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Nacht in der Kunst. Kapitel 1: Romantik bis Symbolismus Die Nacht im Zwielicht

Karl Friedrich Schinkel, Die Zauberflöte. I. Akt, 6. Szene: Sternenhimmel, Thron der Königin der Nacht, 1819-24, Aquatinta und Radierung koloriert, Österreichisches Theatermuseum, Wien © Kunsthistorisches Museum Wien

Karl Friedrich Schinkel, Die Zauberflöte. I. Akt, 6. Szene: Sternenhimmel, Thron der Königin der Nacht, 1819-24, Aquatinta und Radierung koloriert, Österreichisches Theatermuseum, Wien © Kunsthistorisches Museum Wien

Nacht Bilder im Belvedere: Auf die Frage, welche Bewandtnis es mit der Nacht in Wien hätte, antworten die Kuratoren Brigitte Borchhardt-Birbaumer und Harald Krejci mit 282 Ausstellungsobjekten – 72 davon aus eigenem Bestand. Das Belvedere besitzt in seiner Gemäldesammlung eine erhebliche Anzahl von „Nachtstücken“ aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Darüber hinaus schufen Wolfgang Amadeus Mozart und Emanuel Schikaneder mit der „Königin der Nacht“ aus der „Zauberflöte“ eine bemerkenswerte Protagonistin, die dem Licht der Aufklärung die Dunkelheit der Nacht entgegensetzt (1791 in Wien uraufgeführt). Knapp 100 Jahre später sollte sich Sigmund Freud mit der Traumdeutung ebenfalls in die Nacht-Geschichte Wiens einschreiben. Die durchaus schwierig zu verstehende Ausstellung soll hier aufgeschlüsselt werden.

Nacht Bilder

Drei Paradigmenwechsel werden von den Kuratoren ausgemacht und als Beginn- bzw. Endpunkt der Ausstellung definiert: 1800 reagierte die Romantik auf das Licht der Aufklärung mit der Verklärung des nächtlichen Himmels. 1900 waren die Großstädte bereits beleuchtet, die Fotografie und die Psychoanalyse ebenfalls schon erfunden. Parallel zur positivistischen Ausrichtung der Wissenschaften löst sich die Nachtdunkelheit in Farbe auf. 2000 verursacht der Mensch den Niedergang der Nacht durch Lichtsmog. Der Verlust der Nacht wird begleitet von einer sentimentalen Sehnsucht nach Dunkelheit und Natur, die vielleicht auch Grund für diese aktuelle Ausstellung wie Buchprojekte war. Da die Objekte allerdings nicht chronologisch, sondern nach Themenfeldern gehängt wurden, wird die oben geschilderte zeitliche Entwicklung nur in der Rückschau, nämlich vom Ausstellungsende in der Orangerie mit der erhellten Nacht, möglich. Sinn und auch Witz erhält die Schau vor allem durch die intellektuell herausfordernde Gegenüberstellung der Werke.

Die „Nacht im Zwielicht“ im Unteren Belvedere

Der erste Raum ist zwar den „zwei Kindern der Mutter Nacht: Krieg und Liebe“ gewidmet, startet jedoch mit dem Plakatmotiv, nämlich René Magrittes Gemälde „Der sechzehnte September“ (1956, Kunsthaus Zürich) und Georg Kolbes „Nacht“ (1926-30/Guss 1948, Georg Kolbe-Museum, Berlin). René Magritte hatte sich von den späten 40er bis in die frühen 60er Jahre mit der Verbindung von Nacht- und Taghimmel beschäftigt, da er beide interessant fand sich aber für keinen entscheiden wollte. Diese Überraschung und Bezauberung der ungewohnten Zusammenstellung war für ihn gemalte „Poesie“. Georg Kolbes Bronzeskulptur hingegen trägt den Titel „Nacht“, stellt jedoch einen jungen, weiblichen Akt in tänzerischer Pose dar. Nur der Titel bringt das Werk mit dem Ausstellungsthema in Verbindung. Hier zeigt sich bereits der assoziative Umgang der beiden Kuratoren mit dem Thema: Ist bei Magritte die Zusammenstellung im Bild selbst überraschend, mag man sich bei Kolbe fragen, was ihn bewogen hat, die weibliche Figur mit „Nacht“ zu betiteln. Bezog er sich auf die mitteleuropäische Tradition, in der „Nyx“ (griechisch „die Nacht“) als weibliche Figur – allerdings in Begleitung von Eule und Mondsichel – dargestellt wurde?

Krieg als Nacht

Wenn man an diesen beiden Werken links vorbeigeht, stößt man auf das Kapitel „Krieg“. Eine Luftbildfotografie von Underwood & Underwood „Industrial City under Attack“ (1945) hängt neben einer Nachtaufnahme vom 2. deutschen „Bundesturnfest“ am Heldenplatz in Wien (1926, beide Sammlung Simak). Die von den Turnvereinen geschürte nationalsozialistische Ideologie sollte zu den Bombardierungen durch die Alliierten führen. Gegenüber schockiert Jürgen Teller mit einer schnappschussartigen Aufnahme des Führerbalkons in Nürnberg („Hitler’s podium, Nürnberg 2005“, Courtesy Juergen Teller und Christine König Galerie, Wien) vor einem sternelosen Nachthimmel – oder sind es die achtlos stehen gelassenen Flaschen der letzten Feier, die so entsetzen? Gegenüber hält Lawrence Weiner dem NS-Terror seine größte Arbeit im öffentlichen Raum entgegen: „In the still of the Night“ (1991, Sammlung der Kulturabteilung der Stadt Wien – MUSA) ist der Titel einer Textarbeit auf dem Flak-Trum im 6. Wiener Gemeindebezirk – „Zerschmettert in Stücke (im Frieden der Nacht) / Smashed to pieces (in the still of the night)“.

Dass auf diesen Einstieg nun Gustave Courbets „Selbstporträt als Verwunderter“ (um 1866, Belvedere) und ein manieristischer „Laternenschild mit Eisenhandschuh und einschiebbarer Stoßklinge“ (Anfang 17. Jh, KHM; Hof-, Jagd- und Rüstkammer) folgen, erstaunt. Courbet zeigt sich verwundet, da seine Geliebte ihn verlassen und geheiratet hat, er kehrt sein Innerstes mit einer romantischen Geste nach außen. Der Eisenhandschuh hingegen ist eine manieristische Spielerei, die wegen ihrer technischen Unzulänglichkeiten nie im Kampfeinsatz bestehen konnte. Dem gegenüber zeigen Anton Romako mit „Totentanz auf dem Schlachtfeld vor brennenden Ruinen“ (um 1882-85, Belvedere), George Grosz` „Schlacht“ (1938, Privatbesitz) und Max Beckmanns „Die Nacht (aus der Mappe Die Hölle, Bl. 6)“ (1919, Kunsthalle Bremen, Kupferstichkabinett) die Gräuel des Kriegs.

Francisco de Goyas berühmte Aquatinta-Radierung „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ (aus der Serie „Caprichos“, 1803, Albertina) leitet zur Aufklärung und Mozarts „Zauberflöte“ über. Da das spanische Wort „sueño“ sowohl „Schlaf“ als auch „Traum“ bedeuten kann, hat man das Werk in unterschiedlichster Weise gedeutet: Sind die im Hintergrund des über seinem Zeichentisch zusammengesunkenen Künstlers aufsteigenden, nächtlichen Wesen Produkte einer gestalterischen Tätigkeit des Traums oder entstehen sie, wenn die Vernunft nicht „wacht“, sondern stillgelegt ist?

Von Karl Friedrich Schinkels Entwürfen für die Bühnenbilder der „Zauberflöte“ wurde vor allem „Der Sternenhimmel“ (1819-24, ÖTM) berühmt. Die Oper in zwei Aufzügen war 1791 in Wien uraufgeführt worden, 1816 erfolgte die Premiere in Berlin. Karl Friedrich Schinkel schuf dafür zwölf fantastische Bühnenbilder orientalisierender Landschaften, Tempelanlagen, düsterer Gewölbe und Sternenglanz beim Auftritt der Königin der Nacht mit wohl organisierter Sternenkuppel und schmaler Mondsichel. Die „Innenansicht einer Wiener Freimaurerloge“ von Ignaz Unterberger (um 1785, Wien Museum) zeigt das Aufnahmeritual in einer Wiener Loge um 1784. Angeblich sitzt rechts auf der Bank W. A. Mozart, im Gespräch mit Emanuel Schikaneder versunken.

Wer sich von dieser Tour de force zwischen Krieg und Aufklärung erholen möchte, kann auf der rechten Seite des Raumes religiöse Bilder von Joseph von Führich („Der Abschied Christi von seinen Jüngern“ 1839, Belvedere) oder Philipp Otto Runge („Petrus auf dem Meer“ 1806-07, Hamburger Kunsthalle) genießen. Dazwischen findet sich auch ein „Sternenbild“ (1969, Museum Frieder Burda, Baden-Baden) von Gerhard Richter – ein abstraktes Tupfenmuster oder doch eine nachvollziehbare Sternenkonstellation?

Nacht in Poesie und Malerei

Der Übergang vom ersten in den zweiten Raum kann man mit der Idee der Mythen gut bewerkstelligen, denn hier finden sich u.a. Gemälde aus dem 19. Jahrhundert, die nach literarischen Texten gestaltet wurden. Moritz von Schwind widmet der Goethe-Ballade „Der Erlkönig“ (um 1830, Belvedere) eine nahezu märchenhafte Vision der Töchter des Erlkönigs, während der Vater im gestreckten Galopp versucht, sein Kind zu retten. Schwinds erster Lehrer in Wien, Johann Peter Krafft, inszenierte „Manfreds Sterbestunde“ (1825, Belvedere) nach Lord Byrons gleichnamigem Drama (1817). Krafft gehörte in Wien zu den ersten Malern, die sich mit Themen der neueren Literatur beschäftigen; das große Interesse der Zeitgenossen an den Manfred-Bildern lässt sich an den vier nahezu identischen Versionen des Bildes ermessen. Der Künstler folgt dem Text treu, was den Vorstellungen der Zeit entsprach. Malerei sollte Dichtung in Form von Form und Farbe sein, so Wilhelm von Schadow als Direktor der Düsseldorfer Akademie an seine Studenten.
Akseli Gallen-Kallelas Illustration zu Paul Scheerbarts „Königslied“ (1895, Sammlung Schmutz, Wien) hingegen ist für die erste Ausgabe des Kunstmagazins „Pan“ entstanden, die im April 1895 in Berlin herausgegeben wurde.

Im Dunkel der Nacht - Spielarten der Liebe

Der dritte Raum der Ausstellung ist dem Thema „Spielarten der Liebe“ gewidmet und stellt u.a. Félicien Rops' „Illustrationen zu „Les Diaboliques“ von Barbey d`Aurevilly“ aus dem Jahr 1886 (Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett) der romantischen „Verlobung bei Kerzenlicht“ (um 1790, Belvedere) von Anton Hickel gegenüber. Die zehn Rops'schen Illustrationen von dämonischen Frauen, nächtlichen Szenen, käuflicher Sexualität und Syphilis treffen unvermittelt auf ein Bild voller Kerzenschein und zwei sich hingebungsvoll Liebende. Der „Tageszeitenzyklus“ (1807, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett) von Philipp Otto Runge mutet hier im Vergleich nüchtern-romantisch an, während Johann Heinrich Füsslis Gemälde „Der gerächte Neger“ (1806/07, Hamburger Kunsthalle) als ein Statement des Künstlers für die Sklavenbefreiung zu lesen ist. Das kleinformatige Bild „Hexenritt" (um 1875) von Carl Spitzweg lässt sich im Sinne der schwarzen Romantik - im Vergleich zu Rops als vergelichsweise harmlose Spielerei mit dem Unheimlichen deuten.

Hier geht es weiter zu: Nacht in der Kunst. Kapitel 2: Landschaften und Metaphern

Nacht: Bilder

  • Karl Friedrich Schinkel, Die Zauberflöte. I. Akt, 6. Szene: Sternenhimmel, Thron der Königin der Nacht, 1819-24, Aquatinta und Radierung koloriert (Österreichisches Theatermuseum, Wien)
  • René Magritte, Der sechzehnte September, 1958 (Kunsthaus Zürich)
  • Installationsansicht "Die Nacht im Zwielicht" mit René Magritte, Le seize septembre (Der sechzehnte September), 1956 (Kunsthaus Zürich) und Georg Kolbe, Georg Kolbe, Nacht, 1926-30 (Guss 1948) (Georg Kölbe-Museum, Berlin)
  • Anonym, Bundesturnfest, 1926, Foto: Alexandra Matzner (Sammlung Simak)
  • Lawrence Weiner, In the still of the Night, 1991 (MUSA)
  • Ignaz Unterberger, Innenansicht einer Wiener Freimaurerloge, um 1785 (Wien Museum)
  • Gerhard Richter, Sternbild, 1969 (Museum Frieder Burda, Baden-Baden)
  • Akseli Gallen Kallela, Illustration zu Paul Scheerbarts „Königslied“ (1895, Sammlung Schmutz, Wien)
  • Ansel Adams, Moon and Half Dome, Yosemite Valley, 1960, Silbergelatine, Foto: Alexandra Matzner (Sammlung Simak)
  • Moritz von Schwind, Der Erlkönig, um 1830, Foto: Alexandra Matzner (Belvedere)
  • Leopold Kupelwieser, Die Heiligen drei Könige, 1825, Foto: Alexandra Matzner (Belvedere)
  • Joseph von Führich, Der Abschied Christi von seinen Jüngern, 1849 (Belvedere)
  • Johann Heinrich Füssli, Der gerächte Neger, 1806-07 (Hamburger Kunsthalle)
  • Johann Peter Krafft, Manfreds Sterbestunde, 1825, Foto: Alexandra Matzner (Belvedere)
  • Johann Peter Krafft, Manfreds Sterbestunde, 1825, Foto: Alexandra Matzner (Belvedere)
  • Carl Spitzweg, Hexenritt, um 1875, Foto: Alexandra Matzner (Schweinfurt, Georg Schäfer Museum)
  • Installationsansicht mit Bill Brandt, quarrel, 1930, Kitagawa Utamaro, Abschied im Morgengrauen, 1804
  • Anton Hickel, Verlobung bei Kerzenlicht, um 1790, Foto: Alexandra Matzner © Belvedere
  • Baumhauer, Eisenbahn bei Nacht (Nächtliche Fahrt der ›Adler‹), 1838, Öl auf Holz, 26 x 32,5 cm, Foto: Alexandra Matzner © Letter Stiftung, Köln
  • Anton Romako, Wildbad Gastein
  • Anselm Feuerbach, Orpheus und Eurydike, 1869, Öl auf Leinwand, 200 x 126,5 cm, Foto: Alexandra Matzner © Belvedere, Wien
  • Leander Russ, Die Sonnenfinsternis am 8. Juli 1842, 1842, Aquarell und Deckfarben auf Papier, 42,1 x 56,8 cm (Albertina, Wien)
  • Jürgen Klauke, Heimspiel
  • Josef Sudek, Still Life Caravaggio Night I, 1956, Silbergelatineabzug, 24 x 30 cm, Foto: Alexandra Matzner © Belvedere, Courtesy Galerie Johannes Faber
  • Hans Makart, Dante und Vergil im Inferno, um 1863/65, Öl auf Leinwand, 85 x 60 cm (Belvedere, Wien)
  • Gustinus Ambrosi, Die Umnachtung, 1915, Bronze, H: 31 cm, Gustinus Ambrosi, Die Umnachtung, 1915, Bronze, H: 31 cm, Foto: Alexandra Matzner © Belvedere, Wien
  • Germaine Richier, Der Nachtmensch/L´homme de la Nuit, 1954, Bronze, 74 x 82 x 30 cm, Foto: Alexandra Matzner (Kunsthaus Zürich, Sammlung Werner und Nelly Bär, 1968)
  • Caspar David Friedrich, Abendlicher Wolkenhimmel, 1824, Öl auf Leinwand, 12,5 x 21,2 cm, Foto: Alexandra Matzner (Belvedere, Wien – Schenkung Franz Josef Honig)
  • Carl Moll, Dämmerung (Belvedere)
  • Theodor von Hörmann, Paris bei Nacht mit Eiffelturm, 1889, Öl auf Leinwand, 45,5 x 55 cm (Belvedere, Wien)

Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.