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Axel Köhne: „Es wird bunt und lebhaft“ Zusammenarbeit von Publikum und Künster*innen im 21er Haus

Axel Köhne in der Ausstellung Duett mit Künstler_in im 21er Haus, 2017, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS.

Axel Köhne in der Ausstellung Duett mit Künstler_in im 21er Haus, 2017, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS.

Axel Köhne, Kurator für die Sammlung 20. Jahrhundert im Belvedere, Wien, zeichnet für die Ausstellung „Duett mit Künstler_in“ im 21er Haus, Wien, verantwortlich (→ Partizipative Kunst im 21er Haus). Die Gruppenausstellung versammelt exemplarisch Werke der 1950er bis 1970er Jahre von Joseph Beuys, Yves Klein, Vito Acconci und Franz West, um auf dieser Basis mit Yoko Ono, David Shrigley, Rirkrit Tiravanija, Angela Bulloch u.a. verschiedenste Facetten der Partizipation in der Gegenwartskunst durchzuspielen. Das Publikum ist aufgefordert mitzumachen, sich einzubringen, Teil des Kunstwerks zu werden – ephemer oder auch dauerhaft! Spiel und Spaß ergänzen Reflexion und Selbstanalyse – so der Plan.

Das Gespräch für ARTinWORDS führte Alexandra Matzner.

Partizipation in der zeitgenössischen Kunst

ARTinWORDS: In der Ausstellung „Duett mit Künstler_in“ geht es um Partizipation in der Gegenwartskunst seit den 1970er Jahren. Warum habt ihr dieses Jahrzehnt als Beginn gewählt?

Axel Köhne: Die frühen Arbeiten beginnen mit Yves Klein bereits in den 1950er Jahren – das ist die älteste Arbeit. Die historisch dokumentierenden Positionen, bei denen man erkennen kann, dass Partizipation mit Fluxus, mit Body-Art, mit Aktion, mit Happening beginnt, sind in dem vorderen Bereich der Ausstellung zu sehen.

ARTinWORDS: Wie ist das Partizipative zu verstehen? Wenn man von der Idee ausgeht, dass jeder Betrachter das Kunstwerk erst fertigmacht, dann handelt es sich bei jedem Kontakt mit Kunst um ein „Duett“. Offensichtlich geht es dir um eine Partizipation in einer ganz speziellen Form. Wie hast du bzw. habt ihr das kuratorisch angelegt?

Axel Köhne: Kuratorisch gesehen, gibt es zwei Teile in der Ausstellung. Der eine Teil ist historisch dokumentarisch und der zweite zeitgenössisch. Vielleicht sehen wir heute das revolutionäre Potenzial so mancher Arbeiten auf den ersten Blick nicht mehr, weil sie eigentlich noch an der Wand hängen. Wie zum Beispiel die Arbeit von Joseph Beuys „Wer nicht denken will, fliegt raus“. Natürlich impliziert das Denken einen aktiven, möglicherweise gesellschaftsverändernden, politischen Prozess und dieses Diktum „Jeder Mensch ist ein Künstler“ – heute müsste man sagen Künstler, Künstlerin. Aber damit meint Beuys ja nicht, dass jeder eine Galerie hat und von Kunst lebt. Er meint damit, dass man die Gesellschaft nach seinen friedfertigen, demokratischen, gemeinschaftlichen Vorstellungen gestalten kann. Beuys’ kleine Tafelarbeit hängt an der Wand. Auch die Werke von Wolf Vostell oder John Cage befinden sich in einer Vitrine. Oder Vito Acconci, der Leute im Stadtraum in New York nachgestellt ist – eigentlich eine unangenehme Situation, weil man im Nachhinein realisiert, dass jemand im öffentlichen Raum verfolgt wurde. Erst wenn diese Person einen privaten Raum betreten hat, zu dem Acconci dann keinen Zutritt mehr hatte, brach dieser die Aktion ab. Das war in den 1950er, 1960er, 1970er Jahre radikal. Letzten Endes ist die Arbeit oder Dokumentation der Aktion oder des Happenings eigentlich noch eine Wandarbeit, die vielleicht für unsere Begriffe heute brav wirkt, aber sie hat die revolutionäre Sprengkraft nicht verloren.

ARTinWORDS: Du zeigst die älteren Arbeiten im Eingangsbereich der Ausstellung, dahinter folgen aber jüngere Werke, die im Gegensatz dann offensichtlich zur „Mitarbeit“ des Publikums auffordern?

Axel Köhne: Ja, der zweite Teil der Ausstellung stellt zeitgenössische Arbeiten „zur Verfügung“. Diese implizieren auf den ersten Blick nicht das geistige Duett, sondern auch ein körperliches, sinnliches und aktives – man darf und soll etwas anfassen und tun. Es gibt Anweisungen oder Aufforderungen, denen man folgen kann. Bei David Shrigley kann man malen, bei David Horvitz Gedichte stempeln, bei Erwin Wurm auf kleinen Bühnen performen, bei Yoko Ono in den „Wish Trees“ Wünsche aufhängen oder zerbrochenes Porzellan reparieren und dabei an die Reparatur der Welt denken. Bei Rirkrit Tiravanija kann man Tischtennis spielen – er bezieht sich dabei natürlich auf die Arbeit von Július Koller, die vor kurzem im mumok zu sehen war. „Ohne Titel / Untitled 2015 (MORGEN IST DIE FRAGE)“ aus dem Jahr 2015. Rikrit Tiravanija ist ein guter Aufhänger für die Ausstellung: Auf einer ersten Ebene ermöglicht sie Spaß und Spiel, auf einer zweiten Ebene sind kunsthistorische Referenzen zu entdecken, und in diesem Fall auch politische Implikationen, und zwar über den Verweis auf den slowakischen Künstler Július Koller: Koller bezog sich auf Künstler, die sich zum Tischtennis-Spiel getroffen haben, weil sie dabei nicht Gefahr liefen, abgehört oder beobachtet zu werden. Tirvanijas Tischtennistische durchlaufen diese ganze Kette von Referenzen, von politisch zu kunsthistorisch zu Spaß und Spiel. Das ist sozusagen der rote Faden dieser Ausstellung.

Partizipative Kunst ausstellen, oder: Darf das Publikum Spuren hinterlassen?

ARTinWORDS: Im Museum hat man mit dem Publikum normalerweise nicht viel Freude, wenn es zu viel angreift. Immerhin besteht auch die Gefahr, dass es Kunstwerke auf eine Art und Weise verwendet, wie diese vielleicht gar nicht gedacht waren – oder auch als Werke zerstört werden. Wie geht das 21er Haus und wie gehen die Künstlerinnen und Künstler damit um?

Axel Köhne: Die Ausstellung ist sicher betreuungsintensiv, was die Aufsicht betrifft. Es gibt Arbeiten – vor allem im hinteren Teil der Ausstellung –, die man auf jeden Fall anfassen, benutzen oder ausprobieren soll. Zum Beispiel die Arbeit von Bruce Nauman, bei der man den eigenen Körper nach seinen Anweisungen an der Wand reiben und drücken soll.

ARTinWORDS: Wie hygienisch ist das im Winter?

Axel Köhne: Die Wand wird sicherlich körperliche Spuren oder Spuren der Aktion tragen.

ARTinWORDS: Du hast also versucht auf der einen Seite die historischen Arbeiten im vorderen Bereich zu positionieren. Diese werden auch durch Vitrinen geschützt werden, oder?

Axel Köhne: Da sie an der Wand hängen, werden sie „musealer“, aber es ist nicht ganz durchgehend. Die Besucher_innen werden vom „Role Announcer“ von Pierre Huyghe empfangen. Sie werden aktiv nach dem Namen gefragt und die Antwort dann vom Role Announcer in den Ausstellungsraum gerufen. Es ist eine konfrontative Arbeit, der man erstmal nicht ausweichen kann, sondern jede und jeder wird angesprochen und sieht sich gleich einem Dialog mit einem Menschen gegenüber.

ARTinWORDS: Eines der Phänomene im Museum ist, neben den Museumsregeln, dass man nicht mit seinem Nachbarn in Kommunikation tritt. Jeder geht individuell ins Museum hinein. Selten tritt Kommunikation zwischen den Besucherinnen und Besuchern auf. Ich würde es ja witzig finden, wenn es wirklich funktioniert und auch andere Besucherinnen und Besucher dieses Rollenspiel aufgreifen würden und es nicht nur bei einem individuellen Element bleibt.

Axel Köhne: Christine Hills Arbeit ist dafür natürlich prädestiniert, aber auch Tiravanija, wenn fünf, sechs Leute Tischtennis spielen. Ich habe gerade den Beuys-Film von Andres Veiel gesehen. Beuys war bei seinen Aktionen auch nicht unbedingt nur ernst und leise, sondern zum Teil sehr humorvoll. Er würde wahrscheinlich nicht darauf bestehen, dass man in seinen Ausstellungen leise ist. Die Arbeit von Yves Klein dokumentiert eine Aktion im öffentlichen Raum genauso wie Vito Acconci. Die Fotografien von Dieter Meier zeigen ihn 1971 mit einer Waffe vor einer Ausstellung und darunter stand „This Man will Not Shoot“. Eigentlich haben all diese Arbeiten im öffentlichen Raum stattgefunden und durch die Dokumentation den Weg ins Museum gefunden. Es geht aber nicht um Ruhe. Bei Claus Föttingers Bar, „Luhmann-Eck“ aus dem Jahr 2004, geht es um die „Beobachter zweiter Ordnung“ nach Luhmann: Man spiegelt sich in der Arbeit, trifft andere Leute, beobachtet wiederum diese, wie sie andere beobachten. Dabei darf man sich tatsächlich einen Kaffee nehmen. Der Kaltgetränke-Automat wird bestückt, und das Publikum darf im vorderen Barbereich die Getränke auch konsumieren.

ARTinWORDS: Aber dann keinen Schritt weiter, weil dahinter hängt eine Arbeit von Yves Klein.

Axel Köhne: Ja, da müssen wir dann leider u.a. aus versicherungstechnischen Gründen darauf achten, aber wir gehen immerhin den Schritt, dass man im vorderen Bereich etwas trinken darf. Und das muss nicht leise geschehen.

ARTinWORDS: Es wird also ein Ausstellungserlebnis! Von vornherein als solches angelegt.

Axel Köhne: Eigentlich schon. Gleichzeitig fasst es unser Jahr zusammen, das einer Reihe von partizipativen Künstlern gewidmet war. Das begann mit der Franz West-Ausstellung und setzte sich über Erwin Wurm, dann „Instructions for Happiness“ und jetzt „Duett mit Künstler_in“ fort. Jetzt zeigen wir exemplarisch historische Positionen und verbinden sie mit neueren, zeitgenössischen, internationalen Werken.

Duett der Museen: 21er Haus und Museum Morsbroich

ARTinWORDS: Man fühlt sich dadurch trotzdem fast ins Barock zurückversetzt. Mit diesem Announcer, der den sozialen Status und Namen in die Runde schreit. Das muss gut in das Ambiente von Schloss Morsbroich bei Leverkusen gepasst haben, von wo das 21er Haus die Ausstellung übernimmt.

Axel Köhne: Ja, für uns ist es nicht nur ein Duett mit Künstler, Künstlerinnen und Kunstwerken, sondern auch ein Duett der Museen. Mischa Kuball hat in Morsbroich gleich den ersten Raum hinter dem „Role Announcer“ mit einer Folie ausgelegt, die den Grundriss dieses Raums zeigt. Diese Folie hatte er zuvor im Leverkusener Stadtraum vor dem Rathaus ausgelegt. Das heißt, dieser Transfer zwischen städtischen und musealen Räumen, wurde von Kuball anhand seines Bodenbelags wörtlich genommen.

ARTinWORDS: Aktualisiert er das jetzt oder wird diese Folie von Morsbroich nach Wien transferiert?

Axel Köhne: Wir transferieren diesen Grundriss auf dem Boden nach Wien, und das Wiener Publikum kann jetzt auch hier den ersten Raum in Schloss Morsbroich betreten. Wir zeigen aber auch eine Simulation in der Ausstellung, weil Kuball sofort die Idee hatte, einen „vienna transfer“ zu machen: Er wollte den Grundriss des 21er Hauses auf den Stephansplatz in Outlines übertragen. Die Pflasterung am Stephansplatz wurde aber frisch renoviert, und deshalb war uns die Realisierung dieser Idee nicht möglich. Aber wir wollten Kuballs Idee auf jeden Fall in der Ausstellung festhalten. Um auf Morsbroich und die Idee von Partizipation zurückzukommen: Morsbroich war 1951 das erste neugegründete Museum für zeitgenössische, aktuelle Kunst nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland.

Partizipation aus- und aufstellen

ARTinWORDS: Museum Morsbroich ist ein barockes Schloss aus dem 18. Jahrhundert, in dem man von einem Raum in den nächsten geht. Ihr habt im 21er Haus einen Glaskubus mit vier tragenden Stützen und relativ variablen Wänden. Es gibt eine vollkommen andere Kommunikation mit dem Außenraum und eine andere Kommunikation der Objekte und Arbeiten miteinander. Wie gehst du als Kurator bei der Entwicklung der Raumplanung vor?

Axel Köhne: Wir bespielen mit „Duett mit Künstler_in“ im 21er Haus die Erdgeschoß-Fläche. Für die Aufstellung der Ausstellung haben wir lange überlegt, welche architektonischen Voraussetzungen einzelne Arbeiten brauchen. Wo brauchen wir Wände zum Hängen, wo brauchen Arbeiten tatsächlich Räume? Wir haben also damit angefangen, mit den und rund um die Raumarbeiten zu denken. Die Arbeit von Juergen Staack braucht einen Raum für die Scheinwerfer und Spiegel. Rodney Graham benötigt als Einziger eine Blackbox, und David Shrigley Wände zum Hängen und eine Art räumliche Präsentationsfläche, auf der eine überdimensional große Frauenfigur steht. Diese Frauenfigur soll dann vom Publikum abgezeichnet werden.

ARTinWORDS: Für „Duett mit Künstler_in“ braucht es also eine Black-Box, und zwei Kojen, eine davon mit einer Art Atelierszene, oder?

Axel Köhne: Genau. Im Museum Morsbroich konnten die Arbeiten, die unterschiedliche Lautstärken produzieren oder benötigen, auf den verschiedenen Stockwerken präsentiert werden. Das können wir im 21er Haus nicht. Aus der Erfahrung kennen wir die Laufwege des Publikums recht gut und wissen, dass der Großteil des Publikums nach rechts geht, wenn es das Erdgeschoss betritt. Es schaut dann sofort auf die Arbeit von David Shrigley, die natürlich ein „eye-catcher“ ist. Vom Shrigley-Konzept her ist allerdings wiederum eine gewisse Raumgröße und Raumhöhe für die Arbeit vorgegeben. Sonst hätte man sie nicht zeigen dürfen. Im Grunde haben wir das als Ausgangspunkt genommen, und die Außenflächen von den Räumen, die wir gebaut haben, werden z.B. als Stell- und Hängeflächen verwendet. Somit kann „Psyche“ von Franz West im hinteren Bereich gezeigt werden. Wir mussten uns auch überlegen, welche Arbeiten Ruhe brauchen und welche eher aktiv oder laut sind.

ARTinWORDS: Das ist jetzt die Annahme des Kurators bzw. der Kuratorin. Hat das Publikum im Museum Morsbroich die Ausstellung laut oder nicht laut benutzt?

Axel Köhne: Ja, ich glaube schon. Museum Morsbroich ist von der Schließung bedroht. Die Leitung wollte das Haus noch einmal bewusst öffnen und zeigen, dass ein Museum eine gesellschaftsrelevante Institution ist. Ein Museum ist nicht nur eine Institution, die im Elfenbeinturm sitzt, denkt, arbeitet und ausstellt, sondern sich auch dem Publikum öffnet. Ich war zweimal in der Ausstellung, und beide Male haben Besucherinnen und Besucher mit den Werken interagiert. OPAVIVARÁI ist ein Künstlerkollektiv aus Brasilien, die zwischen Performance, Theater, theatralischen Inszenierungen oder auch Kunst und Skulptur arbeiten. Sie haben fünf Skulpturen aus Töpfen und Küchenutensilien gebaut, die man benutzen soll. Die „Trommeln“ wurden lautstark benutzt – wir präsentieren sie auch im 21er Haus.

ARTinWORDS: Das könnte dann die Atelier-Atmosphäre bei David Shrigley ein wenig in Gefahr bringen?

Axel Köhne: Ja. Wir konnten nicht alles abdämpfen. Das war eine Herausforderung. Gerade mit den unterschiedlichen Lautstärken umzugehen.

ARTinWORDS: Es wird also nicht meditativ.

Axel Köhne: Nein, es wird bunt und lebhaft. Das war aber auch ein bisschen unsere Idee: nicht im klassischen Sinne kontemplativ zu sein. Man soll vor den Arbeiten nicht vor Ehrfurcht erstarren. Es soll möglich sein, sich zu David Shrigleys Figur zu setzen und zu zeichnen.

Wiener Note

ARTinWORDS: Bringt „Duett mit Künstler_in“ im 21er Haus – im Vergleich zu Museum Morsbroich – noch einen zusätzlichen Aspekt?

Axel Köhne: In Wien zeigen wir auch eine Arbeit von Krüger & Pardeller, die nicht in Morsbroich zu sehen war. Mir war wichtig, dass wir auch eine Wiener Position haben, die uns bzw. unseren Ausstellungsteil auch noch mit Künstlern der Stadt verlinkt und verbindet. Da hätten sich natürlich auch viele andere Künstler_innen angeboten.

ARTinWORDS: Was machen die beiden?

Axel Köhne: Sie zeigen ein Objekt zwischen Kunstwerk und benutzbarem Gegenstand: eine treppenartige Sitzskulptur, die ein bisschen arenenartig ausgeklappt werden kann. Man kann sitzen und sie benutzen, sie funktioniert aber auch als autonomes Objekt. Sie ist an der Stelle platziert, an der die Zeichenmaschine von Angela Bulloch in Aktion beobachtet und Yoko Onos Porzellan-Scherben-Arbeit betrachtet werden kann.

Partizipation in der aktuellen Kunstproduktion

ARTinWORDS: Ganz junge Positionen zeigt die Ausstellung „Duett mit Künstler_in“ interessanterweise nicht. Warum?

Axel Köhne: Die jüngsten sind wahrscheinlich Tomas Kleiner, OPAVIVARÁI und David Horvitz.

ARTinWORDS: Inwiefern spielt das Partizipative – das in „Duett mit Künstler_in“ historisch durchdekliniert und dann mit einigen wichtigen Protagonisten und Protagonistinnen repräsentiert wird – in der aktuellen Kunstproduktion weiterhin eine Rolle? Über die Ausstellung hinausgehend.

Axel Köhne: Gerade bei Positionen, die sich vom Materiellen nochmals lösen wie Pierre Huyghe oder Tino Sehgal oder die Performances, die Christian Falsnaes durchführt: Es gibt auf jeden Fall Künstlerinnen und Künstler, die sich gerade mit immateriellen, partizipativen, dialoghaften Themen auseinandersetzen und beschäftigen. Ich halte das für ein aktuelles Thema. Gerade im Werk von David Horvitz, der manchmal mit Handys arbeitet und einen Rahmen vorgibt, innerhalb dessen dann interagiert oder partizipiert werden kann.

ARTinWORDS: Wäre jetzt der künstlerische Mensch, den Beuys allerdings nicht wörtlich gemeint hat, dann heute mit den modernen Massenmedien – Handy, Fotografie, Instagram und Co – nicht vielleicht schon eingelöst?

Axel Köhne: Ich habe mich auch gefragt, was Beuys heute denken würde. Adorno hatte eigentlich noch Angst, dass Menschen durch die Unterhaltungsindustrie in Passivität gedrängt werden. Heute ist es so, dass Medien wie Handys, Tablets usw. Leute eher zur Aktivität drängen. Teilnahme findet auch über Facebook und YouTube usw. statt. Hans Haacke macht im 21er Haus eine Besucher_innenumfrage, die er gerade auf die aktuelle politische Situation in Österreich adaptiert.

ARTinWORDS: Weißt du schon welche Fragen er stellen wird?

Axel Köhne: Ich habe ihm sehr viele Zeitungsartikel nach New York geschickt, weil er sich noch ein genaueres Bild von der österreichischen Mediengesellschaft und politischen Verfasstheit machen wollte. Jetzt ist er gerade dabei, die Fragen zu entwickeln. Haacke selbst greift sein Umfragesystem auf, aber es wird nicht mehr ein Zettel in einen durchsichtigen Plexi-Cube geworfen. Heute gibt es Tablets, auf denen man seinen Fragebogen ausfüllen kann.

ARTinWORDS: Dann bekommt man in Echtzeit auch die Statistik geliefert, oder?

Axel Köhne: Genau. Daneben wird die Statistik auf einem Monitor ausgewiesen. Das finde ich interessant. Haacke hat mich seit dem Studium begleitet. Ich finde es beeindruckend, dass er sozusagen inhaltlich und formal seinem System treu bleibt, aber trotzdem nicht abgeneigt ist, neue Medien dafür zu nutzen.

Mitmachen – aber wie?

ARTinWORDS: Von den Künstlerinnen und Künstlern wird eine Handlungsanweisung in den Raum gestellt. Das Publikum kann darauf auf verschiedenste Art und Weise reagieren. Ein Duett würde diesen Ball an die Künstlerinnen und Künstler wieder zurückspielen. Habt ihr das vor? Bei Hans Haacke bietet es sich beispielsweise an, dass er die statistischen Daten später weiterverarbeitet.

Axel Köhne: Nach den Konzepten der Künstlerinnen und Künstler, die wir mit den Verträgen bekommen und einhalten müssen, sind wir dazu verpflichtet, zum Beispiel bei der Arbeit von Yoko Ono, das gebrochene Porzellan, das während unserer Ausstellungslaufzeit „repariert“ wurde, dem Yoko Ono Studio wieder zurückzuschicken. Auch bei David Shrigley haben wir von älteren Ausstellungen Hunderte von Zeichnungen der Besucherinnen und Besucher mitgeliefert bekommen. Wir werden am Anfang Werke, die in Morsbroich entstanden sind, aufhängen, damit das Publikum versteht, dass es auch aktiv werden soll. Wir müssen nach Ausstellungsende das, was in Wien entstanden ist, ans Studio Shrigley weiterschicken. Die Besucher_innen können ihre jeweiligen Werke im 21er Haus ausstellen und werden damit Teil des Gesamtwerkes.

ARTinWORDS: Auf der anderen Seite gibt es dann Positionen wie Erwin Wurm, der sagt, dass der Mensch, wenn er auf das Podest steigt, eine Skulptur von Erwin Wurm ist. Man gibt eine gewisse Form der Persönlichkeitsselbstgestaltung und Wahlfreiheit auf.

Axel Köhne: Wenn man sich die Arbeiten bzw. die Ausstellung genau ansieht, wird man auf unterschiedliche Konzepte treffen. Angela Bulloch, zum Beispiel, hat diese „Constructostrato Drawing Machine Red“ an der Wand, davor eine rote Bank. Alle, die sich auf die Bank setzen, lösen einen vertikalen Malprozess aus. Das Hinsetzen und Aufstehen hat nur Auswirkungen auf die Dauer einer bestimmten Malbewegung, aber nicht auf die eigentliche Art des Werkes, das entsteht. Die Autorschaft bleibt über die Programmierung bei Bulloch.

ARTinWORDS: Das Publikum trägt also nur bei, wie schnell die Zeichnung fertiggestellt wird oder nicht.

Axel Köhne: Am Ende wird eine große, fast monochrome rote Zeichnung aus horizontalen und vertikalen Linien entstehen. Bei Yoko Ono führt man die Handlungsanweisung des Porzellanreparierens aus. Das Porzellan geht wieder zurück nach New York. Bei Tiravanija ist man mehr oder weniger frei, wie man kommuniziert oder wie lange man Tischtennis spielt. Bei Juergen Staack, der mit Licht und Spiegeln arbeitet, werden die Besucherinnen und Besucher unfreiwillig sofort Teil seines Werkes, weil man auf den hellen Lichtflächen, die die Spiegel an die Wand werfen, automatisch Teil des Bildes wird: als schwarze Schattenfigur im hellen Lichtfeld. Bei Rodney Graham legen die Besucher_innen die Plattennadel auf die Schallplatte. Gleichzeitig wird damit der Filmprojektor ausgelöst. Man kann den Film sehen, und der Film stoppt an der Stelle, an der man die Nadel vom Plattenspieler nimmt.

„Man kann von Interaktion, Kollaboration, Teilnahme, dem Prozesshaften oder dem Kreativen sprechen.“ (Axel Köhne)

ARTinWORDS: Es gibt also verschiedene Facetten was Partizipation in diesem Fall heißt, und wie viel vom Publikum gefordert wird.

Axel Köhne: Man kann von Interaktion, Kollaboration, Teilnahme, dem Prozesshaften oder auch dem Kreativen sprechen. Man hat Teil an etwas, das entsteht. Die früheren Arbeiten zielen eher auf einen aktiven Nachvollzug der Kunstgeschichte oder dessen, was in den Werken zu lesen ist, ab. Stanley Brouwn hat beispielsweise Leute gebeten, aus der Erinnerung zu zeichnen, wie man zu bestimmten Orten im Stadtraum kommt. Auf diese Zeichnungen hat er seinen „THIS WAY STANLEY BROUWN“ Stempel gegeben und sich die Arbeiten angeeignet.

ARTinWORDS: Das Konzept war immerhin von ihm.

Axel Köhne: John Cage ist mit 4’33“ natürlich der Klassiker. Eine Partitur, die jeder spielen kann. Ein direktes Duett bzw. einen Dialog gibt es bei und mit Tomas Kleiner – ein ganz junger Künstler, der an der Akademie in Düsseldorf studiert hat. Seine Arbeit besteht in der Entwicklung von Gesprächssituationen mit Besuchern und Besucherinnen. Er arbeitet immateriell und stellt eine soziale Situation über einen Dialog her. Dafür wird er sich nicht nur im 21er Haus aufhalten, sondern auch im Oberen Belvedere. Das wiederum kann für uns das Duett der Häuser herstellen. So stellen wir einen Dialog zwischen dem Publikum und Künstlerinnen bzw. Künstlern her, einen weiteren zwischen dem 21er Haus und dem Museum Morsbroich und den dritten zwischen unseren Häusern in Wien. Dadurch ergibt sich für mich noch eine andere Klammer.

ARTinWORDS: Wo steht die Installation von Christine Hill? Wie funktioniert sie?

Axel Köhne: „The Small Business Model“ von 2011 ist ein überdimensionaler Kaufmannsladen.

ARTinWORDS: Mich hat es an ein Kinderspiel erinnert.

Axel Köhne: Ja, überdimensional. Man kann ihn aber wirklich betreten. Es geht um die unterschiedlichen Rollen, die man als Besucher und Besucherin annehmen kann oder soll. Man kann sich unterschiedliche Schürzen anziehen, hinter den Kassenbereich treten und vorne gibt es Schilder, die man auswechseln kann. Man ist Verkäufer bzw. Verkäuferin, Chef oder Chefin. Es geht ein bisschen um Rollenspiele. Natürlich geht es um Ökonomie, Kunst oder auch soziale Kreisläufe. Wir hätten natürlich gerne, dass die Leute diese unterschiedlichen Rollen mit ihren Handys festhalten und dies über unseren Hashtag hochladen und vernetzen.

ARTinWORDS: Wie heißt denn dieser Hashtag?

Axel Köhne: #duetwithartist21.

Partizipation, ein Teil der Erlebniskultur?

ARTinWORDS: Kritikpunkt an der Ausrichtung der Ausstellung könnte sein: Unsere Welt ist ohnehin schon so voller Events und dieser permanenten Aufforderung, dass man irgendetwas sharen soll und an irgendwelchen Bewegungen partizipieren soll. Eine Ausstellung wie „Duett mit Künstler_in“ passt für mich in den Zug der Zeit. Wie würdest du darauf reagieren? Arbeitet ihr bewusst mit solchen Überlegungen?

Axel Köhne: Die Arbeit von Gabriel Sierra zielt darauf ab, dass man sich zurückzieht: auf eine doppelte Bettkoje, auf der man eine Art „napping“ machen kann. Es gibt die Möglichkeit, sich auf Stroh oder Zeitungspapier zu legen. Für mich ist es auch eine Arbeit, die soziale Unterschiede markiert. Da findet man Stille, Ruhe, Rückzugsmöglichkeiten, Kontemplation, Schlaf in der Schau. Und bei der Arbeit „Psyche“ von Franz West wird man durch die Spiegelkonstruktion auf sich selbst zurückgeworfen. Das ist vielleicht der witzige, ironische Kommentar zu unserer Zeit: das ständige Sich-selbst-Bespiegeln auf sozialen Kanälen. Das funktioniert für mich hier mit einem Augenzwinkern.

Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.