Zwischen 1780 und 1840 (Empire: 1804–1815, Biedermeier: 1815–1848) fand die Glasproduktion zu einem qualitätsvollen Höhepunkt: Technische Innovationen in der österreichischen Glasindustrie im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts führte zu neuen Gestaltungstechniken und Formen des Glases. Jeweils 180 Gläser aus dem MAK und der Sammlung Christian Kuhn stellen das Empire- und Biedermeierglas ins Zentrum der Aufmerksamkeit; der begleitende Katalog führt in die wichtigsten Gestaltungsschwerpunkte ein und publiziert die Gläser des MAK erstmals geschlossen.
Österreich / Wien: MAK
1.2. - 17.4.2017
Der Epochenüberblick beginnt mit Gläsern von Josef Mildner (1765–1808), da sie einen hohen technischen und künstlerischen Standard aufweisen. Seltene Gläser mit transparenter Malerei aus den Werkstätten von Samuel Mohn (1762–1815) und dessen Sohn Gottlob Mohn (1789–1825) sowie von Anton Kothgasser (1769–1851) zeigen die künstlerische Erfindungskraft der Glasmaler. Der schwierig zu bewerkstelligende Glasschnitt wurde im Biedermeier ebenfalls zu einem Höhepunkt geführt. Wichtige und bedeutende Vertreter dieser Technik – Dominik Biemann, Franz Paul Gottstein, Hieronymus Hackel, Johann Lenk, Anton Simm, Franz Anton Pelikan und August Böhm jun. – sind ebenso mit Werken in der Schau vertreten.
Joseph Mildner (1765–1808) wurde in der Nähe der Harrach’schen Glashütte in Neuwelt im heutigen Tschechien geboren. Zwischen 1795 und 1807 stellte er im niederösterreichischen Gutenbrunn im Weinsberger Wald Gläser her.1 Heute werden ihm über 420 Werke zugeschrieben. Mildner-Gläser – anfangs häufig farblose, leicht konische, später bevorzugte er zylindrische Becher – sind mit Einsatzmedaillons verziert. Diese setzte Joseph Mildner in die Wandungen oder Böden ein, verwendete die gleiche Technik aber auch an Mund- und Fußreifen. Die Medaillons sind mit Blattgold auf rotem Lackgrund belegt, aus dem die Darstellung herausradiert wurde. Selten verwendete Mildner farbige Porträts auf Pergament. Der Glasveredler signierte seine Werke auf der Innenseite des Einsatzmedaillons, häufig findet sich dort auch eine Datierung. Mildners Gläser zeigen Monogramme, Wappen und Heiligendarstellungen, Landschaften und Architektur, seltener Porträts. Die Stellung des Glasdekorateurs Joseph Mildner in der Glaskunst des Empire ist einzigartig, denn er hatte weder Vorläufer noch Nachfolger.
Samuel Mohn (1762–1815) und dessen Sohn Gottlob Mohn (1789–1825) stellten Gläser mit Transparentmalerei her. Der als Porzellanmaler ausgebildete Samuel Mohn dürfte 1806 sein erstes Glas bemalt haben. In seiner Dresdner Werkstatt arbeitete er mit seinen Söhnen Gottlob und August Heinrich, dazu beschäftigte er auch die Glasmaler August Heinrich, August und Wilhelm Viertel und Carl von Scheidt. Trägermaterial für die Mohn’schen Kompostionen sind meist farblose Walzenbecher. Samuel Mohn hatte eine transparente Emailfarbe erfunden, die sich im Brennofen dauerhaft mit Glas verband und von bestechender Brillanz war.2 Sehr beliebt waren Blumengewinde, Eichlaubkranz oder Lorbeerkranz unterhalb des Mundrandes, die den Wert des Glases auch beträchtlich erhöhten. Die Wände wurden mit schwarzen Silhouetten auf gelbem Grund oder einem Gedächtnisspruch an Luise, Königin von Preußen (10.3.1776–19.7.1810) sowie Veduten nach bekannten Drucken verziert. Als leicht erkennbares Monogramm verwendete Samuel Mohn eine (natürlich aufgemalte) Fliege.
Gottlob Mohn verließ 1811 die väterliche Werkstatt und übersiedelte nach Wien. Er änderte an den erfolgreichen Motiven seines Vaters wenig und importierte damit jene Glasmode, die wenig später von Anton Kothgasse weiterentwickelt, zum charakteristischen „Wiener Biedermeierglas“ wurde. Die Zuschreibung der Gläser an Gottlob Mohn lässt sich mit den vermehrt anzutreffenden Wien-Motiven und dem Zusatz Wien an der Signatur festmachen. Besonders beliebte Ansichten waren die des Stephansdoms, vom Michaelerplatz und von Schloss Laxenburg. Zwischen 1815 und 1820 malte Gottlob Mohn eine Reihe von Pokalen mit Schlössern und Burgen für die Wildensteiner Ritterschaft. Nachdem Mohn 1825 verstorben war, kaufte Kaiser Franz I. das Geheimnis („Arcanum“) der Produktion und unterstützte so die Kinder mit 4.000 Goldgulden. Die Gläser von Gottlob Mohn hatten eine direkte Nachfolge in den transparent bemalten Gläsern von Anton Kothgasser.
Anton Kothgasser (1769–1851) ist der Namensgeber der Kothgasser-Gläser, die wohl von einer größeren Anzahl von Glasmalern in dessen Werkstatt ausgeführt wurden (u. a. Jakob Schuhfried). Kothgasser-Gläser sind farblose Gläser, meist Ranftbecher, die zwischen 1815 und 1840 mit Transparentmalerei in Wien verziert wurden. Sie gelten heute als Inbegriff des Wiener Biedermeier-Glases. Die signifikant größere Anzahl von erhaltenen Kothgasser-Gläsern (v.a. im Vergleich zu Mohn oder Egermann in Nordböhmen) lässt den Schluss zu, dass die Werkstatt sehr erfolgreich produziert haben muss. Das könnte auch damit zusammenhängen, dass die Ranftbecher in kleinen Serien und nicht als Einzelstücke hergestellt wurden.
Der in Wien geborene Kothgasser studierte ab 1781 an der Akademie u. a. bei Friedrich Heinrich Füger (1751–1818) und arbeitete von 1784 bis zu seiner Pensionierung in der Wiener Porzellanmanufaktur (heute: Augarten Porzellan). Christian Kühn vermutet, dass Anton Kothgasser bis etwa 1810 hauptsächlich als Porzellanmaler tätig war, Jutta Annette Page führt ihn als „Golddessinmaler“ von 1805 bis 1816 in der Manufaktur an.3 Da er danach nicht mehr nachweisbar ist und vielleicht zum Glasmaler wurde. Da 1811 Gottlob Mohn nach Wien übersiedelt war, dürfte in der Residenzstadt die Nachfrage nach bemalten Gläsern gestiegen sein. Die Porzellanmanufaktur ließ Kothgasser höchstwahrscheinlich in ihren Räumen malen. Seine Arbeiten wurden teils über die Porzellanmanufaktur und teils über Einzelhändler, wie die Hof-Galanterie-Warenhandlung des Johannes Pürkert, verkauft.
Anton Kothgasser bevorzugte Becher, vor allem aber den so genannten Ranftbecher mit wulstigem Fußranft. Der Fußranft ist häufig geschliffen sowie geschlängelt und mit Goldlinien konturiert. Die meisten Kothgasser-Gläser sind transparent mit Emailfarben, einige auf der Innenseite mit Goldanstrich und seltener mit Silberanstrich versehen worden. Die Malerei der Kothgasser-Gläser wurde nach dem Auftragen noch drei Mal im Muffelofen gebrannt und dann bis zu zwanzig Stunden abgekühlt.
Lieblingsmotive waren Wiener Ansichten: Stephansdom, Hofburg, Graben, Michaelerplatz, Karlskirche und Schönbrunn. Sie gehörten zu den teuersten Arbeiten. Blumenmotive finden sich häufig in ovalen Medaillons oder in Form von Namensinschriften. Die Sprache der Blumen vermittelt Freundschafts- und Liebesbekundungen – auch oftmals sentimentale Reime. Zu den beliebten Pflanzenarten zählten vierblättrige Kleeblätter (Glückssymbol), Stiefmütterchen (franz. pensée, Gedanke), Vergissmeinnicht. Weiters beliebte Motive waren Spielkarten und Fische. Einzigartig ist der Becher, den Kothgasser mit einer Vollmondnacht bemalte, wie auch jener, dessen Dekor helles Hartholz imitiert.
Im Jahr 1816 entwickelte Georg Franz August de Longoueval, Graf von Buquoy (1781–1851) in seiner Glashütte in Georgenthal bei Gratzen ein schwarzes, obsidianähnliches Glas, das er „Hyalith“ (Steinglas; griechisch hyalos für Glas und lithos für Stein) nannte. Es ist völlig opak, sehr hart und besitzt eine glänzende Oberfläche. Das machte Hyalith-Glas zum perfekten Ausgangsmaterial für geschliffene Gläser. Zusätzliche Verzierung erhielten diese Gläser durch aufgemalte Goldverzierungen. Das rote Hyalithglas wurde ab ca. 1819 in Georgenthal hergestellt und war noch kostspieliger, da mit Goldzusatz herzustellen. Hohe Nachfrage nach den farbigen Gläsern in den 1820er Jahren führte zur Verbreiterung des Angebots. Zunehmend hatte es dem englischen Kristallglas den Rang abgelaufen. Zu den schwer wirkenden, opaken Hyalith-Gläsern gesellten sich bald Überfanggläser. Sie wurde mit Glasschnitt hergestellt, d.h. es wurde eine zweite opake Glasschicht aufgeschmolzen und die darunterliegende anschließend durch Schleifen teilweise wieder freigelegt.
Formal wichtig waren die Einfachheit der Formen und Betonung der Volumina der Objekte des Biedermeierstils in Österreich (zwischen 1815 und 1850). Die Glashütten legten Wert auf materialgerechte Verarbeitung, um die Hochwertigkeit des Glases und eine gewisse Tektonik im Aufbau zu betonen. Die Dekorationstechniken waren Facettenschliff, Bänderung (Erzeugung von Äderungen auf der Oberfläche durch Drehbewegungen während des Blasens), Vergoldung und Silberbeizung. Ab 1824 wurden vergoldete Chinoiserie-Motive sehr geschätzt, die nicht nur vom privilegierten Buquoy, sondern auch von Graf Harrach hergestellt wurden.
Friedrich Egermann (1777–1864), anfangs im tschechischen Blottendorft bei Haida (heute: Polevsko) und dann in Haida (heute: Nový Bor) tätig, bemalte Gläser lasierend mit Flachfarben (Lasur). Er erhielt am 9. März 1829 ein kaiserliches Privileg für die Entwicklung des Lithyalin-Glases. Er verschmolz Sand mit Pottasche oder Soda mit Kalk, Metallen oder Metalloxiden. Je nach beigefügtem Mineral kann das Aussehen des Glases verändert werden. Danach kann das Glas noch durch Farbbeizen aus Metallsalzen und nochmaliges Brennen bearbeitet werden. Beim Einbrennen verbindet sich die Beize mit der Oberfläche des Glases und erzeugt – abhängig von den verwendeten Slber- oder Kupferverbindungen – unterschiedliche Farben. Die Effekte waren offenbar kaum planbar. So verwandelte Egermann Hyalith-Gläser in Lithyalin-GLäser. Der letzte Veredelungsvorgang ist die Vergoldung, die in spezialisierten Werkstätten in Nordböhmen aufgemalt wurde. So entwickelte Egermann ein Glas, das die Optik von Marmor und verschiedenen Halbedelsteinen hat. Er bevorzugte vier- bis sechskantig geschliffene, glockenförmige Becher aus farblosem Glas, deren Seiten verschiedenfarbig bemalt wurden. Dazu gestaltete er Blütendekor und/oder radierte geometrische Muster.
Vor allem zwischen 1820 und 1840 erfreute sich Steinglas großer Beliebtheit. Buquoy begann 1817 mit der Hyalithglas Herstellung, im Jahr 1828 startete Friedrich Egermann mit der Produktion von Lithyalinglas. Agatinglas wurde ab 1835 angefertigt. Das Zich’sche schwarze Metallglas wurde 1823 entwickelt, sein Steinglas um 1832. Da Steingläser nicht signiert sind und selten datiert, ist eine sichere Zuschreibung höchst problematisch. Das Kunstgewerbemuseum in Prag besitzt die größte Sammlung an Steingläsern der Welt. Das MAK – Museum für Angewandte Kunst/Gegenwartskunst in Wien beherbergt eine der größten Bestände an Flakons aus Steinglas.
Ab 1830 prägte das Zweite Rokoko die Tischkultur mit ausladenden Formen und Ornamenten. Zuvor war der teuren nordböhmischen Glasproduktion, die sich an Auftraggeber wandte, durch billigere Konkurrenz aus Belgien und Frankreich, sowie höhere Zölle in Preußen und Bayern in Bedrängnis geraten.
Im Fokus der Sammlung Christian Kuhn liegen Steingläser (auch: Chameläonglas, Achatglas, Hyalithglas, Lithyalinglas, Siegellackrotes Glas), die durch Äderungen und opake Färbungen Gefäße aus Schmucksteinen imitieren. Friedrich Egermann (1777–1864) aus Blottendorf bei Haida in Nordböhmen ist berühmt für sein „Lithyalin“-Glas. Egermann schuf einen neuen Typ von Steinglas, der durch effekt- und ausdrucksvoll verfärbte, inhomogene Teile und verschiedenfarbige Oberflächen gekennzeichnet ist. Indem er der Glasmasse Pflanzenaschen und Metalloxide zufügte, verunreinigte er das Glas. Nach dem Abätzen der Schmelzfläche kamen sehr feine Marmorierungen zum Vorschein, die er mit Korkscheiben polierte. Die Rohgläser bezog Egermann teilweise aus der Harrach’schen Hütte, Neuwelt im Riesengebirge, die ebenfalls Steingläser produzierte.
Agatingläser (auch: Agatin-Opalgläser) bestehen aus gefärbtem, opalisierendem Milchglas. Sie wurden von der Bouquoy’schen Glashütten in Südböhmen hergestellt. Die Glashütte von Josef Zich in Joachimsthal im niederösterreichischen Waldviertel stellte schwarzes Hyalithglas her. Sie deuten bereits die spätere Entwicklung des Glases an, die in der Loetz’schen Hütte in Klostermühle neue Höhepunkte erreichte.
„Auch die Ausstellung von Gläsern des Klassizismus, der Empire- und Biedermeier-Zeit, die 1922 im damaligen Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, heute MAK, stattfand und an die wir den Namen unserer Präsentation angelehnt haben, präsentierte großteils Gläser aus privaten Sammlungen, wobei die Sammler mit dem Kustos des Museums eng zusammenarbeiteten“ (Rainald Franz, Kurator und Kustode MAK-Sammlung Glas und Keramik)
In der Folge publizierte Gustav Pazaureks 1923 sein Buch „Gläser der Empire- und Biedermeierzeit“, das bis heute ein Standardwerk zu diesem Thema blieb. Die Gläser dieser Periode waren in den frühen 1920er Jahren für das MAK von großer Bedeutung. Einerseits arbeitete man die kunsthistorische Entwicklung der Glasformen und -dekortechniken auf und andererseits bot der reiche Formenschatz der Glasveredelungstechniken und der Gestaltung Anregungen, die die lokalen Glasverleger in Wien – aber auch in den böhmischen Glaszentren – wieder aufgriffen. „Biedermeier als Erzieher“ wurde zum Schlagwort der Kunstkritik und das Österreichische Museum für Kunst und Industrie (heute: MAK) reagierte mit historischen Ausstellungen auf das Interesse an Entwerfern wie Josef Hoffmann.
Die Ausstellung „Gläser der Empire- und Biedermeierzeit“ wird parallel zur MAK-Ausstellung „Das Glas der Architekten. Wien 1900–1937“ gezeigt (→ Wiener Glaskunst des Jugendstil und Art Deco), eine in Kooperation mit Le Stanze del Vetro, Venedig. Diese präsentiert über 300 Gläser aus den letzten Jahrzehnten der österreichisch-ungarischen Monarchie bis zum Ende der Ersten Republik.