Schlaflos. Das Bett in Kunst und Kultur; Ausstellung im 21er Haus
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Schlaflos. Das Bett in der Kunst Ausstellung im 21er Haus, Wien

Maria Lassnig, Krankenhaus, 2005, Öl auf Leinwand, 150 x 200 cm, Privatsammlung, Courtesy Hauser & Wirth.

Maria Lassnig, Krankenhaus, 2005, Öl auf Leinwand, 150 x 200 cm, Privatsammlung, Courtesy Hauser & Wirth.

Mario Codognato, neuer Chefkurator am 21er Haus, wollte schon lange eine Ausstellung zum Thema Bett machen. Im 21er Haus geht es ab heute daher um alles, nur nicht ums Schlafen! Seiner traditionellen Funktion als Ruhestatt entkleidet, entpuppt sich das Möbel als Ort des Lebens, als Bühne für Eros und Thanatos. Anselm Kiefers „Himmelsschlucht“1 (2011/12) zeigt bereits am Eingang den Weg von der Horizontale in die Vertikale. Wenn auch daneben „Wiege Nr. 1“2 aus der Möbelmanufaktur Michael Thonet (→ Perfektes Design – Thonet Nr. 14) die Schau einleitet, kann man doch schnell in den Windungen des Rosé gefärbten Vorhangs verloren gehen. Geburt, Schmerz, Kindheit, Sex (Liebe), Krankheit, Tod und Anthropomorphes sind die großen Themen im Erdgeschoß. Gewalt, Politik, Einsamkeit und Mythos folgen im ersten Stock, ist die Ausstellung doch die erste, die sich über beide Etagen erstreckt.

Bettgeschichten

Für Codognato ist das Bett kein Objekt, sondern ein dialektischer Ort und eine Imitation der menschlichen Gestalt. Eine Analyse der Verwendung von Betten quer durch die Geschichte zeigt, dass es als Schauplatz menschlicher Beziehungen auch Symbol für deren Veränderungen ist. In der Moderne wurde es vom Möbel zu einem Objekt mit metaphorischem oder anthropomorphem Gehalt. Mit diesem Grundgedanken im Kopf erklärt sich, warum der Kurator menschenleere, skulpturale wie malerische Arbeiten ins Zentrum der Schau stellte. Hier dominieren Arbeiten von Hermann Nitsch, Heinz Frank, Manfred Wakolbinger, Sudarshan Shetty, Franz West, Antoni Tapies, Nari Ward, Werner Feiersinger den Eindruck. Vor allem aber „Cama“ (2007), spanisch für Bett, vom kubanischen Künstlerduos Los Carpinteros führt ins Zentrum von Codognatos Konzept. Die verschlungene, blaue Matratze, von oben erinnert sie an ein Autobahnkleeblatt, verlor ihre Funktion und wurde zum Symbol für das ganze Leben.

Bettgeflüster

Dass Betten – oder besser das, was in ihnen stattfindet – die Öffentlichkeit besonders interessieren, ist ein Gemeinplatz. Den voyeuristisch-erotischen Aspekt bedient so manche Hochglanz-Fotografie im zweiten Stock, beispielweise von der sich räkelnden Marylin Monroe (Douglas Kirkland, 1961), der nackten Stephanie Seymour (Sante d’Orazio, 1992), von Madonna (Bettina Rheims, 1991) und einem nicht genannten Modell, das Helmut Newton mit Sattel am Rücken ins Bett stellte. Die Abteilung „Liebe“ geht nicht so diskret mit den Körpern um. Schon Rembrandt van Rijn wusste um die Vorzüge eines französischen Bettes und was eine Missionarsstellung ist. Die beiden japanischen Shunga aus dem MAK sind doch etwas zurückhaltend ausgewählt, auch wenn sie von Suzuki Harunobu, einem Frühmeister des Farbholzschnittes, stammen. Von Diskretion ist bei Thomas Ruffs kopulierenden „Männerakten“ oder Jake & Dinos Chapmans ineinander verschlungenen Sexpuppen nur mehr wenig zu spüren. Dass Zurückhaltung nicht Oliviero Toscanis Sache ist, ist ebenso bekannt, dass er aber Adam und Eva gleich nach Cybereden schickt, ein Zeichen seiner technologiekritischen Haltung. Zumindest sprach sich Ed Ruscha3 1967 gegen den Jugendwahn aus und landete prompt und sicher auch medienwirksam mit zwei älteren Damen im Bett.

Totenbetten

Vom Bettgeflüster ist es nur mehr ein kleiner Schritt zu Geburt, Krankheit und Tod, nennen Jake & Dinos Chapman doch ihre beiden Sexspielzeuge „Death II“. Der kleine Tod, so kann man witzeln, geht dem großen voraus. Damien Hirst ist mit einer poppigen, nach Aufmerksamkeit schreienden Installation eines Bettes samt schwarzer Krähe und blinkendem Totenschädel vertreten, die von Totenbildern bekannter und unbekannter Persönlichkeiten begleitet wird (Proust, Kronprinz Rudolf, Egon Schiele; „Alter Mann auf dem Totenbett“ (1899) von Gustav Klimt). Ob man sich in diesem Arrangement zur letzten Ruhe betten möchte? Zumindest eine „Himmelfahrt“ In der Abteilung Krankheit wirken Walter Pichlers und Elmgreen & Dragsets skulpturale Arbeiten besonders stark. Im Gegenzug erheitert Sarah Lucas' „natürliche Geschlechtsmatratze“ und erschreckt VALIE EXPORTS Zusammenschau von Geburt, Blut und Messritus.

Gewalt, (psychische wie physische) Verletzung, Politik sind die großen Themen im ersten Stock. Im Bett setzt in einem barocken Gemälde Marcus Portius Cato Uticensis durch seinen Selbstmord ein Zeichen für die Republik, während die alttestamentarische Heldin Judith ihre Heimatstadt Bethulia vor dem Feldherrn Holofernes rettete, indem sie ihn im Bett köpfte. Die berühmte Komposition von Artemisia Gentileschi ist gerade in zwei Fassungen in Wien zu bestaunen: Im 21er Haus hängt die aus Bologna und in der Gemäldegalerie der bildenden Künste die frühere aus dem Museo Capodimonte in Neapel. Dazwischen positionierte Codognato Betten der Gewalt, die bar jeder Matratze die metallenen Teile hervorstreichen, Spitzen oder Gurten zum Festzurren zeigen.

Auch das Gefühl der Einsamkeit ist in diesen Reigen der negativen Konnotationen des Bettes eingefügt. Zu den idyllischen Bettszenen zählen die Gemälde von Lucian Freud und Johann Baptist Reiter. Tracey Emin reflektiert in einem quietschbunten, mit Patchwork-Arbeiten übersäten Himmelbett ihre Bettgeschichten. Der heilen Welt stellt sie eine extensive Seelenschau gegenüber, die als Stickerei auf dem Leintuch dann doch nur angedeutet wird und unter der Bettdecke verschwindet. Das Bett als Symbol des Privaten wie des Öffentlichen und der Umgang damit werden in „Schlaflos“ in einer Gewalttour von über 180 Arbeiten – von pompeijanischen Fresken bis aktuellen Werken – vorgestellt. Betten wohin man schaut, nur keines ist zum Ausruhen gedacht!

Ausgestellte Werke

  • Hermann Nitsch, Installation (ohne Titel), 2007–2013, Courtesy Atelier Hermann Nitsch
  • Heinz Frank, Liege, um 1970, Dauerleihgabe aus der Sammlung Julius Hummel Wien an das Hofmobiliendepot – Möbel Museum Wien
  • Manfred Wakolbinger, Ohne Titel, 1996, Courtesy der Künstler
  • Sudarshan Shetty, Ohne Titel (aus der Ausstellung „Leaving home“), 2007/08, Courtesy Galerie Krinzinger, Wien
  • Franz West, Kausalität, 1994, Courtesy der Künstler und Lisson Gallery
  • Antoni Tapies, Llit, 1995, Courtesy Timothy Taylor Gallery, London
  • Nari Ward, Jacuzzi Bed, 2013, Courtesy Galleria Continua, San Gimignano/Beijing/Les Moulins
  • Werner Feiersinger, Bettskulptur, 1993–1996, Artothek des Bundes
  • Los Carpinteros, Cama, 2007, Thyssen-Bornemisza Art Contemporary, Wien
  • Rembrandt Harmenszoon van Rijn, Das französische Bett, 1646, Albertina, Wien, Inv. DG1926/318
  • Harunobu Suzuki, Sake trinkendes Liebespaar, um 1765, MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst, Wien
  • Harunobu Suzuki, Liebespaar, um 1765, MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst, Wien
  • Thomas Ruff, nude rd02, 2004, Courtesy der Künstler und Johnen Galerie, Berlin
  • Jake & Dinos Chapman, Death II, 2004, Courtesy die Künstler und White Cube
  • Oliviero Toscani, Adam und Eva in Cybereden, 2015, Courtesy der Künstler
  • Damien Hirst, The Startling Effects of Mesmerism on a Dying Man, 2008, Courtesy der Künstler und White Cube
  • Walter Pichler, Bett, 1971, Courtesy Nachlass Walter Pichler, Galerie Elisabeth & Klaus Thoman Innsbruck/Wien
  • Elmgreen & Dragset, Temporarily Placed, 2002, Courtesy Sammlung Boros, Berlin
  • Sarah Lucas, Au Naturel, 1994, Courtesy Murderme
  • VALIE EXPORT, Geburtenbett, 1980, museum moderner kunst stiftung ludwig wien, Leihgabe seit 1996
  • Domenico Fiasella, Catos Selbstmord, Mitte 17. Jh., Öl auf Leinwand, 80 × 150 cm, Courtesy Robilant+Voena, London-Milan-St. Moritz
  • Artemisia Gentileschi, Judith köpft Holofernes, 1614–1620, Gabinetto di Disegni e delle Stampe della Pinacoteca Nazionale di Bologna
  1. Anselm Kiefer „Himmelsschlucht“ (2011/12), Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, Paris/Salzburg.
  2. Kinderwiege Nr. 1 der Firma Thonet (nach 1885, Wien Museum).
  3. „Ed Ruscha sagt Auf Wiedersehen zu Hochschulfreuden“, gedruckt in Artforum, Jg. V, Janner 1967 © Ed Ruscha. Courtesy Gagosian Gallery. Photography by Jerry McMillan.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.