Sándor Bortnyik

Wer war Sándor Bortnyik?

Sándor Bortnyik, auch Alexander Bornyik (Marosvásárhely 3.7.1893–31.12.1976 Budapest) war ein ungarischer Maler und Grafiker der Klassischen Moderne (→ Klassische Moderne). Er gilt als einer der wichtigsten Künstler der Kunstzeitschrift „MA [Heute]“ und Pionier des Konstruktivismus.

Kindheit und Ausbildung

Sándor Bortnyik wurde am 3. Juli 1893 in Marosvásárhely, Österreich-Ungarn (heute: Ungarn), geboren.

Bortnyik studierte 1910 an der freien Kunstschule in Budapest bei Károly Kernstok, József Rippl-Rónai und János Vaszary. Vor allem der deutsche Expressionismus, der französischen Kubismus und der italienische Futurismus beeinflussten ihn.

Werke

Bortnyiks Kontakte zur Zeitschrift „A Tett [Die Tat]“ führen zur Bekanntschaft mit Lajos Kassák, Janos Mattis-Teutsch, Gyula Derkovits und Béla Uitz.

„MA“ & Bildarchitektur

Durch sie fand er 1917 zur Gruppe „MA [Heute]“ und wurde einer der wichtigsten Vertreter. Das Blatt orientierte sich in mehrfacher Hinsicht am „Sturm“ Herwarth Waldens in Berlin und stellte diesem zugleich eine Werbefläche zur Verfügung. Lajos Kassák bezog von Anfang an das Verlegen von Büchern und die Organisation von Ausstellungen ein, es wurden Vorträge gehalten und eine Bühne gegründet. Die Zeitschrift brachte Reproduktionen unter anderem von Werken József Nemes Lampérths, Béla Uitz‘, Sándor Bortnyiks und János Mattis-Teutschs; in der 1917 eröffneten Galerie von „MA“ stellten neben ihnen Lajos Tihanyi und Vera Biller aus.

Mit dem Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und der Einsetzung einer bürgerlich-sozialdemokratischen Regierung wurde Ungarn nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zum eigenständigen Staat. Am 21. März 1919 übernahm eine Räteregierung nach russischem Vorbild gewaltlos die Macht und rief die Föderative Ungarische Sozialistische Räterepublik aus. Diese hatte 133 Tage Bestand; zahlreiche Künstler:innen brachten sich aktiv ein. Sándor Bortnyiks kubofuturistische „Rote Lokomotive“ steht motivisch stellvertretend für die Hoffnung der linken Künstlerschaft auf eine geläuterte pazifistische, sozialistische oder kommunistische Gesellschaft, die eben „unter vollem Dampf“ und auf „sicherem Gleis“ unaufhaltsam in das Morgen einer besseren Welt unterwegs ist.1 In der Folge sollte vor allem das künstlerisch gestaltete Plakat zu einem wichtigen Beitrag werden.

Nach dem Sturz der Räterepublik im August 1919 durch ein nationalkonservatives autoritäres Regime begann die politische Verfolgung linksgerichteter und jüdischer Intellektueller und Künstler:innen. Sándor Bortnyik floh mit seinen Kolleg:innen nach Wien.

Die Zeitschrift „MA“ war nun vor allem von Sándor Bortnyiks Kompositionen bestimmt, die aus dynamischen Kraftlinien aufgebaut waren und zur Abstraktion neigten. Der „MA“-Mitarbeiter entwarf die meisten Buchumschläge, und 1921 gab die Wiener „MA“ eine farbige Mappe mit sechs handkolorierten Blättern von ihm heraus: abstrakt-geometrische Schablonendrucke, die Kassák in der Einleitung als „Bildarchitekturen“ bezeichnete.2

Die Mappe „Bildarchitektur“ versammelt eine Serie von sechs konstruktivistischen Schablonendrucken. Diese Reihe führt von den Buchstaben- und Zahlenbruchstücken über zum Programm eines fiktiven Wirklichkeitsaufbaus. Die Komposition besteht aus reinen Farben und miteinander verkoppelten geometrischen Formen. Sie wirken wie sterile Vorstellungen der neuen Harmonie auf Papier.

In den Schablonendrucken baute Bortnyik eine vielgestaltige und – grundverschieden zur ausgeklügelten Harmonie von Moholy-Nagys Komposition – scheinbar momentane und variable, vor allem aber völlig autonome Bildwelt. Sie sollte wie die Architektur eine echte, menschengemachte Konstruktion ohne jedes natürliche Vorbild entstehen. Die Blätter zeigen das konstruktive Moment an sich. Kassáks meinte, indem Bortnyik seinen Stoff stets selbst und immer neu produziere, also „aus dem Nichts etwas hervorgehen lässt“, seien seine Schöpfungen „im Bild erscheinendes Leben selbst“3. Anhand dieser Inkunabel der frühen konstruktivistischen Grafik erarbeitet Lajos Kassák im März 1922 in „MA“ ein eigenes Programm des Konstruktivismus.4

Weimar

Im Jahr 1922 kam es mit Lajos Kassák, dem Chefredakteur der Zeitschrift „MA“, zum Bruch. Bortnyik publizierte in der Folge in anderen ungarischen Emigrantenzeitschriften und wurde Herausgeber der Zeitschrift „Kritika [Kritik]“. Seine Arbeiten zeigen zu dieser Zeit einen figurativen Expressionismus mit rayonistischen sowie kubofuturistischen Elementen. Sándor Bortnyik wohnte 1922 für kurze Zeit bei László Moholy-Nagy in Berlin und ging von dort weiter nach Weimar. Er stellte noch im Dezember des Jahres in der „Sturm“-Galerie aus und war dort auch später mit einzelnen Werken vertreten. Laut Katalog zeigte Bortnyik Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen, insgesamt 21 Werke, neben den früheren kubofuturistischen auch figurale und geometrische Kompositionen.5 Im März 1924 präsentierte sich Bortnyik mit neuen Arbeiten in gänzlich anderem Stil im Graphischen Kabinett I. B. Neumann: Die ausgestellten Werke führten „das Bild des Neuen Menschen als avantgardistischen Fetisch vor, und auch wenn er seine geometrisierende Formensprache auf ausgesprochen klassische Sujets applizierte, erschien dies als Ironie“6.

Auf Einladung von Farkas Molnár reiste Bortnyik nach Weimar und nahm dort am Kongress der Dadaisten und Konstruktivisten teil. In Weimar blieb er einige Jahre, um die Arbeiten am Bauhaus zu beobachten. Er besuchte den „De Stijl“-Kurs von Theo van Doesburg und interessierte sich für die Theaterwerkstatt von Oskar Schlemmer. In Weimar malte Bortnyik abstrakte Raumkompositionen, mit surrealen Figuren, die an die spätere metaphysische Malerei von Giorgio de Chirico erinnern (der neue Adam, die neue Eva 1923). Die geometrischen Kompositionen zeigen seine eher distanzierte ironische Haltung gegenüber dem Bauhaus.

Budapest

Ab Mitte der 1920er Jahre konsolidierte sich das Horthy-Regime zunehmend, und es wurden mehrere Amnestieverordnungen erlassen, die einige der emigrierten Künstler:innen zur Rückkehr in ihr Heimatland bewogen. Bortnyik kehrte 1926 nach Budapest zurück und arbeitete am Avantgardetheater „Zöld Szamár [Grüner Esel]“ mit. 1929 erschien das bis heute viel beachtete Bilderbuch „Die Wunderfahrt“ mit Versen von Albert Sixtus im Alfred Hahn’s Verlag Leipzig.

Plakate

Nach seiner Rückkehr nach Ungarn wurde Bortnyik bald zur führenden Persönlichkeit der ungarischen Werbegrafik. In seinen Plakaten kam die abstrakt konstruktivistische Bildgestaltung und das Formenrepertoire der „Neuen Typografie“ verbunden mit einer unorthodoxen Farbpalette zum Tragen. Bortnyiks Plakatstil bleibt flächig und oft schattenlos.

Bis 1930 dominieren mehrere Bildprinzipien. Einerseits sieht man bei streng diagonalem Bildaufbau, die Doppelung oder mehrfache Wiederholung von Figuren. Die Reihung als Gestaltungsmittel, ein immanentes Prinzip der industriellen Massenproduktion, wurde von den Konstruktivisten im Allgemeinen sehr geschätzt, ebenso war es in der Gebrauchsgrafik verbreitet. Ein weiteres Bildverfahren in Bortnyiks Plakaten, das allgemein um 1925 üblich wurde, stellte die Kombination von detailgetreuer Wiedergabe der Warenpackung und schematisierter stilisierter Figur dar, die wie aus dem glatten einfarbigen Grund ausgeschnitten erscheint.

Das Wesentliche an Bortnyiks Plakaten ist immer die Ware, alles andere ist diesem Prinzip untergeordnet. Insbesondere die Plakatentwürfe für „Modiano“ von 1926 zeigen sehr gut Bortnyiks ausgesprochen feines Farb- und Formempfinden. Sie sind Musterbeispiele konstruktivistischer Reklamekunst. In ihnen kumulieren alle Maximen: Sachlichkeit, Dynamik, sparsame Anwendung der Mittel, Bildhaftigkeit. Mit der Zeit lässt sich eine zunehmende Ästhetisierung der Ware auf den Plakaten beobachten. Nicht zuletzt Dank Bortnyiks Wirken gilt in diesen Jahren Budapest als bedeutendes Zentrum avantgardistischer Plakatkunst.

Nach dem Zweiten Weltkrieg orientiert sich Bortnyiks Kunst an einem mitunter satirisch anmutenden Sozialistischen Realismus.

Lehre

Im Jahre 1928 gründete Bortnyik nach Vorbild des Weimarer Bauhauses die Schule für Werbegrafik „Mühely [Werkstatt]“, die er bis 1938 leitete; dort studierte u.a. Victor Vasarely. Innerhalb der Privatschule wollte Bortnyik jene Grundsätze in die Tat umsetzen, die er in Weimar kennengelernt hatte: das funktionelle Design, die Vereinigung von Konstruktion und Komposition, sowie die Verwendung moderner Typografie und von Fotokunst.

Von 1948 bis 1949 lehrte Sándor Bortnyik an der Hochschule für Angewandte Kunst und anschließend war er bis 1959 Direktor der Hochschule für Bildende Kunst in Budapest.

Tod

Sándor Bortnyik starb am 31. Dezember 1976 in Budapest.

  1. Ungarische Moderne und Berlin (Ausst.-Kat. Berlinische Galerie, Belrin, 2023), S. 11.
  2. Ma 6, Heft 6 (April 1921), S. 84; Lajos Kassák schrieb die Einleitung zur Mappe.
  3. Zitiert nach Gaßner 1986, S. 194–195.
  4. Lajos Kassák, Képarchitektúra [Bildarchitektur], in: Ma 7, Heft 4 (März 1922), S. 52–54.
  5. 114. Ausstellung: Alexander Bortnyik, Paul Fuhrmann, Oscar Nerlinger. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen. Sturm-Gesamtschau, Berlin, Dezember 1922.
  6. S. 164.