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Washington | National Gallery of Art: Gustave Caillebotte Das Auge des Malers | 2015

Gustave Caillebotte, Kanus, 1877, Öl auf Leinwand, 88,9 x 116,2 cm (National Gallery of Art, Washington, Collection of Mr. and Mrs. Paul Mellon)

Gustave Caillebotte, Kanus, 1877, Öl auf Leinwand, 88,9 x 116,2 cm (National Gallery of Art, Washington, Collection of Mr. and Mrs. Paul Mellon)

Gustave Caillebotte (1848–1894) nahm in den Jahren 1875 bis 1882 regelmäßig an den von der Öffentlichkeit stark kritisierten Impressionisten-Ausstellungen teil. Caillebotte lebte im 8. Arrondissement von Paris, das in den 1850er und 1860er Jahren neu errichtet wurde. Seine persönlichen Erfahrungen mit der modernen Stadt verarbeitete er in großformatigen Kompositionen, deren Atmosphäre, wie die Chefkuratorin für französische Malerei an der National Gallery in Washington meint, auch Städter des 21. Jahrhunderts noch anspricht. Ziel der Schau ist es, den provokativen Charakter und die Komplexität von Caillebottes künstlerischen Beitrags aufzuzeigen. Daher interessierte sich Kuratorin Mary Morton für spektakuläre Bilder von den neuen, öffentlichen Räumen, die durch die Umgestaltung von Paris durch Baron Haussmann entstanden waren, aber auch meditative Schilderungen des Freizeitverhaltens der Pariserinnen und Parisern. Etwa 45 Gemälde des französischen Impressionisten versammeln Mary Morton und George Shackelford für die National Gallery of Art, Washington und das Kimbell Art Museum, Forth Worth/Texas.

Maler und Mäzen

Was den großbürgerlichen Juristen Gustave Caillebotte dazu bewog, Maler zu werden, ist nicht überliefert. Nach seinem Rechtsstudium zog des den jungen Soldaten des Deutsch-französischen Kriegs aber offenbar mit Zustimmung seines Vaters zur Kunst. Nach zwei Jahren im Atelier von Léon Bonnat (1833–1922) und einer Reise nach Italien, wo er bei der Familie des Malers Giuseppe de Nittis (1846–1884) in Neapel zu Gast war, gelang ihm 1873 die Aufnahme an der Kunstakademie. Der Tod des Vaters im Dezember 1874 machte aus dem Studenten einen reichen Mann, der im Laufe seiner Karriere auch Erstaunliches in den Bereichen Bootsbau und Blumenzucht leistete (→ Der moderne Garten in der Malerei von Monet bis Matisse).

Zu seiner großen Enttäuschung wurde Caillebottes Gemälde „Die Parkettschleifer“ (1875, Musée d‘Orsay) 1875 vom Salon abgelehnt. Daraufhin schloss er sich den Impressionistinnen und Impressionisten an, zu denen er über de Nittis oder seinen Ateliernachbarn Henri Rouart (1833–1912) Kontakt aufgenommen hatte. Gleichzeitig erwarb er auf der Auktion im Hôtel Drouot erstmals impressionistische Gemälde, gefolgt von der Versteigerung im Jahr 1877. So wurde Caillebotte auch ein wichtiger Mäzen seiner Kollegen. Vor allem Camille Pissarro (1830/31–1903) und Claude Monet (1840–1926) profitierten enorm von dieser finanziellen Unterstützung. Als vermögender Erbe und Sammler förderte er das Verständnis für die Kunst des Impressionismus. Er hinterließ seine 69 impressionistischen Gemälde dem französischen Staat. Wenn das Testament auch von den Erben angefochten wurde und daher nur 38 Werke von der Regierung übernommen wurden, so bilden diese doch den Grundstock für die Sammlung des Musée d'Orsay (→ Impressionisten aus dem Pariser Musée d'Orsay).

Mitglied des impressionistischen Zirkels

Gustave Caillebotte wurde von Edgar Degas eingeladen, bereits an der ersten Impressionisten-Ausstellung 1874 teilzunehmen, was dieser allerdings ausschlug. Die Einladung zur zweiten Impressionisten-Ausstellung 1876 sprach Pierre-Auguste Renoir brieflich aus, mit ihm verband Gustave Caillebotte eine lebenslange Freundschaft. Nun folgte der zuvor vom Salon Abgewiesene mit Freuden. In der Folge entwickelte er sich zu einem der wichtigsten Teilnehmer an den Impressionisten-Schauen, nur 1881 und 1886 findet sich ein Name nicht unter den Ausstellern.

Die von Caillebotte zwischen 1875 und 1893/94 geschaffenen Werke gehören zu den Meilensteinen der impressionistischen Kunst. Bereits „Die Parkettabschleifer“ (1875) schockierten das Publikum mit der übergroßen Darstellung einer einfachen, alltäglichen Tätigkeit. Neben großbürgerlichen Themen und Interieurs sind es auch Bilder von einfachen Bürgern, mit denen sich Caillebotte in die Tradition der realistischen Malerei seit Millet und Gustave Courbet stellte und die Sehgewohnheiten seiner Zeitgenossen herausforderte. In vielen Vorstudien entwickelte er seine Kompositionen nach traditionellem Schema und führte diese im Atelier minutiös aus. Erst die späten Landschaften entstanden vor dem Motiv und zeigen momenthafte Ausschnitte der Wirklichkeit.

Paris der Flaneure

Noch bedeutender sind Caillebottes Ansichten von Paris, der mit einer Mischung aus Detailrealismus und impressionistischer Unschärfe umsetzte. Nicht das alte, pittoreske Paris, sondern die mondäne Großstadt, die unter Baron Haussmann errichtet worden war, ist die Kulisse mannigfaltiger Aktivitäten. Oft flanieren Großbürger, Zylinder tragende Herren und ihre prächtig ausstaffierten, weiblichen Begleitungen, über die Straßen. Sie bewundern die Größe und Schönheit der Stadt, werden selbst bewundert, treffen auf einen Hund und ignorieren einen vor sich hin sinnierenden Arbeiter. Mit diesen Werken setzte Caillebotte dem Dandy des späten 19. Jahrhunderts ein ewiges Andenken. Inspiriert durch Japanische Kunst und zeitgenössische Fotografie, wählte Caillebotte hierfür neuartige Standpunkte und Blickachsen, die oft wie Weitwinkelaufnahmen mit extremen fluchtenden Perspektivlinien wirken. Je überzeichneter die Perspektive, desto unsicherer der Eindruck der Darstellung, kann man zusammenfassen. Asymmetrie, angeschnittene Motive, ungewöhnliche Blickwinkel und Unschärfe tun ihr übriges, ein völlig ungewohntes Bild des Lebens in Paris zu vermitteln.

In den zwischen 1880 und 1882 entstandenen Interieurs und den vielen Porträts wandte sich Caillebotte von einer erzählerischen Malerei ab. Interieurs, Stillleben und Porträts sind irgendwo zwischen bürgerlicher Repräsentations- und Wohnkultur, psychologischer Durchdringung der Privatsphäre und des männlichen Freundeskreises und dem Hinterfragen der „weiblichen Sphäre“ anzusiedeln. In Caillebottes Werk finden sich weder Opern- noch Theaterbesuche (vgl. Degas, Cassatt) noch Pferderennen, sondern früh zeigt sich seine Begeisterung für das Wasser. Sowohl Schwimmer als auch Kanupaddler und Segler gehörten zu seinen Lieblingssujets.

Malender Privatier

Der Bruch mit den Impressionisten erfolgte im Jahr 1882. Der Freundeskreis hatte sich bereits in den späten 1870er Jahren immer mehr zerstritten, vor allem Monet und Degas bildeten Antipoden. Obwohl Gustave Caillebotte die letzte, die Achte Impressionisten-Ausstellung 1886 organisierte, nahm er nicht mehr an ihr teil (→ Seurat, Signac, Van Gogh – Wege des Pointillismus). Der Maler entschied sich für längere Aufenthalte im neuen Sommerhaus in Petit Gennevilliers, gegenüber von Argenteuil und an der Seine gelegen, wo ihn Renoir häufig mit seiner Freundin besuchte. Er selbst zog sich von allen Ausstellungstätigkeiten zurück, so dass bei seinem Ableben sogar das Gerücht die Runde machte, er hätte seit langem nicht mehr gemalt. Und das obwohl die Galerie Paul Durand-Ruel 1894 ihm eine Retrospektive mit 122 Werken ausrichtete.

Gustave Caillebotte, ein vergessener Impressionist?

Im Vergleich zu Claude Monet, Pierre-Auguste Renoir und Edgar Degas ist Caillebotte nur einer kleinen Gruppe von Spezialisten ein Begriff. Er hat den Ruf als Sammler und Mäzen, die radikalen Avantgardisten unterstützt zu haben, seine eigene Malerei gilt als teilweise traditionell. Erschwert wird die Auseinandersetzung mit seinem Werk, durch die große Zahl an Gemälden und Zeichnungen in Privatsammlungen. Dennoch muss Caillebotte für seine Originalität – vor allem was Blickpunkte, Perspektive und Bildthemen anlangt – gewürdigt werden.

In Europa haben Ausstellungen seit der Mitte der 1990er Jahre diesen lange Zeit wirklich vergessenen Impressionisten wiederentdeckt. Seit 20 Jahren wurde in den USA keine Caillebotte-Retrospektive mehr gezeigt. Daher ist es für Earl A. Powell III, Direktor der National Gallery of Art in Washington, mit Ausstellung und begleitenden Publikation wichtig, einer neuen Generation von Kunstliebhabern Caillebottes beste Werke vorzuführen. Dem von Baron Georges-Eugène Haussmann unter Napoléon III. umgestaltete Paris mit seinen modernistischen Boulevards, seiner großbürgerlichen Gesellschaft und deren vielfältige Freizeitvergnügen widmete der wohlhabende Künstler seine ganze Aufmerksamkeit.

Caillebotte in Washington und Forth Worth

Die Ausstellung beginnt mit Einblicken in bürgerliche Interieurs wie „Kartenspieler“ (1881, Louvre, Abu Dhabi), „Junger Mann am Klavier“ (1876, Bridgestone Museum of Art) und dem ersten wichtigen Gemälde „Die Parkettschleifer“ (1875, Musée d'Orsay). Auffallend oft beschäftigte sich Gustave Caillebotte mit großbürgerlichen Interieurs, Fenstern und Balkonen, die Teil des Pariser Lebensstils waren: „Die Halévy Straße, gesehen vom Balkon“ (1878, Joan und Bernard Carl) und „Frau am Fenster“ (1880, Privatsammlung). In der Impressionisten-Ausstellung 1877 zeigte der Künstler „Straße in Paris, Regenwetter“ (1877, The Art Institute of Chicago) und „Auf der Pond de l'Europe“ (1876, Petit Palais, Geneva), die zu den bekanntesten Werke den Künstlers avancierten.

Zwei von Caillebottes provokativsten Werken – „Mann im Bad“ (1884, Museum of Fine Arts, Boston) und „Weiblicher Akt auf dem Sofa“ (1880, The Minneapolis Institute of Arts) – werden neben Porträts seiner Freunde ausgestellt sein, darunter das „Portrait von Eugéne Daufresne“ (1878, Privatsammlung) und das „Portrait von Richard Gallo“ (1881, Privatsammlung). Zwei selten in der Öffentlichkeit gezeigte Selbstbildnisse vervollständigen den Diskurs über den Menschen. Hier zeigt sich das „impressionistische Auge“ Caillebottes deutlicher als in den prächtigen Stillleben mit ihren exquisit verzierten Speisen.

Das Ende der Ausstellung ist den vorstädtischen Vergnügungen der Pariserinnen und Parisern gewidmet. Landschafts- und Gartenbilder, sportliche Aktivitäten und immer wieder die großbürgerliche Haltung lassen Gustave Caillebottes Experimente mit Farben und Licht, schrägen Ansichten und angeschnitten Motiven als Teil der Avantgarde-Bewegung der 1870er und 1880er Jahre begreifen.

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Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.