Nadim Vardag, jüngst zum Preisträger des BC & Belvedere Contemporary Art Award 2009 im Augarten Contemporary gekürt, thematisiert in seinen Skulpturen, Videos und Installationen die wissenschaftliche Fotografie des 19. Jahrhunderts und den klassischen Kinofilm. In ultrakurzen Loops lässt er unaufhörlich Szenen alter Filme wiederholen und schafft dazu Installationen, die seine Analysen verräumlichen. Wenn man Vardags Videos beschreiben soll, dann sind wohl formale Stringenz und Unaufgeregtheit der Bilder bei gleichzeitigem Aufbau eines Spannungsbogens ihre auffallendsten Charakteristika. Foto, Film und Kino sollen darin auf ihre Funktionsweisen und damit ihr Wesen ausgeleuchtet werden.
„Asphalt“ (2006) zeigt in einem 5-Sekunden-Loop ein Close-Up auf die Hauptdarstellerin des gleichnamigen deutschen UFA-Stummfilms von 1929, Betty Amann. In Vardags Loop verbindet sich Historisches mit einem großen Interesse am Poetischen, denn der Künstler ist weder auf der Suche nach dem Autor Joe May und dessen Filmsprache, noch analysiert er die Erzählung des Films. Nadim Vardag interessiert sich für die soziopsychologische wie technische Praxis der Affektregie, die sich in dieser Arbeit an der Großaufnahme festmachen lässt. Betty Amann atmet, wiegt sich leicht vorwärts und dann wieder zurück und verströmt gleichsam aus jeder Pore Präsenz. Die Dunkelheit des Hintergrunds, das Leuchten ihres Gesichts, die niedergeschlagenen Augen und der Lichtreflex auf der Lippe – all das wird erst durch den Stillstand des Films „sichtbar“ und enthüllt, wie die Aura der Schauspielerin medial erzeugt wird. Der Loop „Asphalt“ analysiert einen, wie der Filmtheoretiker Béla Balázs bereits 1924 feststellte („Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films“), wichtigen Kunstgriff des Films: „Die Großaufnahme ist die technische Bedingung der Kunst des Mienenspiels und mithin der höheren Filmkunst. So nahe muss uns ein Gesicht gerückt sein, so isoliert von aller Umgebung, welche uns ablenken könnte, so lange müssen wir bei seinem Anblick verweilen dürfen, um darin wirklich lesen zu können.“ Diese ältere Arbeit von Nadim Vardag belegt bereits, worum des dem Künstler geht: das Aufzeigen der gewollten Effekte des Films und der Konventionen, mit denen historische Fotografie und frühes Kino arbeiten.
Der Loop ist für Vardag jene Technik, mit der er den Film gleichsam anhalten kann, in der die Bewegung aber noch nicht völlig getilgt ist. Gleichzeitig reproduziert er eine Einstellung bzw. eine Sequenz in die Unendlichkeit. Die etablierte Polarität von statischem und bewegtem Bild wird dabei ad absurdum geführt. Vardag schafft mit all seinen Loops Metaphern für Zeitlosigkeit, indem er paradoxerweise die Zeit dehnt. Gleichzeitig bedient er sich mit dem Film einer Quelle, die nur über den Verlauf in der Zeit erfahrbar ist. Wie seine Figuren kommen auch die Betrachter der Loops nicht aus dem Kreislauf der Wiederholung heraus. Die Sequenzen und Einstellungen, die innerhalb der Filmerzählung eine bestimmte Funktion erfüllen, entbindet Vardag durch ihre Fragmentierung von jeglicher vordringlichen Funktionalität. Als Resultate seiner Analysen führt er sie so in einen poetischen Kommentar über.
Nadim Vardag gelingt das Aufbauen von Spannung, indem er das Warten auf die Auflösung der Szene ins Leere laufen lässt. In „Cat People“ (2005) sieht man die Beine einer weiblichen Person in hohen Stöckelschuhen einen spärlich beleuchteten Gang entlang laufen. Das Gehetzte im Rhythmus des Klapperns, die Lichteffekte und der Bildausschnitt sind klassische Elemente des Horrorgenres. Atmosphäre ist Nadim Vardag wichtiger als das wirklich Gezeigte.
Für „Lifeboat“ (2009) kombiniert er einen 3-Sekunden-Loop mit Blick in den sternenübersäten Himmel, vor dem sich ein schwarzes Segel dunkel abhebt, mit einem Objekt, das ebendiesen Sternenhimmel als Bühnenbild fassbar macht. Er ist nichts anderes als schwarzer, auf einem Gerüst montierter Stoff, der in bestimmten Abständen durchlöchert und an diesen Stellen lichtdurchlässig ist. Die technisch-apparative Praxisbedingtheit des Hitchcock-Klassikers von 1944 stellt sich in Bezug auf die Kulisse als einfache Illusion dar, vor der ein hochdramatischer Plot erzählt wird. Nichts deutet jedoch in der von Nadim Vardag gewählten Einstellung darauf hin. Stattdessen befriedigt das gezeigte Bild – und bei diesem 3-Sekunden-Loop kann man kaum mehr von einem wahrnehmbaren Film sprechen – den Wunsch nach einer maritimen Idylle. Der Blick vom Boot in den Nachthimmel, die funkelnden Sterne, die damit verbundene scheinbare Ruhe werden als Symbole enttarnt, die wiederum die Abhängigkeit des Mediums vom Betrachter entlarven. Kino ist, so aus Nadim Vardags Arbeiten ableitbar, nicht nur eine Projektion in einem dunklen Raum, sondern öffnet für die Betrachter einen Projektionsraum der Gefühle, der Wünsche und der Sehnsüchte, genauso wie der Ängste. Romantisches und Unheimliches treffen im Werk von Nadim Vardag aufeinander und sind kunstvolle Metaphern für den künstlerisch nutzbaren Freiraum zwischen Technik, Konvention und Wahrnehmung.
1980 in Regensburg (D)
2001 - 2003 Akademie der Bildenden Künste Nürnberg
2003 - 2006 Akademie der Bildenden Künste Wien
Lebt und arbeitet in Wien