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Wien | MQ Freiraum: LandRush Landraub - Baumwolle - Wassernot

Frauke Huber und Uwe H. Martin, Dry West, California Drought, 2015 (c) Frauke Huber und Uwe H. Martin, Bildrecht Wien 2023

Frauke Huber und Uwe H. Martin, Dry West, California Drought, 2015 (c) Frauke Huber und Uwe H. Martin, Bildrecht Wien 2023

In ihrer multimedialen Installation präsentieren Frauke Huber (*1966) und Uwe H. Martin (*1973) ihre Rechercheergebnisse zur Landwirtschaft im Anthropozän. Huber und Martin beschreiben sich selbst als Künstler:innen-Duo, unabhängige visuelle Geschichtenerzähler:innen, langsame Journalist:innen und Pädagog:innen. Für ihre Langzeitprojekte verbinden sie Fotografie mit Dokumentarfilm, Text und Ton. Gesammelt und erzählt werden Geschichten aus der ganzen Welt – ohne erhobenen Zeigefinger, aber mit teils schönen Bildern.

Landwirtschaft und Klimawandel

Die Landwirtschaft beansprucht etwa 40 Prozent der weltweiten Landfläche und mehr als 70 Prozent des Trinkwassers. Sie lässt Flüsse austrocknen und senkt Grundwasserspiegel. Die zunehmende Wüstenbildung durch Übernutzung der Böden und steigende Temperaturen ist eine der größten Bedrohungen für das Leben auf der Erde überhaupt. Düngemittel aus der industriellen Landwirtschaft schädigen die Ökosysteme von Flüssen und Küstengebieten. Abholzung von Wäldern und Umwandlung von Grünland in Ackerland führen zu Bodenerosion und zum Verlust der Artenvielfalt. Dennoch ist vielen Menschen nicht bewusst, wie fragil das globale Ernährungssystem ist: Jede Minute gehen 23 Hektar Ackerland an wachsende Wüsten verloren, und Bodendegradation hat bereits die Produktivität von 23 Prozent der globalen Landoberfläche verringert.

Die Natur gerät in Bedrängnis – in einem Ausmaß, wie es der Mensch in seiner Geschichte noch nie verursacht hat. Hauptursachen des Klimawandels und des Artensterbens sind Landwirtschaft und veränderte Landnutzung; sie tragen zu rund einem Viertel der Treibhausgase bei, die für die globale Klimakrise verantwortlich sind.

Die Weltbevölkerung wird bis Mitte des Jahrhunderts voraussichtlich auf fast zehn Milliarden Menschen anwachsen. In Verbindung mit einer veränderten Ernährung – von pflanzlichen Lebensmitteln hin zu mehr Fleisch und Fisch – bedeutet dies eine höhere Nachfrage nach Lebens- und Futtermitteln und die Gefahr, fruchtbare Böden noch schneller zu erschöpfen. Gleichzeitig werden aufgrund des Klimawandels immer mehr Ernten ausfallen.

LandRush im MQ

In „LandRush“, auf Deutsch „Landrausch“, thematisieren sie den Umgang des Menschen mit der Erde, ihren Ressourcen, ihrer Produktivität. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass Landwirtschaft ein Treiber von Klimawandel, Artensterben, Bodenerosion und schwindenden Wasserressourcen ist. Gleichzeitig spüren die in der Landwirtschaft Tätigen und von ihr Lebenden den Klimawandel bereits am deutlichsten. Wie reagieren Gesellschaften auf der ganzen Welt auf diese neue Herausforderung, die sich zu den „alten“, darunter Globalisierung und Monopolisierung, noch aufdoppeln?

Das Künstler:innenduo hat es sich zur Aufgabe gemacht, die sozialen und ökologischen Folgen der globalen Landwirtschaft zu dokumentieren. Seit 2007 arbeiten Huber und Martin an „LandRush“. In der Ausstellung bringen sie Bilder und Protagonist:innen aus unterschiedlichen Regionen der Erde zusammen. In den vergangenen 16 Jahren arbeiteten sie mit Landwirt:innen, Fischer:innen, Wissenschaftler:innen, Indigenen sowie Aktivist:innen zusammen, um Themen wie Saatgut-, Wasser- und Landrechte, Umweltgerechtigkeit, Klimawandel und die Zukunft der Landwirtschaft zu untersuchen.

Die Einblicke in die globale Landwirtschaft, die Frauke Huber und Uwe H. Martin mit ihrer Arbeit eröffnen, zielen nicht auf ein bestimmtes Narrativ ab. Vielmehr ist es den beiden Künstler:innen ein Anliegen, als Vermittler:innen, Übersetzer:innen und Dialogstifter:innen auf die gegenwärtigen Herausforderungen und Probleme dieses riesigen und für unsere Existenz elementaren Themenkreises aufmerksam zu machen.

LandRush (seit 2011)

In der Werkgruppe „LandRush“ analysieren Frauke Huber und Uwe H. Martin die Auswirkungen groß angelegter Agrarinvestitionen auf die ländliche Wirtschaft und Landrechte, den Boom der erneuerbaren Brennstoffe, die Neuverteilung von Land und die Zukunft der Landwirtschaft weltweit. Sie dokumentieren unter anderem den neokolonialen Landraub in Äthiopien, industrielle Megakonzerne in Brasilien, dank Ethanolproduktion florierende Familienbetriebe in Iowa sowie die ökologische Landwirtschaft und Landnutzungspolitik in Ostdeutschland.

White Gold (2007–2012)

„White Gold“ untersucht die sozialen und ökologischen Auswirkungen der weltweiten Baumwollproduktion. Baumwolle ist Rohstoff nicht nur für unsere Kleidung, sondern findet sich auch in Banknoten, Tierfutter, Zahnpasta, Filmrollen und vielen weiteren Produkten. Der konventionelle Baumwollanbau verbraucht mehr Pestizide als jede andere Kulturpflanze und versteppt durch seinen extremen Wasserverbrauch ganze Regionen wie etwa den Aralsee. So sind bis zu 11.000 Liter Wasser nötig, um ein Kilogramm Baumwolle anzubauen.

Seit jeher wird Baumwolle unfairer gehandelt als die meisten anderen Produkte. Frauke Huber und Uwe H. Martin beleuchten Massensuizide von Baumwollbäuerinnen und -bauern in Indien, die in einem aussichtslosen Schuldenkreislauf gefangen sind, die hochsubventionierte Baumwollindustrie in Texas und den Kampf von Bäuerinnen und Bauern in Burkina Faso, die mit individuellen Strategien versuchen, in diesem schwierigen Markt zu überleben.

Dry West (seit 2014)

Mit Dry West dokumentieren Frauke Huber und Uwe H. Martin die Wassernutzung und die vom Menschen geprägten Landschaften des amerikanischen Westens – wo Flüsse in Betonbetten durch Berglandschaften und Wüsten fließen. Dieses künstliche System, das Wüsten erblühen und Städte wachsen lässt, gerät zunehmend aus dem Gleichgewicht: Die Region benötigt mehr Wasser, als die Natur zur Verfügung stellt. Anstelle von Kupfer, Gold oder Öl fördert die Landwirtschaft hochsubventioniertes Wasser.

Um vor Ort die Auswirkungen der Landwirtschaft noch besser untersuchen zu können, lebt und arbeitet das Künstler-Duo nicht nur in Hamburg, sondern auch in Bombay Beach am Salton Sea in Südkalifornien. Dort errichten sie einen Campus, einen Wüstengarten und ein Forschungslabor, das sich auf die ökosozialen Bedingungen in dieser kargen Region konzentriert.

Kuratiert von Verena Kaspar-Eisert.

Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.