Jan Vermeers „Die Malkunst“ ist ein Schlüsselwerk des holländischen Malers aus Delft und eine Ikone der barocken Kunst. Es zählt seit 1945 zu den größten Schätzen des Kunsthistorischen Museums, Wien. Dessen kurze und auf seine Heimatstadt konzentrierte Karriere fasziniert seit dem 19. Jahrhundert.
Österreich | Wien: Kunsthistorisches Museum
26.1. – 25.4.2010
Innerhalb des Œuvres von Johannes Vermeer van Delft nimmt die Malkunst eine besondere Stellung ein (→ Jan Vermeer: Biografie). Vermutlich ohne Auftrag entstanden, befand sich das Gemälde zu Lebzeiten des Malers in seinem Atelier. Catharina Bolnes, seine Ehefrau, setzte sich nach dessen Tod für den Verbleib des Gemäldes in ihrem Besitz ein, bis es schließlich 1677 verkauft wurde. Es könnte als Beispiel des künstlerischen Vermögens und als Ausdruck des Anspruchs des Malers an sein Können verstanden werden. Vermeer selbst hinterließ keine schriftlichen Äußerungen zu dem Gemälde, weder Zeichnungen noch Vorstudien sind überliefert. So stellt die „Malkunst“ bis heute ein geheimnisvolles und faszinierendes Werk der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts dar.
„Die Malkunst“ zeigt einen Blick in ein Maleratelier mitsamt Maler an seiner Staffelei, Modell und Requisiten. Der Blick des Betrachters wird an einer zur linken Seite geschobenen Tapisserie vorbei in einen Raum geführt, in dem ein Maler in Rückenansicht wiedergegeben ist. Er sitzt vor der Leinwand auf einer Staffelei und führt den Pinsel über die Blätter eines Lorbeerkranzes. Das in Entstehung befindliche Porträt bildet eine junge Frau ab, die vor einem Fenster im hinteren Bereich des Raumes steht, den Kopf Richtung Künstler gewandt, die Augen niedergeschlagen, ausgestattet mit einem Buch und einer Trompete, auf dem Kopf jenen Kranz, dem sich der Maler widmet. Die Gestalt wurde als Klio, die Muse der Geschichtsschreibung, identifiziert. Der Maler ist in einen schwarzen Schlitzwams über einem weißen Hemd gekleidet, seine hellen Strümpfe sind über die roten Beinkleider herabgerutscht, auf dem Kopf trägt er ein Barett. Ob es sich hierbei um ein Selbstporträt Vermeers handelt, ist bis dato Gegenstand der kunsthistorischen Forschung.
Die Ausstattung des Raumes mit Holzbalkendecke ist sorgfältig gewählt: Ein Stuhl links im Bildvordergrund ist mit Metallknöpfen beschlagen, die durch Glanzlichter hervorgehoben werden. Dahinter befindet sich ein Tisch, auf dem mehrere Stoffe, ein Blatt, ein Heft, ein Buch und eine Maske drapiert sind. Ein weiterer Sessel ist im Bildhintergrund an die Wand gestellt, die durch eine Karte der Niederlande mit den 17 Provinzen des Amsterdamer Kartographen Claes Jansz. Vischer von 1636 geschmückt wird. Die Falten und Knicke im Material deuten auf Gebrauch hin, wobei die Darstellung zur Entstehungszeit des Gemäldes nicht mehr aktuell war. In der Folge des Westfälischen Friedens von 1648 wurden die Provinzen geteilt, so dass die sieben nördlichen Provinzen die unabhängige Holländische Republik bildeten und die südliche Region unter die Herrschaft Spaniens gelangte. Die Signatur des Künstlers befindet sich auf dem Rand der Karte, rechts von der Gestalt der jungen Frau. Die Karte und der Kronleuchter stellen besonders kostbare Gegenstände in dem Atelier dar. Dieses wurde von Vermeer sorgfältig perspektivisch konstruiert und erfährt zusätzlich zu dem schwarz-weißen Bodendekor durch die Führung des Lichtes, das aus dem verdeckten Fenster von links eindringt, eine illusionistisch-räumliche Wirkung.
Über das Leben des Künstlers liegen wenige Fakten vor: Geboren als Sohn eines Webers, Gasthofbesitzers und Kunsthändlers, wurde Johannes Vermeer 1653 in der Sankt-Lukas-Gilde als Meister eingetragen. Die Namen seiner Lehrer und die Wege seiner Ausbildung sind bislang nicht bekannt. Der Künstler schuf zunächst großformatige Historiengemälde und wandte sich später Genreszenen und Stadtansichten zu. Mittels einer feinen Pinselführung gelang es ihm, den Kompositionen eine besondere Wirkung zu verleihen, die durch Lichtführung, Perspektive und genaue Wiedergabe der Oberflächen der Gegenstände gesteigert wurde. Indem Vermeer die Qualitäten der Materialien hervorhob, schienen die Gegenstände unmittelbar und nachvollziehbar. Er perfektionierte das Spiel mit den Illusionen und führte sein Können in der Allegorie der Malkunst zu einer herausragenden Leistung. Das Gemälde wurde vor einigen Jahren gründlichen technologischen Untersuchungen unterzogen und 2010 im Rahmen einer Ausstellung des Kunsthistorischen Museums unter verschiedenen Aspekten präsentiert.
Titel und vielschichte Bedeutungen stammen von Jan Vermeer selbst. Anstelle einer Allegorie der „Malkunst“ versetzt er den abstrakten Begriff in ein höchst realistisches Atelier. Innerhalb von Vermeers Werk von etwa 35 Gemälden bildet „Die Malkunst“ eine höchst interessante Ausnahme, widmete sich der Maler sonst intimen Alltagsszenen. Das Bild „Die Malkunst“ ist Jan Vermeers Vermächtnis, seine Meta-Malerei. Es ist keine Aussage des Delfter Malers über Kunst und das Malen überliefert. Es gibt keine Zeichnungen von ihm. Das Bild selbst – eine genaue Analyse sowie Vergleiche mit Werken Vermeers Zeitgenossen – muss Aufschluss über die künstlerische Einstellung Jan Vermeers geben.
Eine mit einem Blumenmuster reich dekorierte Tapisserie ist zurückgeschlagen, und wir werden durch diesen formgewordenen Initiationsgestus Augenzeugen jenes Prozesses, in dem ein höchst symbolträchtiges Kunstwerk entsteht. So legt eine im hohen Maße selbstreflexive Malerei ihre Entstehungsbedingungen offen und formuliert zugleich einen Zugriff auf die Realität, der seit der Renaissance zum Selbstverständnis dieser Kunst gehört: Die Welt kann im Sehen erfasst und in der Malerei dargestellt werden.