses Ereignis wurde als ein Modernisierungsschub im Sinne Alfred Rollers gefeiert.

Alexandra Matzner: Das Secessionsmitglied Alfred Roller, der auch Bühnenbildner Gustav Mahlers an der Wiener Staatsoper war, und Richard Teschner kannten einander nicht nur, sondern waren einander auch freundschaftlich zugetan. Wie lässt sich ihr Verhältnis anhand der Kunstwerke in der Ausstellung nachvollziehen?
Ivan Ristić: Beide setzten sich die Schaffung eines Gesamtkunstwerks zum Ziel! Der Kollege war auch ein Vorbild! Es gibt z.B. eine wunderbare Gratulationskarte von Teschner an Alfred Roller von 1915/16. Teschner erscheint als Gnom und Roller als Riese über den Wolken. Bei solchen Ehrerbietungen darf man aber nicht einen leicht parodististischen Beigeschmack ausklammern, das ist wichtig zu betonen. Es gab die persönliche Freundschaft und abgesehen davon die Tatsache, dass sie miteinander die deutsch-nationale Gesinnung teilten.

Alexandra Matzner: Viele Bilder in der Ausstellung dokumentieren Teschners Sinn für das Skurrile, das Absonderliche. Kann man begründen, warum Teschner besonders daran festhält?
Ivan Ristić: Es wurde oft darüber spekuliert, dass die deutsche Volksgruppe in Böhmen aufgrund ihrer isolierten Lage eine Art Weltflucht betrieben hat. Man orientierte sich angeblich an den Fantasmen des Hofes Rudolfs II. in Prag, dem Manierismus, an der böhmischen Gotik. Das stimmt allerdings nur zum Teil. Man darf die internationalen Wechselbeziehungen nicht unterschätzen. Gerade die Tschechen haben einen eigenständigen Symbolismus entwickelt, der wiederum an Beispielen aus dem Westen orientiert war, man denke an Félicien Rops.

Alexandra Matzner: In diesem Zusammenhang fällt mir der Maler Hanuš Schweiger ein, der in der Wiener Secession ausgestellt worden ist. Auch Schweiger geht stark in die Richtung des Märchenhaften. Wie fügt sich Richard Teschner dieser breiten Strömung ein?
Ivan Ristić: Wir können durchaus behaupten, dass er ein Kind seiner Zeit war. Denken wir auch an Frankreich, Belgien, Deutschland mit Max Klinger und Österreich mit Alfred Kubin. Kubin ist in der Ausstellung mit zwei Werken vertreten, nicht aufgrund persönlicher Kontakte, sondern der Parallelismen in der Kunst, ihren poetischen Gemeinsamkeiten. Abgesehen davon wuchs Teschner in Leitmeritz auf, dem Geburtsort Kubins.

Alexandra Matzner: Als Teschner nach Wien kam, fügte er sich offenbar nahtlos in die Wiener Moderne rund um Gustav Klimt ein. Verbrachten beide auch gleichzeitig ihre Sommerurlaube am Attersee?
Ivan Ristić: Nicht nur das! Auch in Gersthof, wo Teschner lebte, wurden die ersten Privatvorstellungen des Figurentheaters für den Freundeskreis gegeben. Dieser bestand vornehmlich aus den Vertretern der Wiener Moderne: Klimt, Roller, Koloman Moser, Otto Prutscher. Die Villa Paulick am Attersee hat Richard Teschner 1910 erstmals besucht, Klimt verbrachte seine Sommer bereits seit 1900 dort. Ein Jahr später ist die Tochter des Hauses, Emma Bacher-Paulick, seine Frau geworden. Das war ein günstiger Umstand, denn sie war gut situiert. Diese Heirat hat Teschner ermöglicht, seine Visionen ohne materielle Sorgen zu verwirklichen. Dieser Muße am Attersee sind ein Kapitel in der Ausstellung und einige Landschaftsbilder Teschners gewidmet.

Alexandra Matzner: Eine wunderbare Leihgabe aus Privatbesitz ist dieses Objekt in der Vitrine. Die Skulptur sieht aus, als wäre sie in Kooperation mit der Wiener Werkstätte entstanden, v.a. die Metalltreibarbeiten, und mit den gemugelten, farbigen Steinen reflektiert es auch die Schmuckkunst des Wiener Jugendstils. Worum handelt es sich hier?
Ivan Ristić: Das ist eine Specksteinfigurine. Der Speckstein hat den Vorteil, dass er leicht zu bearbeiten und verzieren ist, ein Material, in dem sich Teschner gerne ausdrückte. Teschners Specksteinfigurinen haben schon vor seiner Übersiedelung nach Wien großes Aufsehen erregt, als er sie auf der Wiener Kunstschau 1908 zeigte. Der künftigen Frau hatte er schon 1910 diesen sog. „Hausgott“ samt Schrein zugeeignet. Der Hausgeist, im alten Rom Lar Familiaris genannt (gutmütige Personifizierung von Ahnen), wachte über das Haus und begleitete das Ehepaar Teschner auch auf Reisen.

Alexandra Matzner: „Der goldene Schrein“ ist der nächste, wichtige Moment im Leben Richard Teschners und in dieser Ausstellung. Wie kam es dazu, dass sich Teschner immer mehr dem Figurenspiel, dem Theater verschrieben hat?
Ivan Ristić: Teschner war sich der Krise des zeitgenössischen Sprachtheaters, aber auch der Krise der Sprache im Allgemeinen bewusst. Er vertrat die Meinung, dass die kleine Bühne nicht dazu angetan wäre, die große Bühne nachzuahmen. Er hielt solche Versuche für lächerlich. Wie sollten sie denn reden können, wenn sie doch aus Holz seien, hat er immer wieder gefragt. Teschner prägte das pantomimische Theater, das sich mittels Figuren ausdrückt! Das neue Medium sollte sich vom großen Theater vollkommen emanzipieren! Aus den frühen Notizbüchern (1903/04) geht eindeutig hervor, dass er sich schon in seinen Prager Jahren mit dem Figurentheater beschäftigte, denn es gibt dazu einschlägige Skizzen. 1912 konnte er diesen langgehegten Traum endgültig verwirklichen! Mit dem „Goldenen Schrein“ ist eine Guckkastenbühne entstanden, auf der seine Märchen ihren Lauf nahmen.

Alexandra Matzner: Richard Teschner hat sich quasi von der „Weltkunst“ inspirieren lassen – nicht nur der Jugendstil und die europäische Tradition aufgenommen, sondern auch ins ferne Asien geblickt. Wie verhielt er sich zum asiatischen Theater und den fernöstlichen Religionen?
Ivan Ristić: Er war an vielen Religionen interessiert, an Mythen und Märchen aus verschiedensten Kulturen. Was das javanische Schattenspiel betrifft, muss man betonen, dass er dieses schon in seiner Prager Zeit kennengelernt hatte. Er kannte bereits früh die flachen und die runden Figuren (Wayang Kulit und Wayang Golek), die begehrte Sammlerstücke um die Jahrhundertwende waren. Arthur Roessler, sein späterer Freund, hat beispielsweise einige besessen. Teschner selbst konnte erst 1911 während seiner Hochzeitsreise in den Niederlanden einige Wayang-Figuren erwerben. Anhand dieser nun vorhandenen Vorlagen, entwickelte er seine eigenen Figuren. In diesem Anfangsstadium waren sie noch durchaus der Formensprache des Fernen Ostens verpflichtet. Nach und nach hat er sich aber von diesen javanischen Vorbildern emanzipiert und fand zu seinen mitteleuropäischen Wurzeln. Das betrifft sowohl die Form der Figuren als auch die Hintergrundbilder.

Alexandra Matzner: Zum Erzählen der Märchen und Legenden hat Richard Teschner unglaubliche Figuren hervorgebracht, die von Fantasie nur so strotzen. Kannst du uns deine Lieblingsfigur beschreiben?
Ivan Ristić: Meine Lieblingsfigur könnte „Der Rote“ sein, der ein bisschen wie ein Hummer aussieht. Allgemein bekannt ist „Zipizip“, ein Waldgeistchen, das im Nachtstück von 1913 in die Helferrolle schlüpft. Er ist auch als eine Vorwegnahme der Popmythen der 80er Jahre. Gerüchten zufolge hat sich das Team der „Unendlichen Geschichte“ hier im ÖTM die Teschner-Materialien eingesehen.  Man darf hier von einer unbewussten Vorwegnahme der Phantasy-Ästhetik der folgenden Jahrzehnte sprechen.

Alexandra Matzner: Diese Ausstellung zeigt erstmals auf, wie wichtig Teschners Engagement als Filmausstatter und Figurenspieler für den Film war. Warum öffnete sich der Künstler dem Film?
Ivan Ristić: Er sah in diesem neuen Medium, der jungen Kunstsparte eine Möglichkeit, sich endgültig vom Theater zu lösen. Das hatte zur Folge, dass Teschner für einige leider missglückte Projekte versucht hat, seine Figuren auf die große Leinwand zu bringen.

Alexandra Matzner: Der Stummfilm der 20er und frühen 30er Jahre kommt natürlich der Sprachlosigkeit seiner Figurinen sehr entgegen. Wie hat er sich mit Film beschäftigt, was macht er alles dafür?
Ivan Ristić: Teschner gestaltete Dekorationen, Masken und auch Figuren! Für den heute verlorenen Film „Der geheimnisvolle Spiegel“ fertigte er anhand von Lebendmasken und Fotografien der Schauspieler_innen Figuren, die in einem orakelnden Spiegel den Protagonist_innen ihr jeweiliges Schicksal zeigen. Wichtig daran ist, dass dieser geheimnisvolle Spiegel eine Vorstufe des späteren Figurenspiegels von Richard Teschner darstellt. Man könnte fast sagen, das war eine kleine Vorwegnahme des Fernsehers und bedeutete eine endgültige Trennung des Figurenspielers von seinem Publikum. Fortan passierte alles hinter der Scheibe in einer imaginären Welt.

Alexandra Matzner: Der Film bewirkte offenbar eine massive Veränderung in der Kunst von Richard Teschner – aus der rechteckigen Guckkastenbühne wird der kreisrunde Spiegelausschnitt, der den Blick in eine andere Wirklichkeit ermöglicht. Die Puppenspieler bewegen sitzend, dahinter die Figuren und können ihrem Tun dabei selbst zusehen. Im nächsten Raum hast du immer wieder versucht, diese verschiedenen „Displays“ vorzustellen. Wie nutzt Teschner Farbe, Atmosphäre, Hintergrundbilder, um zusätzlich zu seinen Figuren die Erzählung voranzutreiben?
Ivan Ristić: Die Farb- und Lichteffekte sind eigentlich von entscheidender Bedeutung! Im Gegensatz zu den meisten Puppenschnitzern beließ Teschner die Augen seiner Figuren leer oder hohl. D.h. er erzielte das Minenspiel mit Hilfe der jeweiligen Beleuchtung. Das Licht strich über das Antlitz, wodurch verschiedenen Stimmungen erzeugt wurden. Da  Teschner auf die Sprache verzichtete, war er auf andere Ausdrucksmittel angewiesen: Bewegung, Beleuchtung, die teilweise sehr opulenten Hintergrundbilder und Requisiten. Die Hintergrundbilder sind auf Gaze gemalt und werden in der Ausstellung zusätzlich von hinten beleuchtet, hier - hinter dem Stück „Schab` den Rüssel“ - sieht man beispielsweise das Riesentor von Wien.

Alexandra Matzner: Das Theatermuseum hat von der Österreichischen Nationalbibliothek den Teschner-Nachlass und die originale Einrichtung seines Theaters erhalten, in der wir uns im letzten Ausstellungsraum befinden. Woraus besteht die Teschner-Bühne?
Ivan Ristić: Vornehmlich aus dem legendären Figurenspiegel, seiner letzten Bühne, die vom Sternkreiszeichen umgeben ist. Dazu kommen noch die Vitrinen, in denen die Figuren von Teschner aufbewahrt werden. Hier haben wir das Originalmobiliar aus Gersthof, der Figurenspiegel ist 1932 eingeweiht worden. An ihm hatte Teschner an die zwei Jahre lang gearbeitet, das Mobiliar dürfte älteren Datums sein.

Alexandra Matzner: Es sieht so aus, als wären die Figuren der Farbe nach in den Vitrinen „geordnet“. Entspricht das dem Umgang Teschners mit seinen Figuren, oder ist das eine spätere Verwendung?
Ivan Ristić: Teschner hat die Präsentation der Figuren als eine Art Dauerausstellung angesehen. Es war durchaus so, dass vor oder nach Aufführungen der Meister seinen Gästen die Figuren zeigte, indem er die Mechanismen erklärte.

Alexandra Matzner: Richard Teschner inszenierte und mythifizierte sich selbst nicht nur als den Designer dieser Figuren und auch sämtlicher Märchenstücke, sondern auch als Künstlerpersönlichkeit. Du hast extra für den Beginn der Ausstellung ein spezielles Stück gewählt, das diese Haltung illustriert. Kannst du uns kurz davon erzählen?

Ivan Ristić: Das Stück Die Künstlerlegende hat Teschner in den späten 20er Jahren konzipiert. Man könnte davon ausgehen, dass der Künstler, der gerade ein nacktes, weibliches Modell skizziert, ein Alter Ego Teschners ist. Es gibt aber auch die Figur des „Synästhetikers“, der an einem Farbenklavier seine Experimente vorführt und eine weitere versteckte Selbstkarikatur darstellt. Was seine Auftritte im Talar anlangt, könnte man meinen, er möchte wie ein Erzpriester eines selbst erschaffenen Kultes wirken. Das hat den Besucher_innen den Eindruck vermittelt, dass sie sich an einem besonderen Ort befinden, an einem speziellen Ereignis beiwohnen, andererseits auch ihm selbst.

Alexandra Matzner: Der Künstler als Ereignis?
Ivan Ristić: Es hatte wohl auch eine autosuggestive Funktion, er wollte sich selbst in eine besondere Rolle versetzen, indem er so aufgetreten ist.

Alexandra Matzner: Richard Teschner ist 1948 verstorben. Wie hat er sich in den 30er und 40er Jahren den politischen Ereignissen gestellt?
Ivan Ristić: Im Grunde genommen war Teschner ein unpolitischer Mensch, was aber nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass er manchmal Kompromisse eingegangen ist, um seine Sache weiter voranzutreiben. Das Wendejahr 1938 hat im Leben des Figurenspiegels keine Zäsuren gesetzt, eher im Gegenteil! Einige hohe Funktionäre des nationalsozialistischen Regimes haben sich als wertvolle Unterstützer des Figurentheaters erwiesen. Ich nenne nur den Schriftsteller Karl Hans Strobl, der einer der hochrangigsten Kulturfunktionäre der Ost-Mark war und auch ein Jugendfreund Teschners aus der Prager Zeit. Dieser hat ihn nach Kräften unterstützt und sich vergeblich dafür eingesetzt, dass die Figurenbühne Richard Teschners einmal in ein Wiener Palais transferiert wird. Kurioserweise ist das viele Jahre nach dem Ableben des Künstlers auch passiert – heute ist es als wichtiger Beitrag zur österreichischen Theaterkunst im Palais Lobkowitz, wo das Theatermuseum untergebracht ist.

Biografie von Richard Teschner (1879-1848)

1879 Richard Teschner wird am 22. März in Karlsbad geboren.
1884 Die Familie Teschner übersiedelt nach Leitmeritz.
1896–1899 Studium an der Kunstakademie in Prag, zum Schluss in der Spezialschule für figurale Malerei bei Václav Brožík.
1900/1901 Nachdem es ihm nicht gelingt, an der Akademie der bildenden Künste in Wien einen Platz zu finden, verbringt Teschner ein Semester in der Fachschule für Malerei in der Kunstgewerbeschule.
1901 Zurück in Leitmeritz, richtet Teschner ein kleines Atelier über der Lithografie-Werkstatt seines Vaters ein und macht erste grafische Experimente.
1902 Übersiedelung nach Prag.
1903/1904 Beginn der Beschäftigung mit Marionetten und erste kunstgewerbliche Arbeiten.
1906 Teilnahme an der „2. Kunstausstellung deutschböhmischer Künstler“ in Karlsbad und an der „Deutschböhmischen Ausstellung“ in Reichenberg.
1908 Eröffnung einer privaten Kunstschule gemeinsam mit Karl Wilfert d. J.
1909 Übersiedlung nach Wien.
1911 Heirat mit Emma Bacher-Paulick; bei der die Hochzeitsreise, die unter anderem in die Niederlande führt, erwirbt Teschner einige Wayang-Puppen.
1912 Richard und Emma Teschner lassen sich in Wien-Gersthof nieder, wo im selben Jahr der „Goldene Schrein“ entsteht.
1913 Teschner wird Mitglied des Bundes österreichischer Künstler.
1919/1920 Im Rahmen einer Sonderausstellung im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie finden erste öffentliche Vorführungen der Figurenspiels statt.
1924 Teschner wird Mitglied des Künstlerhauses.
1925 Im Jänner finden im Gersthofer Atelier erste öffentliche Vorführungen der Figurenspiele statt. Im Mai erhält Teschner den Kunstpreis der Stadt Wien.
1926–1929 Rege Beschäftigung mit Filmprojekten.
1927 Im Juli lehnt Teschner eine Professur an der Prager Akademie ab. Im Dezember wird er in Wien mit dem Titel Professor ausgezeichnet.
1932 Am 11. November wird der „Figurenspiegel“ eingeweiht.
1934 Gastspiele in London im Rahmen der österreichischen Ausstellung.
1940 Der „Goldene Schrein“ wird an die Theatersammlung der Österreichischen Nationalbibliothek verkauft.
1948 Am 4. Juli stirbt Teschner an den Folgen eines Herzinfarkts

Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.