„Wikinger!“ Dieser Ausruf war von Mitte des 8. bis ungefähr zum frühen 12. Jahrhundert an vielen Küsten Europas ein Schreckensschrei - könnte man meinen. Doch nicht so in dieser Ausstellung! Das Schwedische Historische Museum und die Schallaburg rücken dem Mythos der Wikinger an den Leib. Zehn Kapitel - von Familie und Gesellschaft über Religion, Legenden und Handwerkskunst - führen in die Lebenswelt der Nordleute ein. „Auf viking gehen“ bedeutet so viel wie, sich auf Raubzug oder Handelsfahrt begeben. Der Begriff taucht gelegentlich auf Runensteinen auf. Dass die Nordleute aber erst seit dem 19. Jahrhundert Wikinger genannt werden, ist nur eine der vielen Informationen aus dieser Ausstellung. Der Einfachheit halber bleiben wir bei diesem Begriff. Denn auch die vielfältigen kulturellen Kontakte blieben für die Wikinger nicht ohne Folgen. Die Ausstellung und der 260 Seiten starke Katalog beleuchten das Phänomen Wikinger und verbannen die blutrünstigen Krieger mit Hörnern am Helm ins Reich der Fantasie.
Österreich / NÖ: Schallaburg
28.3. - 8.11.2015
Deutschland / Rosenheim: Lokschuppen
11.3. - 4.12.2016
Die Ausbreitung der Wikinger von ihrer skandinavischen Heimat bis ans Kaspische Meer, dem Nordatlantik und vom Arktischen Bogen zum Mittelmeer war nur aufgrund ihrer außergewöhnlichen Schiffsbaukunst möglich. Schiffe waren nicht nur das wichtigste Transportmittel, um Reisen in ferne Länder zu unternehmen, sondern auch Bestandteile von unterschiedlichen, immer aber aufwändigen Begräbnisriten. In ihnen drücken sich bereits uneinheitliche Vorstellungen über das Jenseits aus. Ziel der Schau ist daher, nicht nur das kriegerische Wesen der Wikingerkultur zu beleuchten. Auch ihre Identität, der Handel, Glaube spielen neben der Rolle des Kriegers und der Frauen in der Gesellschaft wichtige Rollen. Schmuckstücke, Waffen, Gebrauchsgegenstände - allesamt Grabbeigaben - geben Hinweise auf Überzeugungen und Lebensweise der Skandinavier während der Eisenzeit. Neben Runensteinen und anderen Texten aus dem westskandinavischen Raum (über Island und Norwegen, aber erst im Mittelalter verfasst) und Überlieferungen aus nichtnordischen Ländern sind archäologische Funde die einzigen Quellen. Kunsthistorisch haben die Wikinger Spuren etwa auf dem „Älteren Lindauer Buchdeckel“ hinterlassen, von dem eine Nachbildung in der Schau zu sehen ist.1 Dass die nicht skandinavischen Quellen die Nordleute meist nur von ihrer kriegerischen Seite, als Räuber und Kolonisatoren aber selten als Händler kannten, prägt ihr Bild bis heute.
Die erste und einprägsamste Beschreibung des Überfalls auf das Kloster Lindisfarne im englischen Northumbria im Jahr datiert aus dem Jahr 793. Dennoch bestand die wikingerzeitliche Gesellschaft aus einem Adel, freien Bauern, Fischern und Sklaven auf Basis einer Familiengemeinschaft. Ackerbau und Viehzucht waren viel wichtiger für den Erhalt als Raubzüge. Daher bildete die auf dem Hof gemeinsam arbeitende und lebende Großfamilie den Kern der Wikingerkultur. Die gesellschaftliche Stellung des Individuums hing von seinen mütterlichen und väterlichen Ahnenreihen ab, die wirtschaftliche von der Größe des Grundbesitzes.
Die Skelette der Nordleute weisen durchgehend Anzeichen von chronischer Unterernährung und Überbelastung durch harte Arbeit auf, die Oberschicht litt zudem an Stoffwechselerkrankungen. Entgegen dem Klischee hatten auch behinderte und verkrüppelte Menschen einen Platz in der Gemeinschaft. Unfreie und Sklaven, die es offensichtlich gegeben hat, sind am schwierigsten nachweisbar, da sie nicht über Eigentum verfügten.
Die Rollen der Frauen waren vielfältig, als freie Frauen waren sie „Herrinnen der Schlüssel“, d. h. für Haus und Hof zuständig. Sie konnten sich scheiden lassen, erben, der Familie vorstehen, Siedlerinnen und höchstwahrscheinlich auch selbständig agierende Händlerinnen werden, sogar bei Bedarf Waffen tragen. Sehr aktiven waren sie im Bereich des Kultes, verantwortlich für private aber auch öffentliche Handlungen. Die Völven - altnordisch für Stabträgerinnen, Seherinnen und Zauberinnen - waren respektierte Frauen. Aber bereits die Frage, ob sie am Rand der Gesellschaft oder in direktem Kontakt mit der Aristokratie lebten, wird nicht von allen Forscher_innen gleich beantwortet.
Wenn auch von ihren Kindern vermutlich nur jedes Zweite das Erwachsenenalter erreichte und Kindheit im heutigen Sinn wohl nicht gab, so wurden sie als „kleine Erwachsene“ bestattet. Ob es, wie auch in einer aktuellen Serie zu sehen, Kindsaussetzungen wirklich gab, kann nicht bestätigt werden. In Mädchengräbern fanden sich besonders viele weiße Perlen, auch aus Kauri-Muscheln, die als Fruchtbarkeitssymbole oder Erinnerungsstücke gedeutet werden. Je nachdem ob ein weibliches Skelett seinen Armreif rechts oder links trug, war ablesbar, ob die Person gerade sexuell „verfügbar“ war. Mädchen, Jungfrauen, Schwangere und alte Frauen hatten ihn am rechten Arm, die anderen am linken. Man nimmt an, dass Mädchen ab etwa fünf Jahren als Frauen galten, denn sie trugen geschlechtsspezifische Kleidung, Fibeln und den Schlüssel einer Hausherrin. Erst ab einem Alter von 15 bis 20 Jahren wurden sie als erwachsen angesehen.
Gesellschaftsordnung und Ernährung sind nur zwei Themen der Wikinger-Schau. Die setzt fort mit dem Handelsplatz Birka mit seinen circa 2.300 Gräbern und der Stadt Haithabu, heute im deutschen Schleswig-Holstein und einst an der Grenze zum Fränkischen Reich gelegen. Archäologen und Kuratoren erzählen von den Göttern und Mythen, analysieren Vorstellungen vom Leben nach dem Tod und gehen auf die Handwerkskunst ein. Darunter die Präsentation eines Bootes, von dem nur noch die gefundenen Nieten Aufschluss über seine Größe und Form geben. Eindrucksvoll auch die Leistungen der Goldschmiede, die bereits kleinteilige Güsse fertigen konnten. Wer sich also in die Wikingerzeit fernab von Mythen eintauchen möchte, wird in der interaktiven Schau auf vielfache Weise fündig werden: aufwändiges Ausstellungsdisplay, originale Objekte in Kombination mit Kopien, Filme von archäologischen Untersuchungsmethoden und zum Schluss die Geschichte, wie der Wikinger zu seinem Helm kam.
Den Abschluss der Ausstellung bildet der Treffpunkt „Ich und wir“, wo Alt und Jung über die eigene Identität und die der Wikinger noch in Ruhe nachdenken können. Wer das im Café machen möchte, sei noch auf den herrlichen Eiscafé im Schlossrestaurant hingewiesen!