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Brot & Wein Niederösterreichische Landesausstellung 2013

Brot & Wein

Brot & Wein, Plakat

Die Niederösterreichische Landesausstellung 2013 „Brot & Wein“ beschäftigt sich in umfassender Weise mit einer Kulturgeschichte dieser beiden Grundnahrungsmittel. Der sakramentale Gesichtspunkt, der im Titel deutlich mitschwingt, tritt an verschiedenen Orten und Räumen der Ausstellung auf, ist aber keineswegs ein tragender. Vielmehr werden in vielfältiger Weise die Herstellung von Brot und Wein, vor allem in ihrer Bedeutung für die Wirtschaft, das tägliche Leben und die unterschiedlichsten kulturellen Anwendungsformen anschaulich nachgezeichnet. Dabei bilden nicht nur Kunstwerke eine tragende Säule in der Visualisierung, sondern interaktive Medien, Spiele und Verkostungen von „Urzeit-Knäcke“ werden ebenso gezielt wie kundenfreundlich eingesetzt.

„Urzeit-Knäcke“ und Weinseligkeit

Den beiden Ausstellungsorten Asparn an der Zaya und Poysdorf ist jeweils ein Nahrungsmittel zugeordnet. Daraus gibt sich eine klare örtliche Trennung des Ausstellungskonzepts. Müßig zu sagen, dass jeweils vor Ort angebotene kulinarische Bote in sinnvoller und kundenfreundlicher Weise ergänzen.

Das niederösterreichische Urgeschichtemuseum in Schloss Asparn erhielt 2012 ein neu ausgebautes Dachgeschoss, indem die interaktive Ausstellung mit der Darstellung des „Allesfressers“ Homo sapiens beginnt, und ein neues neolithisches Langhaus incl. Backofen im Park (einem jungsteinzeitlichen Großbau in Schwechat nachempfunden). Letztes führt die Siedlungsarchitektur und die technischen Möglichkeiten der Steinzeitmenschen anschaulich vor Augen. Die Ausstellung beginnt mit urgeschichtlichen Funden und die Entwicklung von Getreidesorten, dann folgen die frühe Geschichte Niederösterreichs mit dem „Massaker“ von Schletz, Wein- und Bierproduktion während des Mittelalters bis in die Überproduktion in der Nachkriegszeit. Ein menschliches Skelett aus der Jungsteinzeit (5600-4700 v. Chr., Wien, NHM) belegt am Beginn des Ausstellungsrundgangs typische Krankheiten für einen neolithischen Menschen: Karies und andere Zahnschäden, Gelenksentzündungen und Knochenkrankheiten bis zu Infektionen. Dennoch bleiben die Kuratoren nicht in den heimischen Gefilden verhaftet, sondern stellen auch altägyptische Kornverarbeitungstechniken und Kornmumien vor, das verkohlte Brot aus Twann in der Schweiz als ältesten Brotfund Europas (3700 Jahre alt), Götterdarstellungen wie eine thailändische Reis- und eine aztekische Maisgöttin etc. Römische Darstellungen des Lagerlebens sowie ein Pflug führen von der frühgeschichtlichen Zeit Niederösterreichs in die durch Bild- und Textquellen belegbare historische Phase. Auffallend ist, dass hier museale Kunstwerke nicht im Sinn ihres künstlerischen Wertes und als Fiktionen eingesetzt werden, sondern sie quasi als Illustrationen für historische Ereignisse dienen: So stellen etwa Historienbilder des 19. Jahrhunderts wie „Attilas Fest“ von Mór Than (1865) und „Rudolf von Habsburg schützt den Bürger und Bauer“ von Hermann A. Stilke (1850) neue „Herrschertypen“ vor. Attila baute, so kann man im Katalog nachlesen, sein Reich schnell und gewaltsam auf, während Rudolf von Habsburg als „Vertreter einer neuen, wieder einigermaßen stabilen gesellschaftlichen Ordnung des Hochmittelalters gilt“ (Katalog Brot, S. 131). Gleich daneben zeigt ein Diorama mit Zinnfiguren (2005) aus dem Waidhofener Stadtmuseum die „Plünderung einer Mühle“ im Dreißigjährigen Krieg, vor allem aber im Jahr 1645. Der dargestellte Überfall lässt sich zwar „historisch nicht belegen“, das Diorama zeige aber eine typische Mühlenanlage, bestehend aus Wohn- und Mühlenhaus mit Wasserrad und Stallungen (Katalog Brot, S. 210).

Die Kultur des Brotes erschöpft sich jedoch nicht in der Herstellungspraxis, sondern schließt auch den Umgang mit den Produzenten ein (Stichwort: Bäckerschupfen), die Macht der Zünfte (Kaufrufe), eine Hinweistafel mahnt vor Entlassung nach Diebstahl. Ein Ende findet der kulturhistorische Rundgang nach Propagandasprüchen der 20er und 30er Jahre in der Ernährungsrevolution seit den 60er Jahren, die im sog. „Qualitätsgeschmack“1 der 2000er vorläufig kulminiert. Wer sich im Park dann noch mit dem Geschmack der Jungsteinzeit vertraut machen möchte, kann schlussendlich noch ein „Urzeit-Knäckebrot“ verkosten. Das entspricht dann wohl dem „Notwendigkeitsgeschmack“ am besten!

Weinhauen in Niederösterreich

Von der Urzeit bis in die jüngste Vergangenheit führt auch der Ausstellungsrundgang in Poysdorf, eine Kapelle bietet sich für die sinnträchtige Präsentation der Messkelche an, auch hier wurde das Ausstellungsgebäude durch einen Zubau erweitert. Besonders stolz darf sich der Ort geben, dass der heimische Wein im Jahr 1814 von Zar Alexander I. von Russland als so geschmacksvoll beurteilt wurde, dass der Herrscher – nach einem Aufenthalt auf dem Weg zum Wiener Kongress – sich Poysdorfer Tropfen nach Hause liefern ließ.

Der Rundgang durch die Geschichte des Weinanbaus und -genusses hebt im antiken Griechenland mit der Hymne an den Wein als Musensaft an und setzt sich über die römische Zeit fort, als in Österreich Weinreben heimisch gemacht wurden. Seit dem Mittelalter ist Niederösterreich eine wichtige Weinbauregion, was an den Tokajer-Spenden von Maria Theresia an ihre Freunde oder den heutigen Kellergassenfesten ablesbar ist. Bis heute ist der Wein ein Produkt, dass sowohl am heimischen als auch am internationalen Markt zwischen Luxusgut und Massenware changiert, wobei der österreichische Weinskandal Wesentliches in punkto Qualitätssicherung und -steigerung beigetragen hat.

Doch nicht nur die Produktion und die wirtschaftlichen Belange interessieren die Ausstellungsmacher, sondern auch der Weingenuss, des Weiteren der Wein als Symbol für das Blut Christi sowie der koschere Wein des Judentums. Von der Benediktsregel, in der vor übermäßigem Weingenuss gewarnt wird, über glanzvoll gearbeitete Kunstkammerstücke (z.B. den Bobenhausener Willkomm von Paulus Dulner, um 1572, aus der Schatzkammer und dem Museum des Deutschen Ordens in Wien), viereckige Weinflaschen aus dem Barock, einem „Blumen- und Früchtestillleben“ der holländischen Künstlerin Rachel Rysch von 1715, der Heilig-Blut-Monstranz von Ignaz Sebastian Würth aus dem Jahr 1784 aus dem Dom von St. Stephan führt die „Weinreise“. Vielleicht endet sie dann im angeschlossenen Weingeschäft oder den benachbarten Heurigen, um von der Theorie zur Praxis überzuleiten.

Brot & Wein als Katalog

Der reichhaltige Ausstellungskatalog im Schuber, der Texte von ausgewiesenen Spezialisten versammelt, geht über das in der Ausstellung gezeigte weit hinaus und dient eher zur Nachbereitung denn als Ausstellungsführer.

Besichtigungstipp! In der Nähe der beiden Ausstellungsorte Aparn an der Zaya und Poysdorf befindet sich das Museumsdorf Niedersulz, ein Partner der Niederösterreichischen Landesausstellung 2013.

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  1. Wolfgang Reiter und Hanni Rützler gliedern die Entwicklung seit der Nachkriegszeit wie folgt:
    1940-1960: Notwendigkeitsgeschmack = Kartoffel und Brot;
    1950-1980: Kompensationsgeschmack = Fleisch und Wurst;
    1970-2010: Bequemlichkeitsgeschmack = Big Mac und Convenience-Produkt;
    1980-2000: Luxusgeschmack = Hummer und Trüffel;
    1990-2010: Korrektivgeschmack = Joghurt und Salat;
    2000-2020: Qualitätsgeschmack = Gourmet-Teller mit ausgewogenen Zutaten. Siehe Katalog Brot, S. 238.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.