René Magritte

Wer war René Magritte?

René Magritte (Lessines 21.11.1898–15.8.1967 Brüssel) war ein belgischer Maler des Surrealismus. Magritte gehört zu den der bekanntesten und populärsten Malern des 20. Jahrhunderts. Der Belgier setzt dem französischen Surrealismus eine denkende Malerei entgegen. Nicht Automatismus und Umdeutung, sondern die kühle Präzision seiner nach Präsenz heischenden Malerei, deren erklärtes Ziel „Stillosigkeit“ und Ausdruck des Denkens sind. Für sich selbst lehnte Magritte die Berufsbezeichnung Künstler ab, er arbeitete auch nie in einem Atelier, sondern bei sich zu Hause. Anstatt mit Worten stellte er seine Überlegungen zum Verhältnis von Bild und Sprache in Gemälden dar. Magrittes verfremdete Gegenstände verbinden das Vertraute mit dem Fremdartigen, die Poesie der Titel enthebt sie zusätzlich jegliches Anspruchs auf Ähnlichkeit.

„Ich benutze die Malerei, um das Denken sichtbar zu machen.“ (René Megritte)

Einen ausführlichen Lebenslauf findest du → René Magritte: Biografie

Kindheit

René François Ghislain Magritte wurde am 21. November in Lessines in der wallonischen Provinz Hennegau in Belgien geboren. Sein Vater war Léopold Magritte, der als Schneider und Kaufmann tätig war, seine Mutter Régina Bertinchamps war bis zu ihrer Heirat Hutmacherin. Kurz vor Renés Geburt war das Ehepaar erst nach Lessines gezogen. Réginas verwitwete Mutter lebte im gemeinsamen Haushalt. Magritte hatte zwei jüngere Brüder: Raymond (geb. 1900) und Paul (geb. 1902).

Im Frühjahr 1904 zog die Familie nach Châtelet, eine Stadt in der Provinz Hennegau im wallonischen Teil Belgiens. Im Alter von zwölf Jahren begann Magritte zu malen und zu zeichnen (1910). Er besuchte einmal die Woche einen Kunstkurs. Bisher konnten drei in diesem Jahr datierte Werke gefunden werden. Die geschäftlichen Erfolge des Vaters, er war zu dieser Zeit im Speiseölhandel tätig, ermöglichte der Familie 1911 in ein größeres Haus zu ziehen, das nach ihren Plänen errichtet worden war. Der Vater sah in René ein Wunderkind und hängte seine Werke im Korridor des Hauses auf, damit jeder Besucher sie sehen konnte.

Selbstmord der Mutter

Régina Magritte unternahm 1911/12 aus unbekannter Ursache mehrere Selbstmordversuche. Daher sperrte sie der Vater in der Nacht in ihre Schlafzimmer ein, das sie mit ihrem jüngsten Sohn Paul teilte. In einer Februarnacht 1912 entkam Régina Magritte und verschwand. Sie dürfte sich in der Sambre ertränkt haben, einem Fluss, der durch Frankreich und Belgien fließt.

René Magritte war dabei, als seine nur mit einem weißen Nachthemd bekleidete Mutter 17 Tage später aus dem Wasser gezogen wurde. Ihr Leichnam wurde einen Tag im Haus aufgebahrt. Vielleicht rühren die vielen Darstellungen von Frauen, über deren Kopf ein weißes Tuch gezogen ist, von diesen Erlebnissen. Der davon traumatisierte Jungen sprach nie über seine Mutter. Louis Scutenaire, ein enger Freund des Künstlers, erinnerte sich, dass Magritte nur ein einziges Mal dieses Thema anschnitt. Magritte hätte in diesem Moment einen „immensen Stolz darüber verspürt […], der bemitleidenswerte Mittelpunkt eines Dramas zu sein“. Ab 1925 taucht das Erlebte in mehreren Bildern auf, darunter „Die Träumereien eines einsamen Spaziergängers“.

Schulausbildung

Magritte und seine Brüder besuchten ab November 1912 das Gymnasium. René Magritte las sehr viel, vor allem die Fantômas-Romane von Pierre Souvestre und Marcel Allain, aber auch Robert Louis Stevenson, Edgar Allan Poe, Maurice Leblanc und Gaston Leroux. Malen war das Einzige, was ihn am Schulunterricht interessierte.

Im Frühjahr 1913 zog der Vater mit seinen drei Söhnen in die Industriestadt Charleroi, in der Provinz Hennegau in der Wallonischen Region Belgiens. Im Alter von 15 Jahren lernte Magritte die dreizehnjährige Georgette Berger (1901–1986) auf dem Jahrmarkt kennen, die sein Modell wurde und später ebenfalls Malerei studierte. Zu dieser Zeit waren Magrittes Werke vom Impressionismus geprägt.

Kunststudium

Nachdem die deutschen Truppen nach Belgien einmarschiert waren, ging René Magritte nicht mehr zur Schule. Im November 1915 fuhr er nach Brüssel. Er dürfte bereits Ende des Jahres an der Königlichen Akademie Kurse besucht haben.

Von Oktober 1916 bis 1919 studierte Magritte an der Brüsseler Académie Royale des Beaux-Arts. Anfangs orientierte sich Magritte an Malern der Haager Schule, allen voran an Jacob Maris und Pierre Paulus. Zur Jahreswende 1916/17 zog Magrittes Vater und seine beiden Brüder ebenfalls nach Brüssel, wo der Vater als Vertreter von Maggi-Würfeln tätig wurde. Im Herbst zog die Familie ein größeres Stadthaus in Schaerbeek. Der Student lebte vom Verdienst des Vaters und besuchte die Akademie nur sporadisch. Dennoch erinnerte er sich später, dass er an der Akademie Zeichnen von Emile Vandamme-Sylva, Perspektive und Anatomie gelernt hätte. Seine Ölgemälde aus dem Jahr 1917 sind am Postimpressionismus von Pierre Bonnard orientiert.

Im Dezember 1919 gründeten Victor Bourgeois und Aimé Declercq das Kunstzentrum „Le Centre d’Art“. Pierre Bourgeois, der jüngere Bruder des Architekten, zählte zu Magrittes Studienfreunden und Diskussionspartnern zum Modernismus. Angeblich machte Pierre Bourgeois ihn auf den Futurismus aufmerksam. Magritte stellte auf der Eröffnungsausstellung des Kunstzentrums „Le Centre d’Art“ aus.

Frühe Werke

Im Januar 1920 hatte Magritte eine Ausstellung im „Le Centre d’Art“ gemeinsam mit Pierre Flouquet (ab 10.1.). Die beiden teilten sich auch ein Atelier. Magrittes Arbeiten des Jahres 1920 sind kubistisch-futuristisch und der „Kölner Progressive“ – auch „Gruppe progressiver Künstler“ genannt, sehr ähnlich. Nur sehr wenige Werke aus dieser Zeit existieren noch oder wurden fotografiert. Der Maler arbeitete bis 1924 in diesem Stil weiter. Sieben Jahre nach ihrem ersten Kennenlernen traf Magritte zufällig Georgette Berger in der Coopérative artistique wieder. Die beiden wurden bis Mitte des Jahres ein Paar.

Ebenfalls im Januar 1920 lernte Magritte auf seiner Gruppenausstellung E.L.T. Mesens (1903–1971) kennen. Daraufhin überredete er seinen Vater, ihn als Klavierlehrer für seinen Bruder Paul zu engagieren. Der spätere Kunsthändler und Künstler Mesens wandte sich Ende 1921 dem Dadaismus zu und übersiedelte nach Paris. Dort machte ihn Eric Satie mit der Avantgarde bekannt. Mesens führte Magritte in die dadaistische Bewegung ein und engagierte ihn 1925 als Mitarbeiter der Zeitschrift „Œsophage“ und ein Jahr darauf für die kritische surrealistische Kunstzeitschrift „Marie“.

Als René Magritte im Oktober 1920 den Kongress der modernen Kunst besuchte, organisiert von Jozef Peeters und Huib Hoste in Antwerpen, entdeckte er im Königlichen Museum ein Triptychon des veristischen Malers Eugène Laermans von 1896. Das Werk begeisterte ihn so sehr, dass er dem Modernismus zumindest theoretisch abschwor. Ende des Jahres war Magritte erstmals in Genf auf einer internationalen Ausstellung vertreten und zeigte „Frauen und Blumen“.

Militärdienst

Vom 1. Dezember 1920 bis 30. September 1921 und erneut vom 1. Zum 28. März 1922 absolvierte René Magritte den Militärdienst. Er diente bei der Miliz im 8. Linienregiment. Während seiner zehnmonatigen Hauptdienstzeit war er zuerst in Brüssel, dann in Antwerpen, während des Sommers im Camp de Beverloo in Leopoldsberg und danach sechs Wochen in Mönchengladbach (D) stationiert. Im Frühjahr 1922 kehrte er wieder nach Deutschland zurück und lebte in Geilenkirchen in der Nähe von Aachen. Während seiner Dienstzeit in Brüssel war es ihm erlaubt, Vorlesungen an der Akademie zu hören. Zudem porträtierte er offiziell beide seine Offiziere. Bei seiner zweiten Einberufung durfte er Karten zeichnen und war vom Arbeits- und Wachdienst befreit. Neben den Bildnissen entstanden noch weitere Porträts von Familienmitgliedern und das postkubistische Werk „Mädchen am Klavier“, das an Albert Gleizes „Frau am Klavier“ von 1914 erinnert.

Tapetenmuster und Werbegrafik

Ab Anfang 1922 verdiente der nunmehr verlobte René Magritte seinen Lebensunterhalt als Musterzeichner in einer Tapetenfabrik in Haren, die von Peters Lacroix als eine der führenden Firmen Belgiens bezeichnet wurde. Vermutlich war Magritte zwei Jahre in der Fabrik angestellt. René Magritte und Georgette Berger heirateten in der Marienkirche von Schaerbeek (28.6.). Schon früh kam es zur ersten Fehlgeburt. Magritte konnte die Bedrohung für die Gesundheit Georgettes nicht ertragen, woraufhin das Paar sich entschloss, auf Kinder zu verzichten. In der Literatur findet man immer wieder den Hinweis, dass Georgette selbst die Rolle des Kindes und der fürsorglichen Mutter einnahm. In dieser Zeit malte er einige Akte, die von Fernand Léger beeinflusst sind. Die komplexen Kompositionen sind von starken, fließenden Rhythmen geprägt.

Magritte wollte 1923 gemeinsam mit Victor Servranckx die Publikation „L’Art pur: Défense de l‘estétique“ beim Verlag Editions Ça ira in Antwerpen. Er nahm an der internationalen Ausstellung des Verlags teil, unter den ausgestellten Künstlern waren auch Alexander Rodtschenko, El Lissitzky, Lyonel FeiningerLászló Moholy-Nagy und anderen. Ebenfalls im Januar 1923 stellte Magritte in der Galerie Georges Giroux in Brüssel aus (mit Flouquet, Servranckx, Peeters, Paul Delvaux). In diesem Jahr malte Magritte seine abstraktesten Bilder. Der Maler begann als Plakat- und Werbezeichner zu arbeiten und verkaufte sein erstes Bild, mit einem Portrait der Sängerin Evelyne Brélia.

Hinwendung zum Surrealismus

Im Sommer oder Herbst 1923 wandte sich René Magritte dem Surrealismus zu. Obschon das Datum nicht genau überliefert ist, bedeutete die Entdeckung Giorgio de Chiricos für René Magritte eine Offenbarung. Er sah die Halbton-Reproduktion von „Liebeslied“ (1914). Der Einfluss des griechisch-italienischen Malers ist im Werk von Magritte allerdings erst 1925 zu beobachten. Neben de Chirico waren George Grosz und Carlo Carrà wichtige Impulsgeber für den belgischen Maler.

Anfang 1924 quittierte René Magritte seinen Job als Tapetenentwerfer und wurde Werbegrafiker. Bis 1929 lieferte er Werbegrafiken fast ausschließlich für die Haute Couture sowie Titelentwürfe für Notenblätter (Schlager). In den Jahren 1924/25 verdiente Magritte allerdings kaum Geld. Er malte nur an die 15 Bilder.

Im Frühjahr 1925 malte René Magritte mit „Der weiße Mann“, ein Porträt Marcel Lecomtes, das erste Bild, in dem er die Stilisierung und die Vereinfachung seiner frühen Werke zunehmend aufgab. In Themenwahl und formaler Lösung orientierte er sich dabei an André Derains „Le chevalier X“ (1914., erster Zustand). In „Das Fenster“ (Frühjahr/Sommer 1925) lässt sich auch seine Auseinandersetzung mit Max Ernst nachvollziehen.

Die erste Gruppenausstellung „La Peinture surréaliste [Surrealistische Malerei]“ in der Galerie Pierre in Paris fand im November 1925 statt. Magritte begann seine ersten surrealistischen Bilder zu malen. Er beschloss, „die Gegenstände nur noch mit ihren augenfälligen Details zu malen“. Ebenfalls im November unternahm er seinen einzigen Ausflug in die Theaterwelt: Er schuf die Szenenbilder für zwei Einakter: „Glaube“ von Herwarth Walden und „Rien qu’un homme“ von Paul Deauville.

Mehrdeutigkeit in der Beziehung zwischen Bild & Wirklichkeit

Ab 1926 schuf René Magritte jene Bilder und Serien, mit denen er sich langsam unter den Surrealisten einen Ruf „ermalte“ und die heute zu den berühmtesten Werken seines Œuvres gehören. Magrittes Bilder spielen zunehmend mit der Idee des Bildes im Bild, wie „Die Zeichen des Abends“, „Die Botschaft an die Erde“ und „Der Meister der Vergnügungen“.

Magritte unterschrieb einen Exklusivvertrag bei Paul-Gustave Van Hecke (1887–1967), einem belgischen Journalisten, Autor Kunstsammler und Ehemann von Honorine Deschryver, Besitzerin des Modehauses Norine. Zwischen Januar 1926 und September 1927 malte Magritte fast 100 Gemälde. Im Juni und Juli 1926 engagierte er sich für die fast dadaistische Zeitschrift „Marie“ von Mesens. Im Oktober 1926 eröffnete Walter Schwarzenberg die Galerie „Le Centaure“ in Brüssel, er kaufte die Hälfte von Van Heckes Vertrag mit René Magritte auf. Schwarzenberg gab auch die monatliche erscheinende Zeitschrift „Le Centaure“ heraus. Mit Walter Schwarzenbergs Unterstützung begann Magritte eine der produktivsten Phasen seiner Karriere. Zusammen mit Camille Goemans (1900–1960), E. L. T. Mesens (1903–1972), Paul Nougé (1895–1967) und André Souris gab Magritte drei öffentliche Traktate heraus. Jean Milo (1893–1983) wurde Zweitdirektor von „Le Centaure“.

Im April 1927 fand in der Galerie „Le Centaure“ in Brüssel Magrittes erste Einzelausstellung statt (23.4.–3.5.1927). Es wurden 49 Gemälde gezeigt, darunter auch „Le Joueur secret“ und „der verlorene Jockey“ von 1927, und elf „papiers collés“ (von fast 30) – aber auch Max Ernst und Giorgio de Chirico. René Gaffé, einer der bedeutendsten Sammler des Surrealismus in Belgien, erwarb Magrittes „Le Mariage de minuit [Die Mitternachtsheirat]“ von 1926. Van Hecke eröffnete im Herbst in Brüssel die ambitionierte Galerie „L'Epoque“, womit er die Möglichkeit hatte, seinen Teil von Magrittes Vertrag zu nutzen. In den 18 Monaten ihrer Existenz wurde sie DIE Galerie von Magritte.

Magritte in Paris

Zwischen 1927 und 1930 lebte Magritte in Paris, war mit André Breton, Paul Éluard, Hans ArpJoan Miró und Salvador Dalí befreundet. Der Belgier konnte in der Metropole der Kunst zwar seine Bildproduktion steigern aber dennoch nicht von Verkäufen leben. So musste der Künstler für das von ihm angestrebte bürgerliche Leben mit seiner Frau Georgette in Brüssel zusätzlich als Plakatentwerfer arbeiten bzw. malte widerwillig Auftragsporträts. Wenn auch die Plakate wenig Innovatives zeigen, so könnten sie doch eine Anregung zu Magrittes berühmter Serie „Der Verrat der Bilder“ gewesen sein. Darin verdeutlichte Magritte seine Bild- und Wortskepsis, da das Bild einer Pfeife eben keine echte Pfeife sei, sondern nur die Form einer Pfeife vorstelle. Indem Magritte unter das Bild einer Pfeife schrieb, dass es sich hierbei um keine Pfeife handle, zwingt er den Betrachter, sich mit dem Status der Abbildung auseinanderzusetzen.

„Bisher hatte ich zusammengesetzte Gegenstände verwendet, oder manchmal genügte auch die Situation eines Gegenstandes, ihn mysteriös zu machen. Im Verlauf der Recherchen aber […] fand ich eine neue Möglichkeit der Dinge: dass sie allmählich etwas Anderes werden können, ein Gegenstand verschmilzt mit einem anderen […]. Auf diesem Wege gelange ich jetzt zu Bildern, bei denen der Blick auf ganz andere Art als bisher „denken“ muss […]. Da meine Absicht feststand, die vertrautesten Gegenstände wenn möglich aufheulen zu lassen, mußte die Ordnung, in die man die Gegenstände im Allgemeinen bringt, natürlich umgestürzt werden.“1 (René Magritte, 1927)

Ähnlich verfährt er auch in jenen Bildern, in denen ein Landschaftsbild auf der Staffelei genau den Bereich im Bild verdeckt, der diese Landschaft zeigt – also das Bild im Bild das Bild vervollständigt und dennoch als künstliches Konstrukt und Ausschnitt der Wirklichkeit innerhalb einer scheinbaren Natürlichkeit letztere in Frage stellt. In diesem Zusammenhang ist auch der Spiegel mit seinen nicht greifbaren, sich ständig verändernden Abbildern der Wirklichkeit für den belgischen Surrealisten von großem Interesse. Ausgehend von einer komplexen Reflexion der Beziehungen zwischen den Objekten, ihren Bezeichnungen und den Abbildungen stellte er gängige Vorstellungen von der Welt und ihre Funktionsweisen immer wieder auf die Probe (→ Surreale Begegnungen: Dalí, Ernst, Miró, Magritte…).

„Alles deutet darauf hin, dass es wenig Beziehung gibt zwischen einem Gegenstand und dem, was ihn darstellt.“ (René Magritte)

Wort-Bilder und Bild-Texte

„Die […] von 1925 bis 1936 gemalten Bilder waren ebenfalls das Ergebnis der systematischen Suche nach einem überwältigenden poetischen Effekt, der, erzielt durch die Inszenierung von Gegenständen, die der Realität entlehnt waren, durch ganz natürlichen Austausch auch der realen Welt, der diese Gegenstände entlehnt waren, einen ungewohnten poetischen Sinn geben sollte.“2 (René Magritte, „Die Lebenslinie I“, Vortrag am Königlichen Museum der Schönen Künste  in Antwerpen, 20.11.1938)

Magritte und der Surrealismus

Als sich René Magritte 1927 den Pariser Surrealisten annähern wollte, war sich die Gruppe über die Existenz von surrealistischer Malerei noch immer nicht einig, die Möglichkeit surrealistischer Plastik wurde einhellig für unmöglich erachtet. Im gleichen Jahr, so hebt Didier Ottinger hervor, erarbeitete Magritte seine ersten Wort-Bilder3. Es wird angenommen, dass die spezifisch belgische Ausprägung des Surrealismus4 dafür mitverantwortlich war. Dass die Literaten unter den Surrealisten der Wortkunst den Vorzug gaben, könnte für die schleppende Aufnahme des Belgiers in den Reihen der Pariser verantwortlich gewesen sein. Erst 1929 hatte er sich als „würdig“ erwiesen und durfte „Les mots et les images“ in „La Révolution surréaliste“ (Nr. 12, 15.12.1929, S. 32f) veröffentlichen. Das berühmte Gemälde „La Trahison des images [Der Verrat der Bilder]“5 (1929) malte Magritte wohl als Reaktion auf einen Kommentar von André Breton und Paul Éluard in „La Révolution surréaliste“: „Die Poesie ist eine Pfeife.“6 Magritte setzt dem Satz „Ceci n’est pas une pipe [Dies ist keine Pfeife]“ entgegen. Der Text unter der Pfeife informiert, dass „das“, vulgo die Malerei, das Bild, das Gemalte, keine Pfeife „sei“. Mit seinem Streben nach Gleichwertigkeit zwischen Bild und Wort als Ausdrucksmittel des Denkens und des Wissens führte Magritte den Dadaismus und dessen Wortzertrümmerung auf eine neue visuelle Ebene (→ René Magritte. Werke).

„Der geheime Spieler“ aus dem Jahr 1927 ist ein 152 x 192 cm großes Gemälde, das zwei männliche Pelotaspieler vor einer Allee aus gedrechselten Baum-Balustern zeigt – Magritte identifizierte sie spöttisch als „Tischbeine“. Über ihren Köpfen schwebt die Darstellung einer Lederschildkröte und rechts im Hintergrund erscheint in einem Fenster eine geheimnisvolle Frau mit Bartschutz vor dem Mund. Die einzelnen Bildbestandteile lassen sich aufgrund ihrer realistischen Widergabe relativ leicht benennen, während sich ihre Zusammenstellung jedweder Logik entzieht. Die für den Surrealismus so essentielle Strategie des Schocks durch „ungehörige“ Verbindungen steigert Magritte durch die verzerrten Größenverhältnisse, die im deutlichen Widerspruch zum präzise konstruierten Schachtelraum stehen.

Nach den Prinzipien der Collage und angeregt von Giorgio de Chirico evozierte René Magritte ab Mitte der 1920er Jahre Situationen bedrängter Spannung und merkwürdigen Unbehagens. Zunächst kombinierte er in ungewöhnlicher Weise an sich unauffällige Einzelelemente wie auf Bildbühnen:

„Da meine Absicht feststand, die vertrautesten Gegenstände wenn möglich aufheulen zu lassen, mußte die Ordnung, in die man die Gegenstände im Allgemeinen bringt, natürlich umgestürzt werden.“7 (René Magritte, 1938)

Dabei bediente sich René Magritte einer akademischen, Wirklichkeit vortäuschenden Malweise in anonym wirkender Faktur. Diese half, auch die metamorphotischen Verwandlungen, beispielsweise von einem Körper in einen Gegenstand, oder die Ersetzungen, so von einem Objekt durch ein Muster oder eine Landschaft, von einer Vorder- durch eine Rückseite oder von einem Innen- durch einen Außenraum besonders irritierend erscheinen zu lassen. Der malende Denker hinterfragte dabei spielerisch das Verhältnis von Realität, Illusion und bilderischer oder gar sprachlicher Repräsentation. Der Freiheit der Künstler im Schaffensprozess steht die Freiheit der Fantasie der Betrachter gleichberechtigt gegenüber. Sie sollte auch durch die Bildtitel nicht in enge Bahnen gelenkt werden. Magritte meinte, dass „der poetische Titel uns nichts lehren (könne), stattdessen soll er uns überraschen und bezaubern.“

Geformte Bilder

Wie weit ein Teil des „corps humain“ tatsächlich mit allen Mitteln der Kunst vergegen wärtigt werden könne, untersuchte der ehemalige Werbegrafiker 1937 auch in Gemälden wie „La représentation“. Den ursprünglich auf eine quadratische Leinwand gemalten weiblichen Schoß schnitt er im Mai 1937 an den Konturen aus und rahmte ihn entsprechend. Anregend für das in seinem Werk einzigartige Experiment mögen Salvador Dalís Leinwandobjekte gewirkt haben. Diese könnte Magritte bei Edward James in London gesehen haben, als er ab Februar 1937 auf Einladung des später porträtierten Mäzens ein Triptychon für dessen Ballsaal malte. Mit seinem Verismus des Unwahrscheinlichen3 zielte Magritte auf eine subversive Wirkung zur kritischen Schärfung des Blicks und Denkens, um „die Realität mit ihrem Mysterium“ neu zu erfassen und mit „absurden Denkgewohnheiten [zu brechen], die im Allgemeinen ein echtes Existenzgefühl ersetzten.“8 (Edward James).

La Condition Humaine (1935)

„Meine Untersuchungen [glichen] dem Aufspüren der Lösung von Problemen, für die ich drei bekannte Größen hatte: den Gegenstand, das ihm im Dunkel meines Bewusstseins anhaftende Ding und das Licht, in das dieses Ding gelangen sollte“9 (René Magritte)

„La Condition Humaine [So lebt der Mensch]“ verbindet alle Elemente des Höhlengleichnisses: das Dunkel der Höhle mit dem Feuer darin (kein Schatten), der Blick auf das Äußere wird durch eine Leinwand auf einer Staffelei verstellt. Darauf ist ein Tal abgebildet, an einem steilen Abhang ein unzugängliches Schloss. Nahezu nahtlos geht das Landschaftsgemälde in die (natürlich ebenfalls gemalte) Landschaft über. Vor allem der Bilderhalter und die drei Holzbeine Feldstaffelei, aber auch die genietete Seite der Leinwand durchbrechen die Illusion eines durchlichteten Tals. Das Gemälde steht anstelle des Menschen. Das Platon’sche Höhlengleichnis mit seiner Frage nach Vorstellung und Realität steht im Werk von René Magritte im Zentrum.

Durch die Verbindung von dialektischen Paaren wie Innen und Außen, Gesehenes und Verborgenes, Natur und Kultur, Gemälde und Landschaft handelt Magritte in mehreren Bildern die „Fenster“-Idee ab. Reale Objekte (und deren Abbildung) in Verbindung mit fiktiven Dingen wurden zum Markenzeichen des belgischen Malers. Er nutzt Bilder als Instrumente der poetischen Erkenntnis, die er selbst als „Probleme“ bezeichnete, sei es das „Problem Schuh“ in „Le Modèle rouge [Das rote Modell]“ oder das „Problem Realität“ in „Invention collective [Die kollektive Erfindung]“. Als Gedankenarbeiter, der sich zwar mit Gemälden ausdrückt, stellt Magritte für Didier Ottinger den Nachfolger von Marcel Duchamp dar.10 Die Lust am Denken zeigt sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der Auseinandersetzung des Malers mit Philosophen und deren Gedankengebäuden. Ab 1952 setzte er sich brieflich mit Theoremen des Rechtsphilosophen Chaïm Perelman, des belgischen Phänomenologen und Heidegger-Spezialisten Alphonse De Waelhens und des Poststrukturalisten Michel Foucault.

Von der „Renoir-Periode“ und der „Kuh-Periode“ zurück zum „klassischen“ Magritte

Renoir-Periode

Magritte: Renoir-Periode

„Ich bitte Sie nicht […] alte Bilder zu kopieren, sondern darum, diese poetische und geheimnisvolle Eigenschaft ihrer früheren Bilder nicht zu unterbrechen, die in ihrer dichten Technik weit mehr Magritte entsprachen als diejenigen Bilder, in denen Renoirsche Technik und Farbe aller Welt altmodisch erscheinen.“ (Iolas über die Renoir-Periode, November 1947)

Da Magritte für die „Lesbarkeit“ seine Gedanken-Bilder realistische Wiedergabe von Objekten wählen musste, ändert sich sein malerischer Stil eigentlich nur während der deutschen Besatzung 1943 bis 1947: Es war der Ansicht, dass er in dieser Zeit, Kunstwerke voller Freude und Anmut schaffen zu müssen. Diese sog. „Renoir-Periode“ mutet wie ein Fluchtversuch in die sorglose, großbürgerliche Bildwelt von Pierre-Auguste Renoir an, zeigen allerdinge einen teils erotisch-pornografischen Inhalt. Pastellige Farbtöne herrschen vor und werden in impressionistischer Manier aufgetragen. Die Surrealisten reagierten unverhohlen kritisch auf Magrittes neue Bildsprache; Éluard und Breton lehnten sie offen ab.

Kuh-Periode

Magritte: Kuh-Periode

René Magritte reagierte 1948 auf die Zurückweisung seiner jüngsten Werke durch die ehemaligen Freunde der surrealistischen Bewegung mit einer Serie von „wilden“ Bildern, die in der Kunstgeschichte als „période vache“, als „Kuh-Periode“, eingegangen sind. Manchmal findet man auch die Bezeichnung „Fauve-Periode“, was auf die großen, leuchtenden Farbflächen und die geschlossenen Umrisslinien hindeutet.

Vorausgegangen war diesen Werken der Disput des Malers mit Éluard und Breton. Die dogmatischen Surrealisten akzeptierten Magrittes „Renoir-Periode“ nicht als Erneuerung des Surrealismus und hängten Magrittes Werke 1947 in einer Surrealismus-Ausstellung in Paris in ein retrospektives Kapitel. Daraufhin schuf René Magritte im Frühjahr 1948 expressive, farbig wie motivisch übersteigerte Gemälde, die er in Paris ausstellte. Die innerhalb von vier bis sechs Wochen erarbeiteten Bilder sprühen vor Komik, Ironie, karikaturhaften Figuren und offener Sexualität.

Der Befreiungsschlag führte René Magritte im Alter von etwa 55 Jahren wieder zurück zu seiner feinen, naturalistischen Malerei der 1920er und 1930er Jahre.

Das Reich der Lichter

Im Jahr 1947 löste vielleicht eine der berühmtesten Serien in Magrittes Werk diese so befremdlich pastelligen und duftigen Werke ab, es entstanden bis in die späten 1960er Jahre 17 Ölgemälde und 10 Gouachen mit dem Titel „Das Reich der Lichter“. Hierbei handelt es sich um die Zusammenführung einer nächtlichen Häuserfront mit brennender Laterne und einem taghellen Wolkenhimmel. Die Bilder haben etwas Lyrisches, Nostalgisches und vor allem Ruhiges und schließen in ihrem Bildwitz erneut an die Arbeit Magrittes vor dem Krieg an. In einem Vortrag in London erklärte Magritte seine surreale Technik, indem er eine Zeile aus André Bretons Gedicht „L`Aigrette“ zitierte. Die Zeile „Wenn nur die Sonne heute Nacht schiene“ setzte er Jahre später eins zu eins ins Bild um und erstaunt damit noch heute.

„Jedes Ding, das wir sehen, verdeckt ein anderes, und wir würden sehr gerne sehen, was uns das Sichtbare versteckt.“ (René Magritte)

Magrittes berühmte späte Werke

Die späten Gemälde Magrittes reflektieren oftmals berühmte Werke der Kunstgeschichte, versteinern die Darstellung oder setzen gigantische Äpfel in kleine Räume, um die Monstrosität des Alltäglichen deutlich zu machen. Zeit seines Lebens war die Anonymität der Menschen, vor allem der Anzug und Melone tragenden Männer, Thema seiner Kunst. Da er sich selbst so kleidete, gelten einige der Bowler-Hat-Porträts als „anonyme Selbstporträts“.

„Die Malkunst – die wahrhaft Kunst der Ähnlichkeit genannt zu werden verdient – erlaubt es, im Malen ein Denken zu beschreiben, das sichtbar werden kann. Dieses Denken umfasst ausschließlich die Figuren, die die Welt uns bietet: Personen, Vorhänge, Waffen, feste Körper, Inschriften, Sterne usw. Die Ähnlichkeit vereinigt diese Figuren spontan in einer Ordnung, die unmittelbar das Geheimnis evoziert.“ (René Magritte)

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René Magritte gehört heute zu den berühmtesten Künstlern des Surrealismus. Doch die so genannt „Renoir Periode” zählt zu den unbekannten Seiten des belgischen Malers. Zwischen 1943 und 1947 arbeitete der sonst so fast altmeisterlicher Technik malende Künstler im Stilidiom des Impressionismus unter Einbezug einer Farbharmonie, für die Pierre-Auguste Renoir berühmt geworden ist.
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Lebenslauf des belgischen Surrealisten René Magritte (1898-1967): Kindheit, Selbstmord der Mutter, Ausbildung, frühe Werke, Hinwendung zum Surrealismus, Brüssel - belgischer Surrealismus, Renoir-Periode und Vache-Periode, reife Werke und Ausstellungserfolge
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René Magritte, La Condition Humaine [So lebt der Mensch], 1935, Öl auf Leinwand, 54 x 73 cm (Norfolk Museums Service (accepted by HM Government in lieu of tax and allocated to Norwich Castle Museum & Art Gallery) © VG Bild-Kunst, Bonn 2017)

Magritte. Der Verrat der Bilder La Condition Humaine und die Philosophie des Surrealisten

René Magritte (1898–1967) und seinen konzeptuellen Text-Bildern widmen die Schirn und das Centre Pompidou eine Überblicksausstellung mit Fokus auf Magrittes „Problemlösungen“. Der Belgier setzt dem französischen Surrealismus eine denkende Malerei entgegen. Nicht Automatismus und Umdeutung, sondern die kühle Präzision seiner nach Präsenz heischenden Malerei, deren erklärtes Ziel „Stillosigkeit“ und Ausdruck des Denkens sind. Für sich selbst lehnte Magritte die Berufsbezeichnung Künstler ab, er arbeitete auch nie in einem Atelier, sondern bei sich zu Hause. Anstatt mit Worten stellte er seine Überlegungen zum Verhältnis von Bild und Sprache in Gemälden dar. Magrittes verfremdete Gegenstände verbinden das Vertraute mit dem Fremdartigen, die Poesie der Titel enthebt sie zusätzlich jegliches Anspruchs auf Ähnlichkeit.
11. Oktober 2016
Dalí, Ernst, Miró, Magritte… Surreale Begegnungen aus den Sammlungen Edward James, Roland Penrose, Gabrielle Keiller, Ulla und Heiner Pietzsch (HIRMER Verlag)

Surreale Begegnungen: Dalí, Ernst, Miró, Magritte… Surrealismus-Sammlungen von James, Penrose, Keiller und Pietzsch in Hamburg

Wurden die Surrealistinnen und Surrealisten bislang hauptsächlich als radikale Erneuerer der Kunst und der Surrealismus als höchst subjektive und individualistische Kunstrichtung präsentiert, so öffnet sich der spannende Blick in Hamburg auf die Zusammenarbeit zwischen den Künstlern und ihren beiden zeitgenössischen Sammlern Edward James und Roland Penrose. Ergänzt werden die beiden zeitgenössischen Kollekionen durch die seit den 1960er Jahren zusammengetragenen Sammlungen von Gabrielle Keiller und dem Ehepaar Pietzsch.
8. November 2011
René Magritte, Die große Familie, 1963, Öl auf Leinwand, Japan, Utsunomiya Museum of Art © Charly HERSCOVICI Brüssel - 2011.

René Magritte. Werke Das Lustprinzip

Die Ausstellung der Albertina spart das Frühwerk des belgischen Künstlers René Magritte völlig aus. Bereits im ersten Raum trifft man auf das monumentale Format „Der geheime Spieler“ aus dem Jahr 1927. Das 152x192 cm große Gemälde zeigt zwei männliche Pelotaspieler vor einer Allee aus gedrechselten Baum-Balustern – Magritte identifizierte sie spöttisch als „Tischbeine“. Über ihren Köpfen schwebt die Darstellung einer Lederschildkröte und rechts im Hintergrund erscheint in einem Fenster eine geheimnisvolle Frau mit Bartschutz vor dem Mund. Die einzelnen Bildbestandteile lassen sich aufgrund ihrer realistischen Widergabe relativ leicht benennen, während sich ihre Zusammenstellung jedweder Logik entzieht. Die für den Surrealismus so essentielle Strategie des Schocks durch „ungehörige“ Verbindungen steigert Magritte durch die verzerrten Größenverhältnisse, die im deutlichen Widerspruch zum präzise konstruierten Schachtelraum stehen.
  1. Zit. n. René Magritte, Brief an Paul Nougé, November 1927, in: René Magritte. Sämtliche Schriften, hrsg. von André Blavier, München und Wien 1981, S. 94, Anm. 36 (Hervorh. Magritte).
  2. Zitiert nach Ausst.-Kat., S. 32.
  3. „La Clef des songes [Der Schlüssel der Träume]“, 1927, Öl auf Leinwand, 38 × 55 cm (Staatsgalerie moderner Kunst, München) dürfte das erste dieser Werke gewesen sein.
  4. Im Jahr 1926 gründete Paul Nougé die Gruppe um Louis Scutenaire, Camille Goemans, René Magritte, E. L. T. Mesens und André Souris.
  5. Ursprünglich nannte Magritte das Gemälde „L’Usage de la parole I [Der Gebrauch der Rede I]“.
  6. André Breton und Paul Éluard, „Notes sur la póesie“, in: La Révolution surréaliste, Nr. 12, 15. Zitiert nach Ebenda, S. 19.
  7. René Magritte, Die Lebenslinie (I) (1938), in: René Magritte. Sämtliche Schriften, hrsg. von André Blavier, München und Wien 1981, S. 85.
  8. Edward James, Brief an Ines Amor, 22. Mai 1975, EJA; zit. n. Kusunoki 2010, S. 116–131.
  9. Zitiert nach Didier Ottinger, Ut pictura philosophia, in: Didier Ottinger (Hg.), René Magritte. Der Verrat der Bilder (Ausst.-Kat. Centre Pompidou, Musée national d’art moderne, Paris, 21.9.2016–23.1.2017; Schirn Kunsthalle, Frankfurt a. M. 10.2.–5.6.2017), München 2017, S. 15–23, hier S. 18.
  10. Ottinger führt Duchamps Werk „La Mariée mise à nu par ses célibataires, même (Grand verre)“ (1915–1923) an, das mit der Sammlung an Texten und Notizen in der „Boîte verte [Grünen Schachtel]“ (1934) gedanklich erweitert wird. Ebenda, S. 18.