Vincent van Gogh (1853–1890) ist einer der populärsten Maler des späten 19. Jahrhunderts, der für seine farbintensiven Gemälde aus Südfrankreich (Arles, Saint-Remy) und der Ebene von Auvers-sur-Oise in die Geschichte eingegangen ist. Der Mythos Van Gogh wird durch dessen geheimnisvolle, von den Ärzten wohl fälschlich als Epilepsie diagnostizierte Erkrankung und den Selbstmord des Künstlers geprägt. Der Autodidakt aus den Niederlanden schuf in der kurzen Phase von nur zehn Jahren etwa 800 Gemälde aus 1.100 Arbeiten auf Papier. Seine Kunstauffassung lässt sich aus den 820 erhaltenen Briefen des Malers rekonstruieren. Neben den Gemälden waren die 1905 in Deutsche übersetzten Briefe wichtige Bezugspunkte für die Avantgarde der Expressionisten.
Am 30. März 1853 kam Vincent Willem van Gogh als erstes überlebendes Kind des Pastors Theodorus van Gogh (1822–1885) und dessen Frau Anna Cornelia van Gogh-Carbentus (1819–1907) in Groot-Zundert (Nordbrabant, Niederlande) zur Welt. Er hatte fünf jüngere Geschwister: Anna, Theodorus (Theo), Elizabeth (Lies), Willemina (Will) und Cornelis (Cor). Ein Jahr zuvor hatte das Ehepaar einen totgeborenen Sohn, den sie ebenfalls auf den Namen Vincent getauft hatten. Vincent, so glauben einige Autoren, hätte sich als ungeliebten Ersatz empfunden und daher seelischen Schaden genommen.
Vincent van Gogh wurde in ein Internat in Zevenbergen geschickt (Oktober 1864–1866), danach besuchte er die Höhere Bürgerschule in Tilburg (1866–März 1868). Am Ende der ersten Klasse brachte er ein gutes Zeugnis nach Hause. Warum Vincent van Gogh im März 1868 mitten im zweiten Schuljahr die Schule verließ, ist nicht bekannt. Von März 1868 bis Juli 1869 lebte Vincent van Gogh bei seinen Eltern. Womit er sich beschäftigte, ist ebenfalls nicht überliefert.
Zwischen Juli 1869 und 1. April 1876 arbeitete Vincent van Gogh in der Kunsthandlung Goupil & Cie, an der sein Onkel Cent (Vincent) van Gogh als Partner beteiligt war. Der Onkel hatte entschieden, seinem Neffen trotz dessen gebrochener Schullaufbahn als Lehrling anzustellen. Während sich der junge van Gogh in den folgenden sechs Jahren als zu schüchtern im Umgang mit den Kundinnen und Kunden entpuppte (1869–1873 in Den Haag, 1873–1875 in London), entwickelte er eine Leidenschaft und auch Kennerschaft für Kunst.
Auch sein jüngerer Bruder, Theo van Gogh, trat 1872 bei Goupil & Cie. in Brüssel ein. Die Brüder versprachen einander nie im Stich zu lassen. Der älteste erhaltene Brief von Vincent an Theo datiert vom 29. September 1872. Insgesamt sind 820 Briefe erhalten, davon richtete van Gogh 658 an seinen Bruder Theo.
Im Mai 1873 wurde Vincent van Gogh in die Londoner Niederlassung versetzt. Hier arbeitete er in der Grafikabteilung, wo es keinen Kundenverkehr gab. Vermutlich verliebte er sich in die Tochter seiner Vermieterin, obwohl diese bereits verlobt war. Anlässlich eines Sommeraufenthalts von Vincent van Gogh bei dessen Eltern 1874 fiel auf, dass er sehr abgenommen hatte und deprimiert wirkte. In der zweiten Hälfte des Jahres 1875 wandte er sich der Religion zu, las nur noch die Bibel und Erbauungsbücher und zeigte wenig Interesse an seiner Arbeit. Nachdem Vincent van Gogh offenbar ohne Erlaubnis zu Weihnachten 1875 nach Hause gereist war, wurde ihm die Kündigung mit April nahegelegt. Am 1. April 1876 wurde daher sein Beschäftigungsverhältnis in London aufgelöst. Vincent van Gogh blieb kurz noch in England, wo er über eine Stellenanzeige in der Zeitung einen Job als Lehrer fand (Ramsgate in Kent, Iselworth).
Van Gogh kehrte zu seinen Eltern nach Etten im Brabant zurück. Er war vom Wunsch beseelt, Kleriker zu werden, was seiner Familie allerdings missfiel. Sein Vater überredete ihn, in einer Buchhandlung in Dordrecht zu arbeiten (Januar–Mai 1877).
Danach absolvierte Vincent van Gogh Vorbereitungsklassen für das Theologiestudium in Amsterdam (Mai 1877–1878). Doch Latein und Altgriechisch waren ihm zu schwierig. Daher besuchte er im August 1878 ein Seminar für Laienprediger in Brüssel. Nach der dreimonatigen Probezeit wurde er als ungeeignet eingestuft, weil er sich vermutlich im Unterricht nicht hatte ein- und unterordnen können.
Zischen 1. Februar und Juli 1879 absolvierte Vincent van Gogh eine sechsmonatige Probezeit als Prediger im Borinage, der aus der Bibel las und Religionsstunden gab. Er lebte in einer einfachen Hütte, tauschte seine Kleidung gegen billigere ein und sah nach den Kranken und Verletzten der Kohlegruben. Er hatte Kommunikationsprobleme mit den Einheimischen, denn er verstand ihren Dialekt kaum, während sie seinen französischen Gebeten nicht folgen konnten. Im Juli 1879 entschied der Vorstand der Flämischen Schule für Prediger, seine Probezeit zu beenden und van Gogh nicht einzustellen. Seine Familie war vom neuerlichen Misserfolg schwer enttäuscht.
Im Herb 1880 hatte sich Vincent van Gogh entschieden, Künstler werden zu wollen. Er war nun 27 Jahre alt. Mit Büchern wie Armand-Théophile Cassagne’s „Guide de l’alphabet du dessin“ (1880) half er sich über die ersten Anfangsschwierigkeiten wie der Perspektive hinweg. Charles Bargue’s „Exercices au fusain“ nutzte er wie Millets Zeichnungen, um nach ihnen zu zeichnen bzw. sie zu kopieren. Von diesen ersten Zeichnungen sind nur wenige Blätter erhalten, van Gogh meinte selbst, er hätte sie vernichtet. Das erhaltene Material zeigt seine mühseligen Versuche Objekte und Menschen über die Umrisslinie zu erfassen.
Vincent van Gogh übersiedelte nach Brüssel, wo er zwischen Oktober 1880 und April 1881 lebte. Das Frühwerk von Vincent van Gogh, das zwischen 1881 und 1885 in den Niederlanden entstand, ist geprägt von seiner Hinwendung zum einfachen Leben von Bauern und Arbeitern. Obwohl er an der Akademie eingeschrieben war, dürfte er sie nur selten besucht haben. Anthon van Rappard (1858–1892) wurde seine wichtigste Bezugsperson in künstlerischen Fragen.
Im April 1881 zog Van Gogh wieder bei seinen Eltern in Etten (Nordbrabant) ein und blieb bis Dezember 1881. Hier wandelte er auf Millets Spuren und zeichnete arbeitende Bauern. Im Sommer verliebte er sich in seine sieben Jahre ältere, verwitwete Cousine Kee Vos, die zu Besuch gekommen war. Trotz abschlägiger Antwort setzte van Gogh sein Werben beharrlich fort, was zur Konfrontation mit Eltern und Verwandten führte. Da Vincents Verhältnis zur Familie ohnedies angespannt war, entstand ein Streit, der kurz nach Weihnachten 1881 mit seinem Auszug endete. Vincent van Gogh hatte sich geweigert die Weihnachtsmesse zu besuchen, womit der Bruch mit dem Glauben publik geworden war.
Bereits vor seinem Auszug hatte Vincent van Gogh vier Wochen in Den Haag bei dem mit ihm verschwägerten Maler der Haager Schule – Anton Mauve (1838–1888) – verbracht (November/Dezember 1881). Dieser führte ihn in die Aquarell- und Ölmalerei ein. Ab Dezember 1881 lebte Vincent van Gogh in Den Haag. Er fertigte Zeichnungen von Minenarbeitern und Minenpferden an und sammelte Zeitungsausschnitte aus französischen und englischen Magazinen, darunter 33 Seiten mit Darstellungen von Kohlearbeitern. Aber auch städtische Motive begannen ihn in Den Haag zu interessieren. In der Umgebung fand er Hütten, die ihn an ähnliche Häuser in Gemälden von Jules Dupré (1811–1889) und den Barbizon Malern, allen voran Jean-François Millet (1814–1875) erinnerten. Vincent van Gogh begann erstmals Landschaften in Öl darzustellen
Die unstandesgemäße Liaison von Van Gogh mit seinem alleinerziehenden und schwangeren Modell Sien, der Gelegenheitsprostituierten Clasina Hoornik, genannt Sien (1850–1904), führte zum Bruch mit Anton Mauve.. Für „Sorrow“ saß Sein Modell (um den 10. April 1882). Im Herbst 1883 trennte sich Vincent van Gogh von Sien.
Im September 1883 Umzug in die Provinz Drenthe (Nordniederlande), wo er in der Heide- und Moorlandschaft malerische Motive fand. Gleichzeitig hoffte er, dass Theo dem Kunsthandel den Rücken zukehren und sich ihm anschließen würde. Als sich diese Hoffnung zerschlug, kehrte er im Dezember 1883 zu seinen Eltern in Nuenen zurück.
Diese nahmen ihn halbherzig auf. In Nuenen malte er über 180 Gemälde, darunter „Die Kartoffelesser“ (13. April bis Anfang Mai 1885), begann sich aber schon bald für die Weber und ihre „monströsen“ Webstühle zu interessieren. „Webstuhl mit Weber“ (1884, Öl auf Leinwand, 68,3 x 84,2 cm, Kröller-Müller Museum, Otterlo) ist ein charakteristisches Werk aus dieser Phase. Es zeigt den beengten Innenraum und die riesige Maschine, die den Weber fast zu verschlingen scheint.
Vincent van Gogh lebte ab November 1885 drei Monate in Antwerpen. Er besuchte die Akademie in Antwerpen, weil er dort kostenlos Modelle hatte und geheizte Räume vorfand. Um Geld zu sparen, ernährte er sich schlecht, was zu körperlichen Problemen führte. In Antwerpen begann Vincent van Gogh japanische Farbholzschnitte zu sammeln, die einen bedeutenden Einfluss auf sein späteres Werk hatten.
Im März 1886 übersiedelte Vincent van Gogh für nahezu zwei Jahre in Paris, wo er mit seinem Bruder Theo zusammenlebte. Vincent van Gogh studierte erstmals den französischen Impressionismus und hellte in der Folge seine Palette auf, weiters arbeitete er auch im Stil des Pointillismus. Für zwei Jahre, bis Februar 1888, verschwanden die einfachen Bauernhäuser und Hütten von seinen Leinwänden. Stattdessen begann er sich mit der modernen Großstadt, ihren Bewohnerinnen und Stillleben zu beschäftigen.
Einige Monate belegte Vincent van Gogh Kurse im Atelier von Fernand Cormon (1845–1926), wo er Henri de Toulouse-Lautrec, Paul Signac, Louis Anquetin, Paul Gauguin und Emile Bernard kennenlernte. 1887 organisierte Vincent van Gogh zwei Gemeinschaftsausstellungen in Restaurants und eine Präsentation von Bildern im Schaufenster des Farbenhändlers und Kunstliebhabers Père Tanguy. Eine weitere Schau war dem Ukiyo-e, den japanischen Farbholzschnitten, im Café Le Tambourin gewidmet. Mit der Inhaberin Agostina Segatori war er kurz liiert. Im November 1887 lernte er den aus Martinique zurückgekehrten Paul Gauguin kennen, dessen Kunst er schätzte und dessen abenteuerliches Leben er bewunderte. Mit Hilfe von Theo van Gogh, der für Gauguin wichtige Verkäufe in die Wege setzte, konnte Vincent van Gogh das Interesse Gauguins auch auf sich lenken.
Am 20. Februar 1888 fuhr Vincent van Gogh nach Arles, in die farbenfrohe Landschaft Südfrankreichs. In den folgenden 16 Monaten schuf er 187 Bilder. Anfang Mai 1888 mietete er vier Zimmer in einem Haus an der Place Lamartine, im so genannten „Gelben Haus“. Hier wollte er das „Atelier des Südens“ einrichten. Immer wieder lud er seine Freunde Paul Gauguin und Emil Bernard ein, zu ihm nach Arles zu kommen, um gemeinsam zu arbeiten.
Zwischen dem 23. Oktober und dem 23. Dezember 1888 wurde das „Atelier des Südens“ Realität. Allerdings hatte Vincent van Gogh nicht verstanden, dass Gauguin eine gänzlich andere Kunstphilosophie verfolgte als er selbst. Da er sich als Schüler Gauguins sah – und dennoch nicht seine Form der Plein-air-Malerei aufgeben konnte – endete das „Atelier des Südens“ mit Vincent van Goghs Nervenkrise und Paul Gauguins wortloser Abreise.
Am 23. Dezember 1888 kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen dem verwirrten Vincent van Gogh und Paul Gauguin, nach der sich der Holländer nahezu sein gesamtes linkes Ohr abschnitt. Dann ging er in mit dem Ohr in ein Bordell und schenkte es mit den Worten „du wirst dich meiner erinnern, das sag‘ ich dir“ einem Mädchen namens Rachel. Die Polizei fand Van Gogh am nächsten Morgen bewusstlos und geschwächt von hohem Blutverlust. Sie lieferte Vincent van Gogh in das örtliche Krankenhaus ein.
Paul Gauguin reiste am 25. Dezember 1888 wortlos ab und informierte Theo van Gogh mit einem Telegramm. Als Theo am Weihnachtsmorgen in Arles ankam, erfuhr er, dass Vincent seit Tagen Symptome von Verrücktheit zeigte. Nach zwei Wochen wurde Vincent van Gogh aus dem Krankenhaus in Arles entlassen. In Selbstporträts zeigt er sich mit verbundenem Kopf. Im Februar 1889 machte ein Anfall erneut einen mehrtägigen Krankenhausaufenthalt nötig. In der Folge wurde der Maler aufgrund einer Petition der Bürger von Arles bis April 1889 zwangseingewiesen.
Vincent van Gogh ließ sich am 8. Mai 1889 freiwillig in die Nervenheilanstalt Saint-Paul-de-Mausole in Saint-Rémy einweisen, wo die Diagnose Epilepsie gestellt wurde. Im Mai und Juni dieses Jahres entstanden mit den „Schwertlilien“ (10.–15. Mai 1889), der „Sternennacht“ (17./18. Juni 1889) und „Zypressen“ (25. Juni 1889) – drei der eindrücklichsten Landschaftsvisionen Vincent van Goghs.
Während eines schweren Anfalls im Sommer 1889 schluckte Van Gogh giftige Farben, was man möglicherweise als Selbstmordversuch werten kann. Von September 1889 bis April 1890 lebte Vincent van Gogh in Saint-Rémy-de-Provence. Theo van Gogh reichte Vincents Bilder zu drei Ausstellungen avantgardistischer Kunst ein, womit dieser erstmals als Maler an die Öffentlichkeit trat. Das Gemälde „Die roten Weingärten von Arles“ wurden verkauft, was als einziger belegter Verkauf zu Vincent van Goghs Lebzeiten gilt.
Am 17. Mai 1890 traf Vincent van Gogh in Paris ein und hielt sich drei Tage bei seinem Bruder und dessen Familie auf. Die Situation in der jungen Familie war angespannt, da Theo kränklich war und sich mit seinem Arbeitgeber in einem Konflikt befand.
Am 20. Mai zog Vincent van Gogh nach Auvers-sur-Oise, das zirka 30 km von Paris entfernt liegt. Hier nahm sich der Kunstfreund und Arzt (Homöopath) Paul Gachet dem psychisch labilen Van Gogh an. In den letzten zehn Wochen vor seinem Tod malte Vincent van Gogh in Auvers-sur-Oise „hübsche Mittelklasse Landhäuser“, die ihm nach eigener Aussage fast genauso gefielen wie die von ihm romantisierten, alten, mit Moos gedeckten Hütten des Borinage. Innerhalb von 70 Tagen malte Vincent van Gogh in Auvers-sur-Oise seine letzten 60 Zeichnungen und 75 Bilder!
Am 27. Juli 1890 schoss sich Vincent van Gogh in einem Feld eine Kugel in die Brust (oder den Bauch) und schleppte sich noch zum Gasthof zurück. Die beiden herbeigerufenen Ärzte verzichteten darauf, die Kugel zu entfernen. Zwei Tage später verstarb Vincent van Gogh an den Folgen einer Sepsis. Sein Bruder Theo verstarb Ende des Jahres an einer Syphiliserkrankung. Beide Brüder liegen Seite an Seite auf dem Friedhof von Auvers begraben.
Van Goghs Schwägerin, Johanna van Gogh-Bonger (Witwe von Theo van Gogh), war es gelungen, das Interesse am Werk des Niederländers zu wecken. Sie lieh beispielsweise Paul Cassirer ab 1901 regelmäßig Bilder für dessen Einzelausstellungen in Berlin.
Die erste große Retrospektive des Werks richtete Amsterdam 1905 aus, dicht gefolgt von einer großen Schau des Post-Impressionisten in der Galerie Arnold in Dresden. Für die sich gerade formierende Gruppe der Brücke stellte dieses Ausstellungserlebnis eine Initialzündung dar. Heinrich Nauen und Ernst Ludwig Kirchner kopierten Bilder von Van Gogh, aber auch Emil Nolde verdankte dem dynamisierten Pinselstrich des Verstorbenen viel. In den folgenden sieben Jahren hatten Kunstschaffende, Sammlerinnen und Sammler auf 68 Ausstellungen die Möglichkeit, sich mit dem Werk des umstrittenen Niederländers auseinanderzusetzen.
„Van Gogh ist tot, aber die van Gogh-Leute leben. Und wie leben sie! Überall van Goghelt’s“, formulierte Ferdinand Avenarius 1910 in der Zeitschrift „Der Kunstwart“ und beschrieb damit die Faszination, die Vincent van Goghs Malerei Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem auf junge Künstler in Deutschland ausübte.
1928 wurde das erste Werkverzeichnis der Gemälde Vincent van Goghs von dem niederländischen Juristen und Kunsthändler Jacob-Baart de la Faille veröffentlicht.