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Polly Apfelbaum: „Das Publikum selbst soll Teil der Ausstellung werden – sie arbeiten zusammen“ Ein Gespräch über Vorbilder, Handwerk, Licht, Raum und natürlich das Glück im Belvedere 21

Polly Apfelbaum, Evergreen Blueshoes, Detail, 2015, Ausstellungsansicht Belvedere 21, 2018 © Belvedere, Wien, 2018 / Foto: Alexandra Matzner / ARTinWORDS, Courtesy die Künstlerin & Frith Street Gallery, London

Polly Apfelbaum, Evergreen Blueshoes, Detail, 2015, Ausstellungsansicht Belvedere 21, 2018 © Belvedere, Wien, 2018 / Foto: Alexandra Matzner / ARTinWORDS, Courtesy die Künstlerin & Frith Street Gallery, London

Polly Apfelbaum erhält vom Belvedere 21 ihre erste institutionelle Ausstellung in Österreich. „Happiness Runs“ versammelt sechs Teppich-Installationen, die seit 2012 für verschiedene Kontexte und Ausstellungshäuser geschaffen wurden (→ Polly Apfelbaum in Wien). Erstmals legt Polly Apfelbaum ihr malerisch-handwerkliches Tun in einer Schau nur am Boden aus. Das obere Stockwerk des Weltausstellungspavillons wurde dafür eigens zu einem lichten, offenen Raum rückgebaut. Das Publikum kann zwischen den Teppichen lustwandeln oder sich – mit Söckchen oder „Happiness Runs“-Pantoffeln – darauf niederlassen.

Das Gespräch mit Polly Apfelbaum führte Alexandra Matzner.

Licht, Boden und Raum

ARTinWORDS: Polly Apfelbaum, Sie sind die erste Künstlerin, die den ersten Stock des rückgebauten Belvedere 21 bespielt. Welche Rolle spielen Raum und Licht in Ihren Installationen?

Polly Apfelbaum: Es ist wirklich interessant, dass manchmal das Material auf das Licht reagiert und manchmal nicht. Im Belvedere 21 finde ich den Weg der Sonne sehr interessant. Dadurch, dass der Raum einen ganzen Kreis beschreibt, kann man hier eine ganze Weile verbringen und über die Zeit nachdenken. Am Morgen ist die Sonne in dieser Ecke, dann schiebt sie sich weiter. Das war für mich während des Aufbaus sehr interessant. Man kann hier viel über Licht und Raum lernen. Das ist vielleicht der hellste Ausstellungsraum, den ich je zur Verfügung hatte.

ARTinWORDS: Auf den Installationsfotos vergangener Ausstellungen im Katalog sind mir im Vergleich zu dieser Schau Wände aufgefallen, an denen Keramiken und Wandteppiche ausgestellt waren. Diese Bestandteile fehlen in Wien. Warum?

Polly Apfelbaum: Dieser Aspekt von „Happiness Runs“ ist der aufregendste für mich, weil ich mich gänzlich auf den Boden konzentriere. Über die Jahre habe ich gelernt, wie viele Objekte ein Raum verträgt oder nicht. Jeder der hier ausgestellten Teppiche wurde für einen speziellen Raum geschaffen. Es sind site-specific-works. Dann komme ich nach Wien und nehme sie aus ihrem ursprünglichen Kontext heraus. Das finde ich wirklich aufregend. Die Schönheit des Raumes und der Dialog zwischen den Objekten gehören für mich zu den Aspekten, über die ich noch nachdenken möchte.

ARTinWORDS: In Ihren früheren Ausstellungen trennten Wände einzelne Installationen. Zum ersten Mal setzen Sie diese Teppiche in einen Dialog miteinander. Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie die Nachbarschaften der Teppiche bestimmt?

Polly Apfelbaum: Ich habe schon früh begonnen, ein Modell anzufertigen und Skizzen zu machen. Als ich zum ersten Mal das Belvedere 21 besuchte, war es noch mit Wänden gefüllt. Ich tat mir wirklich schwer vorzustellen, wie es jetzt aussehen würde. Interessanterweise hat sich die Reihenfolge der Teppiche während des Aufbaus aber überhaupt nicht geändert. Der Boden ist für mich aufgeteilt in einen Positiv- und Negativraum. Das ist wie in einem Gemälde.

ARTinWORDS: Sie arbeiten in Ihren Teppichen mit Kompositionsstrategien aus der Malerei: Flächigkeit spielt für die Teppiche eine große Rolle, was auf die amerikanische Tradition anspielt, aber Sie machen auch dreidimensionale Werke und Keramiken selbst. Diese Ausstellung im Belvedere 21 ist ausschließlich über Ihre „Malerei“ am Boden?

Polly Apfelbaum: Ich wollte über mein Konzept und den Kontext nachdenken. Sechs Jahre Arbeit werden hier ausgestellt. Für mich ist interessant, welche Gespräche zwischen den Werken stattfinden. Wir werden die Anordnung jetzt kurz vor der Eröffnung fixieren, aber meine Erfahrungen, aber auch die des Publikums, beginnen dann erst.

ARTinWORDS: Warum haben Sie sich in Wien so sehr auf Ihre Bodenarbeiten konzentriert?

Polly Apfelbaum: Es hat wohl etwas damit zu tun, innezuhalten. Ich möchte, dass das Publikum hier hereinkommt und abhängen kann. Es gibt so viel Platz, ich liebe das. Jemand meinte sogar, es wäre hier wie in einem Raumschiff. Wir sind im ersten Stock etwas erhoben. Dann mag ich die Idee, dass Farbe für mich nicht nur bewegt, sondern auch eine erhebende Qualität hat. Farbe ist ätherisch. Meine Teppiche, das ist wie ein Klischee, sind wie fliegende Teppiche. Der Ausstellungsraum ist eine Zwischenwelt zwischen dem Häuslichen und der Kunst, in der die Menschen eindringen sollen.

Kunst ins Leben, mexikanische Weber – und dann waren da noch beide Albers

ARTinWORDS: In Ihren Teppichen zitieren Sie immer wieder die 1960er Jahre. Diese wiederum gehen zurück auf das frühe 20. Jahrhundert. Die Verbindung von Kunst und Leben wurde in Wien schon um 1900 besonders betont. Haben Sie sich jemals auch vom Jugendstil inspirieren lassen?

Polly Apfelbaum: Das wäre eine interessante Idee, wenn ich vor allem an Josef Hoffmann und all die verschiedenen Aspekte seiner Produktion denke. Ich sitze gleichsam zwischen mehreren Sesseln zwischen Hochkunst, Design, Handwerk und Alltag. Im amerikanischen Kontext kann man an das Black Mountain College denken.

ARTinWORDS: Denken Sie dabei an Anni und Josef Albers zum Beispiel?

Polly Apfelbaum: Die beiden sind für mein Denken äußerst wichtig. Sie war eine Weberin. Die letzte Ausstellung zu Josef Albers im Guggenheim präsentierte seine Fotografien aus Mexiko, aber Anni Albers wurde nicht erwähnt. Sie interessierte sich sehr für mexikanische Webtechniken, die sie ab 1935 verwendete. Ich arbeite auch mit Webern aus Oaxaca, mit Zapotec Indianern. Es gibt eine unglaubliche historische aber auch zeitgenössische Tradition in der Teppichmanufaktur dort.

ARTinWORDS: Anni Albers hatte heuer eine wichtige Ausstellung, in der ihr Konzept der textilen Kunst vorgestellt wurde (→ Anni Albers. Textilkünstlerin mit Folgen). Sie weben aber nicht selbst!

Polly Apfelbaum: So viele Künstlerinnen und Künstler arbeiten mit Handwerkern zusammen. Meine älteren Arbeiten sind alle handgemacht. Jetzt habe ich viel mehr Vorstellungen von körperlicher Arbeit mit meinen Werken verknüpft. Mein Kopf ist darin, meine Hände, meine Füße. Sowohl mit den Teppichen wie auch den Arbeitsweisen versuche ich, verschiedene Traditionen miteinander zu verbinden. Sie sehen deshalb auch wie Teppiche aus und haben Fransen. Einige Leute meinen, es wäre keine Malerei, keine Kunst, sondern sie wären nur Teppiche. Kunst ist aber nicht nur ein Ding. Ich liebe es, dass ich aus so vielen verschiedenen Orten und Traditionen meine Kunst speisen kann.

ARTinWORDS: Der konzeptuelle Umgang mit dem Textilen unterscheidet Sie sicherlich von Künstlerinnen wie Anni Albers oder auch Sheila Hicks, die jüngst im Centre Pompidou ausgestellt worden ist.

Polly Apfelbaum: Sheila Hicks studierte bei Josef Albers in Yale und traf zu dieser Zeit Anni Albers. Sie arbeitete nicht im Kunstkontext bis sie etwa in ihren 70ern war. Auch meine Arbeit wurde lange nicht geschätzt, bis einige angefangen haben, sie in einem malerischen Kontext – als Malerei außerhalb des Rahmens – aufzufassen.

ARTinWORDS: Es dauerte also bis in die 1990er Jahre, bis die Postmoderne einige scheinbar fixe Grenzen umgestoßen hatte?

Polly Apfelbaum: Ja! Das hat eindeutig Leute in Kontakt mit meiner Kunst gebracht. Wissen Sie, sogar für mich ist es sehr ungewöhnlich, nur den Boden zu nutzen. Hier kann ich meine Arbeit gut rekontextualisieren und darüber nachdenken.

ARTinWORDS: Sie arbeiten eigentlich ortsspezifisch. Wie haben Sie die Teppiche für den neuen Raum ausgewählt? Wie haben Sie sie ausgelegt?

Polly Apfelbaum: Ich habe schon alle diese Arbeiten in anderen Ausstellungen gezeigt. Ich denke mir dieses Gebäude als Modulator. Sogar das Gebäude hat eine Kontextverschiebung hinter sich, es ist für die Weltausstellung in Belgien gestaltet und dann wieder nach Wien gebracht worden. Genauso möchte ich auch meine Arbeit sehen. Ich möchte, dass sie beweglich ist. Dazu brauche ich es, über den Raum, das Licht und den Kontext der Teppiche nachzudenken.

ARTinWORDS: Die Vorbereitung zur Ausstellung ist also integraler Bestanteil Ihres Werkprozesses?

Polly Apfelbaum: Ja, weil ich dabei lerne. Hier handelt es sich um einen direkten Dialog.

Zeitreise ins Mittelalter und in die amerikanische Abstraktion

ARTinWORDS: Ein Wort, das Sie oft benutzen, ist das Reisen. Ich habe einen Ausspruch von Ihnen gefunden, indem Sie vom Zeitreisen sprechen. Erzählen Sie mir von ihren Zeitreisen!

Polly Apfelbaum: Das klingt ein wenig nach 2001: Space Odyssey (lacht). Die ganze Arbeit hier begann nach einem Stipendium in der American Academy in Rom 2012/13. Ich konnte ein ganzes Jahr nachdenken, über Zeit, über Geschichte, in der Geschichte zurückgehen und auch meine Vergangenheit. Ich war in Rom und grub gleichsam die Geschichte der Stadt aus.

ARTinWORDS: Ich habe auch gelesen, dass Sie während dieses Jahres viel gereist sind in Italien.

Polly Apfelbaum: Eine Freundin hat mir mitgegeben, ich soll „mit meinen Füßen schauen“. Genau darum geht es. Schauen ist nicht nur etwas, das man mit den Augen zu tut. Heute schauen viele nur mehr mit ihren Computern. Das Jahr in Italien war für wie Zeitreisen, die Kunst körperlich zu erleben.

ARTinWORDS: Es wirkt auch so, als ob Sie für das Mittelalter eine besondere Anziehungskraft entwickelt haben. Das Bodenmosaik in der Kathedrale von Otranto und die Mosaike von Ravenna waren so wichtig für Sie, dass Sie Ihr Werk formal und inhaltlich beeinflusst haben. Warum hat Sie das so interessiert?

Polly Apfelbaum: Ich fand eine „Bodenskulptur“, ein Bodenmosaik eines Mönches in der Kathedrale in Otranto, Apulien. Das Bild reist darin durch viele Epochen von der Antike bis zum Frühchristentum, von der Mythologie zur christlichen Religion. Es ist eine visuelle Darstellung einer Idee von Geschichte aus dem 12. Jahrhundert, in der alles miteinander verbunden ist. Der Mönch sah zurück, vermischte und verband Zeitströme auf einer Ebene miteinander.

ARTinWORDS: Was die Symbolik in Ihrem Werk anlangt, so spielen Füße in ihren Teppichen eine große Rolle. „Evergreen Blueshoes“ (2014) zeigt zwei blaue Fußabdrücke auf grünem Grund, gegenüber zeigen Sie „Dubuffet’s Feet“ (2016 → Jean Dubuffet). Warum?

Polly Apfelbaum: Ich interessiere mich für die physische Präsenz der Dinge, wie man das erfahren kann. Es gibt in den Arbeiten daher abstrahierte Füße aber auch meine eigenen.

ARTinWORDS: Warum haben Sie Ihre Fußabdrücke in „Evergreen Blueshoes“ auf zwei verschiedene Teppiche weben lassen? Diese liegen knapp beieinander.

Polly Apfelbaum: Mich erinnert das an Andy Warhols Fußabdrücke und Tanzdiagramm-Gemälde aus den 1960ern. Ich wollte einen Schatten, die Geschichte eines Teppichs integrieren. Außerdem liebe ich es, wenn sich Leute daraufstellen und sich selbst an dieser Stelle darüber positionieren.

ARTinWORDS: Für mich funktionieren die Fußabdrücke auch wie Brückenköpfe für den Körper. Wenn man sich daraufstellt, bildet der Körper automatisch eine Brücke zwischen den beiden Teppichen. Im Katalog sind noch Teppiche abgebildet, in denen Sie sich mit Gemälden von Morris Louis und Gene Davis auseinandersetzen. Diese sind nicht in der Ausstellung gezeigt?

Polly Apfelbaum: Es gibt nur drei Teppiche der ganzen Serie seit 2013, die in dieser Ausstellung nicht zu sehen sind. Sie beziehen sich sehr speziell auf bestimmte Gemälde und machen außerhalb dieses Kontextes wenig Sinn.

Glücksperlen – malerische Spiritualität der Hände

ARTinWORDS: Die einzige Arbeit, die auch den dreidimensionalen Raum einnimmt in „Happiness Runs“ ist „Face (Geometry) (Naked) Eyes“ aus dem Jahr 2016. Wie funktioniert sie?

Polly Apfelbaum: Ich habe diese von der Decke abgehängten Kugeln mit meinen Händen geformt. Sie funktionieren ein wenig wie Sorgenkugeln oder Kugeln eines Rosenkranzes. Es hat viel mit Händen zu tun, mit Spiritualität und Händen, aber auch mit einer nervösen Geste. Ich begann, diese Kugeln zu machen und nutze sie für Installationen. Die Farbe erhebt uns körperlich, aber ich mag es, wenn diese Kugeln wie ein Vorhang wirken. Man kann sie als Augäpfel interpretieren, wie sie auf den begleitenden Teppichen dargestellt sind, oder auch wie einen Klecks Farbe. Dadurch werden die Kugeln zu einem Gemälde im Raum.

ARTinWORDS: Können die Besucherinnen und Besucher zwischen den beiden Wänden aus Fäden und Kugeln durchwandern?

Polly Apfelbaum: Sie können, sollten das aber vorsichtig tun! Es entsteht ein schöner Raum zwischen den Elementen. Als diese Installation in Otis, Kalifornien, zu sehen war, nannte sie ein Kritiker eine „sekuläre Kapelle der Abstraktion“. Es geht mir nicht um Religion, sondern um Licht und Kontemplation – Farbe im Raum. Und natürlich gibt es auch die Assoziation mit dem Konzept des Gebetsteppichs.

ARTinWORDS: Die Kugelreihen funktionieren wie eine Wand, durch die man durchsehen kann. Das erinnert mich an japanische Reiswände und auch Installationen von Robert Irwin.

Polly Apfelbaum: Wenn man an Irwin denkt, muss man an Licht denken. Man muss so viel lernen, wenn man mit Licht arbeitet. Ich hatte noch nie so einen lichterfüllten Raum wie das Belvedere 21. Diese Wände sind lichterfüllt.

ARTinWORDS: Werden Sie auch mit Spots arbeiten, oder soll es beim natürlichen Licht bleiben?

Polly Apfelbaum: Das habe ich noch nicht entschieden, aber ich denke, ich würde gerne mischen. Ich arbeite nicht mit dramatischen Lichteffekten, das ist zu kitschig für mich. Meine Arbeiten sind schon wegen der Farben kitschig genug.

Kitsch und Mode

ARTinWORDS: Der älteste ausgestellte Teppich entstand 2012 für eine Ausstellung zu Ehren von Christian Dior. Hat Sie die Modewelt und ihre Farbkonzepte beeinflusst?

Polly Apfelbaum: Farbe ist immer modeabhängig, persönlich und kulturell beeinflusst. „Rainbow Nirvana Houndstooth” nimmt das Hahnentrittmuster von Dior auf. Ich denke das ist der am meisten von der Op Art beeinflusste Teppich. Es war eine Auftragsarbeit für die Ausstellung „Miss Dior“ im Grand Palais, die 2013 in Paris stattfand. Ich arbeite mit Farben und Farbsystemen. Da ich mit allen Farben arbeite, muss ich sie in eine Reihung bringen. Das resultierte hier in einer Art abstrahierten Regenbogen. Das Stück war jetzt sechs Jahre in einer Schachtel.

ARTinWORDS: Wie viele Editionen machen Sie von jedem Stück?

Polly Apfelbaum: Immer nur einen, sie sind einzigartig. So sollte es sein.

ARTinWORDS: Durch die Einzigartigkeit erhält es den Status wie ein Gemälde!

Polly Apfelbaum: In den 50er und 60er Jahren haben amerikanische Maler so riesige Bilder gemalt. Sie sind gigantisch in ihrer Größe! Das war eine Zeit, in der Amerikaner entschieden, dass gigantische Größen wichtig wären. Die Größe meiner Teppiche hängt vom Webstuhl ab.

ARTinWORDS: Als ich Sam Gilliam vor kurzem getroffen habe, hat er mich darauf aufmerksam gemacht, dass er teilweise nicht mit dem Pinsel arbeitet, sondern die Leinwand quasi einfärbt (→ Sam Gilliam: The Music of Color).

Polly Apfelbaum: Ja, das hatte einen riesigen Einfluss auf mich: zurückgehend auf das Frühwerk mit Flecken.

ARTinWORDS: Ihre Arbeiten werden diesen Herbst/Winter im Museum Ludwig in Aachen zu sehen sein unter dem Kontext der Pattern and Decoration Bewegung (→ Pattern and Decoration. Ornament als Versprechen). Wie sehen Sie ihr Verhältnis zu Pattern and Decoration?

Polly Apfelbaum: Ich kam 1978 nach New York. Das war eine Zeit, in der Pattern and Decoration wirklich wichtig war. Man traf auch die Minimalisten. Eine weniger offensichtliche Verbindung habe ich mit Agnes Martin. Künstlerinnen hatten einen wichtigen Einfluss auf mich! Jetzt, 30 Jahre später, werden all diese Künstlerinnen und Künstler wieder ausgestellt. Jetzt sieht man wieder Keramik, Webarbeiten, die Washington School rund um Sam Gilliam. Das ist wirklich interessant, weil es immer da war. Warum Leute verschiedene Dinge zu unterschiedlichen Zeiten sehen, ist eine faszinierende Frage. Warum hat es bloß so lange gedauert?

ARTinWORDS: Um noch einmal zum Hinweis auf Agnes Martin zu kommen. Warum sie?

Polly Apfelbaum: Bei ihr geht es mir um ihre Haltung, über ihr Sprechen über Schönheit und Glück, ihren Fokus. Sie ist ein Leuchtfeuer für mich.

Happiness Runs in a circular motion

ARTinWORDS: Der Titel „Happiness Runs in a circular motion“ kann nicht auf Deutsch übersetzt werden. Warum läuft das Glück?

Polly Apfelbaum: Stella Rollig hat erwähnt, dass das Museum über die heutige Bedeutung von 1968 nachdenken möchte – 50 Jahre später. Songs, ihre Titel und Musik waren schon seit einer langen Zeit Teil meines Werks: Daher begann ich, Musik aus den Sechzigern zu hören. Ich fand einen Song von Donovan, der „Happiness Runs“ heißt und 1968 aufgenommen wurde – das gab mit sowohl Struktur als auch ein Thema.
Meine Arbeit soll „im Kreis“ erfahren werden – es ist nicht wie ein Gemälde an der Wand. Man muss darum herum oder auch darauf gehen, man muss die Teppiche von verschiedenen Perspektiven betrachten, sie mit Körper und Augen erfahren, mit den Füßen schauen. Wenn Donovan die erste Zeile des Textes singt – „Happiness runs in a circular motion“ – dann wird das im Belvedere 21 wirklich wahr. Was ich an diesem Song auch noch mag, ist, dass er in einer Rundform, einem Kanon geschrieben ist. Es werden sozusagen die gleichen Zeilen widerholt, aber die Sängerinnen und Sänger beginnen zu verschiedenen Zeiten, sie überlappen einander und vermischen sich zu etwas Neuem.

ARTinWORDS: Hier bildet der Raum auch einen Kreis, die Fußabdrücke und die Köpfe auf den Teppichen bilden Kreise…

Polly Apfelbaum: Ja, überall sind Kreise, die sich immer bewegen und sich immer verändern. Glück ist für mich die Hoffnung, jemandem für eine kurze Zeit Glück zu schenken.

ARTinWORDS: Was würden Sie empfehlen, um glücklich zu werden?

Polly Apfelbaum: Oh, mein Gott, ich würde sagen: Sei immer neugierig. Vielleicht ist es Glück, immer in Bewegung und in Gesprächen zu bleiben. Offenheit hält mich interessiert, das kann man in verschiedene Richtungen auslegen. Es geht mir darum, Menschen zusammenzubringen. Ich mache Ausstellungen für das Publikum, damit es etwas erfahren kann, was ich erlebe, wenn ich das Werk schaffe. Freude für mich besteht im Prozess und im Machen.

Polly Apfelbaum im Gespräch: Bilder

  • Polly Apfelbaum, Face (Geometry) (Naked) Eyes, 2016
  • Polly Apfelbaum, Face (Geometry) (Naked) Eyes, Detail, 2016
  • Polly Apfelbaum, Evergreen Blueshoes, 2015, Ausstellungsansicht Belvedere 21, 2018
  • Polly Apfelbaum, Evergreen Blueshoes, Detail, 2015, Ausstellungsansicht Belvedere 21, 2018
  • Polly Apfelbaum, The Potential of Women, 2017, Ausstellungsansicht Belvedere 21
  • Polly Apfelbaum, Rainbow Nirvana Houndstooth, Detail, 2013, Ausstellungsaufbau Polly Apfelbaum. Happiness Runs, © Belvedere, Wien, 2018
  • Polly Apfelbaum, Deep Purple, Red Shoes, Detail, 2015 Ausstellungsansicht Belvedere 21
  • Polly Apfelbaum beim Ausstellungsaufbau © Belvedere, Wien, 2018
  • Polly Apfelbaum und Stella Rollig beim Ausstellungsaufbau zu Happiness Runs
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.