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Thomas Struth

Thomas Struth, Space Shuttle 1, Kennedy Space Center, Cape Canaveral, 2008, Digital C-Print, 199,3 x 376,7 cm, Atelier Thomas Struth © Thomas Struth

Thomas Struth, Space Shuttle 1, Kennedy Space Center, Cape Canaveral, 2008, Digital C-Print, 199,3 x 376,7 cm, Atelier Thomas Struth © Thomas Struth

Thomas Struth (* 1954) gehört seit Beginn der 1990er Jahre zu den bedeutendsten Fotokünstlern der Welt. Er widmet sich in überwiegend großformatigen Fotografien Städten, Landschaften, Familienporträts, Hochtechnologien. Die in Serien entstandenen Bilder basieren auf kunsthistorischen Traditionen genauso wie sie die Möglichkeiten fotografischer Repräsentation erforschen.

Thomas Struth: Fotografien 1978–2010

Schweiz / Zürich: Kunsthaus Zürich
11.6. - 12.9.2010

Deutschland / Düsseldorf: K20
26.2. - 19.6.2011

Großbritannien / London: Whitechapel Gallery
6.7. - 16.9.2011

Portugal / Porto: Museu Fundaçao Serralves
14.10.2011 - 29.1.2012

Straßenbilder

Thomas Struth begann sich in den späten 1970er Jahren mit Straßenbildern zu beschäftigen. Anfangs folgte er dem Konzept der Bechers, bei denen er in Düsseldorf ausgebildet wurde (→ Die Düsseldorfer Photoschule): Er arbeitete in Schwarz-Weiß und mit zentralsymmetrischen Kompositionen. Obwohl er sich mit Städten und Straßen beschäftigte, wählte er menschenleere europäische und amerikanische Straßen. Eine Erweiterung seiner Bildsprache bewirkte Struths Interesse für asiatische Metropolen, in denen das Gewimmel von Passanten zum bildbestimmenden Element wurde.

Museumsbilder

Durch den Türrahmen sieht man sie, lange bevor man den Ausstellungsraum betreten hat: ungezwungen beieinanderstehende Menschen, die aufmerksam nach oben schauen. Nur einer blickt den sich nähernden Besucher an. Thomas Struths bislang größte Retrospektive im deutschsprachigen Raum beginnt mit „Museum Photographs“, die ihn Ende der 1980er bzw. Anfang der 1990er Jahre berühmt gemacht haben. Kurator Tobia Bezzola reihte im ersten Saal vier großformatige Fotos Thomas Struths wie ein Fries aneinander. Ihre einfachen, grauen Leistenrahmen lassen sie wie Kader einer Filmaufnahme wirken. Die Ausstellungsarchitektur zwingt den Besucher nahe an die Bilder. Von Angesicht zu Angesicht steht man unvermittelt Fremden gegenüber. Einige steht vor Staunen der Mund offen, andere wirken abgelenkt, müde oder gelangweilt, manche unterhalten sich. Doch was betrachten all diese Menschen so interessiert? Das Ziel ihres Schauens liegt außerhalb des sichtbaren Feldes. Einziger Hinweis auf das „Objekt der Begierde“ ist der Ort, an dem sich alles zuträgt: eine übermenschlich groß dimensionierte Architektur, einige Gemälde in vergoldeten Rahmen im Hintergrund. Erst der vergleichende Blick zeigt, dass es sich nicht um ein Panoramafoto, sondern immer den gleichen Blickpunkt in der Florentiner Galleria dell`Accademia mit wechselnden Besucher_innen handelt. Zum 500. Geburtstag von Michelangelos „David“ war Struth eingeladen worden, quasi aus der Perspektive des Kunstwerks die Reaktionen des Publikums zu beobachten.

„Die Museen waren fast immer brechend voll, und das veranlasste mich, mir die Frage zu stellen, was die Menschen, wenn sie vor diesen historischen Gemälden stehen, eigentlich suchen. Für mich ist das Museum ein Ort, der mir erlaubt, meine Instrumente, meine Wahrnehmung zu schärfen. Welcher Nutzen lässt sich aus Bildern der Vergangenheit ziehen, inwieweit können sie zu interessanten oder produktiven Ideen für die Zukunft anregen?“ (Thomas Struth)

Thomas Struths Fotografien von Besuchern, die sich in historische Werke einfühlen oder auch Figurengruppen, die unbewusst Kompositionen wiederholen, faszinieren seither weltweit das Kunstpublikum und waren Anfang der 1990er Jahre für seinen internationalen Durchbruch verantwortlich. Sie werden als Analysen von gesellschaftlich vorgegebenen Verhaltensregeln und individuellem Gebaren interpretiert. Schauen, Zeigen, Nachdenken, Lehren und Lernen, eine (un)mögliche Kommunikation mit den Werken der Alten Meister, ein unbewusstes Wiederholen von Posen oder eine Übereinstimmung in den Farben sind in den „Museum Photographs“ von großer Bedeutung.

Familienporträts

Zu den überraschenden Themen in Struths Werk zählen Familienporträts, die er in aller Welt aufnimmt. Seine Beschäftigung mit der auf den ersten Blick altmodischen Gattung wurde durch eine Selbstbefragung des Künstlers ausgelöst: „… dass ich versuchte, mich selbst zu analysieren und zu verstehen, meine eigene Familie, den Platz der Familie innerhalb meiner westlichen Kultur, dass ich darüber nachdachte, warum wir sind, wer wir sind.“

Komplexe visuelle Strukturen – Bilder aus dem Paradies und Hochtechnologie

Die vierte zentrale Werkgruppe der Schau vereint Bildern von Landschaften, Urwäldern und Blumen mit teils sehr großformatigen Fotografien von komplexen technischen Anlagen. In ihnen beschäftigt er sich weiterhin mit der „Geschichte des menschlichen Ehrgeizes“, die durch kollektive Leistungen einer Kultur wie technologische und architektonische Spitzenleistungen sichtbar wird: in einer mittelalterlichen Kathedrale wie der Notre-Dame im Paris, der Struktur einer Stadt oder der Konstruktion eines Raumschiffs. Im März 2007 reiste Struth erstmals nach Südkorea, wo er sich in Seoul und Busan aufhielt. Hier repräsentierten vor allem die Schiffswerft von DSME auf der Insel Geoje die Verbindungen von Technologie und Ambition, wo „die Grenzen des Machbaren ständig neu herausgefordert werden“. Auch im NASA-Komplex findet sich diese spanungsvolle Verbindung, noch verstärkt durch die Verflechtungen von Wissenschaft, Politik und Macht.

 „Gute Kunst bringt Gestaltung, Philosophie und Politik zusammen; diese Vernetzung reizt mich.“1 (Thomas Struth)

An der Fotografie interessiere ihn, dass sie näher am Leben sei (als die Malerei), mit ihrer Hilfe könne er die Realität abbilden2 Es ist dem Düsseldorfer jedoch ein Anliegen, nicht nur objektiv zu dokumentieren, sondern darüber hinaus ein analytisches Bewusstsein für die „subjectiv-persönlichen und die historisch-politischen Dimensionen der Motive“3 zu entwickeln (was seinen Ansatz deutlich von dem der Bechers unterscheidet). Mit Hilfe seiner Fotos wolle er etwas „Essentielles über die Wirklichkeit herausfinden“. Daher sucht Struth seit Ende der 70er Jahre Ort auf, die auf ihn wie „Kristallisationspunkte wirken, in deren Ausstrahlung sich kulturelle Phänomene wie zu Brennpunkten verdichtet offenbaren“4.

Seit seinem Studium entwickelt Struth Werkgruppen, in denen Städte, paradiesische Naturstücke, psychologisierende Familienporträts und jüngst Einzelbilder von hochkomplexen Maschinen der Schwerindustrie, der Plasmaphysik und Raumfahrt thematisiert werden. Die neuen Fotos sind am Ende der Schau inszeniert, werden sie doch erstmals öffentlich präsentiert. Struth beobachtet mit höchster Präzision nur schwer zugängliche Plätze, schafft immer ausgewogene Kompositionen und offenbart damit die komplexe technisch-wissenschaftliche Seite von wirtschaftlichem Fortschritt und letztlich auch Wohlstand. Manche der Aufnahmen, wie „Tokamak Asdex Upgrade Interior 2“, entziehen sich völlig einer „Erkennbarkeit“, zeigen ein Gewirr von Kabeln, Rohren, Maschinenteilen, Gängen. Ihr Titel enthüllt den Bildgegenstand auch nur für Ingenieure und Physiker, denn wer kann schon behaupten, er wüsste, dass ein Tomak-Reaktor für die Energieerzeugung durch thermonukleare Fusion eingesetzt wird. Wie schon bei seinen Städtebildern geht es Struth also nicht um ein leichtes Wiedererkennen. Stattdessen gibt er den Blick auf Unbekanntes und Unsichtbares frei. Es stellt sich zudem das Gefühl ein, er suche an diesen Orten nach perfekten Kompositionen und nicht nach Geschichten. So bleiben auch diese jüngsten Fotos als ästhetische Werke gleichermaßen hermetisch in sich geschlossen wie für jede (globalisationskritische) Interpretation offen. Struth möchte nicht, wie seine Aussagen belegen, dass seine Fotos als Produkte einer persönlichen Sichtweise auf die Welt gedeutet werden. Er beschreibt den Zustand der Gesellschaft, indem er Wirklichkeitserfahrungen und -konstruktionen in Bildern von Städten, Wohnsilos, Natur, Kunst und jüngst Technik aufzeigt.

„… Höchstmaß an menschlicher Anstrengung, Überzeugung, Organisation und vielleicht auch Hybris. Die Arbeit des Space Shuttle-Programms hat etwas Episches, ebenso wie der Bau einer mittelalterlichen Kathedrale. Beides sind komplizierte Strukturen, die Menschen von Hand erschaffen.“5 (Thomas Struth)

Biografie von Thomas Struth (* 1954)

Thomas Struth wurde 1954 in Geldern (Niederrhein) geboren.
1973–1980 Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf
1978 Thomas Struth erhielt ein New York Stipendium der Kunstakademie Düsseldorf
1980–1982 Zivildienst
1990 Werner Mantz Prijs, Werner Manz Stichting
1993–1996 Professur an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe
1997 Spectrum – Internationaler Preis für Fotografie, Stiftung Niedersachsen
2007 Heirat mit Tara Bray Smith
Struth lebt in Düsseldorf und Berlin.

Thomas Struth: Fotografien

  • Thomas Struth, New York, Coenlies Slip - Water Street North West, 1978, Silbergelatine-Abzug, 66 x 84 cm © Thomas Struth
  • Thomas Struth, New York, Dey Street, Broadway West, 1978, Silbergelatine-Abzug, 66 x 84 cm © Thomas Struth
  • Thomas Struth, Crosby Street, New York, 1978, Silbergelatine-Abzug, 66 x 84 cm, Atelier Thomas Struth © Thomas Struth.
  • Thomas Struth, Köln, Gereonswall, 1982, Silbergelatine-Abzug, 41,3 x 57 cm © Thomas Struth
  • Thomas Struth, The Hirose Family, Hiroshima, 1987, Silbergelatine-Abzug, 74 x 92 cm, Atelier Thomas Struth © Thomas Struth
  • Thomas Struth, South Lake Street Apartments III, Chicago, 1990, Bromsilbergelatine-Abzug, 46,3 x 57,5 cm (Pinakothek der Moderne, München, seit 2003 Dauerleihgabe der Siemens AG) © Thomas Struth
  • Thomas Struth, Große Sonnenblume - N° 4, Winterthur, 1991, C-Print, 84 x 66 cm, Achenbach Kunstberatung, Düsseldorf © Thomas Struth
  • Thomas Struth, Jianghan Lu, Wuhan, 1995, C-Print, 124,2 x 148,4 cm, Atelier Thomas Struth © Thomas Struth.
  • Thomas Struth, Paradies 1, Daintree, Australien, 1998, C-Print, 225,5 x 179 cm (Kunsthaus Zürich, Zürich) © Thomas Struth
  • Thomas Struth, Paradies 9, Xi Shuang Banna, Provinz Yunann in China, 1999, C-Print, 269,4 x 339,4 cm © Thomas Struth
  • Thomas Struth, El Capitan, Yosemite National Park, 1999, C-Print, 176,5 x 223 cm, Atelier Thomas Struth © Thomas Struth
  • Thomas Struth, Times Square, New York, 2000, C-Print, 178,2 x 212,2 cm © Thomas Struth
  • Thomas Struth, Notre-Dame, Paris, 2001, C-Print, 181 x 224,5 cm © Thomas Struth
  • Thomas Struth, The Lingwood and Hamlyn Family, London, 2001, C-Print, 95.3 x 112.7 cm (Jane Hamlyn and James Lingwood, London) © Thomas Struth
  • Thomas Struth, Audience 4, 2004, C-Print, Edition 6 von 10, 178 x 335,8 cm © Thomas Struth
  • Thomas Struth, Audience 7, Florenz, 2004, C-Print, 179,5 x 288,3 cm (Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf © Thomas Struth)
  • Thomas Struth, Museo del Prado 7, Madrid 2005, C-Print, 177,5 x 218,6 cm, Atelier Thomas Struth © Thomas Struth
  • Thomas Struth, Samsung Apartments, Seoul, 2007, C-Print, 178,5 x 222,8 cm, Atelier Thomas Struth © Thomas Struth
  • Thomas Struth, The Felsenfeld-Gold Families, Philadelphia, 2007, C-Print, 179,2 x 217 cm, Atelier Thomas Struth © Thomas Struth
  • Thomas Struth, Paradies 36, New Smyrna Beach, Florida, 2007, C-Print, 168 x 207,5 cm (Louisiana Museum of Modern Art, Humlebaek) © Thomas Struth
  • Thomas Struth, Space Shuttle 1, Kennedy Space Center, Cape Canaveral, 2008, Digital C-Print, 199,3 x 376,7 cm, Atelier Thomas Struth © Thomas Struth
  • Thomas Struth, Tokamak Asdex Upgrade Interior 2, Max-Planck IPP, Garching, 2009, C-Print, 141,6 x 176 cm, Atelier Thomas Struth © Thomas Struth
  • Thomas Struth, Tokamak Asdex Upgrade Periphery, Max Planck IPP, Garching, 2009, C-Print, 109,3 x 85,8 cm, Atelier Thomas Struth © Thomas Struth
  • Thomas Struth, 2010, Foto © Thomas Struth

Ausstellungskatalog

Mit Texten von Armin Zweite
Anette Kruszynski, James Lingwood
Ruth HaCohen & Yaron Ezrahi & Tobia Bezzola
248 Seiten, 330 Abb.
ISBN 978-3-8296-0463-5
Schirmer/Mosel

  1. Struth in einem Interview mit Paulina Szczesniak für „Züritipp“ (23.7.2010).
  2. Ebenda.
  3. Struth in einem Interview mit Gil Blank (27.7.2010).
  4. Thomas Struth, Architektur, in: Ute Eskildsen, Ulrich Borsdorf (Hg.): Endlich so wie überall? Bilder und Texte aus dem Ruhrgebiet (Schriftenreihe der Kulturstiftung Ruhr, Bd. 3), Essen 1987, S. 62.
  5. Zitiert nach Thomas Strith. Fotografien 1978–2010 (Ausst.-Kat. Kunsthaus Zürich), München 2010, S. 222.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.