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Vincent van Gogh und Deutschland "Making van Gogh" im Städel

Vincent van Gogh, Der Weg nach Arles, Detail, 1888, Öl/Lw, 46,1 x 60,9 cm (National Gallery of Art, Washington D.C. © National Gallery of Art, Washington, Ailsa Mellon Bruce Collection)

Vincent van Gogh, Der Weg nach Arles, Detail, 1888, Öl/Lw, 46,1 x 60,9 cm (National Gallery of Art, Washington D.C. © National Gallery of Art, Washington, Ailsa Mellon Bruce Collection)

Vincent van Gogh (1853–1890) verkaufte während seines kurzen Künstlerlebens nur ein einziges Bild. Doch 15 Jahre nach seiner Selbsttötung hatten die Kunstwelt und erste Sammler den immensen Wert seines Schaffens erkannt. Das Städel Museum in Frankfurt a.M. zeigt erstmals in einer Ausstellung, welche Rolle die deutschen Galeristen, Sammler, Kritiker und Museen für die Erfolgsgeschichte seiner Malerei spielten. Zum anderen wird van Goghs Bedeutung als Vorbild für die Kunst des deutschen Expressionismus beleuchtet. Den Ausgangspunkt der Rezeptionsgeschichte Van Goghs in Deutschland bildet eine Auswahl von Schlüsselwerken aus allen Schaffensphasen des niederländischen Malers. Zu sehen sind etwa 140 Gemälde und Arbeiten auf Papier, darunter über 45 zentrale Werke von Van Gogh.

Walter Leistikow und der Geschäftsführer [der Berliner Secession, Anm. AM], der junge Kunsthändler Paul Cassirer aber gingen noch weiter. Sie brachten nun die teils verpönten, teils unbekannten modernen Künstler des Auslandes vor Augen: Manet und Monet, die beiden berühmten Pariser; der bis dahin unbekannte Cézanne, welcher in Paris plötzlich noch lebend zur größten Anerkennung ausgegraben worden war, und Gauguin, in dem man das Vorbild des früher umstrittenen Norwegers Munch erkannte; ferner einen Holländer, von dem noch nie irgendeiner ein Sterbenswörtchen gehört hatte: van Gogh. Selbst Cassirer hatte ihn noch nicht gekannt; Leistikow hatte von ihm Werke in Kopenhagen gesehen. Die van Gogh’schen Bilder verblüfften ganz Berlin zuerst in solcher Weise, dass überall ironisches Gelächter und Achselzucken war. Aber die Secession brachte alljährlich immer wieder neue Werke von diesem Holländer, und heute wird van Gogh zu den besten und teuersten gezählt.“1 (Lovis Corinth, 1910)

Vincent van Gogh und die Galerien Cassirer und Thannhauser

Die Kunsthändler Paul Cassirer (1871–1926), Arnold sowie Heinrich und Justin L. Thannhauser spielten in der Rezeption des holländischen Malers eine Vorreiterrolle (→ Sammler, Mäzene und Kunsthändler in Berlin 1880–1933). Zuvor hatten bereits der Kunsthändler Paul Cassirer und der Kunstkritiker Julius Meier-Graefe die Bedeutung Vincent van Goghs für die Moderne in Deutschland erkannt. Van Goghs Schwägerin, Johanna van Gogh-Bonger (Witwe von Theo van Gogh), war es gelungen, das Interesse am Werk des Niederländers zu wecken. Sie lieh Cassirer ab 1901 regelmäßig Bilder für dessen Einzelausstellungen in Berlin.

Die erste große Retrospektive des Werks richtete Amsterdam aus, dicht gefolgt von einer großen Schau des Post-Impressionisten in der Galerie Arnold in Dresden. Für die sich gerade formierende Gruppe der Brücke stellte dieses Ausstellungserlebnis eine Initialzündung dar. Heinrich Nauen und Ernst Ludwig Kirchner kopierten Bilder von Van Gogh, aber auch Emil Nolde verdankte dem dynamisierten Pinselstrich des Verstorbenen viel. In den folgenden sieben Jahren hatten Kunstschaffende, Sammlerinnen und Sammler auf 68 Ausstellungen die Möglichkeit, sich mit dem Werk des umstrittenen Niederländers auseinanderzusetzen.

Im Jahr 1908 präsentierte die Münchner „Moderne Galerie“ Thannhausers ihre erste Van-Gogh Ausstellung. Darüber hinaus förderte der Galerist Max Liebermann und die Künstler der Neuen Künstlervereinigung München (NKVM), aus der 1912 der Blaue Reiter hervorging, sowie die führenden Vertreter der französischen Moderne (Pablo Picasso). Gemeinsam mit Cassirer gaben die Tannhausers den Briefwechsel zwischen Vincent und Theo van Gogh heraus (→ Vincent van Gogh : Paul Gauguin in Arles).

Nach der Sonderbundausstellung in Köln im Frühjahr 1912 war der Stellenwert Van Goghs in den deutschsprachigen Ländern gesichert, und die Preise stiegen sprunghaft an. Die Organisatoren hatten sich entschlossen, Vincent van Gogh in einem Umfang zu präsentieren, wie es bis zu diesem Zeitpunkt in Deutschland noch nie geschehen war: 120 Gemälde, 16 Zeichnungen und ein Aquarell. Ausgestellt waren beispielsweise das „Selbstbildnis“ vom Frühjahr 1887 (The Art Institute of Chicago), die „Sonnenblumen“, das berühmte „Schlafzimmer in Arles“, das „Gelbe Haus“, mehrere Versionen des „Olivenhains“, die „Fischerboote am Strand von Les-Saintes-Maries-de-la-Mer“ (Van Gogh Museum, Amsterdam), die „Zugbrücke bei Arles“, die „Allee bei Arles“ (Pommersches Landesmuseum, Greifswald), aber auch frühe Werke wie „Kartoffelesser“ oder „Moulin de la Galette“ (Kröller-Müller Museum, Otterlo). Die Porträts des Postmeisters Roulin, die „Arlésienne“ (Musée d‘Orsay) und die „Berceuse“ waren ebenfalls in mehreren Varianten zu bestaunen.

Van Gogh im Städel

Auch das Städel und sein damaliger Direktor Georg Swarzenski spielten für die Anerkennung des Niederländers eine zentrale Rolle. Als erstes öffentliches Museum in Deutschland erwarb das Städel mit Unterstützung seines Museums-Vereins 1908 das frühe Gemälde „Bauernhaus in Nuenen“ und eine Zeichnung van Goghs. 1912 folgte das Gemälde „Bildnis des Dr. Gachet“ (1890), das dem Städel Museum im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ entzogen wurde. Der Städel Direktor Swarzenski befürwortete darüber hinaus aktiv den Ankauf von van Goghs Werken durch andere Museen wie die Kunsthalle Bremen.

Nur wenige öffentliche Institutionen hatten zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Mut, ein Werk von Van Gogh zu erwerben. Als erstes, nämlich bereits 1902, kaufte Karl Ernst Osthaus „Kornfeld mit Schnitter“ für das private Folkwang-Museum in Hagen (→ Museum Folkwang). Das Städel Museum kann sich auf die Fahnen schreiben, dass es die zweite deutsche Institution und die erste öffentliche war, die diesen Schritt wagte. In den folgenden Jahren stiegen sowohl die Preise, die für herausragende Werke Vincent van Goghs bezahlt werden mussten und nationalistische Anfeindungen gleichermaßen. Zunehmend wurde ab 1910 ins Treffen geführt, dass französische Kunst zuungunsten heimischer Produktion zu stärk gefördert werden würde. Der sogenannte Vinnen-Streit 1911 führte diese Diskussion auf einen Höhepunkt zu. „Ein Protest deutscher Künstler“ wurde von der Publikation von „Im Kampf um die Kunst – Die Antwort auf den „Protest deutscher Künstler““, unterfertigt von 75 Persönlichkeiten aus dem Kunstgeschehens (darunter auch Gustav Klimt) noch im gleichen Jahr beantwortet.

Van Gogh und der deutsche Expressionismus

Welche Bedeutung hatte das Werk von Vincent van Gogh für die Entwicklung der deutschen Kunst im frühen 20. Jahrhundert, allen voran des deutschen Expressionismus? Ausgehend von der Städel Sammlung von Werken des Expressionismus – darunter berühmte Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Paula Modersohn-BeckerGabriele Münter oder Max Beckmann –werden auch wiederzuentdeckende Positionen präsentiert. Van Gogh war ebenso prägend für Peter August Böckstiegel, Maria Slavona oder Heinrich Nauen.

„Van Gogh ist tot, aber die van Gogh-Leute leben. Und wie leben sie! Überall van Goghelt’s“, formulierte Ferdinand Avenarius 1910 in der Zeitschrift „Der Kunstwart“ und beschrieb damit die Faszination, die Vincent van Goghs Malerei Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem auf junge Künstler in Deutschland ausübte. Im Zentrum des groß angelegten Ausstellungs- und Forschungsprojekts steht das Anliegen, einen entscheidenden Beitrag für das Verständnis der Kunstentwicklung in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu liefern und dabei Vincent van Goghs Rolle als Schlüsselfigur für die Kunst der deutschen Avantgarde vom Impressionismus zum Expressionismus aufzuzeigen.

Leihgeber

Die Liste der Leihgeber ist lang und schließt das Museum of Fine Arts in Boston, das Cleveland Museum of Art, die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München, das Metropolitan Museum of Art in New York, die Nationalgalerie in Prag sowie die National Gallery of Art in Washington ein. Besondere Höhepunkte stellen Vincent van Goghs Selbstbildnisse aus dem Art Institute in Chicago und dem Kröller-Müller Museum in Otterlo dar. Weitere Highlights sind die berühmte Darstellung der Berceuse Augustine Roulin (1889, Stedelijk Museum, Amsterdam) sowie die Segelboote am Strand von Les Saintes-Maries-de-la-Mer (1888, Van Gogh Museum, Amsterdam).

Kuratiert von Dr. Alexander Eiling (Leiter Kunst der Moderne, Städel Museum) und Dr. Felix Krämer (Generaldirektor, Kunstpalast Düsseldorf)

Making Van Gogh. Geschichte einer deutschen Liebe: Ausstellungskatalog

Alexander Eiling, Felix Krämer (Hg.)
mit Beiträge von Alexander Eiling, Felix Krämer, Elena Schroll, Iris Schmeisser, Anna Huber, Stefan Koldehoff, Heike Biedermann, Joachim Kaak, Roland Dorn, Alina Happ und Philipp von Wehrden
ISBN 978-3-7774-3297-7 (Deutsch)
ISBN 978-3-7774-3298-4 (Englisch)
Hirmer Verlag, München

Vincent van Gogh und Deutschland: Bilder

  • Vincent van Gogh, Bauernhaus in Nuenen, 1885, Öl/Ln, 60 x 85 cm (Städel Museum, Frankfurt am Main, Eigentum des Städelschen Museums-Verein e.V.)
  • Vincent van Gogh, Segelboote am Strand von Les Saintes-Maries-de-la-Mer, 1888, Öl/Ln, 65 x 81,5 cm (Van Gogh Museum, Amsterdam (Vincent van Gogh Foundation)
  • Vincent van Gogh, Der Weg nach Arles, 1888, Öl/Lw, 46,1 x 60,9 cm (National Gallery of Art, Washington D.C. © National Gallery of Art, Washington, Ailsa Mellon Bruce Collection)

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  1. Lovis Corinth, Das Leben Walter Leistikows. Ein Stück Berliner Kulturgeschichte, Berlin 1910, S. 55., Zit. n. Stefan Koldehoff, „Eben doch nur ein Künstler kleineren Stils“. Vincent van Gogh und der Kampf um die Moderne in Deutschland, in: Barbara Schaffer (Hg.), 1912. Mission Moderne. Die Jahrhundertschau des Sonderbundes (Ausst.-Kat. Wallraff-Richartz-Museum & Foundation Corboud, 31.8.–30.12.201), Köln 2012, S. 70–87, hier S. 70.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.