Zu den sicherlich beeindruckendsten Objekten der Ägyptisch-Orientalischen Sammlung des Kunsthistorischen Museums Wien gehört der sog. „Ersatzkopf“ aus dem Alten Reich (ca. 2609–2584 v.Chr.). 1914 bei der österreichischen Grabung in Giza gefunden, kam er durch Fundteilung nach Wien. Internationale Leihgaben ergänzen die Kabinettsausstellung rund um den schönsten aller Ersatzköpfe. „Im Schatten der Pyramiden“ liegen Abertausende von Mastaba-Gräbern, an deren Erforschung österreichische Grabungen von 1912 bis 1929 beteiligt waren. Einige Stücke und vor allem digitale Visualisierungen beleuchten rund um Saal VIII sowie in den drei angrenzenden Kabinetten die Kunst und den Jenseitsglauben im Alten Reich.
Östereich / Wien: Kunsthistorisches Museum
22.1. - 20.5.2013
Viele Mythen und Legenden ranken sich um die Gräber der alten Ägypter. Zu den berühmtesten Totenstätten der Welt gehören die drei Pyramiden von Cheops, Chephren und Mykerinos auf dem Felsplateau von Giza. Aber nicht nur diese drei Pharaonen betrieben hohen Aufwand, um im Jenseits ein möglichst angenehmes Leben zu haben. Auch ihre Untertanen ließen sich Privatgräber, so genannte Mastaba-Gräber1, in der Nähe der großen Pyramiden anfertigen. Da sie in den unterschiedlichsten Größen und Ausstattungen zu finden sind, darf vermutet werden, dass von Angehörigen der Herrscherklasse bis zu einfacheren Handwerkern viele diese Gelegenheit nutzen wollten, in der Nähe ihrer Pharaonen bestattet zu werden. Typisch für Mastaba-Gräber ist ihre Unterteilung in einen oberirdischen Bereich für die Totenopferrituale, wo sich auch die Scheintür als imaginäre Verbindung zum Totenreich befindet, und einem unterirdischen Bestattungsraum. Die Fundstücke aus dem Grabbereich werden in zwei bewusst dunkel gestalteten Kabinetten gezeigt: zwei Ersatzköpfe, goldener Schmuck und Perlenkette, mit Gips umhüllte Körperteile, ein Sarg von Grabausstattungsgegenständen umringt. Da im Alten Reich die Mumifizierung noch nicht perfekt beherrscht wurde, wurden die Leichname mit Gips überzogen, um die Abbilder der Verstobenen zu bewahren. Vielleicht dienten die Ersatzköpfe dem Erhalt des Antlitzes? Die Körper wurden in den Särgen nach Nord-Süd-Orientierung ausgerichtet, mitunter reich mit Schmuck ausgestattet, und die Köpfe zur aufgehenden Sonne nach Osten gedreht. Eine Kopfstütze und Scheingefäße demonstrieren die handwerklichen Fertigkeiten und einfache Schönheit der Objekte. Wie viele Mastaba-Gräber es gibt, lässt sich, so die Kuratorin Dr. Regina Hölzl (Leiterin der Ägyptisch-Orientalischen Sammlung), auch heute noch nicht feststellen.
Das Felsplateau von Giza zählt sicherlich zu den am besten erforschten, ägyptischen Gräberfeldern des alten Reiches. Weniger bekannt ist, dass die österr. Akademie der Wissenschaften aus Wien, Prag und Krakau im zwischen 1912 und 1929 ausführliche Grabungen in den Privatfriedhöfen von Giza durchgeführt hat. Wie viele andere Nationen auch, war Österreich sehr an archäologischen Grabungen in Ägypten interessiert, eine erste fand 1910 in Tura, einem kleinen Ort in der Nähe von Kairo, statt, später grub man auch in Assuan und in Nubien.
Als Grabungsleiter bestimmte die Akademie 1912 den deutschen Archäologen und geweihten Priester Hermann Junker (1877–1962), der bereits 1909 als Außerordentlicher Professor an die Universität Wien berufen worden war. Die Grabungserlaubnis für Giza erhielt Österreich 1911 über ein Tauschgeschäft mit der Universität Leipzig, als Gegenleistung trat Österreich seine Grabungserlaubnis in Nubien an die deutschen Kollegen ab. Der Hildesheimer Sponsor Wilhelm Pelizaeus finanzierte auch die österreichischen Grabungen und erhielt einen Teil der 1912 und 1914 gefundenen Objekte, darunter die in der Ausstellung gezeigte „Statue des Prinzen Hemiun“ (ca. 2609–2584). Nach einer kriegsbedingten Unterbrechung forschte das österreichische Team von 1919 bis 1929 weiter. Am Ende jeder Grabungskampagne erhielten die Beteiligten ihren Fundanteil, indem die nicht in Ägypten verbleibenden Funde in gleichwertige Gruppen eingeteilt und per Losentscheid an die ausländischen Archäologen und Sponsoren aufgeteilt wurden. Fundjournale, Notizbücher und Fundteilungslisten geben darüber genau Auskunft. Die durch Zufall an die Österreicher gefallenen Funde wurden in der Folge an das KHM übergeben.
Die „Statue des Prinzen Hemiunu“ (ca. 2609–2584) aus Hildesheim nach Wien zu holen, ist sicherlich die große Leistung dieser Schau. Der Wesir und Neffe von Cheops, Architekt der Cheops-Pyramide wird in der lebensgroßen Statue als beleibter Mann gezeigt. Nicht nur sein Wohlstand ist demnach in der Figur ausgedrückt, sondern auch sein Sonder-Status, ist eine derart große Darstellung doch eigentlich ein Privileg des Königs.
Rund um ein Modell des Hochplateaus sind die wichtigsten Objekte arrangiert: Die „Statue des Prinzen Hemiun“ links führt zu kleinen Darstellungen des Pharao Mykerinos weiter, Cheops ist über seinen Namenszug auf einem Widderfragment präsent. Wenn die Schau auch den Mastaba-Gräbern gewidmet ist, ohne Verweise auf die Pharaonen-Gräber kommt sie dennoch nicht aus. Gegenüber zeigt Snofrunefer, „Aufseher der Sänger des Königshofes und Leiter der Vergnügungen“, seinen jugendlich gestalteten, nackten Körper. Dahinter folgen weitere Statuetten von Mastaba-Besitzern und Besitzerinnen, Türstürze mit Inschriften, Statuetten mit handwerklichen Tätigkeiten. Über diese Menschen erfährt man in der Ausstellung jedoch nichts. Wer das Leben, Sterben und Fortbestehen im Jenseits im Alten Reich verstehen lernen möchte, kommt über erste grundlegende Informationen in den Ausstellungstexten nicht hinaus. Wie wurde ein solch riesiger Totenbezirk gebaut und betrieben? Das Interesse des Hauses ist, wie der Untertitel der Schau deutlich machen soll, auf die Grabungen der Österreicher ausgerichtet, wenn auch die beteiligten Personen mit Ausnahme des Grabungsleiters im Dunkeln bleiben. Dass die Grabungserlaubnisse von den Franzosen erteilt wurden, die nachweislich den Europäern und Amerikanern gerne gute Stücke überließen, damit die wissenschaftliche Erforschung der ägyptischen Geschichte mit ausländischem Kapital weitergetrieben werden konnte, erfährt man auch erst auf Nachfrage. Ausgeklammert wird auch die weitere unrühmliche „Karriere“ des Grabungsleiters Hermann Junker als Mitglied der NSDAP. Stattdessen verweist man überglücklich auf die digitalen Rekonstruktionen. Virtuelle Gänge durch die Nekropole lassen das Alte Reich wohl besser wiederauferstehen, so könnte man schlussfolgern, als es Objekte vermögen.
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